JVA

Gesetzentwurf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hannover, den 13. Oktober 1999

Der Landtag wolle das folgende Gesetz beschließen: Ge set z zur Regelung des weihnachtlichen Straferlasses in Niedersachsen § 1 Straferlass:

(1) Strafgefangene, die von einem niedersächsischen Gericht verurteilt wurden und sich seit mindestens zwei Monaten ununterbrochen in Haft befinden, können nach Maßgabe dieses Gesetzes auf Antrag vorzeitig aus Anlaß des Weihnachtsfestes entlassen werden.

(2) Fällt das Strafende in den Zeitraum vom 20. Oktober des laufenden bis 15. Januar des folgenden Jahres, kann der Gefangene bereits am 19. Oktober entlassen werden, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgliche Gründe nicht entgegenstehen.

(3) Nach der Länge der Strafzeit vertretbar bedeutet, dass der erlassene Zeitraum nicht mehr als ein Drittel der vollzogenen Haftzeit betragen darf.

(4) Ist der 19. Oktober ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, so kann der Gefangene an dem diesen Tag vorhergehenden Werktag entlassen werden.

§ 2 Übergangsvorschrift

Für das Jahr 1999 gilt § 1 Abs. 2 nur für Gefangene, deren Strafende in die Zeit vom 20. November 1999 bis 15. Januar 2000 fällt. 2

§ 1 Abs. 4 gilt entsprechend.

§ 3 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeines zum Gesetzentwurf

Es ist seit langem Tradition, Strafgefangene, deren Freiheitsstrafe zu oder kurz nach Weihnachten endet, vor dem Weihnachtsfest zu entlassen. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Bundesländer geht dabei mit weihnachtlichen Sammelgnadenerweisen (sog. Weihnachtsamnestie) über die vergleichsweise restriktive Regelung des § 16 Strafvollzugsgesetz hinaus.

Lediglich in Bayern, Hamburg, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen gibt es keine „Weihnachtsamnestie". Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass Niedersachsen jetzt dem Vorbild der anderen Bundesländer folgt und eine dem Land Berlin vergleichbare Regelung zur „Weihnachtsamnestie" trifft. Dies entspricht nicht nur den sozialen und familiären Bedürfnissen von Gefangenen, deren Entlassung ohnehin unmittelbar bevorsteht, sondern trägt auch im Interesse sozialer Sicherheit dazu bei, das stark belastete Klima in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten für Bedienstete und Gefangene zu verbessern.

a) Gegenwärtig fehlen in Niedersachsen rund 1200 Plätze im geschlossenen Männervollzug. Erst Mitte des Jahres 2000 ist eine erste Entlastung durch den JVA-Neubau in Oldenburg zu erwarten. Der dramatischen Überbelegung der niedersächsischen Strafanstalten muss deshalb auch mit kurzfristig greifenden Strategien zur Haftvermeidung und Haftverkürzung begegnet werden. Hierzu kann auch die „Weihnachtsamnestie", von der in Niedersachsen mindestens 300 Gefangene betroffen wären, einen Beitrag leisten.

b) Insbesondere auch dem Vollzugspersonal, dessen Dienst belastend genug ist, verschafft eine Weihnachtsamnestie mehr Freizeit und Entlastung zur Jahreswende, zumal sich die Dienstplangestaltung für die Feiertage ohnehin stets schwierig gestaltet.

Die vorgezogenen Entlassungen gemäß § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Strafvollzugsgesetz bewirken keine ausreichende Entlastung.

c) Dadurch, dass Niedersachsen keine Weihnachtsamnestie kennt, kommt es jedes Jahr in den Vollzugsanstalten zu einer belastenden Stimmung unter den Gefangenen.

Gefangene, die von Gerichten anderer Bundesländer verurteilt wurden, werden eher entlassen, als solche die durch niedersächsische Gerichte verurteilt wurden, obwohl das Haftende ursprünglich auf demselben Tag lag. In der Vergangenheit hat sich die niedersächsische Justizverwaltung deshalb entgegen bundesweiten Gepflogenheiten sogar geweigert, die (großzügigeren) Gnadenregelungen der anderen Bundesländer in ihren Vollzugsanstalten bekanntzumachen, um die Atmosphäre dort nicht weiter zu belasten. Diese Strategie des Verschweigens kann auf Dauer keinen Erfolg haben. Sie trägt zudem zur zusätzlichen Verbitterung der Gefangenen bei, denen die Möglichkeit eines Gnadengesuchs nicht oder zu spät bekannt wurde.

