Strategie der Tierseuchenbekämpfung der Europäischen Union

Beginnend mit dem Jahr 1980 verfolgt die Europäische Union zur Bekämpfung der hoch ansteckenden Tierseuchen Vogelgrippe, Schweinepest und Maul- und Klauenseuche die Strategie der "Virusfreiheit"; d.h. vorbeugende Impfungen und die Verwertung von Tieren, die die Krankheit überstanden haben, sind nicht zulässig.

Dies korrespondiert auch mit Handelsbeschränkungen, die von der OIE (World Organisation for Animal Health) verfügt wurden. Wenn eine der drei Seuchen ausbricht, werden - um die "Virusfreiheit" wieder herzustellen - nach dem deutschen Tierseuchengesetz Tierbestände um den Ausbruchsort herum getötet.

Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung die ethischen Verpflichtungen aus dem Tierschutzgesetz gegenüber dem Tierseuchengesetz?

Tierseuchenbekämpfung dient der Gesunderhaltung von Tierbeständen und damit auch dem Tierschutz. Die Bekämpfungsstrategie der Europäischen Union, die auf eine massenhafte Tötung von Tieren abzielt, nur weil sie für die Seuche empfänglich sind, ist jedoch mit den Zielen des Tierschutzes nicht vereinbar und bedarf nach Auffassung der Landesregierung dringend einer Neuausrichtung.

Frage 2. Wie bewertet die Landesregierung die Handelsrestriktionen nach Ausbruch einer Tierseuche?

Die wesentliche Begründung für Handelsrestriktionen besteht darin, dass geimpfte Tiere nicht zuverlässig von infizierten Tieren unterschieden werden können.

Daher muss die Entwicklung von verbesserten oder neuartigen Markervakzinen weiterhin gefördert werden. Die Entwicklung von Markervakzinen ist aber nur dann sinnvoll, wenn dieser Impfstoff im Bedarfsfall auch eingesetzt werden kann und darf. Die derzeitige Strategie der EU, die jede vorbeugende Impfung ausschließt, beruht auf einer Kosten-Nutzen-Analyse, die durch das Geschehen der letzten Jahre äußerst fragwürdig geworden sein dürfte.

Besonders am Beispiel von Großbritannien hat sich gezeigt, dass die Tötung aller gefährdeten Tiere Kosten in einem weit höheren Ausmaß verursacht, als es bei Handelsrestriktionen infolge von Impfmaßnahmen der Fall wäre.

Frage 3. Wie wird sich die Landesregierung gegenüber der EU für eine Veränderung der Strategie der Tierseuchenbekämpfung einsetzen?

Die Landesregierung hat sich in den hierfür vorgesehenen Gremien stets für eine Neuausrichtung der Bekämpfungsstrategie eingesetzt. Zwischen den Bundesländern und dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz besteht im Übrigen Konsens, dass die mit der heutigen Strategie verbundenen ethischen Probleme und finanziellen Belastungen nicht länger akzeptiert werden können. Der Bundesrat hat das Bundesministerium wiederholt aufgefordert, sich bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft für eine Änderung der Strategie einzusetzen. Die Kommission hat mittlerweile anerkannt, dass die Tötung von gesunden Tieren im Rahmen der Tierseuchenbekämpfung künftig auf ein Minimum begrenzt werden muss. Große Hoffnungen ruhen in diesem Zusammenhang auf dem neuen Diagnoseverfahren "Real-Time-Polymerase-Kettenreaktion" (RT-PCR), das es ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit den Nachweis zu führen, ob ein Tier infiziert oder virusfrei ist. Bei nachgewiesener Virusfreiheit bestände künftig keinerlei Notwendigkeit mehr dafür, die Vermarktung von gesunden Tieren aus Seuchengebieten zu untersagen. Damit würden auch die untragbaren tierschutzrechtlichen Zustände, wie sie heute durch restriktive Transportverbote bei längeren Seuchenzügen eintreten, der Vergangenheit angehören.

EU-Gesundheitskommissar Kyprianou hat vorgeschlagen, die Wirksamkeit der RT-PCR in einem Pilotprojekt zu testen und das weitere Vorgehen im Rahmen eines internationalen Workshops mit Veterinärexperten zu diskutieren. Auf dieser Basis könne man das neue Verfahren EU-weit zum Standard machen und ggf. auch die gemeinschaftliche Gesetzgebung ändern.

Frage 4. Von welchen Grundüberlegungen wird sich die Landesregierung angesichts der Staatszielbestimmung Tierschutz dabei leiten lassen?

