Kontenstammdatenabfragen

Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt:

Frage 1. Wie stellt sich der konkrete Verfahrensablauf bei Kontenabfragen bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben dar?

Das Verfahren der Kontenabfrage ist in dem dazu ergangenen, mit den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmten, BMF-Schreiben zu § 93 der Abgabenordnung vom 10. März 2005 - IV A 4 - S 0062 - 1/05 - eingehend beschrieben. Das Schreiben ist im Bundesteuerblatt 2005 Teil I S. 422 veröffentlicht (Kopie ist beigefügt).

Frage 2. Wie viele automatisierte Kontenstammdatenabfragen wurden seit dem 1. April 2005 nach § 93 Abs. 7 und Abs. 8 AO bisher in Hessen und bundesweit durchgeführt?

Hessen hat bis zum 31. Dezember 2005 437 Kontenabrufe veranlasst. Bundesweit wurden bis zum 31. Januar 2006 10.849 Kontenabrufe durchgeführt.

Frage 3. Wie viele der Kontenstammdatenabfragen entfielen auf die Finanzbehörden nach § 93 Abs. 7 AO und wie viele auf andere Behörden nach § 93 Abs. 8 AO in Hessen und auf Bundesebene?

Von den 437 hessischen Kontenabrufen entfielen 431 Abrufe auf Ersuchen der Finanzbehörden nach § 93 Abs. 7 AO sowie sechs Abrufe auf Ersuchen anderer Behörden nach § 93 Abs. 8 AO. Bundesweit entfielen 10.747 Abrufe auf Ersuchen der Finanzbehörden nach § 93 Abs. 7 AO und 102 Abrufe auf Ersuchen anderer Behörden nach § 93 Abs. 8 AO.

Frage 4. Wurden in Hessen stichprobenartige Prüfungen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Abfrage der Kontenstammdaten rechtlich einwandfrei erfolgt?

Kontenabrufe werden nur unter den strengen Voraussetzungen und Vorgaben des BMF-Schreibens vom 10. März 2005 (vgl. Frage 1) durchgeführt.

Zudem ist die abschließende Prüfung und Schlusszeichnung des Abfrage ersuchens dem Finanzamtsvorsteher bzw. dem Hauptsachgebietsleiter AO vorbehalten. Stichprobenartige Prüfungen waren daher entbehrlich.

Frage 5. Falls nein, wie stellt die Landesregierung sicher, dass die Kontenabfrage in Hessen rechtlich einwandfrei erfolgt?

Siehe Antwort zu Frage 4.

Frage 6. Wie steht die Landesregierung zu der Feststellung des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, dass neun von zehn Kontenabfragen rechtliche Mängel aufweisen?

Der Landesregierung liegen keine derartigen Feststellungen des Bundesdatenschutzbeauftragten vor. Die Behauptungen stützen sich wohl auf stichprobenartige Prüfungen bei drei nordrhein-westfälischen Finanzämtern durch die dortige Landesdatenschutzbeauftragte. Das Bundesministerium der Finanzen, das sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt hat, hat keinen Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Kontenabrufe zu zweifeln.

Frage 7. In wie vielen Fällen von Kontenstammdatenabfragen kam es anschließend zu einem Vollzugriff auf das jeweilige Konto des Betroffenen?

Eine anschließende Kontenüberprüfung in Form von Auskunftsersuchen an Kreditinstitute ist nur erforderlich, wenn der Kontenabruf zu Abweichungen von den Steuererklärungen geführt hat und diese Abweichungen z. B. durch mangelnde Mitwirkung der Steuerpflichtigen nicht aufgeklärt werden konnten.

Zahlen hierzu liegen der Landesregierung nicht vor. Durch die Kontenabrufe konnten jedenfalls eine Vielzahl bislang unbekannter Konten und Depots festgestellt werden. In diesen Fällen sind dann jedoch weitere Ermittlungen erforderlich, da durch die Kontenabfrage weder Kontenstände noch Kontenbewegungen abgefragt werden.

