Richterliche Unabhängigkeit in einer modernen Justiz

Vorbemerkung der Fragesteller: Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 126 Abs. 2 Hessische Verfassung gewährleisten die richterliche Unabhängigkeit als hohes Gut der Gewaltenteilung und damit eine Grundsäule der Demokratie. Immer wieder geraten Grundlagen und Tragweite der richterlichen Unabhängigkeit in die Diskussion. Im Zuge der "Neuen Verwaltungsteuerung" und der Festlegung von Produkthaushalten, bei der Diskussion über eine Arbeitszeit oder jedenfalls "Kernarbeitszeit" für Richter, mögliche Auflösung oder Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten oder auch bei Forderungen nach einer weitgehenden Selbstverwaltung der Justiz sind immer auch Verfassungsfragen tangiert. Auch die personelle und sachliche Ausstattung der Justiz im richterlichen/staatsanwaltlichen und nachgeordneten Bereich muss die richterliche Unabhängigkeit gewährleisten und ist gleichzeitig den Grundsätzen der sparsamen Haushaltsführung verpflichtet.

Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich im Namen der Landesregierung und im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen die Große Anfrage wie folgt:

Neue Verwaltungssteuerung in der Justiz Frage 1. Im Zielsystem des Hessischen Ministeriums der Justiz heißt es im Oberziel unter anderem: "Die Voraussetzungen für eine zeitnahe und qualitativ hochwertige Erledigung gerichtlicher und staatsanwaltlicher Aufgaben werden nachhaltig gesichert." Welche Voraussetzungen muss eine Erledigung dieser Aufgaben erfüllen, um als "qualitativ hochwertig" zu gelten?

Die Qualität der Rechtsprechung im Hinblick auf den Ablauf der Verfahren, den Inhalt der mündlichen Verhandlung sowie der Entscheidung und den Instanzenzug bestimmen einerseits die Verfahrensordnungen, andererseits die Richter selbst. Weder die rechtsprechende Tätigkeit noch die Qualität derselben sind Gegenstand des Zielsystems der Landesregierung und der zur Verwirklichung dieser Ziele bestimmten Produkte. Der Produktbegriff der Neuen Verwaltungssteuerung betrifft ausschließlich das Verwaltungshandeln. Rechtsprechung stellt kein Verwaltungshandeln dar. Richter und Rechtspfleger sind keine Produktersteller im Sinne der Neuen Verwaltungssteuerung, sondern Produkt- bzw. Leistungsempfänger der Justizverwaltung.

Das Produkt "Bereitstellung von Rechtsprechungspotenzial" umfasst alle Leistungen der Justizverwaltung für die Bereitstellung von Rechtsprechungspotenzialen zur Erledigung der Aufgaben der Richter und Rechtspfleger.

Das Produkt ist nicht das gerichtliche Verfahren und nicht die gerichtliche Entscheidung. Die in Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 126 Abs. 2 Hessische Verfassung garantierte richterliche Unabhängigkeit als hohes Gut der Gewaltenteilung muss gewahrt bleiben. Parallel dazu beinhaltet der Produktbegriff der Staatsanwaltschaften die Wahrnehmung der Rechte und die Erfüllung der Verpflichtungen als selbstständige gesetzes- und rechtsgebundene objektive Justizbehörde zur Sicherstellung der Rechtsgewährung auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Darin sind die Sach- und Personalkosten der Staatsanwaltschaften und der Amtsanwaltschaften enthalten.

Damit richterliche und staatsanwaltliche Tätigkeiten qualitativ hochwertig ausgeführt werden können, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen Eingegangen am 5. September 2006 · Ausgegeben am 5. September 2006 von der Justizverwaltung weiterentwickelt und optimiert werden. Dementsprechend wurde auch das Ziel- und Kennzahlensystem der Hessischen Landesregierung aufgebaut.

Frage 2. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, im Wege der Neuen Verwaltungssteuerung auf die Qualität richterlicher und staatsanwaltlicher Entscheidungen einzuwirken?

Die Zuweisung, Ablaufsteuerung und Entscheidungsfindung der einzelnen gerichtlichen Verfahren einschließlich der Art, Dauer und Zahl der Verfahrenserledigungen liegen allein in der Verantwortung der Richter. Richter werden nur durch das Gesetz "gesteuert" (Art. 97 Abs. 1 GG: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.") und sind deshalb auch nur an Staatsakte gebunden, die Gesetzesqualität haben. Vergleichbares gilt für Rechtspfleger nach § 9 RPflG ("Der Rechtspfleger ist sachlich unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden."). Ebenso sind die Entscheidungen der Staats- und Amtsanwälte im Hinblick auf das Offizial- und das Legalitätsprinzip sowie das Anklagemonopol nicht vollständig exekutiv steuerbar. Die Exekutive ist für deren Unterstützung zuständig und verantwortlich.