Die Maßnahmen der Tierseuchenbekämpfung müssen mit dem Staatsziel Tierschutz in Einklang gebracht werden. Die Tötung von Tieren im Seuchenfall muss auf das unerlässliche Maß reduziert werden.

Frage 5. Welche administrativen Vorkehrungen hat die Landesregierung bei den nachgeordneten Behörden für den Fall eines Seuchenausbruches in Hessen getroffen?

Es obliegt dem zuständigen Regierungspräsidium, den Erfordernissen der Lage entsprechend nach Maßgabe des Kommunalisierungsgesetzes den überregionalen Personal- und Materialeinsatz zu steuern und zwischen den lokalen Krisenzentren zu koordinieren. Dem Landeskrisenzentrum obliegt die landesweite Koordinierung der personellen und sächlichen Ressourcen sowie die ressort- und länderübergreifende Kommunikation und Kooperation außerhalb der Fachebene. Die Notfallvorsorge der Landesregierung beinhaltet im Wesentlichen:

- Die Einrichtung einer Task Force Tierseuchenbekämpfung zur Bekämpfung hochkontagiöser Tierseuchen, die aus derzeit fünf spezialisierten Amtstierärzten bei den Regierungspräsidien besteht und im Krisenfall hessenweit tätig wird. Zu den regulären Aufgaben dieses Teams gehören die Vorbereitung und Durchführung von Schulungen und Tierseuchenübungen, die Erstellung und Aktualisierung von Maßnahmenkataloge n und die Unterstützung der Ämter für Veterinärwesen und Verbraucherschutz durch Planungs-, Beratungs- und Übungstätigkeiten.

- Die Einrichtung eines zentralen Tierseuchen-Materiallagers, wo Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und Materialien und Einrichtungen zur Tierseuchenbekämpfung eingelagert sind. Zuständig ist der RP Gießen.

Der Bestand wird ständig aktualisiert und ist für Sofortmaßnahmen in den ersten drei Tagen ausgelegt.

- Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geflügelpest der Abschluss von Stand-by-Verträgen mit Firmen, die sich auf Geflügeltötung spezialisiert haben, um im Falle eines Seuchenausbruchs eine rasche und wirksame Seuchenbekämpfung sicherzustellen.

- Die Einbindung von praktizierenden Tierärzten. Es besteht eine Rahmenvereinbarung mit der Landestierärztekammer sowie eine Honorarvereinbarung, um praktizierende Tierärzte auf Grundlage des Tierseuchengesetzes bei einem Tierseuchengeschehen einsetzen zu können.

- Die Ausweitung der Laborkapazitäten. Die Untersuchungen von Tierkörpern und Proben beim Hessischen Landeslabor in Gießen wurden ausgeweitet. In Zusammenarbeit mit den Bundesländern Rheinland-Pfalz, dem Saarland und sowie der Universität Gießen wurden Absprachen getroffen, um im Seuchenfall die Untersuchungskapazitäten erhöhen zu können.

- Die Beteiligung an einem Mobilen Bekämpfungszentrum. Um in einem Seuchenfall den zeitgleichen Einsatz und die Koordination mehrerer tierärztlicher Teams zu ermöglichen, hat Hessen bereits 2005 die Vereinba rung der Länder zur Beschaffung eines "Mobilen Bekämpfungszentrums" unterzeichnet.

Dieses mobile Dorf aus 33 Containern ist eine transportable, bewegliche Logistikzentrale, die direkt in dem von der Tierseuche betroffenen Gebiet errichtet wird, mit der erforderlichen EDV ausgestattet ist und über Hygieneschleusen den zeitgleichen Einsatz von tierärztlichen Teams steuern kann. Die Kosten in Höhe etwa 3,5 Mio. wurden auf die einzelnen Bundesländer anteilig umgelegt.

- Die Erarbeitung von Landesmaßnahmenkatalogen zur Bekämpfung hochkontagiöser Tierseuchen. Diese werden ständig aktualisiert und dienen den kommunalen Behörden als Hilfestellung bei der Bewältigung von Tierseuchen.

- Die Schulung der kommunalen Veterinärämter und die Durchführung von Tierseuchenübungen durch spezialisierte Veterinäre.

Frage 6. Welche Konsequenzen hat die Landesregierung aus dem MKS-Verdachtsfall in Mittelhessen gezogen?

Die Maßnahmen habe ich in den Antworten auf die Fragen 1 bis 5 erläutert.