Frage 8. In wie vielen Fällen haben durch Kontenabfragen ermittelte Daten Aufschluss über die Hinterziehung der Steuern auf Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften und Zinserträgen gegeben?

Hierzu wurden keine Zahlen erhoben. Die Einführung des Kontenabrufs war verfassungsrechtlich geboten, um ein Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte und der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu beseitigen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesverfassungsgerichts ist der Kontenabruf dazu ein taugliches Instrument. Die Finanzbehörden haben die Möglichkeit, ihrem verfassungsmäßigen Auftrag, die Steuern gleichmäßig festzusetzen, nachzukommen (so zuletzt Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. November 2005 - IX R 49/04). Frage 9. Kann nach Auffassung der Landesregierung durch die Einführung einer anonymen Abgeltungssteuer auf die Kontenstammdatenabfrage verzichtet werden und wann ist nach Auffassung der Landesregierung mit der Einführung einer anonymen Abgeltungssteuer zu rechnen?

Bei Einführung einer anonymen Kapitalabgeltungssteuer wird die Steuer von den Kreditinstituten pauschal einbehalten. Die privaten Zinsen, Dividenden oder Veräußerungsgewinne sind nicht mehr in der Steuererklärung aufzuführen. Mit dem Steuerabzug sind alle steuerlichen Verpflichtungen abgegolten.

Damit kann sowohl auf das Kontenabrufsystem als auch auf die Ausstellung von Steuerbescheinigungen sowie Jahressteuerbescheinigungen nach § 24 c EStG verzichtet werden. Diese Verfahren sind überflüssig, wenn das Verifikationsprinzip zugunsten einer anonymen Abgeltungssteuer aufgegeben wird.

Hier setzt unter anderem das Reformkonzept der Landesregierung an, das eine Kapitalabgeltungssteuer für private Kapitalerträge wie Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Aktiengeschäften vorsieht, verbunden mit einer Senkung der Kapital-Steuersätze. Hinsichtlich des Zieles einer Kapitalabgeltungssteuer wird das hessische Modell unterstützt von dem Steuerkonzept des Sachverständigenrates.

Das steuerpolitische Programm der Stiftung Marktwirtschaft verzichtet dagegen auf den Ansatz einer Kapitalabgeltungssteuer für Kapitalerträge, sodass das aufwändige Kontrollverfahren insoweit bestehen bliebe.

Sofern dem Steuerzahler abweichend vom Modell der Landesregierung die Möglichkeit eingeräumt wird, die Kapitalerträge in die Steuerfestsetzung einzubeziehen (Veranlagungsoption), muss die Ausübung dieser Option mit der Zustimmung des Steuerpflichtigen für einen Kontenabruf verbunden werden. Insoweit verzichtet der Steuerzahler in diesen Fällen freiwillig auf die Anonymität der Abgeltungssteuer.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 sieht vor, noch in dieser Legislaturperiode eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen zu realisieren (Ziff. II 2.1 des Koalitionsvertrages). Die Reformmodelle zur Abgeltungssteuer sind Teil der geplanten Unternehmensteuerreform. Die Absicht, eine Grundlagenentscheidung zur Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 zu treffen, ist sowohl in der Koalitionsvereinbarung als auch im Ergebniskommunique der Genshagener Koalitionsklausur festgelegt. Eckwerte sollen bis zum Herbst 2006 entwickelt werden.

Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung die Behauptung von Bankenverbänden, die Kontenabfragemöglichkeit habe zu einem verstärkten Kapitalabfluss aus Deutschland geführt?

Es gibt immer wieder Veröffentlichungen zu einem verstärkten Kapitalabfluss aus Deutschland, die allesamt auf Schätzungen beruhen. So sind beispielsweise nach den Angaben des Genossenschaftsverbandes Bayern im Dezember 2005 Einlagen von 350 Mio. ins benachbarte Ausland abgeflossen.

Eine genaue Statistik über die behauptete Kapitalflucht bezogen auf die gesamte Bundesrepublik existiert nicht. Überdies ist das Motiv für eine Kapitalverlagerung statistisch nur unzureichend verifizierbar.