Alle armen Kinder weisen materielle Einschränkungen auf

Familiäre Armut begrenzt Kinder in allen vier Lebenslagedimensionen und verringert deren Zukunftschancen immer stärker.

Alle armen Kinder weisen materielle Einschränkungen auf. Das Ausmaß der Einschränkungen kann zwar durch die Eltern über eine stark kindorientierte Prioritätensetzung verringert, aber nicht vollständig beseitigt werden. In der kulturellen Dimension zeigen sich Armutsfolgen bei den Schulleistungen. Ebenso können Schulschwierigkeiten der Kinder in den nicht-armen Familien besser bewältigt werden. Im sozialen Bereich zeigen sich bei den armen Grundschulkindern noch verhältnismäßig wenig Einschränkungen. Die deutlichsten Folgen von Armut scheinen sich in dieser Altersphase auf die gesundheitliche Situation niederzuschlagen, denn der größte Teil der armen, aber nur wenige nicht-arme Kinder sind gesundheitlich beeinträchtigt.

Fast (alle Grundschulkinder fühlen sich (noch) wohl in Familie und Schule, aber die Schere zwischen arm und reich wird größer.

Die meisten Kinder - ob arm oder nicht-arm - geben an, sich in der Schule wohl zu fühlen. Davon weichen auffallend die Kinder der am stärksten belasteten Gruppe ab, die „armen und multipel deprivierten" Kinder.

Die armen Kinder wurden bereits verspätet, das heißt nicht regulär, eingeschult.

Sie haben mehr Probleme bei schulischen Leistungen, was auch auf mangelnde deutsche Sprachkenntnisse zurückzuführen ist. Sie werden durch ihre Eltern weniger gefördert. Besonders auffallend ist, dass sie weniger Freunde in der Schule haben und dort stärker von den anderen Kindern ausgegrenzt werden.

Arme Kinder im frühen Grundschulalter nehmen ihre Situation - anders als im Vorschulalter- deutlich wahr.

Sie nehmen ihre belastendere Situation zuerst anhand der schlechteren materiellen Möglichkeiten (z.B. kein Besuch des Schwimmbads oder Kinos, keine Geburtstagsfeiern) und der Wohnsituation wahr (z.B. keine Spielmöglichkeiten zu Hause und damit auch keine Besuche von anderen Kindern, schlechtere Ausstattung der Wohnung, kein eigenes Zimmer). Sie nehmen eine geringere Zuwendung der Eltern wahr. Auch sind die Eltern weniger in den Tagesablauf dieser Kinder eingebunden (z.B. keine gemeinsamen Mahlzeiten, keine Hilfen bei den Schulaufgaben, keine gemeinsamen Familienaktivitäten).

Fast alle Eltern unternehmen vielfältige - aber höchst unterschiedlich erfolgreiche

- Anstrengungen, um ihre schwierige Lebenssituation zu bewältigen bzw. zu verbessern.

Dies gelingt den Eltern vor allem dann, wenn sie selbst über zentrale arbeitsmarktrelevante Ressourcen und Kompetenzen verfügen. Positive Faktoren sind:

Schul- und Berufsausbildung möglichst beider Elternteile; keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen; ausreichende soziale und kulturelle Kompetenzen; gute Deutschkenntnisse; ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem oder entsprechend zur Verfügung stehende private Betreuungsmöglichkeiten.

Weiterhin wirkt sich auf eine positive elterliche Bewältigung aus: keine Orientierung der Familie am klassischen Ernährer-/Hausfrauenmodell, statt dessen eine frühe zumindest stundenweise - Rückkehr der Mutter in ihren Beruf, um den Kontakt zum Arbeitsmarkt zu halten; keine Alleinverantwortung der Mutter für die Familie, sondern gemeinsame Verantwortungsübernahme von Mutter und Vater; Vorhandensein privater Kontakte/Netzwerke, die finanzielle Engpässe, emotionale und pädagogische Belastungen der Eltern mittragen und eine Berufstätigkeit der Mutter erleichtern.

Eltern, die in einer komplexen Belastung leben und das Gefühl haben, die Situation nicht mehr beeinflussen oder bewältigen zu können, geraten in einen Kreislauf der Überbelastung. Das wirkt sich auch belastend auf das Erziehungsverhalten und die Förderung der Kinder aus. Eltern und Kinder entwickeln zum Beispiel nur noch wenig Zukunftsperspektiven und Ziele.

Die sozialen Netzwerke der Familie tragen entscheidend zur Entlastung der Eltern bei und führen zur Reduzierung von Armutsfolgen bei den Kindern.

Stabile, verlässliche Beziehungen und die Sicherheit, auf Unterstützungsleistungen zurückgreifen zu können, tragen wesentlich zur Entlastung der Eltern bei und erleichtem den Weg aus der Armut. Diese Sicherheit fehlt in erster Linie den konstant armen Familien, da bei ihnen ein solches Netzwerk oftmals nicht vorhanden ist.

