Disziplinarverfahren

Zur Herbeiführung der Selbstreinigung kann die Beamtin oder der Beamte künftig einen Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens stellen. Die durch die bisherige ausschließliche Zuständigkeit der Einleitungsbehörde gewährleistete und im Interesse der Beamtin oder des Beamten liegende Prüfung durch eine höhere Behörde wird dadurch sichergestellt, dass die Beamtin oder der Beamte den Antrag grundsätzlich auch bei dem höheren Dienstvorgesetzten einreichen kann. Diese Regelung dient erkennbar dem Schutz der Beamtin oder des Beamten, die oder der sich bei Entstehen eines Verdachts im Bereich des unmittelbaren Dienstvorgesetzten auch an eine höhere Instanz wenden können soll, um die Haltbarkeit der Vorwürfe zu klären. Diese Möglichkeit besteht nach Abs. 1 Satz 2 dann nicht, wenn der höhere Dienstvorgesetzte gleichzeitig die oberste Dienstbehörde ist, da diese mit derartigen Aufgabestellungen nicht belastet werden soll.

Über den Antrag ist nach Abs. 2 nach Maßgabe des bereits in § 20 festgelegten Legalitätsprinzips zu entscheiden. Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat die Beamtin oder der Beamte Anspruch auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Dieses Verfahren wird nach den auch für die Einleitung von Amts wegen geltenden Grundsätzen fortgeführt. Ob die Beamtin oder der Beamte ein Dienstvergehen begangen hat und sie oder er deshalb eine disziplinarrechtliche Sanktionierung erfährt, ist nach den gleichen Prinzipien zu entscheiden, die auch für das von Amts wegen eingeleitete Disziplinarverfahren gelten. Eine Ablehnung des Antrags erfolgt dann, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, nicht vorliegen. Eine Ablehnung trotz Vorliegens eines Dienstvergehens oder bei Offenlassen, ob ein Dienstvergehen vorliegt, darf künftig nicht mehr erfolgen; eine derartige Feststellung lässt sich nur noch im Rahmen der Einstellung des Disziplinarverfahrens treffen. Mit der Ablehnung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist deshalb die beantragte Selbstreinigung unmittelbar erreicht, sodass es eines Rechtsbehelfsverfahrens entsprechend § 30 Satz 4 HDO nicht mehr bedarf. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Beamtin oder des Beamten auf Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes kann nach der neuen Konzeption erst gegeben sein, wenn ein auf ihren oder seinen Antrag hin eingeleitetes Disziplinarverfahrens eingestellt wird und dabei entweder ein Dienstvergehen festgestellt oder offen gelassen wird, ob ein solches vorliegt. In solch einem Fall kann die Beamtin oder der Beamte Widerspruch einlegen und Klage erheben.

Zu § 22: Abs. 1 bestimmt, dass das Disziplinarverfahren nach seiner Einleitung auf neue Handlungen erstreckt werden kann. In § 55 Abs. 2 HDO ist dies bislang lediglich für die bisherige Untersuchung ausdrücklich normiert.

Die durch Abs. 2 verankerte Möglichkeit der Konzentration der Disziplinarverfahren, die zuvor in § 14a HDO geregelt war, hat sich bewährt. Die Aufklärung auch nebensächlicher Pflichtverletzungen führt vor allem bei umfangreichen Verfahren zu nicht unerheblichen Verzögerungen. Im Interesse einer Beschleunigung der Verfahren soll deshalb die Möglichkeit beibehalten werden, einzelne Handlungen, die für die zu erwartende Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen, aus dem Verfahren auszuscheiden. Dies ist beispielsweise dann sachgerecht, wenn bereits einer von mehreren Vorwürfen voraussichtlich zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen wird oder wenn die Berücksichtigung eines weiteren Vorwurfs eine schärfere Disziplinarmaßnahme nicht zu rechtfertigen vermag.

Im Hinblick auf den notwendigen Vertrauensschutz und die notwendige Rechtssicherheit ist eine Konzentration grundsätzlich bindend mit der Folge, dass eine Verfolgung der ausgeschiedenen Handlungen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht mehr zulässig ist. Hiervon ist lediglich für den Fall eine Ausnahme zu machen, dass die Beschränkungsvoraussetzungen nachträglich entfallen, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn der ausgeschiedenen Handlung durch die Unbeweisbarkeit der im Disziplinarverfahren verbliebenen Handlung nachträglich ein anderes Gewicht zukommt.

Zu § 23:

Die Vorschrift regelt die Unterrichtung, Belehrung und Anhörung der Beamtinnen und Beamten im Wesentlichen in Anlehnung an § 22 Abs. 2 HDO. Bedienen sich die Beamtinnen oder Beamten einer oder eines Bevollmächtigten oder eines Beistands, richtet sich deren oder dessen Rechtsstellung nach § 14 HVwVfG. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist § 67 VwGO zu beachten.

