Stationäre Familienarbeit und Antwort der Sozialministerin
Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt:
Frage 1. Gibt es in Hessen Angebote für stationäre Familienarbeit?
Wenn ja, bitte Auflistung der Standorte.
Es gibt in Hessen Angebote für stationäre Familienarbeit unter den Bezeichnungen "Stationäre Familienbetreuung" bzw. "Individuelles Familientraining".
Im Rahmen dieser Betreuung wird ortsansässigen Familien durch einen freien Träger der Jugendhilfe Wohnraum zur Verfügung gestellt, in welchem sodann die Betreuung stattfindet.
Gemäß einer Abfrage bei den Jugendämtern in Hessen befinden sich die Standorte, an denen dieses Angebot derzeit in institutionalisierter Form durchgeführt wird, in Frankfurt am Main und in Schwalmstadt-Treysa.
Im Landkreis Gießen wird eine solche Maßnahme gegenwärtig im Rahmen eines Einzelprojektes in Grünberg durchgeführt.
Frage 2. Wie hoch sind die Kapazitäten bei den einzelnen Standorten?
Am Standort Frankfurt am Main bieten zwei Träger die Betreuungsform für insgesamt bis zu 22 Familien an. Der Träger in Schwalmstadt-Treysa betreut drei Familien.
Im Landkreis Gießen wird derzeit eine Familie betreut.
Frage 3. Bestehen Wartezeiten für die Aufnahme und wenn ja, wie lange sind die Wartezeiten?
Bei den Trägern in Frankfurt am Main kann es im Einzelfall zu Wartezeiten bis zu einem halben Jahr kommen.
Bei dem Träger in Schwalmstadt-Treysa gibt es keine Wartezeiten.
Frage 4. Wie beurteilt die Landesregierung das Angebot für stationäre Familienarbeit?
Die institutionalisierten Angebote in Frankfurt am Main bzw. in Schwalmstadt-Treysa bestehen seit ca. zehn Jahren bzw. seit drei Jahren.
Die Träger gehen davon aus, dass sich die Hilfe bei der Mehrzahl der Fälle (ca. 60 v.H.) bewährt hat und erfolgreich war.
Es gelang, die Ressourcen der Familien zu aktivieren, Stabilität und Verhaltensänderungen zu erzielen, die Fähigkeit, den Alltag zu strukturieren, und die Erziehungskompetenz der Familie nahmen zu und das Gefährdungspotenzial für die Kinder konnte deutlich verringert werden.
Es wurden Fortschritte im schulischen Bereich erzielt; berufliche Perspektiven für die älteren Kinder und z.T. für die Erwachsenen wurden gefunden; es gelang, durch entsprechendes Training die Interaktion und Kommunikation innerhalb der Familie zu verbessern und einen angemessenen und wertschätzenden Umgang auch im Konfliktfall zu bewirken.
Auch konnten bei Familien mit Migrationshintergrund Integrationsfortschritte erreicht werden, insbesondere dahin gehend, dass die Erwachsenen sich eindeutig für eine Perspektive in Deutschland entschieden und damit ihren Kindern ermöglichten, ihre Zukunft ebenfalls endgültig hier zu sehen.
In weniger erfolgreichen Fällen konnte zumindest noch die Vermittlung in eine andere (niedrigschwelligere) Hilfeform erreicht werden.
Gescheitert ist die Hilfe z. B. bei Familien, denen es letztlich nur darauf ankam, über diese Betreuungsform an benötigten Wohnraum zu gelangen, die sich darüber hinaus aber der Dichte der Betreuung entzogen, oder aber bei Familien, deren Maß an persönlichen Stärken, Fähigkeiten und Fertigkeiten ein für diese Hilfeform unerlässliches Minimum unterschritt.
Auch ist die Hilfe für Menschen nicht geeignet, die insbesondere im privaten Bereich keinerlei räumliche oder zeitliche Ordnung herstellen oder halten können.
Gleiches gilt für eine starke Drogenproblematik.
