Maßregelvollzug in Hessen

Die Große Anfrage beantwortet die Sozialministerin im Namen der Landesregierung wie folgt:

Frage 1. Auf welcher gesetzlichen Grundlage erfolgt die Einweisung von Straftätern in den Maßregelvollzug?

Die Einweisung erwachsener Straftäter in den Maßregelvollzug erfolgt auf Grundlage der §§ 63 und 64 Strafgesetzbuch, die Einweisung jugendlicher Straftäter erfolgt auf Grundlage der §§ 63 und 64 StGB in Verbindung mit § 7 Jugendgerichtsgesetz.

Nach § 63 StGB ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat und wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Nach § 64 StGB ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn jemand den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückzuführen ist, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wird, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist und wenn die Gefahr besteht, dass er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Nach § 7 Jugendgerichtsgesetz können als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden.

Frage 2. a) Wie steht die Landesregierung zu der Tatsache, dass auch nach § 126a StPO in den Maßregelvollzug eingewiesen wird, obwohl es sich hier lediglich um eine vorläufige Sicherungsmaßregel handelt und der Träger aus diesem Grund nicht zur Aufnahme verpflichtet ist?

§ 126a Strafprozessordnung bestimmt in Verbindung mit § 89 Abs. 1 Untersuchungshaftvollzugsordnung, dass die vom Gericht anzuordnende einstweilige Unterbringung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus oder in einer öffentlichen Entziehungsanstalt zu vollziehen ist. Die Justiz verfügt nicht über entsprechende Einrichtungen. Insoweit führen die Träger der im Gesetz benannten Kliniken die einstweilige Unterbringung in Amtshilfe für die Justiz durch.

b) Beabsichtigt die Landesregierung, in diesem Zusammenhang ein klar geregeltes Verfahren zu etablieren?

Das unter a beschriebene Verfahren stellt aus Sicht der Landesregierung ein klar geregeltes dar.

c) Wie werden die Einweisungen nach § 126a StPO in den anderen Bundesländern gehandhabt?

Nach der vom Hessischen Sozialministerium am 9. August 2004 durchgeführten Länderumfrage werden die Einweisungen nach § 126a Strafprozessordnung in den anderen Bundesländern wie folgt gehandhabt: Bundesland Einrichtung Baden-Württemberg Einrichtungen des Maßregelvollzug Bayern Einrichtungen des Maßregelvollzug Brandenburg Einrichtungen des Maßregelvollzugs Bremen Einrichtungen des Maßregelvollzugs Hamburg Einrichtungen des Maßregelvollzugs Hessen Einrichtungen des Maßregelvollzugs Mecklenburg-Vorpommern Einrichtungen des Maßregelvollzugs Niedersachsen Einrichtungen des Maßregelvollzugs oder der Allgemeinpsychiatrie unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles Nordrhein-Westfalen Keine Rückmeldung Rheinland-Pfalz überwiegend Einrichtungen des Maßregelvollzugs Saarland Einrichtungen des Maßregelvollzugs Sachsen Einrichtungen des Maßregelvollzugs Sachsen-Anhalt Keine Rückmeldung Schleswig-Holstein Keine Rückmeldung Thüringen Einrichtungen des Maßregelvollzugs Frage 3. a) Ist das Gutachten von Prof. Kröber, Institut für Forensische Psychiatrie der Freien Universität Berlin, aus dem Jahr 2001 noch maßgeblich für die Entwicklung des Maßregelvollzuges in Hessen?

Ja.

b) Inwiefern bestehen Diskrepanzen zwischen den Aussagen dieses Gutachtens und den jüngsten Vorlagen des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV)?

Die Aussagen im "Gutachten zur Bedarfsentwicklung im Bereich der psychiatrischen Versorgung und des Maßregelvollzugs in Hessen bis 2007" bezüglich des prognostizierten Bettenbedarfs und der Empfehlung, die bisherige zentralisierte Struktur im Maßregelvollzug beizubehalten, mussten angesichts der stetig steigenden Belegungsentwicklung fortgeschrieben werden.

Wenn Prof. Dr. Kröber von der Beibehaltung zentralisierter Strukturen spricht, so ist damit gemeint, dass das Prinzip der wohnortnahen Versorgung, wie es im Bereich der allgemeinpsychiatrischen Versorgung gilt, aus fachlichen Gründen nicht auf die forensische Psychiatrie übertragen werden kann. Der von ihm prognostizierte Bedarf im Bereich des § 63 StGB von 417 bis 483 Plätzen bis 2007 wird höher sein.

Die gemeinsame Bedarfsprognose des LWV Hessen und des Hessischen Sozialministeriums bis zum Jahre 2010 geht jetzt von 600 bis 620 Plätzen aus. Eine solche Kapazität kann nicht zentral vorgehalten werden, wenn die fachliche Qualität von Sicherheit und Behandlung weiter gewährleistet werden soll.

Im Übrigen hält auch Prof. Dr. Kröber durchaus kleinere Maßregelvollzugeinrichtungen für sinnvoll, allerdings sollten sie aus ökonomischen und therapeutischen Gründen mindestens 80 Plätze umfassen (Gutachten S. 103).