Zur beschleunigten Durchführung der Ermittlungen sieht Abs. 2 konkrete Ausschlussfristen vor, innerhalb derer sich die Beamtinnen oder Beamten entweder schriftlich oder mündlich äußern können. Unter den dort genannten Voraussetzungen ist die Frist zu verlängern und die Ladung zur mündlichen Anhörung zu wiederholen. Nach Ablauf der genannten Fristen sind die Beamtinnen oder die Beamten mit ihrem Vorbringen präkludiert, mit der Folge, dass das Disziplinarverfahren ohne Anhörung fortgeführt wird und für die Beamtinnen oder die Beamten nur noch die Möglichkeit besteht, sich im Rahmen der abschließenden Anhörung nach § 34 zu äußern. Der Dienstherr ist verpflichtet, unverzüglich nach Eingang der Erklärung alle Vorkehrungen zu treffen, damit die Anhörung fristgerecht abgeschlossen werden kann. Ein Unterlassen der notwendigen Bemühungen hat zwar keine unmittelbaren verfahrensrechtlichen Konsequenzen. Diesem Umstand kann aber in einem späteren gerichtlichen Fristsetzungsverfahren (§ 67) besondere Bedeutung zukommen.

In Abs. 3 wird für den Fall, dass die Beamtinnen oder die Beamten nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt werden, erstmals ausdrücklich ein Verwertungsverbot normiert.

Zu § 24: Abs. 1 bestimmt den Umfang der Ermittlungen in Anlehnung an § 22 Abs. 1 Satz 2 HDO. Der Begriff "Ermittlungen" tritt dabei an die Stelle des bisherigen Begriffs "Vorermittlungen", der insofern missverständlich ist, als er zu der Annahme verleitet, den "Vorermittlungen" würden stets neue Ermittlungen folgen, was schon bislang nur eingeschränkt und in Zukunft überhaupt nicht der Fall ist.

Die Durchführung der Ermittlungen erfolgt, von den nachfolgenden, insbesondere die Durchführung der Beweisaufnahme betreffenden Bestimmungen abgesehen, nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungshandelns. Das betrifft auch die konkrete Aufgabenverteilung, bezüglich derer bewusst darauf verzichtet wird, eine dem bisherigen Untersuchungsführer entsprechende Institution vorzusehen. Stattdessen beurteilt sich die Zuständigkeit zur Durchführung der Ermittlungen nach den auch für das sonstige Verwaltungshandeln geltenden Regeln, was den Dienstvorgesetzten eine flexible, der beschleunigten Durchführung der Disziplinarverfahren dienliche Handhabung ermöglicht. So ist eine einzelfallbezogene Auswahl geeigneter Personen, die die Ermittlungen durchzuführen haben, ebenso möglich wie die Einrichtung fester Dienstposten, deren Inhaberin oder Inhaber sämtliche in dem jeweiligen Geschäftsbereich anfallenden Ermittlungen zu betreiben hat.

Der Ermittlungsauftrag kann dabei, anders als bei dem bisherigen Untersuchungsführer, auch an mehrere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ergehen, was sich vor allem bei umfangreichen Großverfahren anbieten dürfte. In jedem Fall sollten die mit den Ermittlungen betrauten Personen, soweit sie diese nicht im Hauptamt wahrnehmen, von ihren sonstigen Aufgaben möglichst so weit entlastet werden, dass der beschleunigte Abschluss der Ermittlungen nicht gefährdet ist.

Die in Abs. 2 genannten Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung der Ermittlungen sind an § 49 Abs. 1 Satz 2 HDO angelehnt, inhaltlich jedoch konkreter gefasst. Neben den tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren sind deshalb auch die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, durch das nach § 9 des Bundesbesoldungsgesetzes über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden worden ist, als Ausnahmetatbestand aufgenommen worden. Soweit derartige Feststellungen vorliegen, "ist" nunmehr von der Durchführung der Ermittlungen abzusehen. Dies macht den Umfang der Bindungswirkung deutlich, in deren Folge jedwede neue Ermittlungstätigkeit unzulässig ist. Ist der Sachverhalt ansonsten aufgeklärt, "kann" nach Abs. 2 Satz 2 ebenfalls von der Durchführung der Ermittlungen abgesehen werden; das Merkmal des gesetzlich geordneten Verfahrens entspricht dabei dem entsprechenden Merkmal des § 26 Abs. 2.

Die in Abs. 2 getroffenen Regelungen dienen dem Gebot der Verfahrensökonomie, welches unnötige Doppelermittlungen zu vermeiden sucht.

