Gleichstellung

Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN haben einen abweichenden Bericht vorgelegt.

Teil II Wesentliches Ermittlungsergebnis:

A. Einflussnahme von Vertretern der Wählergruppierung Freie Wähler - FWG Hessen e.V. (nachfolgend FWG Hessen) seit 1992 auf Parteien und Fraktionen mit dem Ziel, Wahlkampfkostenerstattungen zu erhalten, und Umgang der jeweiligen Landesregierungen, Parteien und Fraktionen mit dem Anliegen der FWG Hessen:

a. Umgang der jeweiligen Landesregierungen mit dem Anliegen der FWG Hessen aa. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 09. April 1992

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 09. April 1992 (BVerfGE 85, 264) festgestellt, dass der Staat verfassungsrechtlich nicht gehindert ist, den Parteien Mittel für die Finanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeit zu gewähren (BVerfGE 85, 285). Dies umfasst nicht nur die Erstattung notwendiger Kosten eines angemessenen Wahlkampfes, sondern grundsätzlich auch die darüber hinausgehende finanzielle Unterstützung der Parteien bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (BVerfGE 85, 288). Des Weiteren schreibt das BVerfG in seiner Entscheidung Vorgaben für den zulässigen Umfang einer staatlichen Finanzierung von Parteien fest und ergänzt hinsichtlich der Stellung von Wählergemeinschaften, die aufgrund ihres Status an der umfassenden Finanzierung nach dem Parteiengesetz nicht partizipieren, dass „der zuständige Gesetzgeber auch in der Übergangszeit die Lage der mit den Parteien auf der kommunalen Ebene konkurrierenden Wählergemeinschaften zu bedenken" habe. Auch wenn die begrenzte politische Zielsetzung kommunaler Wählergemeinschaften eine Gleichstellung mit den politischen Parteien verfassungsrechtlich nicht gebiete, könne bei einem Vergleich von Wählergemeinschaften und Parteien nicht übersehen werden, dass die staatliche (Teil-)Finanzierung der allgemeinen Tätigkeit von Parteien auch deren kommunalpolitischer Tätigkeit zugute komme (BVerfGE 85, 264, 328). bb. Auswertung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 09. April 1992 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport sowie durch die Staatskanzlei

Um die Jahreswende 1993/1994 wurde der Zeuge Rolf Meireis im Rahmen der Novellierung des Parteiengesetzes auf das Urteil des BVerfG aufmerksam. Er setzte sich mit dem Fachreferat des damals für die Wahlkampfkostenerstattung zuständigen Landtags in Verbindung und wandte sich mit Schreiben vom 12.07. an das zuständige Ressorts der Staatskanzlei, mit der Bitte um Stellungnahme zu den Rechtsfolgen aus der Rechtsprechung des BVerfG sowie den sich hieraus ergebenden Handlungsverpflichtungen (Ordner A, Bl.

16 ff).

Die Staatskanzlei fertigte daraufhin am 24. August 1994 ein Gutachten an, das in Bezug auf die Erforderlichkeit einer Wahlkampfkostenerstattung für Wählergruppierungen und Einzelbewerber zu dem Ergebnis kam, dass eine solche Verpflichtung bestehe. Darin heißt es auf Seite 24 des Schreibens: „Der das Wahlrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit gebietet es (...), die kommunalen Wählervereinigungen und die unabhängigen Einzelbewerber für die Kommunalparlamente in die unmittelbare staatliche Finanzierung einzubeziehen. Durch einen Ausschluss der anderen Wahlbewerber von den staatlichen Zuwendungen werden diese gleichheitswidrig benachteiligt, da keine besonderen rechtfertigenden, zwingenden Gründe für eine differenzierende Regelung ersichtlich sind." (Ordner A, Bl. 21 ff (24)) cc. Umsetzung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 09. April 1992 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport

Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass diese Frage alle Bundesländer betraf, wurde 1994, 1995, 1996 und 1997 wiederholt vom Hessischen Innenministerium versucht, eine länderübergreifende bundeseinheitliche Regelung der Frage der staatlichen Finanzierung von Wählergemeinschaften auf kommunaler Ebene zu erreichen. Insofern wurde das Thema „Folgerungen aus dem Parteiengesetz und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 85, 264/328 für kommunale Wählergemeinschaften und Einzelbewerber bei Kommunalwahlen" wiederholt vom Land Hessen auf die Tagesordnung verschiedener Arbeitskreise der Arbeitsgemeinschaft der Innenministerien der Länder gesetzt. Es gelang in diesen Gremien jedoch nicht, diese Frage einer länderübergreifenden einvernehmlichen Lösung zuzuführen.

Desgleichen erarbeitete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport Gesetzentwürfe, mit denen eine Wahlkampfkostenerstattungsregelung für Wählergemeinschaften und Einzelbewerber durch den Landesgesetzgeber geregelt werden sollte.

