Arbeitslosigkeit

Frage 22. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, ob im Bereich der Kriminalität Auffälligkeiten von jugendlichen Spätaussiedlern im Vergleich zu der übrigen Bevölkerung bestehen?

Wenn ja, sieht die Landesregierung einen Zusammenhang zwischen krimineller Entwicklung und fehlgeschlagener Integration insbesondere von Jugendlichen?

Hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung der jugendlichen Spätaussiedler unter Anwendung des Rechtsbegriffes gemäß § 4 BVFG besteht eine nur unzureichende Datenbasis. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bildet die Gruppe der Spätaussiedler nicht gesondert ab, da aufgrund der nicht zu differenzierenden Staatsangehörigkeit entsprechende Daten in der gesamten Palette der von der deutschen Wohnbevölkerung begangenen Straftaten aufgehen.

Daher liegen statistische Daten, mit denen die Kriminalitätsbelastung der Spätaussiedler und die der übrigen deutschen Wohnbevölkerung oder der ausländischen Bevölkerung verglichen werden können, auf dieser Basis nicht vor. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst kann die Daten nicht mit der erforderlichen Belastbarkeit ausweisen.

In einer im Jahr 2002 vom Hessischen Landeskriminalamt durchgeführten Sonderauswertung zur Kriminalitätslage bei tatverdächtigen Spätaussiedlern zeigte sich, dass mit 37,8 v.H. die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen besonders belastet zu sein schien.

Bei Zugrundelegung von Vergleichszahlen der PKS des Jahres 2001 wird deutlich, dass die Altersgruppen 14 bis 17 und 18 bis 25 Jahre unter den Spätaussiedlern als Tatverdächtige vergleichsweise stärker repräsentiert sind als in der Gesamtheit der in Hessen erfassten Tatverdächtigen vergleichbarer Altersgruppen. An der Gesamtkriminalität der Spätaussiedler sind die jungen Altersgruppen mit 57,7 v.H. beteiligt. Bezogen auf die Zahl der Gesamttatverdächtigen liegt der Wert für die jungen Altersgruppen bei 31,3 v.H.

Die häufigsten von Spätaussiedlern begangenen Deliktsarten waren nach dieser Auswertung: Einfache Diebstähle (43 v.H.), schwere Diebstähle (15,3 v.H.), Körperverletzungsdelikte (11,7 v.H.), Sachbeschädigungen (10,5 v.H.) und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (6,5 v.H.). Diese Zahlen sind jedoch in Relation zur Verteilung der verschiedenen Altersgruppen zu bewerten. Die bei der gesamten Wohnbevölkerung bekanntermaßen besonders kriminalitätsbelastete Altersgruppe der Jugendlichen und Jungerwachsenen ist bei den Spätaussiedlern im Vergleich zur übrigen Wohnbevölkerung deutlich stärker vertreten.

So weist eine Statistik des Bundesverwaltungsamtes (Bundestagsdrucksache 15/2262, S. 25) aus, dass die Altersgruppe unter 18 Jahren bei den im Jahr 2002 zugezogenen Spätaussiedlern einen Anteil von 28 v.H. ausmachte, bei der deutschen Gesamtbevölkerung waren es nur 19 v.H.. Darüber hinaus waren 75 v.H. der Spätaussiedler unter 45 Jahre, während dies für die Gesamtbevölkerung nur auf 57 v.H. zutraf. Dagegen waren nur 7 v.H. der im Jahr 2002 zugezogenen Spätaussiedler über 65 Jahre, hingegen 17 v.H. der Gesamtbevölkerung.

Die derzeit vorliegenden Informationen des Hessischen Landeskriminalamtes aus Ermittlungsverfahren und polizeilichem Erfahrungswissen lassen den Schluss zu, dass tatverdächtige Spätaussiedler ­ analog der übrigen Bevölkerung ­ in nahezu allen Deliktsbereichen als Tatverdächtige in Erscheinung treten, wobei eine gewisse Präferenz zu bandenmäßigen Erscheinungsformen, insbesondere bei Körperverletzungs- und Gewaltdelikten, erkennbar ist.

Darüber hinaus gehören Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Eigentumsdelikte sowie Straftaten im so genannten "Rotlichtmilieu" zu den kriminellen Aktivitäten bestimmter jüngerer Gruppen von Spätaussiedlern.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die überwiegende Anzahl der Spätaussiedler sich rechtstreu verhält und keine Straftaten begeht. So erscheint der weitaus größere Anteil der Personengruppe gut integriert.

Die überproportionale Deliktsbegehung jugendlicher und jungerwachsener Spätaussiedler lässt jedoch einen Zusammenhang zwischen krimineller Entwicklung und fehlgeschlagener Integration annehmen.

