Kriminelle Giftmüllschiebereien aus Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt

Durch Ermittlungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft Magdeburg und darauf folgende Presseberichte ist bekannt geworden, dass jahrelang stark mit Umweltgiften belastete Bahnschwellen vom Betriebsgelände der Braunschweigischen KohlenBergwerke AG (BKB) nach Sachsen-Anhalt verbracht worden sind. Die Bahnschwellen aus dem der BKB gehörenden Tagebau Treuen sind dort anfangs mit einer mobilen Schredderanlage zerkleinert worden. Später soll nach Presseberichten diese Schredderanlage nach Quedlinburg umgesetzt worden sein. Die Schwellen wurden dann im ungeschredderten Zustand nach Quedlinburg transportiert.

Die im Auftrag der BKB handelnden „Entsorgungsfirmen" sollen dann die geschredderten Schwellen mit Hafenschlick versetzt und anschließend rechtswidrig als angeblichen Kompost zwischengelagert oder in nicht dafür zugelassenen Flächen abgelagert haben.

Teilweise soll dieser Sondermüll in der freien Landschaft auf Waldwegen eingebaut worden sein.

Die BKB hat als Eigentümerin in der Vergangenheit selbst die Behandlung der Schwellen mit stark toxischen Mitteln durchgeführt, um diese vor dem Verrotten zu schützen. Der BKB war als Eigentümerin der Schwellen daher auch bestens bekannt, welches Gefährdungspotential mit der Entsorgung dieser Schwellen verbunden war. Ebenso oblag den niedersächsischen Umweltbehörden die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass derartige Gefahrstoffe nur einer umweltverträglichen und zulässigen Entsorgung zugeführt wurden.

Trotz dieser Verantwortung der BKB und der niedersächsischen Behörden scheint es jahrelang ohne Probleme möglich gewesen zu sein, dass Geschäftemacher mit erheblicher krimineller Energie diese Stoffe ohne jede Reaktion der niedersächsischen Seite nach Sachsen-Anhalt verbringen und dort illegal „entsorgen" konnten. Die behördlichen Überwachungsmechanismen der dem Umweltministerium in Hannover unterstellten Behörden scheinen in diesem Zusammenhang keinerlei Wirkung gehabt zu haben. Erst durch Stellen in Sachsen-Anhalt wurden diese Praktiken aufgedeckt.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen ihr über den Ablauf und die Hintergründe dieser Giftmüllverbringung von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt vor?

2. Welche Mengen geschredderter und ungeschredderter Bahnschwellen sind aus Niedersachsen in welchen Zeiträumen auf diesem Wege der illegalen Entsorgung zugeführt worden?

3. Hat die Landesregierung Informationen darüber, ob auch Hafenschlick aus Bremen und/oder Niedersachsen den gleichen Entsorgungswegen zugeführt und in Sachsen-Anhalt mit den geschredderten Bahnschwellen vermischt wurde?

4. Wie beurteilt sie die Verantwortung der BKB für die rechtmäßige Entsorgung der in ihrem Eigentum befindlichen toxischen Bahnschwellen?

5. Hat die BKB die notwendige Sorgfalt bei der Beauftragung und der Durchführung der Entsorgung dieser Bahnschwellen angewendet?

6. Welche zulässigen Entsorgungswege hätten der BKB zur Verfügung gestanden?

7. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung darüber vor, warum die BKB diese zulässigen Entsorgungswege nicht gewählt hat?

8. Welche Gründe sieht sie dafür, dass die niedersächsischen Umweltbehörden diese kriminellen Handlungen jahrelang nicht bemerkten?

9. Welche Behörden waren hier verantwortlich und hätten eine illegale Entsorgung unterbinden können?

10. Welche Ursachen sieht die Landesregierung dafür, dass es zu keiner wirksamen Zusammenarbeit der Umweltbehörden in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gekommen ist?

11. Welche Konsequenzen will sie ziehen, um die Wiederholung derartiger krimineller Entsorgungspraktiken für die Zukunft zu unterbinden oder zumindest deutlich zu erschweren?

Zu 1: Im Tagebaubereich der Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke AG (BKB), Helmstedt, mussten zur Wiedernutzbarmachung der vom Bergbau in Anspruch genommenen Flächen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesberggesetzes [BBergG]) u. a. Gleisanlagen zurückgebaut werden. Vor Aufnahme der Rückbaumaßnahmen haben Untersuchungen der Bahnschwellen ergeben, dass diese aufgrund der ermittelten Belastungen nicht zum Schreddern und zur anschließenden Verwertung des Schreddergutes im Tagebau zu verwenden waren.

BKB hat daraufhin in insgesamt drei bergrechtlichen Sonderbetriebsplänen die ordnungsgemäße Entsorgung nach den damaligen abfallrechtlichen Bestimmungen beantragt. In den zugehörigen Zulassungen dieser Sonderbetriebspläne legte das zuständige Bergamt Goslar über Nebenbestimmungen u. a. fest, dass die Nachweise über die Entsorgung der Abfälle dem Bergamt vorzulegen sind.

Die erforderlichen Rückbauarbeiten, einschließlich der ordnungsgemäßen Entsorgung der dabei anfallenden Abfälle, wurden von BKB vertraglich an ein Unternehmen vergeben.

