Praxis der Strafverfolgung
Das externe Weisungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft ist kein politisches Recht. Es dient in der Form des allgemeinen Weisungsrechts dazu, landesweit eine möglichst gleichmäßige Praxis der Strafverfolgung sicherzustellen.
Die Ausübung des Weisungsrechts in einzelnen Ermittlungsverfahren muss dagegen die absolute Ausnahme sein und kann nicht dazu dienen, politisch Einfluss zu nehmen. Sie kann nur dann in Betracht kommen, wenn die rechtliche Selbstkontrolle im staatsanwaltschaftlichen Bereich also die Aufsicht durch den Behördenleiter und insbesondere durch den Generalstaatsanwalt nicht ausreicht. Eine dann angezeigte Einzelfallweisung dient allein der Sicherung des Legalitätsprinzips und sollte schriftlich über den Generalstaatsanwalt erfolgen. Diese Grundsätze wurden in den zurückliegenden 4 Jahren bis in die unmittelbare Vergangenheit vom hessischen Justizministerium offenbar nicht immer eingehalten.
Vorbemerkung des Ministers der Justiz:
Dem Fragesteller ist zunächst zuzustimmen, dass es sich bei dem so genannten externen Weisungsrecht nicht um die Befugnis zu sachfremder Einflussnahme auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungsmaßnahmen handelt. Vielmehr obliegen dem Ministerium der Justiz als Landesjustizverwaltung und dem Generalstaatsanwalt als erstem Beamten der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht nach § 147 Nr. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes das Recht und die Pflicht der Aufsicht und Leitung hinsichtlich der Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Geschäftsbereiches. Dieses Recht der Aufsicht und Leitung enthält gegebenenfalls auch die Befugnis und die Verpflichtung zur Erteilung von Weisungen, wenn und soweit nach Recht und Gesetz eine Korrektur von Entscheidungen nachgeordneter Hierarchieebenen erforderlich ist. Die Beachtung des Legalitätsprinzips ist dabei wie der Fragesteller zu Recht ausführt ein wesentlicher Maßstab recht- und gesetzmäßigen Handelns.
Die Unterstellung in der Vorbemerkung des Fragestellers, dass diese Grundsätze "in den zurückliegenden 4 Jahren bis in die unmittelbare Vergangenheit vom hessischen Justizministerium offenbar nicht immer eingehalten" worden seien, wird mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Sie entbehrt jeder sachlichen Grundlage.
Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:
Frage 1. a) Wie oft insgesamt und in welchen Einzelfällen hat das Justizministerium seit 1999 die ermittelnde Staatsanwaltschaft um mündliche und/oder schriftliche Berichte an das Ministerium gebeten?
b) Wie viele Berichte wurden in den Einzelfällen jeweils erbeten?
Frage 2. Wie oft und in welchen Einzelfällen hat die ermittelnde Staatsanwaltschaft ohne Anforderung durch das Ministerium berichtet?
Berichte über dort geführte Strafverfahren werden von den Staatsanwaltschaften entweder auf Anforderung, ganz überwiegend aber von Amts wegen an den Generalstaatsanwalt und zu einem Teil auch an das Hessische Ministerium der Justiz erstattet. Sie dienen der Wahrnehmung der Fach- und Dienstaufsicht, mitunter aber auch primär der Unterrichtung der vorgesetzten Behörden etwa über besonders öffentlichkeitswirksame Verfahren.
Allgemeine Regelungen, wann die Staatsanwaltschaft die vorgesetzten Behörden über ein dort geführtes Strafverfahren zu unterrichten hat, sind in Ausführung der gesetzlichen Vorschrift des § 147 GVG in der Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen und Bußgeldsachen (Runderlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 6. Dezember 2001, JMBl. 2002, S. 3, der eine frühere, im Wesentlichen gleichlautende Richtlinie fortschreibt) getroffen. Vergleichbare Bestimmungen enthalten die Verwaltungsrichtlinien zu den Berichtspflichten in allen Bundesländern.
Einzelfallbezogene Berichte werden von den Staatsanwaltschaften auch erstattet in Fällen weiterer Dienstaufsichtsbeschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen des Generalstaatsanwalts, zur Vorbereitung von Stellungnahmen der Landesregierung zu Petitionen im Hessischen Landtag sowie zu parlamentarischen Anfragen, zur Vorbereitung der Beantwortung einzelfallbezogener Eingaben, zur Vorbereitung von Gnadenentscheidungen des Justizministeriums oder des Ministerpräsidenten sowie im Rahmen der Aufgaben der internationalen Rechtshilfe. Schließlich sind Fälle zu nennen, in denen sich die Staatsanwaltschaft auf dem Dienstweg über das Justizministerium an andere Behörden und Ministerien etwa das Bundesministerium der Justiz wendet.