In Abs. 3 Satz 1 wird klargestellt, dass neben den eigenen Bediensteten auch Bedienstete anderer Behörden im Einvernehmen mit der Leitung dieser Behörden mit der Durchführung des Disziplinarverfahrens betraut werden dürfen. Hierdurch kann im Einzelfall eine Verfahrensbeschleunigung erzielt werden.

Zu § 25:

Die Bestimmung behandelt das Verhältnis des behördlichen Disziplinarverfahrens zu anderen Verfahren, denen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt.

Für das Verhältnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu anderen Verfahren gilt unmittelbar die Regelung des § 94 VwGO. Infolge der eindeutigen Festschreibung des Legalitätsprinzips in § 20 Abs. 1 besteht zunächst kein Zweifel daran, dass ein Disziplinarverfahren auch im Falle der Anhängigkeit eines sachgleichen Strafverfahrens eingeleitet werden muss. Auf die missverständliche Regelung des bisherigen § 14 Abs. 1 Satz 1 HDO wird deshalb verzichtet.

In Abs. 1 wird an dem Vorrang des Strafverfahrens und damit auch an dem Zwang zur Aussetzung des Disziplinarverfahrens festgehalten. Die Aussetzung dient dem Zweck, das Ergehen widersprüchlicher Entscheidungen im Strafverfahren einerseits und im Disziplinarverfahren andererseits zu vermeiden; sie dient ferner dem Schutz der betroffenen Beamtinnen und Beamten, die sich nicht gleichzeitig in verschiedenen Verfahren sollen verteidigen müssen.

Andererseits darf nicht verkannt werden, dass der Aussetzungszwang regelmäßig eine nicht unerhebliche Verzögerung des Disziplinarverfahrens mit sich bringt. Um ihr entgegenzuwirken, sieht die bisherige Regelung des § 14 Abs. 3 HDO vor, dass ein ausgesetztes Disziplinarverfahren fortgesetzt werden kann, wenn die Sachaufklärung gesichert ist oder wenn im strafgerichtlichen Verfahren aus Gründen nicht verhandelt werden kann, die in der Person der Beamtin oder des Beamten liegen. Diese "Ermessens-Regelung" wird entgegen der Neufassung der bundesgesetzlichen Regelung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BDG) beibehalten. Damit ist grundsätzlich weiterhin die Möglichkeit eröffnet, trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des Satzes 2 das Disziplinarverfahren auszusetzen. Hiermit kann den besonderen Umständen des Einzelfalls jeweils Rechnung getragen werden. Durch die Ersetzung der Voraussetzung "wenn die Sachaufklärung gesichert ist" durch die Formulierung "wenn keine begründeten Zweifel am Sachverhalt bestehen" soll keine wesentliche sachliche Änderung herbeigeführt, sondern die praktische Handhabung der Vorschrift erleichtert werden.

Sofern eine Sicherung der Sachverhaltsaufklärung nachträglich eintritt, kann das Disziplinarverfahren fortgesetzt werden. Entsprechend zu Abs. 1 Satz 2 ist auch die Fortsetzungsbestimmung des Abs. 2 als "Kann-Bestimmung" ausgestaltet.

Abs. 3 sieht - wie bisher § 14 Abs. 2 HDO - die Möglichkeit der Aussetzung auch wegen anderer sachgleicher gesetzlich geordneter Verfahren vor.

Außer den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erfasst die Regelung vor allem gerichtliche Bußgeldverfahren und verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen nach § 9 des Bundesbesoldungsgesetzes über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden wird. Unter Verweisung auf Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 kann auch in dieser Fallgruppe eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens unterbleiben bzw. die Fortsetzung eines ausgesetzten Disziplinarverfahrens erfolgen, wenn begründete Zweifel am Sachverhalt nicht bzw. nicht mehr bestehen.

Zu § 26:

Die in der Vorschrift festgeschriebene Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen bestimmter gerichtlicher Entscheidungen dient der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz und will verhindern, dass zu demselben Sachverhalt in verschiedenen gerichtlichen Verfahren unterschiedliche Feststellungen getroffen werden. Eine Notwendigkeit hierzu besteht zunächst in Bezug auf die durch § 15 HDO bislang erfassten tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren; hiervon nicht erfasst werden die in Strafbefehlen getroffenen Feststellungen, da ihnen die für eine Tatbestandswirkung notwendige Darlegung des Sachverhalts fehlt.

Darüber hinaus besteht ein sachlicher Grund für die Bindungswirkung auch in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteils, dessen Gegenstand der Verlust der Besoldung nach § 9 des Bundesbesoldungsgesetztes ist. Da dieser Verlust ein schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst voraussetzt und ein solches Fernbleiben regelmäßig zugleich den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllt, besteht insofern eine Tatidentität, welche - zugleich unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung - bei einer Aufklärung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren