Unterschiede im Jugendvollzug und im Jungtätervollzug

Auch zeigen sich altersbedingte Unterschiede im Jugendvollzug und im Jungtätervollzug. Da in den offenen Vollzug mangels Vollzugseignung (Handel mit Betäubungsmitteln oder Abhängigkeit von harten Drogen) kaum Gefangene aus Aussiedlerfamilien aufgenommen werden können, ergeben sich dort regelmäßig keine besonderen subkulturellen vollzuglichen Probleme.

Insgesamt zeigen sich in unterschiedlich starker Ausprägung folgende Auffälligkeiten:

1. Die Deutschkenntnisse sind bei fast allen Aussiedlern unzureichend, nur selten verfügt jemand über einen deutschen Schul- bzw. Berufsabschluss. Aufgrund der mangelhaften Sprachkenntnisse sind die Aussiedler in der Regel ungeeignet für die Teilnahme an qualifizierenden schulisch-beruflichen Bildungsmaßnahmen in den Anstalten.

2. Bei fast allen Aussiedlern wird die geringe Bereitschaft zu echter Integration deutlich: Regeln des Vollzuges werden durchweg nicht akzeptiert, Kontakte in der Anstalt fast ausschließlich zu mitinhaftierten Aussiedlern, in der Regel wird nur Russisch gesprochen, wenig Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache.

3. Zu beobachten ist eine extreme subkulturelle Aktionsbereitschaft.

4. Es ist eine hohe Gewaltbereitschaft zu beobachten.

5. Aussiedler sind extrem misstrauisch gegenüber allen offiziellen Vertretern von Institutionen bzw. gegenüber allen staatlichen Einrichtungen.

6. Extreme Suchtgefährdung liegt häufig vor.

Die Jugendanstalt Hameln und die Justizvollzugsanstalt Vechta ­ Jungtäteranstalt ­ haben differenzierte Konzepte zur Behandlung und Betreuung der Gefangenen aus Aussiedlerfamilien entwickelt.

­ Spezielle Erstgespräche für Aussiedler in der U-Haft und der Aufnahmeabteilung,

­ Elterngespräche in U-Haft, Aufnahmeabteilung und Strafhaft,

­ besondere Einbindung intakter Familien in die Vollzugsplanung der jungen Aussiedler,

­ spezielles Angebot für Aussiedler im Eingangskurs,

­ Einzelsprachförderung für Aussiedler in qualifizierenden Maßnahmen,

­ besondere Zuweisungskriterien für Arbeitsplatz und Ausbildung,

­ in der Regel maximal 2 Aussiedler in einer Wohngruppe oder Maßnahme (Prinzip der Vereinzelung),

­ in der Regel nicht mehr als zwei Aussiedler in einer qualifizierenden schulischberuflichen Maßnahme,

­ möglichst verbindliche Teilnahme an einer Behandlungsmaßnahme für alle Aussiedler,

­ verbindliche Teilnahme an einer Freizeitmaßnahme,

­ regelmäßige Einzelgespräche in den Vollzugsabteilungen mit allen Aussiedlern, u. a. auch über die Integrationsmöglichkeiten,

­ Überprüfung der Wechselbereitschaft in andere Bezugsgruppen der Anstalt im Rahmen der Erziehungs- und Behandlungsplan-Fortschreibung,

­ in Gegenwart von Bediensteten wird grundsätzlich Deutsch gesprochen,

­ auf negative Verhaltensweisen und Regelverstöße von Aussiedlern wird sehr differenziert eingegangen. Auf Aussiedler, die nicht mitarbeitsbereit sind, wird bei Verletzung von Anstaltsregeln relativ schnell und konsequent reagiert.

Zu 10: Eine hohe Gewaltbereitschaft ist bei einzelnen Aussiedlern vorhanden und findet sich in der Gruppe der Aussiedler häufiger als bei anderen Gefangenengruppen.

Die Frage nach den Ursachen für die höhere Gewaltbereitschaft der Aussiedler kann ohne sozial-psychologische Untersuchungen nicht beantwortet werden. Doch lassen sich folgende Eindrücke aus der Vollzugspraxis wiedergeben: Sehr viele Aussiedler berichten, dass sie persönlich nicht den Wunsch gehabt hätten, aus ihrem Heimatland auszuwandern. Eigentlich sei dies der Wunsch der Großeltern gewesen, den die Eltern durch veränderte politische Bedingungen realisieren konnten. Die jungen Aussiedler mussten in der Regel ungewollt ihr Heimatland auf Initiative ihrer Eltern verlassen. Sie kamen in ein ihnen unbekanntes Land.

