Umsetzung des Aufenthaltsgesetzes in Hessen
Vorbemerkung der Fragesteller:
Mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz wurde der Aufenthalt aus humanitären Gründen neu geregelt und systematisiert. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, unter anderem mit der gesetzlichen Regelung des § 25
Aufenthaltsgesetz dem Missbrauch der "Duldung als zweitklassiger Aufenthaltstitel" durch die Ausländerbehörden entgegenzusteuern und die so genannten "Kettenduldungen" zu verhindern. Nach einem Jahr Erfahrung mit dem neuen Aufenthaltsgesetz zeigt sich, dass die neuen Instrumente zur Legalisierung des Aufenthalts aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 Aufenthaltsgesetz der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht werden. Zudem gibt es inzwischen einige erheblich voneinander abweichende Ländererlasse und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Auslegung der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume. Auch das Verfahren vor der Härtefallkommission in Hessen nach § 23a Aufenthaltsgesetz zeigt, dass aufgrund zahlreicher Zugangshürden verbleibende Härten des Aufenthaltsgesetzes nicht in gebotenem Maße aufgefangen werden können.
Vorbemerkung der Landesregierung:
Eine Altfall- oder Bleiberechtsregelung für ausreisepflichtige Ausländer mit langjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet enthält das Zuwanderungsgesetz nicht. Das Thema ist im Rahmen des Vermittlungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz diskutiert worden; eine Altfall- oder Bleiberechtsregelung wurde aber nicht in den Zuwanderungskompromiss aufgenommen. Insbesondere mit dem § 23a (Aufenthaltsgewährung in Härtefällen) und § 25 (Aufenthalt aus humanitären Gründen) sieht das Aufenthaltsgesetz wichtige Verbesserungen für Personen vor, die sich seit langem in Deutschland aufhalten.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD auf Bundesebene vom 11. November 2005 enthält im Abschnitt VIII Aussagen zur künftigen Ausländerpolitik. In den Koalitionsvertrag wurde die Absicht aufgenommen, das Zuwanderungsgesetz anhand der Anwendungspraxis zu evaluieren. Dabei soll insbesondere auch geprüft werden, ob eine befriedigende Lösung des Problems der so genannten Kettenduldungen erreicht worden ist und ob alle Sicherheitsfragen und humanitären Probleme, etwa mit Blick auf in Deutschland aufgewachsene Kinder, wie beabsichtigt befriedigend gelöst sind. Die Ergebnisse dieser Evaluation sind zunächst abzuwarten.
Unabhängig davon ist auf Folgendes hinzuweisen:
Die Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes enthielt zu § 25 folgende Formulierung:
Die Duldung (§ 56 AuslG) wird abgeschafft. Der bislang verbreiteten Praxis, die Duldung nicht als Instrument der Verwaltungsvollstreckung, sondern als "zweitklassigen Aufenthaltstitel" - häufig in Form von so genannten Kettenduldungen - einzusetzen, wird damit entgegengetreten.
Als Kettenduldungen bezeichnet man die Duldungen, die regelmäßig verlängert werden, ohne dass eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht erfolgt oder ein Aufenthaltstitel erteilt wird.
Im Gesetzgebungsverfahren erfolgte dann aber eine wesentliche Änderung des Verfahrens. Mit der Einfügung des § 60a in das Aufenthaltsgesetz wurde die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) wie auch unter der Vorgängerregelung, dem Ausländergesetz, beibehalten.
Die Landesregierung weist vor dieser Entstehungsgeschichte darauf hin, dass es nicht Ziel des Aufenthaltsgesetzes war und ist, so genannte Kettenduldungen vollständig abzuschaffen, sondern diese sollten bei Vorliegen von Abschiebungshindernissen weitgehend vermieden werden. Hierzu ist vorgesehen, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Ausreisepflicht nicht innerhalb von 18 Monaten vollzogen werden kann und die Rückkehrhindernisse nicht selbst verschuldet sind. Dagegen wird die Ausreisepflicht von Personen, die Rückkehrhindernisse selbst zu vertreten und z. B. ihre Identität verschleiert oder ihre Pässe vernichtet haben, konsequenter durchgesetzt werden. Darin ist sich die Landesregierung mit dem damaligen Bundesminister des Innern, Otto Schily (SPD), einig, der in einer seiner Veröffentlichungen zum damaligen Zuwanderungsgesetz eine fast identische Formulierung gebrauchte. An dieser Zielsetzung orientiert sich die Landesregierung auch weiterhin.
Die Härtefallkommission ist in Hessen im April 2005 eingerichtet worden.
Aus Sicht der Landesregierung hat sich diese neue Institution zur Regelung von Härtefällen bewährt. Die Zahl der dort behandelten Fälle lässt aber noch keine abschließende Bewertung zu. Für eine Änderung des Verfahrens besteht derzeit keine Veranlassung.
Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantwortet der Minister des Innern und für Sport im Einvernehmen mit der Sozialministerin die Große Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
I. Kettenduldungen, Niederlassungserlaubnis Frage 1. Wie viele geduldete Personen hielten sich zum 1. Januar 2005 in Hessen auf (getrennt nach Herkunftsland, Alter und Aufenthaltsdauer)?
Die gewünschten Angaben sind der Anlage 1 zu entnehmen.
