Staatsanwaltschaft

Am Freitag, dem 05.06.1998, waren die Polizeikräfte mehrfach gebunden, so für einen Einsatz im Rahmen eines Aktionswochenendes der „Linken Szene" in Hannover, für Verkehrskontrollen im Raum Göttingen und für weitere Einsätze am Folgetag. Darüber hinaus waren weitere Beamte beim Zugunglück in Eschede eingesetzt, so dass einsatzungebundene Kräfte nicht zur Verfügung standen, die in Gorleben zum Einsatz hätten kommen können.

Nach den Zeugenaussagen, insbesondere des Direktors der Landesbereitschaftspolizei Niedersachsen, Udo Lewald, konnte die Bereitschaftspolizei am 05.06.1998 auf eine frei verfügbare Landesreserve nicht zurückgreifen. Nach Aussage des Zeugen Lewald hätten 75 Beamte der Landesbereitschaftspolizei, die anderen Behörden unterstellt waren, mobilisiert werden können. Darüber hinaus wäre es allenfalls möglich gewesen, weitere Beamte aus dem „normalen Dienstfrei" zu alarmieren, so dass insgesamt etwa zwei schwache Hundertschaften hätten zur Verfügung gestellt werden können. Eine Mobilisierung dieser Kräfte ist jedoch unterblieben. Zudem hätte es immer noch bis zu fünf Stunden gedauert, bis diese Beamten vor Ort zum Einsatz hätten kommen können.

Weiterhin ist festzustellen, dass es nach Aussage des Zeugen Lewald nicht in jedem Fall erforderlich ist, der Anzahl der Besetzer dreimal so viele Polizeibeamte gegenüberzustellen, um erfolgreich gegen Hausbesetzer einschreiten zu können.

Die Vorkommnisse am 5. und 6. Juni 1998 haben damit erneut deutlich gemacht, dass die Struktur der Bereitschaftspolizei und die Vorhaltung bestimmter Kräfte für hypothetische Ereignisse dazu führt, dass im Fall von Mehrfachereignissen für die tatsächlichen Einsätze keine Kräfte zur Verfügung gestellt werden können. Entscheidend für die Einsatzfähigkeit der niedersächsischen Bereitschaftspolizei in der Zukunft muss daher nicht ihre statistische Stärke, sondern ihre tatsächliche Einsatzbereitschaft sein.

Stellungnahme zu den Einzelfragen des Untersuchungsauftrags Frage 1 des Untersuchungsauftrags:

Die von der Landesregierung ergriffenen vorsorglichen Maßnahmen sind keinesfalls ausreichend gewesen, um für die Zukunft Ereignisse auszuschließen, die mit der Plünderung des Penny-Marktes bei den Chaostagen 1995 vergleichbar sind. Anders ist es nicht zu erklären, dass trotz der schlimmen Erfahrungen mit den Chaostagen 1995 erneut im Juni 1998 27 Stunden lang ein Infohaus von zum Teil mehr als 80 Personen besetzt werden konnte, Gegenstände zerstört und Kühlschränke geplündert werden konnten, ohne daß die Polizei in der Lage war, das Gebäude zu räumen.

Frage 2 des Untersuchungsauftrags:

Auch wenn es sich nach Lageeinschätzung der Polizei um größtenteils besonnene Atomkraftgegner und den szenekundigen Beamten bekannte Bürgerinnen und Bürger aus der Region gehandelt haben sollte, hätte allein aufgrund der Tatsache, dass schon kurz nach Beginn der Besetzung Straftaten offenkundig wurden, den weiteren Beteuerungen der Besetzer kein Glauben geschenkt werden dürfen.

Frage 3 des Untersuchungsauftrags:

Der Fall Gorleben hat gezeigt, dass strafrechtliche Ermittlungen im Rahmen von Hausbesetzungen nicht immer unverzüglich eingeleitet werden, wenn darauf verzichtet wird, alle Personalien der das besetzte Haus verlassenden Personen festzustellen und nur lediglich die Namen derjenigen Besetzer notiert werden, die der Polizei ohnehin schon bekannt sind.

Frage 4 des Untersuchungsauftrags:

Obwohl nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht festgestellt werden kann, ob im Rahmen der Besetzung des Informationshauses in Gorleben am 5. und 6. Juni 1998

Kräfte der Bereitschaftspolizei tatsächlich angefordert wurden oder nicht, verzichtete das Innenministerium trotz Kenntnis des Kerns des Sachverhaltes ab ca. 16.30 Uhr des 05.06.1998 darauf, von sich aus tätig zu werden und auf eine Räumung des Infohauses zu dringen.