Die Unterstützungsmöglichkeiten beschränken sich im Rahmen der bereitgestellten Haushaltsmittel auf bedarfsgerechte Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln und Angebote für Fortbildungsmaßnahmen. Eine direkte Einflussnahme auf die Qualität richterlicher und staatsanwaltlicher Entscheidungen ist weder angestrebt noch zulässig. Vielmehr geht es darum, eine Optimierung von personellen und sachlichen Ressourcen zu erreichen, um Richtern und Staatsanwälten die größtmögliche Unterstützung bieten zu können.

Frage 3. Als Produkt im Sinne des jeweiligen Wirtschaftsplanes jeder Gerichtsbarkeit ist die "Bereitstellung Rechtsprechungspotenzial Richter..." festgelegt. Welchen Zweck verfolgt die Landesregierung mit der Berechnung eines "Produktpreises" als Ergebnis einer Verteilung der Gesamtkosten des Produkts auf die Anzahl der Richterinnen und Richter?

Produkte müssen so definiert werden, dass ihnen Mengen und Qualitäten zugeordnet werden können. Nur wenn ein Produkt zählbar ist, kann es im Hinblick auf Kosten und Erlöse kalkuliert werden und eignet sich damit als Steuerungsinstrument. Das Produkt "Bereitstellung von Rechtsprechungspotenzial" umfasst alle Leistungen der Justizverwaltung für die Bereitstellung von Rechtsprechungspotenzialen zur Erledigung der Aufgaben der Richter (und Rechtspfleger). Es beinhaltet keine Verfahrenskosten, was bei der Definition des Begriffs "Gesamtkosten" zu berücksichtigen ist. Die Rechtsprechung wird durch Richter ausgeübt, die in ihrer richterlichen Unabhängigkeit nicht eingeschränkt werden dürfen (Art. 97 Abs. 1 GG: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."). Daher ist die Zählgröße des Produkts "Bereitstellung von Rechtsprechungspotenzial Richter" die Anzahl Richter, welche durch die Bereitstellung der personellen und sächlichen Ressourcen durch die Justizverwaltung in die Lage versetzt werden sollen, die ihnen obliegenden Rechtsprechungsaufgaben optimal zu erfüllen.

Die Berechnung des Produktpreises dient generell dem Zweck, sämtliche Kosten für eine Einheit (in diesem Falle für ein "Rechtsprechungspotenzial") zu erfassen, um entsprechende Beträge in Form der Produktabgeltung verteilen zu können.

Frage 4. Strebt die Landesregierung an, den "Produktpreis" einzelner Gerichte oder Gerichtszweige zu erfassen?

Der Produktpreis muss insoweit erfasst werden, als dieser als Grundlage der Produktabgeltung dient. Die Verfahrenskosten sind darin jedoch nicht inbegriffen und sind unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit und der sachlichen Unabhängigkeit der Rechtspflege auch nicht Gegenstand der (Produkt-)Betrachtung. Die Erfassung des Produktpreises dient alleine dazu, den Bedarf an Haushaltsmitteln bezogen auf eine Mengeneinheit zu bestimmen und den Gesamtbetrag später auf Gerichte und Staatsanwaltschaften unterzuverteilen. Insofern muss der Bedarf der einzelnen Dienststellen bekannt sein, um Budgets entsprechend zuweisen zu können. Eine darüber hinausgehende Erfassung bzw. Auswertung der Produktpreise im Sinne eines "Lernens vom Besten" im Rahmen von Produktpreisvergleichen innerhalb der Gerichtsbarkeiten der hessischen Landesverwaltung ist denkbar, befindet sich derzeit aber noch in der Diskussion. Von einer solchen Auswertung ausgenommen sind hierbei wiederum die Verfahrenskosten. Rückschlüsse auf einzelne Verfahren oder Verfahrenszweige sind nicht zulässig und somit auch nicht vorgesehen.

Frage 5. Welche "Kennzahlen zu quantitativen und qualitativen Leistungsmerkm alen" will die Landesregierung für die Produkte der einzelnen Gerichtsbarkeiten ausweisen?