Letztlich hat sich gezeigt, dass Maßnahmen, die ausschließlich auf den äußeren Druck z. B. des Jugendamtes zustande kamen, nicht ausreichend tragfähig waren.
Wichtige Voraussetzungen für ein Gelingen der Maßnahme sind unter anderem eine gründliche Vor- und Abklärungsphase, eine fundierte Eingangsdiagnostik, das Arbeiten mit Zielen, deren Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur im Rahmen regelmäßiger Hilfeplangespräche sowie eine Begleitung der Hilfe in Form von Fachberatung und Supervision für die Fachkräfte, an die dieses Setting hohe Ansprüche stellt.
Unter diesen Voraussetzungen bewertet die Landesregierung das Angebot der "Stationären Familienbetreuung" als eine hilfreiche Möglichkeit im Kanon der erzieherischen Hilfen, zumal dieses Setting die Möglichkeit bietet, unmittelbar auf eine Veränderung der häuslichen Verhältnisse Einfluss zu nehmen.
Frage 5. Für welche Zielgruppe sind diese Angebote nach Ansicht der Landesregierung geeignet?
Zielgruppe des Angebots sind sogenannte Multiproblemfamilien, das heißt Familien, die aufgrund ihrer vielfältigen Probleme aus dem Gleichgewicht geraten sind, sich in einer Krise befinden, deren positive Entwicklung unter den vorhandenen sozialräumlichen, materiellen, sozialen, kommunikativen und interaktiven Bedingungen nicht mehr zu erwarten ist und die einen Neuanfang in einer entwicklungsbejahenden, stationären Umgebung versuchen möchten.
Es handelt sich in der Regel um Familien mit schwerer psychosozialer und zum Teil klinischer Symptomatik: Arbeitslosigkeit, Wohnungs- und Mietprobleme, geringe materielle Ressourcen, Verschuldung, Kindesvernachlässigung, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsrückstände der Kinder, Partnerkonflikte, Gewalt, Suchtverhalten, psychosomatische Störungen, psychische Probleme, erlittene Traumatisierung etc.
Familien mit einem derartig vielgestaltigen und schweren Störungsbild sind im Rahmen der sogenannten Sozialpädagogischen Familienhilfe nicht mit der nötigen Intensität und Dichte zu betreuen. Zudem ist die Sozialpädagogische Familienhilfe - als eine andere Form der Betreuung einer Familie als Ganzes
- eine ambulante Hilfe im bestehenden Wohnraum und ermöglicht somit nicht die notwendige Distanz zu dem bisherigen Umfeld.
Das Angebot der stationären Familienbetreuung ist nur eine Möglichkeit aus dem Kanon der Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII, um im jeweiligen Einzelfall die geeignete und notwendige Hilfe zu gewährleisten.
Die breite Palette reicht generell von den eher standardisierten und etablierten Hilfen der sozialen Gruppenarbeit, der Einsetzung eines Erziehungsbeistandes oder eines Betreuungshelfers, der sozialpädagogischen Familienhilfe, der Erziehung in einer Tagesgruppe, in einer Vollzeitpflegestelle, in einem Heim oder in einer sonstigen betreuten Wohnform und der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung bis hin zur Entwicklung neuer, individueller Hilfen aufgrund des besonderen Einzelfalls.
Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart erfolgt im Übrigen in einem sogenannten Hilfeplanverfahren.
Eine andere Form der Betreuung einer Familie als Ganzes stellt insbesondere die sogenannte Sozialpädagogische Familienhilfe dar.
Diese Hilfeform bietet aber nicht die nötige Intensität und Dichte, um Familien mit einem derartig vielgestaltigen und schweren Störungsbild - wie oben beschrieben - zu betreuen, und schafft zudem nicht die notwendige Distanz zu dem bisherigen Umfeld, da sie eine ambulante Hilfe im bestehenden Wohnraum darstellt.
Frage 6. Gibt es Zuschüsse aus Landesmitteln für Angebote der stationären Familienarbeit und wenn ja, in welcher Höhe?
Nein. Die Maßnahmen werden aufgrund eines vereinbarten Entgeltes durch das jeweils belegende Jugendamt finanziert.