Das mit dem Land abgestimmte Konzept des LWV Hessen sieht keine Dezentralisierung des Maßregelvollzugs in Hessen vor. Die forensische Klinik Haina wird an ihrem Standort Gießen zurzeit um 63 Plätze erweitert. Am Standort Haina sind darüber hinaus zwei weitere Stationen mit 32 Betten (Haus 6) geplant (davon 20 neue Plätze), sodass die Klinik im Endausbau rund 400 Plätze umfassen wird. Sie wäre damit die größte Maßregelvollzugseinrichtung in der gesamten Bundesrepublik.

Die Klinik Eichberg mit ihrem speziellen Auftrag der Unterbringung und Behandlung geistig Behinderter und chronisch psychisch kranker Rechtsbrecher kann nicht erweitert werden, weil mit der Stadt Eltville und der Gemeinde Kiedrich eine vertragliche Begrenzung der Platzzahl vereinbart wurde. Die Klinik für forensische Psychiatrie Hanau (15 Plätze) soll nicht weiter ausge baut und lediglich für eine Übergangszeit bis zur Inbetriebnahme der forensischen Klinik Riedstadt betrieben werden. Es ist ein neuer Standort in Riedstadt mit 162 Betten beschlossen, um den prognostizierten Bedarf decken zu können. Hessen hat somit auch künftig im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern relativ wenig Maßregelvollzugsstandorte, was durchaus im Einklang mit den Aussagen des Maßregelvollzugsgutachtens steht.

Die seinerzeitige Bedarfsprognose von Prof. Dr. Kröber für den Bereich des § 64 StGB ist von 196 auf 400 Betten anzuheben. Diese Bettenzahl dürfte aber auf rund 330 Betten zu korrigieren sein, wenn § 67 StGB wie erwartet geändert und gesetzlich die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge ermöglicht wird.

Der Maßregelvollzug im Bereich des § 64 StGB soll an zwei Standorten, in Hadamar (235 Plätze) und in Bad Emstal-Merxhausen (84 Plätze), durchgeführt werden.

Frage 4. a) Welche Aussagen trifft das oben genannte Gutachten zur Trägerschaft des LWV?

Das Gutachten von Prof. Dr. Kröber, Institut für Forensische Psychiatrie, Berlin, stellt unter Nr. 2.2 auf S. 37 die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Trägerstrukturen wie folgt dar: "In § 2 des Hessischen Maßregelvollzugsgesetzes vom 3. Dezember 1981 ist festgelegt, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den Einrichtungen des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) vollzogen werden. Nicht ausgeschlossen ist damit, so Satz 2 dieses Paragraphen, ein Vollzug außerhalb Hessens. Träger der Maßregelvollzugseinrichtungen ist also der LWV. Die Kliniken des Maßregelvollzuges sind Betriebszweige der "Zentren für Soziale Psychiatrie", bei denen es sich um organisatorisch und wirtschaftlich eigenständige Betriebe des LWV ohne eigene Rechtspersönlichkeit handelt.

Der "offene Vollzug" kann auch in allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen des LWV erfolgen."

Es führt unter Nr. 7.1 auf S. 75 ff. im Hinblick auf Optionen für künftige Trägerstrukturen Folgendes aus: "§ 2 des Maßregelvollzugsgesetzes vom 3. Dezember 1981 legt fest, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den Einrichtungen des Landeswohlfahrtsverbandes vollzogen werden. Diese Trägerschaft des Maßregelvollzuges bei einer kommunalen Mittelbehörde ist eines von vier Grundmustern für Trägerstrukturen.... 3. Die Trägerschaft wird von einer kommunalen Mittelbehörde übernommen. Beispiel ist neben Hessen mit dem Landeswohlfahrtsverband Nordrhein-Westfalen mit den Landschaftsverbänden als Träger....

Der Maßregelvollzug in der Trägerschaft einer kommunalen Mittelbehörde hat zunächst den Vorteil, dass damit tagespolitisch motivierte und nicht ausreichend sachlich begründete Eingriffe der Landesbehörde unterbleiben.

Außerdem wird das zuständige Landesministerium im Falle problematischer Entwicklungen im Maßregelvollzug in gewissem Ausmaß auch vor vorschnellen Zuweisungen von Verantwortlichkeit geschützt. Wie im Modell mit landeseigenen Trägergesellschaften kann auch in diesem Modell langfristig ausreichend fachliche Kompetenz aufgebaut werden. Die Möglichkeit einer außertariflichen Gestaltung von Dienstverträgen ist hier allerdings nicht gegeben.

Nachteilig an dieser in Hessen realisierten Trägerstruktur kann sich auswirken, dass das Land zwar für die Finanzierung von Plätzen im Maßregelvollzug verantwortlich ist, gleichzeitig aber durch die Trägerschaft einer Mittelbehörde nicht über ausreichende Steuerungsmöglichkeiten verfügt...."

Der Landeswohlfahrtsverband Hessen führt aus: "Die Beschränkung der Trägerschaft auf den LWV Hessen ist aus dem historischen Kontext verständlich, war doch seinerzeit nahezu die gesamte stationäre psychiatrische Versorgung in Hessen in der Trägerschaft des LWV. In der Zwischenzeit hat sich die Trägerschaft jedoch stark ausdifferenziert. Aus diesem Grunde wird auch für die gesetzliche Fixierung eines Trägermonopols zur Durchführung des Maßregelvollzugs in Hessen kein grundsätzliches Erfordernis mehr gesehen, zumal ein Monopol aus gesundheitsökonomischen Überlegungen...