Gepfefferte Polizeieinsätze in Niedersachsen?

Im Juni 1999 hat die Innenministerkonferenz empfohlen, bei den Polizeien des Bundes und der Länder Reizstoffsprühgeräte mit Capsaicin („Pfeffer-Spray") einzuführen.

Mit solchen Reizstoffsprühgeräten kann der synthetische Pfefferwirkstoff mittels gebündeltem Sprühnebel oder Sprühschaum mit einer Reichweite von bis zu zwei Metern auf Gesicht und Augen von Angreifern, Störern und (mutmaßlichen) Delinquenten „verschossen" werden, um diese gezielt außer Gefecht zu setzen. Dabei wirkt das Pfefferspray, das in Waffenkatalogen als „Sergeant Pepper" angepriesen wird, wesentlich schneller, aggressiver, schmerzhafter und länger als etwa CN- oder CS-„Gas", das bislang als Distanzwaffe im Einzelfall zulässig ist. Dem Pfeffereinsatz, der bisher nach deutschem Waffenrecht nur gegen aggressive Tiere erlaubt ist, wird eine sogenannte Mann-Stopp-Wirkung zugeschrieben: Deshalb sei er, so die Begründung für den polizeilichen Einsatz gegen Menschen, insbesondere bei Alkoholisierten, Drogenabhängigen, psychisch Kranken und sehr aggressiven Personen mit hohem Adrenalinausstoß, ein taugliches Abwehrmittel, wie die Erfahrungen u. a. in den USA und in Österreich belegten.

Der Ausstoß des Pfefferwirkstoffes erfolgt fast explosionsartig und belegt die Augen und das Gesicht des Betroffenen. Der Einsatz von Capsaicin führt zu sofortigem Lidschluß, zu Entzündungen der Atemwege, schweren Atembeschwerden und Hautirritationen. In der Literatur wird aber auch als unmittelbare bzw. mittelbare Folgen über kurzfristige Sprachstörungen sowie ­ insbesondere bei geschwächten Personen ­ über Atem- und Kehlkopflähmungen berichtet (vgl. Deutsche Polizei 9/98, S. 29 ff.). Das gesundheitliche Risiko für Asthmatiker, Allergiker und Drogenabhängige ist bislang nicht erforscht.

Die Anschaffung von Pfefferspray wird als ergänzendes polizeiliches Einsatzmittel zwischen Schlagstock und Schußwaffe diskutiert; von einer Ablösung des krebsfördernden und möglicherweise genschädigenden Reiz„gases" CN bzw. CS ist bislang nicht die Rede.

Ich frage die Landesregierung:

1. Ist geplant, die niedersächsische Polizei mit Pfefferspraygeräten auszurüsten, und wenn ja, ab wann?

2. Wie schätzt die Landesregierung die Gesundheitsrisiken von Pfefferspray ein, und auf welche Quellen stützt sie sich dabei?

3. Wie werden die Risiken für Problemgruppen wie Allergiker, Asthmatiker und Drogenabhängige eingeschätzt, und können gesundheitliche Komplikationen wie Atemstillstand ausgeschlossen werden?

4. Hält es die Landesregierung für notwendig, vor Einführung dieses neuen Einsatzmittels Tests oder Modellversuche durchzuführen, um die Risiken des Einsatzes besser abklären zu können?

5. Wie viele Polizeibeamtinnen und -beamte sollen im Falle der Einführung Sprühgeräte erhalten, und welche Polizeieinheiten und -gruppierungen sollen damit ausgerüstet werden?

6. Plant die Landesregierung die Verwendung von Pfefferspray auch im Rahmen von Demonstrationseinsätzen?

7. Sollen die bislang gebräuchlichen CN/CS-Sprühgeräte durch Pfefferspray ersetzt werden?

Reizstoffe (CN oder CS) sind seit vielen Jahren als wirksames Einsatzmittel bei den Polizeien der Länder und des Bundes eingeführt. Sie sind neben dem Wasserwerfer bisher die einzigen Einsatzmittel zwischen Schlagstock und Schusswaffe. Reizstoffe können in verschiedenen Formen gasförmig oder als Flüssigkeit ausgebracht werden. Die am häufigsten angewendete Methode ist der Einsatz des Reizstoffsprühgerätes. Als Distanzeinsatzmittel hat es sich zur Vermeidung des Einsatzes vom Schlagstock oder sogar der Schusswaffe bewährt. In Niedersachsen wird zurzeit ausschließlich der Reizstoff CN beschafft. Hinweise über krebserzeugende oder -fördernde Eigenschaften bzw. zu erbgutverändernden Eigenschaften liegen dafür nicht vor.

Im Juni 1999 hat die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder nach umfangreichen vorhergehenden Erfahrungen mit der Wirksubstanz des Pfeffers in anderen Ländern, wie z. B. in den USA, der Schweiz und Österreich die Einführung von Reizstoffsprühgeräten mit Capsaicin („Pfefferspray") bei den Polizeien des Bundes und der Länder empfohlen. In einigen Bundesländern wird das „Pfefferspray" bereits eingesetzt. Es ist beabsichtigt, im nächsten Jahr beginnend, die Ausstattung der Polizei des Landes Niedersachsen mit Reizstoffsprühgeräten mit Capsaicin/PAVA (Pfeffer) als Wirkstoff nach und nach vorzunehmen.