Vonseiten der Landesregierung sind bei der Definition der Kennzahlen zu quantitativen und qualitativen Leistungsmerkmalen keine Vorgaben vorgesehen. Es obliegt den Gerichtsbarkeiten bzw. den Staatsanwaltschaften selbst, Kennzahlen für die Dimension "Leistungsmerkmale" zu definieren. Zwei Beispiele für bereits definierte Kennzahlen sind:

1. die Personalbedarfsdeckungsquote (Ist-Personalbestand geteilt durch Personalbedarf multipliziert mit 100) zur Messung des Zielerreichungsgrades "Verbesserung der Personalplanung" und

2. der Anteil der für Verwaltungsaufgaben eingesetzten Richter (Anzahl Richter mit Verwaltungsaufgaben multipliziert mit 100 geteilt durch Gesamtzahl Richter) zur Messung des Zielerreichungsgrades "Verbesserung der Ablauforganisation".

Frage 6. Wie soll nach Ansicht der Landesregierung die "Kundenzufriedenheit" in den einzelnen Gerichtsbarkeiten ermittelt und bewertet werden?

Kunde der Justizverwaltung ist in erster Linie die rechtsprechende Gewalt.

So wird beispielsweise der Erreichungsgrad des Ziels "Verbesserung der Unterstützung für die Rechtsprechung" anhand der Kennzahl "Zufriedenheit der Richter und Rechtspfleger mit den Unterstützungsleistungen" ermittelt.

Zur Ermittlung der Kennzahl werden Fragebögen an Richter und Rechtspfleger verteilt, mit welchen der Grad der Zufriedenheit mit der Koordination der Arbeitsabläufe und der Konzentration der Aufgabenerfüllung abgefragt und anhand eines Schulnotensystems bewertet wird.

Frage 7. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die "Kennzahlen zu den Leistungsmerkmalen" und die "Kundenzufriedenheit" zu verbessern?

Kennzahlen dienen der Messung der Zielerreichung. Verbessert werden kann der Grad der Zielerreichung, nicht die Kennzahl selbst. Die Frage der Möglichkeiten zur Verbesserung des Zielerreichungsgrades lässt sich nicht theoretisch erörtern, sondern hängt von dem Ist-Zustand ab und wie weit dieser von dem angestrebten Zielzustand abweicht. Konkrete Möglichkeiten können daher erst erarbeitet und benannt werden, wenn Ist-Werte über eine n repräsentativen Zeitraum hinweg erhoben worden sind.

Frage 8. Strebt die Landesregierung an, die Tätigkeit einzelner Gerichte, Gerichtszweige oder Richterinnen und Richter zu erfassen etwa hinsichtlich der

a) Verfahrensdauer,

b) Anzahl der Erledigungen,

c) Art der Erledigungen,

d) angefallenen Kosten,

e) Rechtsmitteleinlegung?

Statistische Daten zur Verfahrensdauer, zur Anzahl der Erledigungen und zur Art der Erledigung werden seit jeher über die jeweiligen bundeseinheitlichen Anordnungen über die Erhebung von statistischen Daten in Zivil-, Familien- und Strafsachen erhoben. Rückschlüsse auf die Rechtsmitteleinlegungen können insoweit aus den Eingängen in den Berufungs- und Revisionsinstanzen gezogen werden.

Verfahrenskosten sind nicht steuerungsrelevant. Allein die Kosten der Verwaltung werden erfasst. Ein Vergleich unter einzelnen Gerichten ist nur unter dem Gesichtspunkt der Haushaltsüberwachung vorgesehen. Im Haushaltsvollzug bringt die Beachtung des § 7a LHO, der den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung beschreibt, den Vergleich mit sich, um ggf. Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und Effektivität bestimmen zu können.

Frage 9. Wie bewertet die Landesregierung die Erfahrungen mit der Budgetierung im Bereich der Justiz?

Die Erfahrungen mit der Budgetierung im Bereich der Justiz werden im gesamten Geschäftsbereich durchgehend positiv bewertet, weil Fach- und allgemeine Finanzverantwortung zusammengeführt werden. Durch die Übertragung der Mittelverantwortung werden die Befugnisse der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten dahin gehend erheblich erweitert, dass eine weitgehende Deckungsfähigkeit der Haushaltsmittel besteht und eine Vielzahl von Genehmigungsvorbehalten abgebaut wurde.