Junge Spätaussiedler verlassen ihre bisherige Heimat oft auch gegen ihren Willen. Sie fühlen sich in Deutschland häufig fremd, müssen die deutsche Sprache erst lernen, haben Schulschwierigkeiten und sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Nur oberflächlicher Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, mangelndes Vertrauen zum Staat und seinen Organen, Abschottung, Gruppenbildung, Aggression, Gewalt und ein Leben nach eigenen Regeln sind oftmals die Stationen auf dem Weg in die Kriminalität. Wissenschaftli20

che Studien, insbesondere durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN), belegen, dass es sich bei jungen Spätaussiedlern um eine besondere Problemgruppe handelt, die häufig unter sozial schwierigen Bedingungen aufwächst.

Frage 23. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, ob im Bereich Alkohol- und Drogenkonsum Auffälligkeiten von jugendlichen Spätaussiedlern im Vergleich zu anderen Jugendlichen bestehen?

Wenn ja, welche präventiven Abhilfemaßnahmen werden diesbezüglich getroffen?

Im Bereich Alkohol- und Drogenkonsum liegen der Landesregierung keine belastbaren statistischen Zahlen vor, die einen Vergleich von jugendlichen Spätaussiedlern mit anderen Jugendlichen ermöglichen.

Nach polizeilichen Erkenntnissen scheint - zum Teil exzessiver ­ Alkoholkonsum und eine bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit jedoch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Begehung von Straftaten durch jugendliche Spätaussiedler auszuüben.

Im Bereich der Polizei gibt es mehrere Einrichtungen/Organisationseinheiten, die sich mit der Jugendkriminalität, insbesondere im Hinblick auf präventive Abhilfemaßnahmen, befassen und in diesem Zuständigkeitsfeld auch die Gruppe der jugendlichen Spätaussiedler erreichen.

Bei allen Polizeipräsidien sind hessenweit 18 speziell geschulte Jugendkoordinatoren/-innen eingesetzt, die in allen Fragen der Jugenddelinquenz und -gefährdung Informationsauswertung betreiben, mit allen für Jugendfragen zuständigen Stellen zusammenarbeiten und schwerpunktmäßig Öffentlichkeitsarbeit/Beratung an Schulen durchführen. Dabei werden sie von polizeilichen Jugendsachbearbeitern/-innen unterstützt.

Darüber hinaus nehmen sich spezielle polizeiliche Organisationseinheiten und gesonderte, zum Teil ressortübergreifende, Projekte mit regionalen Schwerpunkten den Problemen der Jugenddelinquenz an (z. B. AG Jaguar beim Polizeipräsidium Westhessen, AGGAS ­ Arbeitsgruppe Gewalttäter an Schulen beim Polizeipräsidium Mittelhessen, SMOG ­ Schule machen ohne Gewalt ­ beim Polizeipräsidium Osthessen).

Zur Suchtprävention bietet das Programm Polizeiliche Kriminalprävention (ProPK) spezielles Aufklärungsmaterial an.

Die Sachverständigenkommission für Kriminalprävention der Hessischen Landesregierung (Landespräventionsrat) hat sich mehrfach ­ zuletzt im Rahmen der gemeinsamen Tagung mit den örtlichen Präventionsgremien im Juni 2003 in Bad Arolsen ­ mit der Thematik "Integration von Spätaussiedlern" befasst und diverse spezifische Präventionsprojekte in Zusammenarbeit mit den kommunalen Präventionsgremien initiiert und gefördert. So hatte das Projekt "Integrationslotsen ­ Aussiedler helfen Aussiedlern" aus Gießen im Jahr 2002 den 1. Preis des Landespräventionsrates gewonnen.

Drogenfachleute sehen Unterschiede im Suchtverhalten zwischen einheimischen Jugendlichen und jungen Spätaussiedlern. Konkret werden ein exzessiver Alkoholkonsum sowie eine Affinität zu harten Drogen genannt. Unter den konsumierten illegalen Drogen steht der Konsum von Heroin eindeutig im Vordergrund. Von den Beratungsstellen wird berichtet, dass junge Spätaussiedler oft ohne Umwege zum Heroinkonsum kommen und schnell abhängig werden. Weiterhin wird von zunehmendem Kokain- und CrackKonsum berichtet.

Die große Affinität zu Heroinkonsum bei Aussiedlern wird auch durch Erhebungen des Hessischen Landeskriminalamtes bestätigt: So waren bei den Rauschgifttodesfällen in Hessen unter den 109 in Hessen registrierten Rauschgifttoten des Jahres 2003 18 Aussiedler. In 9 Fällen lagen Überdosierungen von Heroin vor, in 4 Fällen eine Mischintoxikation unter Mitwirkung von Heroin und in zwei Fällen Suizid mittels Heroin. (Diese Zahlen sind nicht nach Alter aufgeschlüsselt.)

Nach bekannt werden der besonderen Suchtproblematik von Aussiedlern haben die Drogenberatungsstellen schon früh reagiert. Vor allem an den Orten mit Übergangseinrichtungen wird von den Drogenberatungsstellen Kontakt zu diesen aufgenommen, und es werden die jeweiligen Beratungsund Vermittlungsangebote vorgestellt.

