Zugunglück im hannoverschen Stadtteil

Am 9. Dezember 1997 stießen im hannoverschen Stadtteil Misburg ein Güterzug und ein Regionalexpress zusammen. Als einzige Unglücksursache galt menschliches Versagen:

Der Lokführer des Güterzuges hatte ein Haltesignal überfahren und ist dafür inzwischen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Einem Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" („HAZ") vom 30. Mai 1998 zufolge weckt jedoch der Untersuchungsbericht Zweifel daran, dass menschliches Versagen die einzige Ursache für das Unglück gewesen sein soll. Dem Bericht der „HAZ" zufolge soll die Sicherheitsanlage der Güterlok fehlerhaft gearbeitet haben, so dass eine Zwangsbremsung zu spät ausgelöst wurde. Das Eisenbahn-Bundesamt räumte bereits ein, dass der Untersuchungsbericht zu dem Unglück Fehler enthalte und unterschlagen habe, dass die Sicherheitsanlage der Lok die entscheidende Bremsung nicht ausgelöst habe.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Gibt es Hinweise darauf, dass der Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamtes widersprüchliche Angaben oder Fehler enthält? Wenn ja, ist der Bericht inzwischen überarbeitet worden oder soll er überarbeitet werden?

2. Gibt es neben dem offiziellen Bericht des Eisebahn-Bundesamtes noch weitere, möglicherweise vertrauliche, Berichte über das Zugunglück? Wenn ja, in welchen Punkten ergänzen oder widersprechen diese dem offiziellen Bericht?

3. Stimmt es, dass die Güterlok mit einer veralteten Sicherheitsanlage ausgerüstet war?

4. Wann und wie hätten im vorliegenden Fall nach Überfahren eines Haltesignals Zwangsbremsungen ausgelöst werden sollen?

5. Welche Hinweise gibt es in dem Fahrbericht der Lok auf Zwangsbremsungen, und wie werden diese interpretiert?

6. Kann ausgeschlossen werden, dass das Sicherheitssystem verspätet oder nicht reagiert hat?

7. Soll das Verfahren gegen den Lokführer der Güterlok wieder aufgenommen werden, und kommen dabei gegebenenfalls neue Erkenntnisse zur Geltung?

Die Zuständigkeit bei Zugunglücken liegt, sofern der Bereich der Deutschen Bahn AG betroffen ist, beim Eisenbahn-Bundesamt. Das Eisenbahn-Bundesamt berichtet dem Bundesministerium für Verkehr, das im Rahmen der Amtshilfe zu der Anfrage die folgenden Informationen gegeben hat:

Zu 1: Bei dem in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" („HAZ") zitierten Bericht handelt es sich nicht um den Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA), sondern um den Teilbericht „Fahrtverlaufsauswertung".

Zu 2: Das EBA fertigt Untersuchungsberichte über gefährliche Ereignisse im Eisenbahnbetrieb nur auf Anforderung, so zum Beispiel für das Bundesministerium für Verkehr als Grundlage zur Unterrichtung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, oder auch zur Beantwortung von Fachfragen, die von seiten der Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Bundesgrenzschutz) an das EBA gerichtet werden. Darüber hinaus werden EBA-intern die Teilergebnisse der an der Untersuchung eines gefährlichen Ereignisses beteiligten Fachdienste (z. B. Oberbau, Signalanlagen, Gefahrgut etc.) in Form von internen Vermerken und Berichten festgehalten und dokumentiert. Um einen solchen Teilbericht handelt es sich auch bei dem in der „HAZ" zitierten Bericht „Fahrtverlaufsauswertung".

Da diese Berichte stets auf einen fachdienstlichen Teilaspekt fokussiert sind, können durchaus noch nicht abgestimmte Aussagen zu anderen Berichten auftreten. Die zuständige EBA-Außenstelle wertet alle vorliegenden Berichte und Stellungnahmen aus und fertigt daraus einen internen Untersuchungsbericht. Im Fall Misburg wurde als Ergebnis der Fahrtverlaufsauswertung die Fehlhandlung des Lokführers als Ursache festgestellt und in den Untersuchungsbericht übernommen. Sollte bestätigt werden, dass darüber hinaus auch die Zugbeeinflussung fehlerhaft gewirkt hat, wäre der Untersuchungsbericht der EBA-Außenstelle entsprechend zu ergänzen.

Zu 3: Die Lokomotive des Güterzuges war entsprechend den Anforderungen der EisenbahnBau- und Betriebsordnung mit einer Zugbeeinflussung der Bauart „Indusi 60" ausgerüstet.

Zu 4: Bei Annäherung an ein haltzeigendes Signal wird eine Zwangsbremsung in folgenden Fällen ausgelöst: nach Ablauf von vier Sekunden nach Vorbeifahrt am Vorsignal, wenn der Lokführer die Wachsamkeitstaste nicht betätigt, nach Ablauf einer vorgegebenen Zeitspanne nach Vorbeifahrt am Vorsignal, wenn die Geschwindigkeit des Zuges einen vorgegebenen Grenzwert (hier: 60 km/h nach 34 Sekunden) überschreitet (= sogenannte angehängte Geschwindigkeitsprüfung),

? nach Überfahren eines ca. 250 m vor dem Hauptsignal angeordneten 500-HzGleismagneten, wenn die Geschwindigkeit des Zuges einen vorgegebenen Grenzwert (hier 40 km/h) überschreitet, am Standort des Hauptsignals.

In Misburg wurde die Betätigung der Wachsamkeitstaste nach Vorbeifahrt am Vorsignal (Stellung „Halt erwarten") registriert. Die Geschwindigkeit des Zuges nahm anschließend zu. Die Zwangsbremsung hätte nach Ablauf der Überwachungszeit von 34 Sekunden oder, wenn innerhalb dieser Zeitspanne der 500-Hz-Gleismagnet bereits erreicht worden wäre, durch diesen ausgelöst werden müssen.

Zu 5: Wie im Bericht „Fahrtverlaufsauswertung" des EBA angegeben, trag die Geschwindigkeitsverminderung auf Grund der Zwangsbremsung etwa 100 m nach der Beeinflussung durch den 500-Hz-Gleismagneten ein. Dies ist verursacht durch die bei Güterzügen spezifischen Ansprechzeiten der Bremse. Dabei geht der Bericht davon aus, dass diese Zwangsbremsung annähernd zeitgleich durch die „angehängte Geschwindigkeitsprüfung" (siehe Antwort zu 4) und durch die Beeinflussung durch den 500-Hz-Magneten ausgelöst wurde.

Zu 6: Zur Klärung der Frage, ob die Zwangsbremsung durch die „angehängte Geschwindigkeitsprüfung" oder durch den 500-Hz-Gleismagneten ausgelöst wurde, wurde die Zugbeeinflussungseinrichtung der Güterzuglokomotive nach dem Unfall überprüft. Dabei wurden keine Fehler festgestellt.

Zu 7: Die Zugbeeinflussung ist eine Überwachungseinrichtung, bei der sowohl der Mensch (Lokführer) wie auch die Technik jeweils für sich betrachtet die Komponente eines redundanten Gesamtsystems darstellen. Der Lokführer darf sich deshalb keinesfalls darauf verlassen, dass die Zugbeeinflussung wirkt. Eine mögliche Fehlfunktion der Zugbeeinflussung führt damit zu keiner anderen Beurteilung der Handlungsweise des Lokführers.

Sollte eine Fehlfunktion der Zugbeeinflussung bestätigt werden, so wird das EBA die notwendigen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen ergreifen.