Die Abfallbegleitscheine für die in der Zeit vom 8. Mai 1995 bis 26. Januar 1996 in drei zeitlichen Abschnitten zur Entsorgung aus dem Tagebau Treue abtransportierten Bahnschwellen wurden dem Bergamt in Kopie vorgelegt. Nach den Belegen gingen die Bahnschwellen an insgesamt drei Empfänger in Sachsen-Anhalt und nach Sachsen. Die Deklaration und Unterzeichnung der Begleitpapiere als Abfallerzeuger erfolgte in allen Fällen durch den für die BKB tätigen Unternehmer.

Sofort nach Bekanntwerden der illegalen Lagerung von belasteten Bahnschwellen durch sachsen-anhaltinische Behörden im Februar 1996 wurde vom Bergamt Goslar sichergestellt, dass bis heute keine weiteren Schwellentransporte aus dem Tagebau Treue mehr erfolgten.

Da die Nachweise Unregelmäßigkeiten enthielten und gleichzeitig in Sachsen-Anhalt strafrechtliche Ermittlungen wegen illegaler Lagerung der Bahnschwellen liefen, wurde am 4. Oktober 1996 die Staatsanwaltschaft Braunschweig über den Sachverhalt unterrichtet.

Zu 2: Nach den vorliegenden Unterlagen wurden 2 224 t Bahnschwellen von den stillgelegten Gleisanlagen an drei Empfänger in Halberstadt, Sandersleben und Körlitz geliefert. Diese waren ungeschreddert.

Die Landesregierung geht aufgrund folgender Tatsachen davon aus, dass auf dem Gelände der BKB keine Bahnschwellen geschreddert worden sind:

Bei einer am 15. Mai 1995 durchgeführten bergaufsichtlichen Befahrung durch das Bergamt Goslar wurde kein Schredderbetrieb festgestellt. Zum Befahrungszeitpunkt wurden mittels eines mobilen Greifbaggers Bahnschwellen zum Abtransport auf einen Kastensattelzug verladen. Ein von dem Subunternehmer am 17. Mai 1995 aufgestellter Schredder wurde noch am gleichen Tag auf Veranlassung der BKB stillgelegt.

Zu 3: Nein.

Zu 4: Die BKB ist nach § 58 ff. des Bundesberggesetzes für die ordnungsgemäße Entsorgung verantwortlich. Sie hat diese Verantwortung auf der Grundlage der vom Bergamt Goslar zugelassenen Sonder-Betriebspläne wahrgenommen.

Zu 5: Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens.

Zu 6: Bahnschwellen waren und sind besonders überwachungsbedürftige Abfälle. In dem lt. Antwort zu Frage 1 genannten Zeitraum waren Bahnschwellen

a) dem LAGA-Abfallschlüssel 172 13 ­ „Holzabfälle und -behältnisse mit schädlichen Verunreinigungen, vorwiegend organisch" und

b) dem LAGA-Abfallschlüssel 172 14 ­ „Holzabfälle und -behältnisse mit schädlichen Verunreinigungen, vorwiegend anorganisch" zuzuordnen.

Für diese Abfälle sieht die Techn. Anleitung Abfall, sofern keine Verwertungsmöglichkeiten bestanden, zu a) prioritär die Sonderabfallverbrennung und mit Priorität 2 die Hausmüllverbrennung und zu b) prioritär die Sonderabfalldeponie und mit Priorität 2 die Hausmülldeponie vor.

Zu 7: Die BKB hat den gesamten Rückbau der Gleisanlagen ausgeschrieben und vertraglich an Dritte vergeben. Ob und inwieweit es bei der Durchführung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, bleibt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung vorbehalten.

Zu 8 und 9: Die Entsorgung erfolgte nicht in Niedersachsen. Daher konnten die niedersächsischen Behörden erst nach deren Aufdeckung in Sachsen-Anhalt und Information durch die dortigen Behörden reagieren. Eine erste Information erfolgte durch das Staatliche Amt für Umweltschutz Magdeburg Ende Februar 1996.

Zum zeitlichen Ablauf siehe Antwort auf Frage 1.

Zu 10: Eine wirksame Zusammenarbeit der zuständigen Behörden aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hat in unbürokratischer und effektiver Form stattgefunden. Die ersten Kontakte und Maßnahmen erfolgten Ende Februar 1996 (s. Antwort zu Frage 8). Durch die Zusammenarbeit zwischen dem Staatlichen Amt für Umweltschutz Magdeburg und dem Bergamt Goslar wurde u.a. sichergestellt, dass keine weiteren Abtransporte von Bahnschwellen danach erfolgten.

Zu 11: Um zu verhindern, dass Unternehmen auf sogenannte schwarze Schafe hereinfallen, hat sich die Niedersächsische Landesregierung bei der Verabschiedung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ­ KrW/AbfG ­ für die Einrichtung des Instrumentes der Entsorgungsfachbetriebe eingesetzt, das in § 52 KrW/AbfG seinen Niederschlag gefunden hat.

Sie geht davon aus, dass bei der Beauftragung von Entsorgungsfachbetrieben illegale und kriminelle Entsorgungspraktiken nicht stattfinden.