Frage 2. Wie viele geduldete Ausländer leben zum 1. Januar 2006 in Hessen (getrennt nach Herkunftsland, Alter und Aufenthaltsdauer)?
Die gewünschten Angaben sind der Anlage 2 zu entnehmen.
Frage 3. Wie viele Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG wurden in Hessen von geduldeten Flüchtlingen seit In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 gestellt?
Die Zahl der Anträge ist nicht zu ermitteln. Bis zum Stichtag 28.02. haben 244 Personen eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten.
Frage 4. Wie viele der oben genannten Personen wurden abgelehnt?
Was waren die wesentlichen Gründe dafür?
Da die Zahl der Anträge nicht zu ermitteln ist, liegen zu dieser Frage keine Erkenntnisse vor.
Frage 5. In wie vielen Fällen wurde Flüchtlingen nach § 25 Abs. 5 Satz 2 Aufenthaltsgesetz nach 18 Monaten im Jahr 2005 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt?
Von den am 30.06.2003 (18 Monate vor In-Kraft-Treten des AufenthG) aufhältigen 17.429 Duldungsinhabern wurden in 183 Fällen bis zum 28.02.2006 Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.
Frage 6. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass durch § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist und somit die "Kettenduldungen" vermieden werden könnten?
Wenn nein, warum nicht?
Ja. Dabei ist aber Folgendes zu beachten:
Nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist. Satz 3 bestimmt aber, dass die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, so Satz 4, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsange hörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.
Es genügt somit nicht, dass die Abschiebung für achtzehn Monate ausgesetzt ist, sondern es müssen die weiteren Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes erfüllt sein. Das heißt, die Ausreise muss aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sein und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse darf nicht in absehbarer Zeit zu rechnen sein. Außerdem reicht es nicht allein aus, dass der Betroffene achtzehn Monate im Bundesgebiet geduldet wurde, sondern er muss unverschuldet an der Ausreise gehindert sein.
Frage 7. Sieht die Landesregierung das gesetzgeberische Ziel erreicht, durch die Möglichkeit der Aufenthaltsgewährung nach § 25 Abs. 4 und 5 Aufenthaltsgesetz so genannte "Kettenduldungen" zu vermeiden?
Die Abschiebung eines Ausländers wird ausgesetzt, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. In diesen Fällen wird dem Ausländer eine Duldung erteilt. Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des Aufenthaltsgesetzes. Bei der Duldung handelt es sich um einen zeitlich befristeten Aufschub der bereits rechtskräftig festgestellten, vollziehbaren Ausreiseverpflichtung. Die Duldung bietet - auch bei mehrfacher Erteilung - keine Grundlage für eine Aufenthaltsverfestigung. Die betreffenden Personen bleiben ausreisepflichtig.
Die Einzelfallentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Duldung sowie die Befristung der Duldung trifft die örtlich zuständige Ausländerbehörde nach der geltenden Rechtslage in eigener Verantwortung.
Zum näheren Verständnis des §25 Abs. 4 und 5 des Aufenthaltsgesetzes wird auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 25 des Entwurfes verwiesen: "Absatz 4 Satz 1 eröffnet die Möglichkeit zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis für die Personen, deren Abschiebung bislang nach § 55 Abs. 3 AuslG ausgesetzt werden kann. Als dringende persönliche Gründe kommen beispielsweise die Durchführung einer Operation, die im Herkunftsland nicht gewährleistet ist, die vorübergehende Betreuung eines schwerkranken Familienangehörigen oder der Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung in Betracht. Erhebliche öffentliche Interessen können vorliegen, wenn der Ausländer als Zeuge in einem Gerichtsverfahren benötigt wird oder mit deutschen Behörden bei der Ermittlung von Straftaten vorübergehend zusammenarbeitet.
Satz 2 schafft eine Ausnahmemöglichkeit für Fälle, in denen bereits ein rechtmäßiger Aufenthalt besteht und das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Regelung entspricht inhaltlich der Möglichkeit zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG. Es handelt sich hierbei um eine eigenständige Möglichkeit der Verlängerung, unabhängig von den Voraussetzungen nach Satz 1. Absatz 5 regelt die Aufenthaltsgewährung für die bislang in § 55 Abs. 4 AuslG genannten Fälle. Der Begriff der Ausreise entspricht der Definition in Abs. 3. Kein Ausreisehindernis liegt vor, wenn zwar eine Abschiebung nicht möglich ist, z. B. weil eine Begleitung durch Sicherheitsbeamte nicht durchführbar ist, eine freiwillige Ausreise jedoch möglich und zumutbar ist. Dieser Ansatz ist bereits in § 30 Abs. 3, 4 AuslG enthalten. Die Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen umfasst inlandsbezogene Ausreisehindernisse, soweit diese nicht bereits durch Absatz 3 abgedeckt werden, beispielsweise aus Art. 1, 2 GG bei schwerer Krankheit oder Schwangerschaft.
Die Unmöglichkeit aus tatsächlichen Gründen betrifft z. B. Fälle der Reiseunfähigkeit, Passlosigkeit und unterbrochener Verkehrsverbindungen.
Satz 2 stellt sicher, dass eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt wird, wenn der Ausländer die Ausreisehindernisse selbst zu vertreten hat, insbesondere bei Täuschung über seine Identität oder Nationalität oder wenn er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse, beispielsweise die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, nicht erfüllt."