Die Folgen waren häufig der Verlust des Freundeskreises, der Verlust der Integration in ein kulturelles System, die Entwicklung einer Außenseiteridentität in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bezeichnung „Russe" in Deutschland macht sie ebenso zum Außenseiter wie die Bezeichnung „Faschist" in ihrem Herkunftsland. Die Aussiedler berichten von vielen neuen Verhaltensunsicherheiten und Konfliktsituationen, mit denen sie nicht gesellschaftlich angemessen umgehen konnten.

Viele Aussiedler aus dem ehemals sowjetischen Bereich berichten, dass körperliche Gewalt in ihrem Heimatland eher eine Methode der Wahl sei als in Deutschland und dass viele Konflikte auf diese Art gelöst würden. Sie hätten gelernt, dass die Gruppe, die körperliche Gewalt am stärksten ausübe oder ausüben könne, sich durchsetze und von anderen respektiert werde.

Zudem berichten Aussiedler häufiger, dass sie das Staatssystem in ihrem Heimatland als eher feindlich, repressiv und gegen ihre Interessen gerichtet erlebt hätten und diese Zuschreibung auf das Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland in gleichem Maße übertragen würden.

In ihren Heimatländern hätten sie sich als Minderheit gegenüber anderen Gruppen abschotten müssen. Diese Technik würden sie gut beherrschen und auf ihre Lebenssituation in Deutschland übertragen.

Zu 11: Im Jugendvollzug der JA Hameln werden seit Januar 1998 Förderkurse als Vollzeitmaßnahme für Aussiedler angeboten; bisher haben 54 Gefangene hieran teilgenommen.

Daneben bietet die JA Hameln seit März 1999 eine Einzelsprachförderung an.

Im Jungtätervollzug der JVA Vechta werden für Untersuchungsgefangene Lernangebote zur Reduzierung von Sprachdefiziten gemacht. Im übrigen Vollzug der JVA Vechta wird motivierten und befähigten Gefangenen ein differenziertes Kurssystem zur Hinführung auf den Hauptschulabschlusskurs angeboten. Dieses Angebot ist auch zum Erwerb der für eine Berufsausbildung erforderlichen Sprachkenntnisse zu nutzen.

Zu 12: In der Jugendanstalt Hameln befinden sich von derzeit 79 Aussiedlern 16 in schulischen und 24 in beruflichen Maßnahmen. In der JVA Vechta befinden sich in der Untersuchungshaft zwei Aussiedler in einem Berufsorientierungsprojekt und in einem Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen. Im übrigen befinden sich 17 von 37 Aussiedlern in schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen.

Zu 13: Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist in der Jugendanstalt Hameln bei über 60 % der jungen inhaftierten Aussiedler eine massive Suchtproblematik zu verzeichnen (Abhängigkeit von harten Drogen bzw. Mehrfachabhängigkeit).

Die Behandlungs- und Betreuungsangebote sind:

1. Teilnahme an der internen Drogentherapie,

2. Möglichkeit der externen Drogentherapie (Planung und Durchführung je nach Antrag, Kostenzusage, Zuweisung eines externen Therapieplatzes und gerichtlicher Entscheidung),

3. Möglichkeiten der Teilnahme am sozialen Training,

4. Teilnahme an speziellen Entlassungsvorbereitungskursen,

5. Möglichkeit von Einzelgesprächen in der Suchtberatung.

Der Anteil der suchtgefährdeten Aussiedler in der Jungtäteranstalt Vechta liegt zwischen ca. 20 und 30 %. Spezielle Betreuungsangebote im Bereich der Drogenhilfe gibt es für Aussiedler nicht.

Für die Aussiedler stehen die üblichen Betreuungsangebote der Suchthilfe in der JVA Vechta zur Verfügung. Sie können interne und externe Beratungskräfte in Anspruch nehmen. Sie können sich in eine Drogentherapie durch interne und externe Beratungskräfte vermitteln lassen. Sie können Gruppenangebote der Suchthilfe in der JVA Vechta in Anspruch nehmen.

Im Jahr 1999 sind bis zum 12. August 1999 bereits sieben Aussiedler (von insgesamt 45 Gefangenen) in eine Drogentherapie außerhalb der JVA Vechta vermittelt worden.

Suchtmittelabhängige Aussiedler können nach entsprechender ärztlicher Indikation am Methadonprogramm teilnehmen. zu 14:

In der JA Hameln gibt es kein speziell auf die Aussiedler abgestimmtes soziales Trainingsprogramm; dort wird aber ein spezieller Integrationskurs für junge Aussiedler entwickelt.

In der JVA Vechta gibt es ein derartiges soziales Training ebenfalls nicht. Die Aussiedler sollen aus Integrationsgründen an dem obligatorischen Programm des sozialen Trainings in der jugendlichen Untersuchungshaft teilnehmen.