Soweit die Berichte der Staatsanwaltschaften auf einer Anforderung durch dienstvorgesetzte Behörden beruhen, erfolgt diese in der Regel durch schriftlichen Erlass oder schriftliche Verfügung des Generalstaatsanwalts. Bei besonders aktuellen oder eiligen Anfragen werden diese mitunter auch telefonisch übermittelt.
Einzelfallbezogene Berichte der Staatsanwaltschaften gehen bei dem Hessischen Ministerium der Justiz täglich mehrfach ein. Auch bei der Anforderung von Berichten und der Übermittlung von Sachstandsanfragen handelt es sich um ein tägliches Geschäft der zuständigen Referate im Hessischen Ministerium der Justiz.
Die genaue Anzahl
- der seit 1999 an die Staatsanwaltschaften des Geschäftsbereiches schriftlich und/oder mündlich gerichteten Berichtsanforderungen,
- der seit 1999 auf solche Anforderungen hin von den Staatsanwaltschaften an das Hessische Ministerium der Justiz erstatteten Berichte,
- der seit 1999 ohne Anforderung von den Staatsanwaltschaften an das Hessische Ministerium der Justiz erstatteten Berichte kann mit vertretbarem Aufwand nicht ermittelt werden. Ohne Zweifel betrifft dies aber mehrere Tausend Vorgänge und eine diese Zahl noch deutlich übersteigende Anzahl von Ein- und Ausgängen.
Frage 3. a) Wie oft und in welchen Einzelfällen hat das Justizministerium der ermittelnden Staatsanwaltschaft Weisungen erteilt?
b) Erfolgten diese schriftlich oder mündlich?
Sehr vereinzelt führen weitere Dienstaufsichtsbeschwerden oder Beschwerden gegen Gnadenentscheidungen (§ 30 der Hessischen Gnadenordnung) zu Aufhebungen vorinstanzlicher Entscheidungen durch das Hessische Ministerium der Justiz etwa im Sinne einer Veranlassung der Wiederaufnahme von Ermittlungen oder der Änderung einer Gnadenentscheidung der Vollstreckungsbehörden. Die in solchen Entscheidungen zu sehenden Weisungen werden den Staatsanwaltschaften durch Erlass auf schriftlichem Weg zugeleitet. Die Anzahl der im betroffenen Zeitraum hiervon insgesamt erfassten Fälle ließe sich nur mit einem erheblichen Aufwand feststellen, da eine gesonderte Registratur oder statistische Erfassung insoweit nicht geführt wird. Insgesamt handelt es sich um eine geringe Anzahl.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch Fälle, in denen nach allgemeinen Regelungen ein Vorbehalt der Zustimmung oder Entscheidung des Justizministeriums besteht, wie dies etwa in bestimmten Fällen des Absehens von der weiteren Strafvollstreckung bei Ausweisung entsprechend dem Runderlass vom 22. Januar 1999 (JMBl. S. 175) der Fall ist. Auch insoweit kann die Entscheidung des Justizministeriums als Weisung an die nachgeordneten Behörden, die mit der weiteren Umsetzung befasst sind, verstanden werden.
Im Rahmen der allgemeinen dienst- und fachaufsichtsrechtlichen Begleitung von Ermittlungsverfahren hingegen etwa auf der Grundlage der Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen und Bußgeldsachen ist es in dem von der Anfrage betroffenen Zeitraum zu Weisungen an die Staatsanwaltschaften durch das Hessische Ministerium der Justiz nicht gekommen. Selbstverständlich wurden und werden zu treffende oder schon getroffene Entscheidungen in der schriftlichen Korrespondenz oder in Dienstbesprechungen zwischen den die Ermittlungsverfahren führenden Staatsanwaltschaften, dem Generalstaatsanwalt und dem Hessischen Ministerium der Justiz erörtert. Mit Weisungen hat dies nichts zu tun.
Frage 4. Welche generellen Weisungen mit Wirkung für alle Staatsanwaltschaften hat die Landesregierung seit 1999 erteilt?