B. Im Einzelnen:

Zu § 1: Absatz 1: Kollektive Gnadenakte, zu denen auch die weihnachtlichen Sammelgnadenerweise anderer Bundesländer zu rechnen sind, sind zweifelsfrei zulässig und mit dem Sinn und Zweck des Begnadigungsrechtes nach Artikel 36 der Niedersächsischen Verfassung (NV) durchaus vereinbar. Da die Landesregierung jedoch die Auffassung vertritt, daß es sich im Falle der Weihnachtsamnestie nicht mehr um die Ausübung des Begnadigungsrechtes im Einzelfall nach Artikel 36 Abs. 1 NV, sondern um einen allgemeinen Straferlass im Sinne des Artikel 36 Abs. 2 NV handelt, kann und muss der Landtag die Entscheidung selbst treffen. Bei der Weihnachtsamnestie handelt es sich um den allgemeinen Straferlass einer nach allgemeinen Merkmalen bezeichneten Personengruppe.

Das allgemeine Merkmal ist hier der gemeinsame Zeitraum des Entlassungstermins.

Dieser Straferlass, also ein Straferlass für eine allgemein formulierte Vielzahl von Fällen, fällt nicht unter das Begnadigungsrecht des Artikels 36 Abs. 1 NV, sondern bedarf nach Artikel 36 Abs. 2 NV einer gesetzlichen Grundlage.

Einschränkend ist vorgesehen, dass nur die Strafgefangenen vorzeitig nach den Bestimmungen dieses Gesetzes entlassen werden können, die sich seit mindestens zwei Monaten ununterbrochen in Haft befinden. Entsprechende Regelungen (wenn auch mit unterschiedlich langen Haftzeiten) gelten in den Ländern mit „Weihnachtsamnestie", um zu vermeiden, dass insbesondere bei sehr kurzen Strafen, z. B. Ersatzfreiheitsstrafen, durch Manipulation des Haftantritts der staatliche Strafanspruch „ins Leere läuft". Dem gleichen rechtspolitischen Ziel dient die Vertretbarkeitsregelung der Absätze 2 und 3. Absatz 2 regelt zunächst den maßgeblichen Entlassungszeitraum nach dem Vorbild des Landes Berlin. Die weiteren Voraussetzungen der vorzeitigen Entlassung (nach der Länge der Strafzeit vertretbar, fürsorgerische Gründe stehen nicht entgegen) entsprechen § 16 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz. Absatz 3 konkretisiert in Anlehnung an frühere Rechtsvorschriften den Begriff der Vertretbarkeit im Sinne des Absatz 2. Absatz 4 greift gleichfalls entsprechende Bestimmungen des Strafvollzugsrechtes auf.

Zu §§ 2 und 3:

Das Gesetz soll zum nächstmöglichen Termin in Kraft treten. Da der Beratungsverlauf eine umfassende „Weihnachtsamnestie" zum Weihnachtsfest 1999 nicht erwarten lässt, soll mit Rücksicht auf die extreme Überbelegung der niedersächsischen Haftanstalten durch die Übergangsvorschrift des § 2 zumindest eine Teilregelung entsprechend der Situation in Nordrhein-Westfalen erreicht werden.

C. Haushaltsmäßige und sonstige Auswirkungen des Gesetzentwurfs Belange der Umwelt oder von Schwerbehinderten sowie frauenpolitische Belange werden durch den Gesetzentwurf nicht berührt. Der Gesetzentwurf ermöglicht Einsparungen.

Die laufenden Haftkosten in Niedersachsen belaufen sich pro Person und Tag auf 150 DM. Bei (geschätzt) 300 betroffenen Gefangenen und einer durchschnittlichen Haftzeitverkürzung von mindestens zwanzig Tagen errechnet sich eine Einsparung von Haushaltsmitteln in Höhe von jährlich 900 000 DM.