Die wichtigsten Unterstützungen für die Familien leisten die Großeltern, insbesondere die Großmütter. Die Unterstützungsleistungen umfassen insbesondere: emotionale Unterstützung, alltagspraktische Hilfen, Entlastung bei der Kinderbetreuung sowie finanzielle Zuwendungen und materielle Angebote für die Kinder.

Kinder mit Migrationshintergrund sind höheren Armutsrisiken ausgesetzt.

Nicht-deutsche Kinder in belastenden Lebenssituationen sind stärker beeinträchtigt als deutsche Kinder. Die kindlichen Einschränkungen ergeben sich vor allem durch die schlechtere Lebenssituation der Familien (z.B. Wohnsituation, schlechterer Schul- und Berufsabschluss, hohe Arbeitslosigkeit) und dadurch bedingte geringere Entfaltungs- und Entwicklungsräume (z.B. keine Spielmöglichkeiten in der Wohnung, weniger Spielmaterial, wenig schulische Förderung).

Die Lebenssituation der Migrantenfamilien ist allerdings nicht homogen.

Entscheidend sind der Armutsfaktor und die soziale Integration der Familien. So leben die nicht-armen Migrantenfamilien eher in Wohngegenden mit Eigentum und vorwiegend deutschen Nachbarn. Die Kinder aus den nicht-armen Familien spielen fast alle mit deutschen und nicht-deutschen Kindern, in diesen Familien werden die Muttersprache der Eltern und deutsch gesprochen.

Das Leben der Kinder mit Migrationshintergrund scheint zwar nicht so stark durch gemeinsame familiäre Aktivitäten geprägt zu sein (z.B. finden weniger Familienausflüge statt, die Schularbeiten werden kaum gemeinsam gemacht). Gleichzeitig haben die Eltern aber ein wesentlich höheres Interesse an der Schulsituation und dem schulischen Erfolg ihrer Kinder (z.B. besuchten fast 90 Prozent der Migranteneltern, aber nur rund 54 Prozent der deutschen Eltern mehrmals Sprechstunden oder Elternabende). Jungen und Mädchen reagieren unterschiedlich. Erst recht bei Armut

Am stärksten zeigen sich Geschlechterdifferenzierungen in drei Bereichen:

Die Selbsteinschätzung der untersuchten Jungen ist insgesamt positiver als die der Mädchen. Sie haben mehr Interesse an sportlichen Aktivitäten und an Mathematik. Auch fühlen sich die Jungen wohler in der Schule.

Eine sehr geringe Selbsteinschätzung äußerten die armen Mädchen, was sich vor allem am Faktor „Wohlfühlen in der Schule" nachweisen lässt. Insgesamt geben Mädchen häufiger Beschwerden an, die psychosomatischen Ursprungs sind.

Gemeinsame familiäre Aktivitäten von Eltern und Kindern finden in einzelnen Freizeitbereichen (z.B. in den Ferien wegfahren, lesen, zu Hause Geburtstag feiern) häufiger mit den Jungen statt. Auch haben sie häufiger Freunde, mit denen sie sich regelmäßig treffen, und sie dürfen öfter mit anderen Kindern zu Hause spielen.

Professionelle Förderung und Hilfe für die Kinder sind vorhanden, diese zeigen aber deutliche Schwachstellen.

Insgesamt nutzten Kinder wie Eltern nur wenige Förder- oder Hilfeangebote, wobei die armutsbelasteten zahlenmäßig besser versorgt zu sein scheinen. Hier zeigt sich aber eine Konzentration von Hilfen in einigen wenigen Familien, die wiederum nicht unbedingt zu den multipel deprivierten Familien zählen.

Für die Kinder werden solche Förderangebote genutzt, die eher spontan aus der Situation heraus initiiert wurden oder bereits seit der Kindergartenzeit in Anspruch genommen werden. Zusätzliche oder neue Hilfen kamen seit der Einschulung kaum hinzu.

Es deutet sich allgemein eine Unterversorgung von sozialpädagogischen Hilfen für Kinder im frühen Grundschulalter an. Dies kann sowohl die Folge einer sehr defensiven Haltung der Eltern sein als auch auf eine zu geringe Sensibilisierung des Hilfesystems für diese Altersgruppen hinweisen. Sind die Grundschulkinder eine bisher weitgehend übersehene Zielgruppe des Hilfesystems, vor allem der Kinder- und Jugendhilfe?

Die Lebenssituation und die Entwicklungschancen der Kinder werden positiv beeinflusst, wenn Eltern und Kinder so früh wie möglich und auf präventive Wirkung angelegte Förder- und Unterstützungsangebote erhalten.

Die Folgen von Armut können durch außerfamiliäre öffentliche Hilfen aufgefangen werden, und zwar dann, wenn diese die sichtbaren Defizite bei den Kindern rasch und umfassend ausgleichen helfen, zur sozialen Integration beitragen sowie das kindliche Selbstwertgefühl, die Kompetenzen und Ressourcen der Kinder stärken.

Gleichzeitig muss die Förderung der Kinder gleichermaßen durch kind- und elternbezogene Angebote erfolgen.