Häusliche Gewalt oftmals ein Seriendelikt

Bei dieser Abwägung sind z. B. Verletzungsspuren, Aussagen von Nachbarn oder Kindern, frühere polizeiliche Einsätze und glaubhafte Aussagen des Opfers zu berücksichtigen.

Eine gegenwärtige Gefahr liegt vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (Meixner/Fredrich, HSOG, 9. Auflage 2001, Erläuterungen zu § 1). Studien belegen, dass häusliche Gewalt oftmals ein Seriendelikt ist, dem ein Gewaltkreislauf zugrunde liegt, der von einer Wiederholung in immer kürzeren Abständen sowie einer Steigerung der Gewaltintensität geprägt ist. Gewaltbeziehungen entstehen nicht von heute auf morgen, sondern im Verlauf von Monaten oder Jahren. Die Gewalttat bleibt daher in aller Regel kein isoliertes, einmaliges Vorkommnis. Vielmehr setzt der Täter/die Täterin seine/ihre Misshand-lungen typischerweise fort. Daher ist insbesondere nach einer schweren Gewalttat in der häuslichen Sphäre die Gefahr für das Opfer nicht beendet, sondern es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Täter/die Täterin erneut gewalttätig wird.

Somit wird schon eine massive Ersttat die Prognose auf eine Wiederholungsgefahr zulassen. Weitere Indizien können z. B. die Schwere einer dem Opfer zugefügten Verletzung, die Gewaltanwendung bei objektiver Nichtigkeit des Anlasses oder Alkoholmissbrauch des Störers, wenn er in diesem Zustand nach Bekundungen von Auskunftspersonen oder sonstigen polizeilichen Erkenntnissen zu Gewalttätigkeiten neigt, sein. (siehe dazu auch Anlage 3: Allgemeine Hintergrundinformationen zur häuslichen Gewalt).

Bei einer unklaren Lage, in der nicht erkennbar ist, wer Täter oder Opfer ist oder ob tatsächlich die Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit gefährdet sind, wird die Wegweisung bzw. das Betretungsverbot nicht in Betracht kommen.

Auch kann der Täter/die Täterin in Fällen akuter Auseinandersetzungen zur Verhinderung weiterer Gewalttaten zunächst in Gewahrsam genommen (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 HSOG) und vor der Entlassung ein Betretungsverbot ausgesprochen werden.

Sofern erforderlich, können gesonderte Verfügungen (z.B. Annäherungsverbote) auf der Basis der polizeilichen Generalklausel ergehen.

Zu beachten bleibt jedoch, dass die neuen polizeilichen Maßnahmen im Einzelfall eine erhöhte Bedrohung für das Opfer nach sich ziehen können. Dieses darf regelmäßig nicht zu einem Verzicht auf Wegweisung und Betretungsverbote führen, kann jedoch weitere Maßnahmen zum Schutz für das Opfer erforderlich machen.

Strafprozessuale Maßnahmen bleiben unberührt.

Personeller Anwendungsbereich:

Die Vorschrift kann bei Gewalt in ehelichen oder nichtehelichen (verschieden- oder gleichgeschlechtlich orientierten) Lebensgemeinschaften zur Anwendung gelangen, aber auch bei Lebensgemeinschaften, die derselben (Geschwister) oder verschie-Handlungsleitlinien zur häuslichen Gewalt- 7 denen Generationen (z.B. Tochter/Vater, Mutter/Sohn) angehören. Der Schutz der Vorschrift soll auch Mitgliedern von Wohngemeinschaften zuteil werden.

Die Anwendung der Vorschrift setzt eine gemeinsam genutzte Wohnung voraus.

Personen, die sich nur vorübergehend (z.B. im Rahmen eines Besuchs) in einer fremden Wohnung aufhalten, werden von der Vorschrift des § 31 Abs. 2 HSOG nicht erfasst.

Von ihnen ausgehende Gefahren kann mit den klassischen Platzverweisen i.S.d §.31 Abs. 1 HSOG und Ingewahrsamnahmen gem. § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG begegnet werden.

Eigentums- oder Besitzrechte des Täters/der Täterin an der Wohnung sind unerheblich.