Zu dem erstellten Referentenentwurf, mit dem eine Wahlkampfkostenerstattung auf kommunaler Ebene eingeführt werden sollte, wurden u.a. die kommunalen Spitzenverbände und die CDU-Landtagsfraktion um eine Stellungnahme gebeten.

Der Zeuge Bökel gab ergänzend in seiner Vernehmung an, dass er die Möglichkeit der Einführung einer Wahlkampfkostenerstattung für Wählergruppierungen und Einzelbewerber auf kommunaler Ebene auch mit dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden, Roland Koch, erörtert habe. Dieser habe eine solche Kostenerstattung entschieden abgelehnt (Vernehmung Zeuge Bökel, S. 7).

Im Rahmen der schriftlichen Anhörung nahmen der Hessische Landkreistag ­ mit Schreiben vom 03. Juni 1996 (Ordner A, Bl. 165 ff) ­ und die CDU-Landtagsfraktion ­ mit Schreiben vom 16. Oktober 1996 (Ordner A, Bl. 183 ff) ­ eine ablehnende Position gegenüber dem Gesetzgebungsvorhaben des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport ein.

Die Fachabteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport teilte die Auffassung des Landkreistages nicht (Ordner A, Bl. 169 ff (173)). Desgleichen sahen weder die Staatskanzlei (Ordner A, Bl. 189

ff) noch die Fachabteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport (Ordner A, Bl. 192 ff) die im Namen des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Roland Koch vorgetrage nen ablehnenden Argumente als begründet an.

In der Folge wurde dann die Kabinettsvorlage vom 06. März 1997 erstellt. Diese enthielt neben einer Kostenerstattungsregelung für Landtagswahlen (§ 53 LWG-Entwurf) auch eine solche für Kommunalwahlen (§ 66 KWG-Entwurf): „§ 66 Staatliche Mittel für Wählergruppen und Einzelbewerber:

(1) Wählergruppen und Einzelbewerber, die mindestens fünf vom Hundert der bei der Wahl abgegebenen Stimmen erreicht haben, erhalten für jede auf sie entfallende gültige Stimme 1,50 Deutsche Mark.

(2) Abs. 1 gilt nicht für Wahlvorschläge, die unter Beteiligung von Parteien gebildet worden sind.

(3) Für das Erstattungsverfahren gelten die Bestimmungen des Parteiengesetzes sowie des Gesetzes über die Erstattung von Wahlkampfkosten von Landtagswahlen entsprechend. Die Vertrauenspersonen der Wahlvorschläge haben bei der Anmeldung der Erstattung gegenüber dem Präsidenten des Landtags an Eides Statt zu versichern, dass der Wahlvorschlag nicht unter Beteiligung von Parteien gebildet worden ist." (Ordner A, Bl. 139)

Aufgrund einer Entscheidung des damaligen Innenministers Bökel vom 19. März 1997 wurde die vorgenannte kommunale Kostenregelung aus der Kabinettsvorlage wieder herausgenommen (Ordner A, Bl. 216 ff (216)). Begründet wurde dies mit der ablehnenden Stellungnahme des Landkreistages, der darin eine gleichheitswidrige Begünstigung gesehen hatte und dem erfolglosen Bemühen, zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen (Ordner A, Bl. 216 ff (217)).

Außerdem habe nach Angaben des Zeugen Bökel auch die Ablehnung der CDU-Landtagsfraktion für die damalige Entscheidung eine Rolle gespielt (Vernehmung Zeuge Bökel, S. 8; S. 10; S. 13 und S. 19).

Eine etwaige Abhängigkeit zwischen der Gewährung einer Wahlkampfkostenerstattung und der Teilnahme an Landtagswahlen wurde nicht problematisiert.

Im Juni 1997 erfolgte der zweite Kabinettsdurchgang des veränderten Gesetzentwurfs. Der Entwurf ging sodann als Gesetzentwurf der Landesregierung vom 01.07.1997 dem Hessischen Landtag zu.

Die FWG Hessen war in den Erstellungsprozess des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 01.07. nach den Feststellungen des Untersuchungsausschusses nicht eingebunden.

dd. Umgang der Landesregierung mit dem Anliegen der FWG Hessen, Wahlkampfkostenerstattungen zu erhalten, in Zusammenhang mit den vom dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport 1996 und 1997 erarbeiteten Gesetzentwürfen.

Im Juli 1997 erkundigte sich die FWG Hessen über den aktuellen Stand der Wahlrechtsnovelle (Ordner A, Bl. 250).

Mit Schreiben vom 16. Juli 1997 wurde der FWG Hessen daraufhin mit Unterschrift des damaligen Innenministers Bökel mitgeteilt, dass die Frage der kommunalen Wahlkampfkostenerstattung mit dem von der FWG Hessen angesprochenen Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen worden sei. In dem Schreiben hieß es: „... Ob dann die kommunale Wahlkampfkostenerstattung in die Novellierung einbezogen wird, bedarf noch weiterer Abstimmungen. Dabei wird sicher neben der schwierigen verfassungsrechtlichen Bewertung und der allgemeinen Haushaltssituation auch das Vorgehen der übrigen Bundesländer eine Rolle spielen. In einer derart wichtigen Frage, sollte es nach meiner Auffassung eine möglichst breite Übereinstimmung aller Länder geben...." (Ordner A, Bl. 250 ff (253))

Ein Hinweis auf eine Abhängigkeit zwischen der Gewährung einer Wahlkampfkostenerstattung und der Teilnahme an Landtagswahlen war in dem Schreiben nicht enthalten.