Capsaicine sind als Bestandteile des Reizstoffes mit der Bezeichnung OC (Oleoresin Capsicum) natürlicher Herkunft oder als PAVA (Pelargonsäurevanillylamid) synthetisch erzeugt. OC ist als Extrakt aus verschiedenen Früchten oder Pflanzen wie Paprika, Cayennepfeffer oder Chillipfeffer ein reines Naturprodukt. Nonivamide, bezeichnet auch als Capsaicin synthetisch, und sein natürliches Analoges Capsaicin werden in der Medizin seit langem eingesetzt.

Reizstoffsprühgeräte können bei Vorliegen der gesetzlichen Grundlagen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Polizei gegen Personen und Tiere eingesetzt werden. Durch einen zielgenauen Sprühstrahl des „Pfeffersprays" bewirkt es auf der Haut und den Schleimhäuten intensives Brennen, Mehrdurchblutung und stechende Schmerzen. Mit einer in einer Technischen Richtlinie definierten Wirkstoffkonzentration, die wesentlich unter der von im Handel erhältlichen Sprays zur Abwehr von Tieren liegt, und entsprechenden Anwendungsvorschriften ist sichergestellt, dass der Gebrauch des „Pfeffersprays" als polizeiliches Einsatzmittel ungefährlich ist, d. h. dass eine kurzzeitige Exposition von geringen Mengen, wie es in diesem Zusammenhang zu erwarten ist, nicht zu irreversiblen Schäden von Atemwegen, Haut oder Augen führt. „Pfefferspray" ist ein geeignetes Einsatzmittel, um die Polizeibeamtinnen und -beamten z. B. vor gewalttätigen Menschen oder angreifenden Tieren zu schützen bei einem gleichzeitig geringen Risiko für die Gesundheit.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu 1: Es ist beabsichtigt, im nächsten Jahr beginnend, die Ausstattung der Polizei des Landes Niedersachsen mit Reizstoffsprühgeräten mit Capsaicin/PAVA (Pfeffer) als Wirkstoff nach und nach vorzunehmen.

Zu 2: Das Gesundheitsrisiko beim Einsatz von „Pfefferspray" wird von dem Polizeitechnischen Institut der Polizeiführungsakademie auf der Grundlage vorliegender Erkenntnisse über die biologische und toxische Wirkung von Capsaicin unter Einhaltung bestimmter Bedingungen als unbedeutend angesehen. Eine kurzzeitige Exposition von geringen Mengen „Pfefferspray" führt nicht zu irreversiblen Schäden von Atemwegen, Haut oder Augen.

Hinweise auf Kurzzeitinhalationstoxizität konnten nicht festgestellt werden; sie liegt damit deutlich unter den Werten für CS. Das Polizeitechnische Institut der Polizeiführungsakademie stützt sich dabei auf Gutachten der Confarma AG, Schweiz, zur „lokalen Verträglichkeit von Nonivamiden", zur „Prüfung der Inhalationstoxizität an Nonivamid/Nonylsäurevanillyamid" und zur „primären dermalen Verträglichkeit an der intakten und skarifizierten Haut von Nonivamid/Nonylsäurevanillyamid" sowie auf umfangreiche Literatur zu toxikologischen und sicherheitspharmakologischen Untersuchungen von Nonivamid und Capsaicin.

Zu 3: Trotz der vorstehend beschriebenen Ungefährlichkeit ist der Gebrauch von „Pfefferspray" nicht völlig risikolos. Eine Risikobewertung geht grundsätzlich von gutem Gesundheitszustand einer erwachsenen Person aus, die u. a. nicht unter Drogeneinfluss steht.

Das Fehlen einer oder mehrerer dieser Voraussetzungen bedeutet nicht zwingend, dass der Gebrauch des „Pfeffersprays" ein unakzeptables Risiko vor dem Hintergrund der Abwehr einer Gefahr darstellt. Bestimmungen zum Einsatz des „Pfeffersprays" werden dieses erhöhte Risiko anlassbezogen minimieren: so soll das „Pfefferspray" außer in Fällen der Notwehr und Nothilfe nicht gegenüber Kindern eingesetzt werden. Besprühte Personen sollen bis zum deutlichen Nachlassen der Wirkung stets beobachtet werden, um im Falle auftretender Komplikationen erforderlichenfalls ärztliche Hilfe anfordern zu können. Insbesondere bei Allergikern und Asthmatikern sind, soweit es zu einem Kontakt der Reizstoffe mit den Atemwegen kommt, Atembeschwerden nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen ist erhöhe Aufmerksamkeit seitens der einschreitenden Beamtinnen oder Beamten gefordert.

Zu 4: Nein, vor Einführung des „Pfeffersprays" ist es nicht erforderlich, Tests oder Modellversuche in Niedersachsen durchzuführen. Umfangreiche Erfahrungen mit „Pfefferspray" in Österreich und den USA belegen die Wirksamkeit des „Pfeffersprays" und die damit verbundene Erwartung, den Einsatz von Waffen reduzieren zu können. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind bekannt; in Österreich kam es seit Einführung des „Pfeffersprays" im Jahr 1996 zu keinerlei längerfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Zu 5: Im Falle der Einführung von „Pfefferspray" ist eine Beschränkung auf bestimmte Einsatzorganisationen der Polizei nicht vorgesehen.

Zu 6: Die Notwendigkeit des Einsatzes von Reizstoffen richtet sich nach dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen über die Anwendung des unmittelbaren Zwangs sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine darüber hinaus gehende Beschränkung auf bestimmte Anlässe ist nicht vorgesehen.

Zu 7: Nein, zurzeit ist eine Einziehung von Reizstoffsprühgeräten mit dem Reizstoff CN nicht vorgesehen.