Mit dem Begriff der "generellen Weisung" ist der Bereich der Verwaltungsvorschriften und Ausführungsbestimmungen betroffen. Für die Staatsanwaltschaften gilt insoweit eine ganze Reihe von allgemeinen, teilweise bundeseinheitlich durch die Landesjustizverwaltungen abgestimmte Regelungen wie etwa
- die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV),
- die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra),
- die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt),
- die Richtlinien über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen zur Fahndung nach Personen bei der Strafverfolgung,
- die Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen,
- die Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität,
- die Richtlinien über die internationale Fahndung nach Personen, einschließlich der Fahndung nach Personen im Schengener Informationssystem,
- der gemeinsame Runderlass des Ministeriums des Innern und für Sport und des Ministeriums der Justiz über die Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluss bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten,
- der Runderlass des Ministeriums der Justiz zum Absehen von der Vollstreckung bei Abschiebung (§ 456a StPO),
- der Runderlass des Ministeriums der Justiz zum Vollstreckungshilfeverkehr in Strafsachen mit dem Ausland,
- der Runderlass des Ministeriums der Justiz zu Mitteilungen über Freiheitsentziehungen von ausländischen Staatsangehörigen an die konsularischen oder sonstigen Vertretungen ihrer Heimatstaaten.
Ganz überwiegend sind die hier betroffenen Bestimmungen veröffentlicht und können daher dem Amtlichen Verzeichnis hessischer Verwaltungsvorschriften Gültigkeitsverzeichnis im Staatsanzeiger für das Land Hessen entnommen werden.
Verwaltungsrichtlinien unterfallen in Hessen nach einem Beschluss des Kabinetts der Erlassbereinigung durch eine generelle zeitliche Befristung auf fünf Jahre. In diesem Zeitraum sind sie zu überprüfen und gegebenenfalls erneut zu erlassen.
Frage 5. Ist die Landesregierung der Meinung, dass eine ständige Berichterstattung im Einzelfall, Einbestellung zum Vortrag oder Bitte um Aktenvorlage den Eindruck einer sachfremden Einflussnahme erwecken kann?
Insbesondere in Aufsehen erregenden, die Medien täglich beschäftigenden Strafverfahren ist mitunter eine häufige Berichterstattung zur laufenden Aktualisierung des Informationsstandes aufseiten des Justizministeriums unvermeidlich. Auch der Vortrag bei dem Generalstaatsanwalt oder dem Justizministerium ist ein unerlässliches, zu allen Zeiten übliches und von allen Generalstaatsanwälten und Landesjustizverwaltungen angewandtes Mittel der Informationsübermittlung und Erörterung auch von Einzelfällen.
Die Intensität der aufsichtsrechtlichen Begleitung wird durch die Bedeutung der jeweiligen Verfahren, häufig schlicht durch deren Medienwirksamkeit und mitunter auch durch eine parlamentarische Befassung mit den gegenständlichen Vorgängen bestimmt.
Frage 6. a) Beabsichtigt die Landesregierung, die Vorschläge der Arbeitsgruppe Staatsanwaltschaft vom November 2002 über eine Regelung des Weisungsrechts in einer neuen Verwaltungsvorschrift umzusetzen?
b) Falls ja, wann ist damit zu rechnen?
c) Falls nein, beabsichtigt die Landesregierung eine anderweitige Neuregelung des Weisungsrechts?
Die Meinungsbildung in der Landesregierung zu den Vorschlägen der Arbeitsgruppe Staatsanwaltschaft unter dem Vorsitz des Generalstaatsanwalts a.D. Dr. Schaefer ist noch nicht abgeschlossen. Die umfangreichen Stellungnahmen aus der Praxis des Geschäftsbereiches werden derzeit ausgewertet. Klarzustellen ist, dass auch der Bericht der Arbeitsgruppe die Notwendigkeit eines externen Weisungsrechts im Einzelfall nicht in Zweifel stellt.
Der Vorschlag einer Verwaltungsvorschrift zielt im Wesentlichen auf eine Selbstbindung des Justizministeriums hinsichtlich der Dokumentation entsprechender Erlasse, der einzuhaltenden Dienstwege sowie der Möglichkeit einer Remonstration der nachgeordneten Behörden.
Frage 7. Welche Haltung hat die Landesregierung zum Vorschlag, allgemeine Weisungen und Rundverfügungen des Generalstaatsanwaltes in geeigneter Weise zu veröffentlichen?
Die Landesregierung befürwortet den Vorschlag grundsätzlich. Er dürfte im Übrigen weitestgehend der bereits bestehenden Praxis in Hessen entsprechen. Runderlasse des Hessischen Ministeriums der Justiz werden regelmäßig im Justizministerialblatt veröffentlicht. Im Übrigen führt der Generalstaatsanwalt die so genannten "Dezernatsakten Staatsanwaltschaft", in der auch die wesentlichen Rundverfügungen des Generalstaatsanwalts bei dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. aufgenommen sind. Diese Dezernatsakten werden den Dezernenten mittlerweile auch als Datei am PC-Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt.
Klarzustellen ist freilich, dass Verwaltungsvorschriften mitunter nur zum internen Gebrauch bestimmt sind und sich insoweit zu einer allgemeinen Veröffentlichung nicht eignen wie beispielsweise Richtlinien über den Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern.