Handlungsleitlinien zur häuslichen Gewalt

Der Täter/die Täterin kann bei einem Verstoß gegen die Verfügung in den Fällen des § 31 Abs. 2 HSOG zur Durchsetzung dieser Verfügung in Gewahrsam genommen werden (§ 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG). Eine Ingewahrsamnahme kann auch zur Verhinderung (weiterer) unmittelbar bevorstehender Straftaten (z.B. Hausfriedensbruch, Körperverletzungen) erfolgen (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG). Über die Fortdauer der Ingewahrsamnahme ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung (§ 32 ff. HSOG) einzuholen. Die Dauer der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung darf in den Fällen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG 6 Tage nicht überschreiten.

Form der Wegweisung Wegweisung aus der Wohnung und Betretungsverbot werden als Verwaltungsakt in Gegenwart des Täters/der Täterin in der Regel mündlich angeordnet. Die Maßnahme ist schriftlich zu begründen und zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht (etwa wegen der Absicht der betroffenen Person, Widerspruch und Klage zu erheben bzw. einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht zu erwirken) und die Person dies unverzüglich verlangt (§ 37 Abs. 2 und § 39 HVwVfG).

Im Interesse der Rechtssicherheit für die Betroffenen ist die in Anlage 4 vorliegende Verfügung (Durchschreibesatz) in diesen Fällen stets zu verwenden.

Eine Durchschrift ist dem Opfer auszuhändigen.

Strafverfolgung:

Auch bei den Delikten der häuslichen Gewalt gilt der Strafverfolgungszwang gemäß § 163 StPO. Deshalb sind nach der StPO alle keinen Aufschub gestattenden Maßnahmen zu treffen. Dies gilt auch bei Antragsdelikten, was in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) in Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 festgeschrieben ist.

Für Körperverletzungsdelikte innerhalb von engen Lebensgemeinschaften kann gem. Nr. 86, 233,234 RiStBV von einem (besonderen) öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung und Erhebung der öffentlichen Klage ausgegangen werden.

Nr. 86 RiStBV „(1) Sobald der Staatsanwalt (StA) von einer Straftat erfährt, die mit der Privatklage verfolgt werden kann, prüft er, ob ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen besteht." „(2) Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z. B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben.

Ist der Rechtsfrieden über den Lebensraum des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zu-Handlungsleitlinien zur häuslichen Gewalt- 10 gemutet werden kann, die Privatklage zu erheben und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist." „(3) Der StA kann Ermittlungen darüber anstellen, ob ein öffentliches Interesse besteht." Nr. 233 RiStBV „Das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen ist vor allem dann zu bejahen, wenn ein rohe Tat, eine erhebliche Misshandlung oder eine erhebliche Verletzung vorliegen (vgl. Nr. 86). Dies gilt auch, wenn die Körperverletzung in einer engen Lebensgemeinschaft begangen wurde; Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend." Nr. 234 Abs. 1 RiStBV „(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend. Andererseits kann auch der Umstand beachtlich sein, dass der Verletzte auf Bestrafung keinen Wert legt."

Eine Verweisung auf den Privatklageweg ist deshalb nicht zulässig. Es ist vorzugehen, als handele es sich um ein Offizialdelikt, d.h. die Anzeige ist in jedem Fall seitens der Polizei vorzulegen, auch wenn das Opfer keinen Strafantrag stellen will.

Gerade die dem Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 HSOG unterliegenden Fälle werden regelmäßig zugleich den Verdacht einer Straftat begründen. Die diesbezüglichen strafprozessualen Vorschriften werden von den polizeirechtlichen Vorschriften nicht berührt. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung haben parallel zu erfolgen.

So können z. B. die erkennungsdienstliche Behandlung, die Blutentnahme oder Urinprobe sowie die Sicherstellung/Beschlagnahme von Gegenständen auch bei häuslicher Gewalt angewandt werden.

Die Beeinflussung des Opfers sowie von Zeugen kann den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gem. § 112 Absatz 2 StPO erfüllen.

Ebenso können die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren vorliegen (Hauptverhandlungshaft gem. § 127 b StPO i.V.m. §§ 417 ff. StPO).

In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der Dokumentation der Tat für einen Antrag des Opfers nach dem Gewaltschutzgesetz zu betonen. Je sorgfältiger die Dokumentation der Bedrohung/der Gewalttat geschieht, desto leichter wird es dem Opfer fallen, eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz zu erreichen.

Gewaltschutzgesetz Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (GewSchG, BGBl. l, S. 3513 v. 11.Dezember 2001). Grund für dieses am 01.01.2002 in Kraft getretene Gesetz waren die Schwierigkeiten bei der Geltendmachung verfahrensrechtlicher Unterlassungsansprüche nach der bisher bestehenden Rechtslage sowie die Ineffektivität der Vollstreckung.

Um hier einen verbesserten Opferschutz zu erreichen, wurden die Eingriffsschwelle zum Erlass von Schutzanordnungen abgesenkt, klare Rechtsgrundlagen für Schutzanordnungen und die Möglichkeit der Vollstreckung der Schutzanordnungen durch unmittelbaren Zwang geschaffen sowie eine Ergänzung durch eine Strafvorschrift vorgenommen.

Einzelne Regelungen § 1 GewSchG regelt die Befugnis der Zivilgerichte, bei vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzungen des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dies gilt ebenso für die Fälle der widerrechtlichen Drohung mit einer Rechtsgutverletzung sowie bestimmte unzumutbare Belästigungen. Unter Gesundheit ist hierbei auch die psychische Gesundheit zu verstehen.

In Absatz 1 werden in den Nummern 1 bis 5 ­ nicht abschließend ­ mögliche Schutzanordnungen aufgezählt. Diese sind im Regelfall zu befristen und sind ausgeschlossen, wenn dem Erlass die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Täters entgegen stehen.

Der Erlass von Schutzanordnungen setzt das Bestehen eines materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruches gemäß den §§ 823, 1004 BGB voraus. Eine Beschränkung auf das Bestehen einer engen sozialen Beziehung findet nicht statt.

§ 1 Abs. 2 GewSchG stellt sicher, dass der Erlass von Schutzanordnungen auch möglich ist bei Drohungen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit oder wenn eine Person widerrechtlich und vorsätzlich [ in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder [ eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass er ihr gegen den ausdrücklichen erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt (sog. „Stalking").

Die vorgenannten Schutzanordnungen können auch ergehen, wenn der Täter/die Täterin sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung oder Geistestätigkeit befindet und sich vorübergehend durch legale oder illegale Drogen in diesen versetzt hat.