Frage 5 des Untersuchungsauftrags: Festzustellen ist, dass der Innenminister am 5. und 6. Juni 1998 nicht über die Besetzung des Infohauses in Gorleben in Kenntnis gesetzt wurde. Vielmehr hatte der Innenminister erst Tage später, nämlich am 11.06.1998, aus der Zeitung von diesen Ereignissen erfahren. Für die Zukunft muss ausgeschlossen werden, dass der Innenminister sich auf den Standpunkt zurückziehen kann, „wenn ich nichts weiß, dann kann ich auch keine Verantwortung tragen". Frage 6 des Untersuchungsauftrags:

Der Innenminister ist nicht unverzüglich über die Besetzung des Informationshauses informiert worden, sondern erst am 11.06.1998 durch seine Beamten, nachdem er selbst durch einen Zeitungsartikel von den Ereignissen erfahren hat. Bereits wenige Stunden nach Beginn der Besetzung am 05.06.1998 war für die Beamten vor Ort erkennbar, daß es zu Straftaten nicht unerheblichen Ausmaßes durch die Besetzer gekommen ist und auch in Zukunft kommen wird, so dass eine sofortige persönliche Unterrichtung des Innenministers notwendig gewesen wäre.

Frage 7 des Untersuchungsauftrags:

Die Polizeibeamten haben es vor Ort in fataler Weise unterlassen, zur Ermöglichung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren die Identität der Besetzer festzustellen.

Hierdurch ist eine Strafverfolgung in vielen Fällen unmöglich geworden. Gründe für dieses Vorgehen sind im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung nicht erkennbar geworden.

Frage 8 des Untersuchungsauftrags:

Es ist deutlich geworden, dass die zur Zeit bestehenden Organisationsstränge und Informationsabläufe im Innenministerium eine schnelle Entscheidung und eine effektive Räumung des Informationshauses in Gorleben am 5. und 6. Juni 1998 verhindert haben.

Frage 9 des Untersuchungsauftrags:

Im Zuge der in Niedersachsen durchgeführten Polizeireform ist die Anzahl der Hundertschaften von 9 auf 7 verringert worden, und zudem ist die Anzahl der Bereitschaftspolizeikräfte seit 1994 um rund 30 % reduziert worden. Hierdurch ist die niedersächsische Bereitschaftspolizei in ihrem Stärkeverhältnis und in ihrer Organisationsform nicht mehr in der Lage, innerhalb kürzester Zeit einzuschreiten, da die Kräfte nicht mehr an den Brennpunkten in Niedersachsen vorgehalten werden.

Frage 10 des Untersuchungsauftrags:

Nach Auskunft der ermittelnden Staatsanwaltschaft vor dem 17. Parlamentarischen Untersuchungsausschuß sind bisher noch nicht gegen alle bekannten Besetzer Strafverfahren eingeleitet worden. Zur Zeit ist der Ausgang des Verfahrens, auch im Hinblick auf die tatsächlich begangenen Delikte, noch nicht absehbar. Aufgrund der Tatsache, dass die Identität vieler Hausbesetzer durch die Polizei nicht festgestellt wurde, ist zu befürchten, daß die BLG einen Teil ihrer zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche nicht durchsetzen kann.

3. Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Einsetzung des Untersuchungsausschusses

Am Wochenende des 5./6. Juni 1998 kam es zu einer Besetzung des Informationszentrums der Brennelemente-Lagergesellschaft (BLG) in Gorleben durch Atomkraftgegner.

Der Protest richtete sich gegen den skandalösen Umgang mit den in den Tagen zuvor bekannt gewordenen Verstrahlungen von Atomtransporten. Die CDU-Fraktion nahm diese Besetzung und die Entscheidung der Polizei, auf eine Räumung zu verzichten, zum Anlaß, im Innenausschuß einen Bericht der Landesregierung anzufordern. Das Innenministerium berichtete daraufhin am 17.06.98 ausführlich im Innenausschuß. Am 19.06. setzte das Innenministerium eine Arbeitsgruppe ein, die eine Bewertung des polizeilichen Verhaltens anläßlich der Besetzung in Gorleben vornehmen sollte. Die CDU beantragte noch am 19.06.98 die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA). Am 01.07.98, in der 7. Plenarsitzung des Landtages, wurde der 17. Parlamentarische Untersuchungsausschuß auf Antrag der CDU-Fraktion, bei Enthaltung der SPD-Fraktion und Ablehnung durch unsere Fraktion, eingerichtet. Unsere Fraktion beantragte zur gleichen Plenar-Sitzung einen „Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Skandals um die Atomtransporte". CDU und SPD lehnten diesen Antrag ab.