Räumlicher Anwendungsbereich

Unter Wohnung sind Wohn- und Nebenräume, Arbeits- und Geschäftsräume, sowie anderes befriedetes Besitztum, das mit diesen Räumen im Zusammenhang steht, zu verstehen. Das Gesetz sieht keine Beschränkung einer Wegweisung/eines Betretungsverbots auf bestimmte Räumlichkeiten innerhalb einer Wohnung vor.

Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ohne eine klare räumliche Trennung kein wirksamer Schutz des Opfers zu gewährleisten ist.

Eine nur teilweise Wohnungsüberlassung bei Gewalttaten ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu prüfen, wobei dem Schutz des Opfers Vorrang einzuräumen ist.

Zum unmittelbar angrenzenden Bereich sind z. B. der Eingangsbereich zur Wohnung (Treppenhaus, Straße vor dem Eingangsbereich) und der angrenzende Straßenbereich zu verstehen. Die Polizei hat dem Täter/der Täterin den Umge- bungsbereich einer Wohnungswegweisung bzw. eines Betretungsverbotes genau zu benennen, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen.

Die Vorschrift des § 31 Abs. 2 HSOG bezweckt nach ihrem Wortlaut nur die Gefahrenabwehr innerhalb der Wohnung und des unmittelbaren räumlichen Umfelds. Besteht die Gefahr, dass der Täter/die Täterin dem Opfer an einem anderen Ort (z.B. Arbeitsstätte) auflauert und es gefährdet, besteht die Möglichkeit, neben der Wegweisung/dem Betretungsverbot weitere Maßnahmen, gestützt auf die polizeiliche Generalklausel bzw. Standardbefugnisse (z.B. Annäherungsverbot, Platzverweis, Ingewahrsamnahme), zu verfügen.

Einen nachhaltigen Schutz kann das Opfer jedoch nur durch die Beantragung einer gerichtlichen Schutzanordnung nach § 1 GewSchG erreichen.

Zeitlicher Anwendungsbereich

Die 14-Tagesfrist hat der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der besonderen Belastung des Opfers, einer ggf. in Anspruch zu nehmenden Beratung und angesichts der Feiertags- und Wochenendproblematik für angemessen erachtet. Die Verfügung sollte daher regelmäßig für die Dauer von 14 Tagen ausgesprochen werden.

Zur Frage der Verlängerung um bis zu weiteren 14 Tagen, wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Voraussetzung hierfür ein zuvor gestellter Antrag des Opfers nach dem Gewaltschutzgesetz ist.

Über die Verlängerung der Frist nach § 31 Abs. 2 S. 4 HSOG entscheidet grundsätzlich die Behörde, von der auch die ursprüngliche Anordnung erlassen wurde.

Einen Richtervorbehalt schreibt das Gesetz nicht vor.

Eine vorzeitige Aufhebung der Verfügung durch die Polizei kommt allerdings in Betracht, wenn sich die Gefahrenprognose als unzutreffend erweist (z.B. Falschaussage des Opfers).

Prüfung der Verhältnismäßigkeit:

Vor der Durchsetzung der Maßnahme ist die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu prüfen.

Eine drohende Wohnungslosigkeit macht die Maßnahme grundsätzlich nicht unverhältnismäßig. Ihr kann durch Hinweis auf entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten oder durch Einschaltung der zuständigen Behörde begegnet werden.

Ein Verzicht auf Maßnahmen i.S.d. § 31 Abs. 2 HSOG aus Gründen einer bestimmten Volks-, Kultur- oder Religionszugehörigkeit wäre mit Art. 3 GG nicht vereinbar.

Ebenso ist ein der Wegweisung oder dem Betretungsverbot entgegenstehender Wille des Opfers unbeachtlich. Entscheidend ist die Prüfung, ob dem Opfer weitere Gewalt droht.

Ein Absehen von Wegweisung und Betretungsverbot kann z. B. in folgenden Fällen in Betracht kommen:

· Der Täter kann aus gewichtigen gesundheitlichen Gründen (z.B. starke Gehbehinderung, fehlendes Sehvermögen) nicht „auf die Straße geschickt" werden.

· Das Gewaltopfer verfügt über eine eigene Zweitwohnung, in die es sofort und ohne berufliche oder sonstige Nachteile ziehen kann.

Durchsetzung der Verfügung:

Die Wegweisungsverfügung bzw. das Betretungsverbot können mit den Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden. Ein Widerspruch des Täters/der Täterin hat keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2) Ziff.2 VwGO).