Von verschiedenen Drogenberatungsstellen, z. B. in Grünberg, werden verstärkt Beratung und Betreuung für Aussiedler zu unterschiedlichen psycho sozialen Problemstellungen (Heroinabhängigkeit, Alkoholabhängigkeit bei Männern, Essstörungen bei jungen Frauen) angeboten. In Korbach gibt es das Projekt "Aussiedler-Suchthilfe und Suchtprävention".

Mit verschiedenen Fachgesprächen und Tagungen zum Thema Integration und/oder Suchtverhalten von jugendlichen Spätaussiedlern wurde eine Sensibilisierung der Fachkräfte in der Jugendhilfe zu der Suchtproblematik von Aussiedlern erreicht. In manchen Landkreisen bzw. Orten existieren inzwischen gute Kooperationsbeziehungen und Vernetzungen zwischen Suchtpräventionsfachstellen und/oder Drogenberatungsstellen, Trägern der Jugendhilfe, der Jugendämter, der Jugendgerichtshilfe sowie Projekte, die mit jugendlichen Aussiedlern arbeiten. In Grünberg z. B. hat sich ein Arbeitskreis aus Vertretern dieser genannten Institutionen gebildet, der sich kontinuierlich dem Erfahrungsaustausch und der Förderung interkulturellen Lernens widmet. Dadurch werden die spezifischen Probleme von jugendlichen Aussiedlern schneller erkannt und es kann ihnen schneller und adäquater begegnet werden.

Des Weiteren werden von den Präventionsfachstellen in den hessischen Landkreisen primärpräventive Maßnahmen zur Vorbeugung des Missbrauchs illegaler und legaler Suchtmittel für Multiplikatoren, die mit spezifischen Zielgruppen arbeiten (z.B. für Schulen, Jugendgruppen), angeboten. Mit diesen Maßnahmen soll das Selbstwertgefühl, das Vertrauen sowie die praktische Lebenskompetenz von Kindern und Jugendlichen gestärkt, Bewältigungsstrategien, soziale Integriertheit und Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt werden. So können z. B. Jugendhilfeträger, die mit jugendlichen Aussiedlern arbeiten, diese suchtpräventiven Ansätze in ihre Tätigkeit einfließen lassen.

Frage 24. Gibt es ­ und wenn ja, wo ­ Begegnungsstätten für einheimische Jugendliche und junge Spätaussiedler, die gezielt eine schnellere Integration ermöglichen sollen?

Wenn ja, werden diese, von wem und in welchem Umfang gefördert?

Welche Bedeutung misst die Landesregierung solchen Freizeiteinrichtungen bei?

In Hessischen Gebietskörperschaften gibt es eine Vielzahl von Einrichtungen, sowohl für einheimische Jugendliche als auch für junge Spätaussiedler, die mit ihrer Arbeit einen ganz erheblichen Integrationsbeitrag leisten. In der Regel stehen diese Einrichtungen auch anderen jugendlichen Migrantengruppen zur Verfügung. Die finanzielle Förderung dieser Einrichtungen Begegnungsstätten wird aus unterschiedlichsten Quellen sichergestellt. Hierzu gehören der Bund, das Land, die Gebietskörperschaften, die Kommunen und die einzelnen Träger selbst.

Die Landesregierung misst den Begegnungsstätten eine erhebliche Bedeutung zu. Als Begegnungsstätten leisten sie einen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen, fördern das Entstehen von Beziehungen und Freundschaften zwischen jugendlichen Spätaussiedlern und einheimischen Jugendlichen und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Integration. Eine Auflistung der Begegnungsstätten der Gebietskörperschaften ist als Anlage 3 beigefügt.

Als weitere überregionale Begegnungsstätte für einheimische Jugendliche und junge Spätaussiedler in Hessen wird die Jugendbildungsstätte Wasserkuppe GmbH, an der die "Deutsche Jugend in Europa (djo)", vormals "Deutsche Jugend des Ostens". mehrheitlich beteiligt ist, betrieben. Auf der Wasserkuppe werden vielfältige Begegnungsmöglichkeiten angeboten.

Die Deutsche Jugend in Europa (djo) verfügt über die entsprechenden Erfahrungen aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten und ihrer erfolgreichen Arbeit mit jugendlichen Spätaussiedlern. Sie ist der bisher einzige Jugendverband in Deutschland, der Aussiedler- und Ausländerjugendverbänden als Dachorganisation zur Verfügung steht. Die so für die Jugendarbeit gewonnenen Jugendlichen fungieren als "Brücke zwischen den Kulturen" und zwar zum einen im Bereich des internationalen Jugendaustausches, zum anderen und besonders als Multiplikatoren in der Integrationsarbeit hier zu Lande.

Die Erfahrungen, die die Flüchtlings- und Vertriebenengeneration bei ihrer eigenen Integration gemacht haben, werden nun den jungen Aussiedlern aus Polen, Rumänien und der Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaaten im Rahmen der Verbandsarbeit zur Verfügung gestellt.

Die Jugendbildungsstätte fördert mit den jugendlichen Spätaussiedlern den Aufbau von Selbsthilfegruppen wie z. B. den Jugendverband "JUNOST"Verband der russischsprachigen Jugend in Deutschland, "Integration" und "Slowo e.