Parallel hierzu beantwortete nach Angaben des Zeugen Meireis die Fachabteilung ein Schreiben der FWG Oestrich-Winkel vom 04. Juli 1997, in dem diese sich nach dem Stand des in der Presse im September 1996 angekündigten Gesetzgebungsverfahrens erkundigten, in vergleichbarer Weise (Ordner A, Bl. 249 u. 254 ff (256)).

Auch dieses Schreiben enthielt keinen Hinweis auf eine Abhängigkeit zwischen der Gewährung einer Wahlkampfkostenerstattung und der Teilnahme an Landtagswahlen.

Zudem gab der Zeuge Bökel in seiner Vernehmung an, dass von Seiten der FWG Hessen bei Gesprächen mit dem Innenministerium keine Verknüpfung zwischen der Gewährung einer Wahlkampfkostenerstattung und der Teilnahme an Landtagswahlen hergestellt worden sei (Vernehmung Zeuge Bökel, S. 9).

Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde am 20. November 1997 vom Hessischen Landtag ohne eine Wahlkampfkostenerstattungsregelung für die kommunale Ebene beschlossen und im GVBl. I Nr. 24 v.

02.12.1997, S. 390-395 veröffentlicht.

ee. Umgang der Landesregierungen mit dem Anliegen der FWG Hessen, Wahlkampfkostenerstattungen zu erhalten, im Zusammenhang mit der Petition der FWG Oberaula vom 30. Juni 2000

Mit Schreiben vom 08. Februar 2000 wandte sich die FWG Oberaula an das Hessische Ministerium des Innern und für Sport und fragte an, „ob mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf in 2001 die FWG Oberaula mit einer Wahlkampfkostenerstattung rechnen" könne (Ordner A, Bl. 257).

Der FWG Oberaula wurde daraufhin mit Schreiben vom 09. Mai 2000 von der Fachabteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport mitgeteilt, dass in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung die Gewährung einer Wahlkostenerstattung für kommunale Wählergemeinschaften nicht vorgeschrieben sei (Ordner A, Bl. 258).

Das Schreiben des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 09. Mai 2000 nahm die FWG Oberaula am 30. Juni 2000 zum Anlass, sich im Rahmen einer Petition an den Hessischen Landtag zu wenden, um auf diesem Wege eine Wahlkampfkostenerstattung für Wählergemeinschaften auf kommunaler Ebene zu erreichen (Ordner A, Bl. 260 ff (261 f).

Das Fachreferat des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport stellte darauf hin im Rahmen der Erarbeitung einer Stellungnahme zu dieser Petition fest, dass man gemeinsam mit der Staatskanzlei nach wie vor der Auffassung sei, dass grundsätzlich eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers bestehe, auch die Wählergemeinschaften und Einzelbewerber in Gewährung der hier in Rede stehenden staatliche Finanzierung durch eine Wahlkampfkostenerstattung einzubeziehen und wies darauf hin, dass auf der Ebene der Innenministerkonferenz letztmalig auf Initiative Hessens im Juni 1997 der Versuch unternommen worden sei, länderübergreifend zu einer einheitlichen Kostenerstattungsregelung zu kommen. Ferner geht aus dem Vermerk hervor, dass zum Zeitpunkt der Petition weitere Bestrebungen auf Länderebene „nicht im Gange" gewesen seien. Zudem wurde auf den Beschluss des BVerfG vom 29. September 1998 Bezug genommen, das eine Verfassungsbeschwerde einer Wählergemeinschaft aus Weinheim a.d. Bergstraße nicht angenommen hatte.

Ein Hinweis auf eine Abhängigkeit zwischen der Gewährung einer Wahlkampfkostenerstattung und der Teilnahme an Landtagswahlen war in der Stellungnahme des Innenministeriums nicht enthalten (Ordner A, Bl.

273 ff).

Am 17. Januar 2001 beschloss der Innenausschuss des Hessischen Landtags auf Empfehlung der Berichterstatterin, der Abg. Zeimetz-Lorz, gem. § 101 Abs. 1 Nr. 5 GOHLT, dass die Petition nach Prüfung der Sach- und Rechtslage für erledigt erklärt wird (Ordner A, Bl. 278). Desgleichen hat der Hessische Landtag in seiner Plenarsitzung vom 31. Januar 2001 beschlossen, die Petition der FWG Oberaula der Landesregierung mit der Bitte zu überweisen, den Petenten über die Sach- und Rechtslage zu unterrichten (Ordner A, Bl. 279).