Bundesumweltminister Trittin beschuldigt Landesregierung im Konrad-Verfahren

In einem von zwei Mitarbeiterinnen auf dem Briefbogen „Jürgen Trittin ­ Mitglied des Deutschen Bundestages" im Namen und Auftrag des Bundesumweltministers Jürgen Trittin verbreiteten Schreiben vom 28. September 1999 werden im Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren des geplanten Atommüllendlagers Schacht Konrad schwerwiegende Behauptungen und Beschuldigungen gegen die Landesregierung und Umweltminister Wolfgang Jüttner erhoben. Diese Behauptungen wurden breit über den internen Kreis der Partei der Grünen hinaus gestreut und sind für die Menschen in der betroffenen Region von erheblicher Bedeutung. Das Rundschreiben ist gerichtet „An die südostniedersächsischen Kreisverbände/Die Vorstände und Fraktionen/An die Landtagsabgeordneten Rebecca Harms, Stefan Wenzel, Brigitte Litfin, Brigitte Pothmer, An den LaVo und den GAK" der Grünen.

Der Text dieses Schreibens lautet: „Den Schwerpunkt unserer letzten Regionalkonferenz am 11. September bildete die Diskussion um Schacht Konrad. Ich sende Euch heute im Rundschreiben ein gemeinsam mit meiner Kollegin Sabine Veth erstelltes Papier, das noch einmal Bezug auf die wichtigsten Aspekte unserer Diskussion in Salzgitter nimmt. Im weiteren geht das Schreiben auch auf die ebenfalls in Salzgitter angesprochenen und von Jürgen auch erläuterten Differenzen zwischen Jürgen und Jüttner ein sowie auf die Einladung Jüttners nach Berlin zu einem bundesaufsichtlichen Gespräch.

Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn ihr diese Information breit an alle Interessenten verteilen könntet. Sehr schön wäre auch, es über z. B. vorhandene Fax-Verteiler an die Ortsverbände weiterzuleiten.

Wenn ihr weitere Fragen habt, wendet Euch bitte an mich im Göttinger Büro oder an Sabine Veth im Berliner Abgeordnetenbüro ­ Rufnummern etc. siehe oben.

Zunächst also, vor allem auch für all diejenigen, die an dem Regionaltreffen am 11. September 1999 in Salzgitter nicht teilnehmen konnten, ein kurzer Blick auf die Sachlage:

1. Die Bundesregierung will ein einziges Endlager für schwach-, mittel- und hochaktive Abfälle. Schacht Konrad ist aber bekanntlich für hochaktiven Müll nie vorgesehen gewesen und dafür auch nicht geeignet.

2. Am 26. August zitiert die taz aus einem vertraulichen Arbeitspapier des Umweltministeriums. Seitdem hat es darum viel Aufregung gegeben. Hintergrund dieses Papiers: Am 7. Juli beauftragte das Bundeskabinett das Umweltministerium eine Arbeitsgruppe einzurichten, zusammen mit dem Wirtschaftsministerium und den beiden Verfassungsressorts Justiz und Innen. Diese Staatssekretärsrunde prüft, welche rechtlichen Möglichkeiten die Bundesregierung hat, entschädigungsfrei aus der Atomenergie auszusteigen. Hierfür erarbeitete das BMU ein internes Arbeitspapier, das festhält, was im Falle eines Dissenses mit den Energieversorgungsunternehmen rechtlich möglich ist. Es handelt sich um eine juristische Stellungnahme des BMU und nicht um ein politisches Strategiepapier.

Kernpunkt dieses Papiers ist die Neubewertung der Sicherheitsrisiken der Atomkraft.

Dies berechtigt den Gesetzgeber, die Betriebsgenehmigung der AKWs zu begrenzen.

Die Laufzeiten können auf 25 Kalenderjahre begrenzt werden ­ entschädigungsfrei.

In diesem Papier werden auch Aussagen zu Schacht Konrad getroffen. Das BMU hat keine eigenen Erkenntnisse über die Sachlage, sondern musste sich dabei auf das stützen, was Niedersachsen ­ die zuständige planfeststellende Behörde ­ übermittelt hat:

In einem Genehmigungsentwurf vom Mai 1998 haben Fachbeamte von Wolfgang Jüttner niedergeschrieben, es gebe keine rechtlichen oder sicherheitstechnischen Gründe, die Genehmigung von Schacht Konrad zu verweigern. Diese Position wurde im Papier des BMU wiedergegeben. Diese dort aufgeführten Einschätzungen sind keine eigenen Einschätzungen der Bundesregierung. Pläne, Schacht Konrad zu genehmigen, stammen aus dem niedersächsischen Umweltministerium. Der niedersächsische Umweltminister Jüttner beschwert sich nun über das, was in seinem eigenen Haus auf seine Weisung aufgeschrieben wurde.

3. Herr Jüttner behauptet immer wieder, das Bundesministerium würde ihn per Weisung zu einer Genehmigung zwingen. Tatsache ist, dass kein Druck des Bundes auf Niedersachsen in Richtung eines positiven Planfeststellungsbeschlusses besteht. Jenes bereits benannte Papier aus dem Bundesumweltministerium, aus dem Wolfgang Jüttner jetzt alles mögliche Falsche herausliest, enthält vielmehr ausdrücklich die Anmerkung, dass bei Schacht Konrad noch zu prüfen ist, ob der Anlage ein neuer, dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechender, strengerer Grenzwert (sog. Störfallplanungswert) zugrunde zu legen ist.

Die Novellierung der Strahlenschutzverordnung mit neuen Grenzwerten wird gerade vom BMU vorbereitet. Anstatt das niedersächsische Ministerium zu einer Genehmigung zu zwingen, hat das Bundesumweltministerium ihm nahe gelegt, bestimmte Fragen im Genehmigungsverfahren noch weiter zu prüfen.

4. Wolfgang Jüttner verlangt vom Bundesumweltministerium, die Weisungen zurückzunehmen, die Angela Merkel ausgesprochen hatte. Tatsache ist: Es gibt keine Weisungen mehr, die für die Lenkung des Verfahrens noch von Bedeutung sind.

5. Schließlich fordern manche, das Bundesamt für Strahlenschutz möge seinen Antrag für ein solches Endlager einfach zurückziehen. Theoretisch ist dieses denkbar. In diesem Fall entstünden aber Rückzahlungsforderungen der Energiewirtschaft in Höhe von 1,4 Milliarden Mark. Das Bundesumweltministerium hält es politisch für abenteuerlich, den Energieversorgungsunternehmen zu einer Milliardensumme ­ von Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen finanziert ­ zu verhelfen, nachdem die Bundesregierung die Subventionen für die Atomindustrie durch die Beseitigung der Steuervorteile bei den Rückstellungen gerade um 17 bis 25 Mrd. DM in den nächsten zehn Jahren gekürzt hat. Zudem hat der Koalitionsvertrag, der von der Bundesdelegiertenkonferenz mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, festgelegt, dass der Atomausstieg entschädigungsfrei geregelt werden soll. Deshalb gilt es auch einen Weg zu beschreiten, der ein Ende von Schacht Konrad möglich macht ­ ohne Rückzahlungen an die Energiewirtschaft leisten zu müssen.

Inzwischen hat das Bundesumweltministerium Wolfgang Jüttner zu einem bundesaufsichtlichen Gespräch geladen. Zu den darauf erfolgten Reaktionen sei noch einmal kurz Stellung genommen. Leider hat auch die in dieser Sache sonst eigentlich gut informierte taz am 25./26. September 1999 einfach die Propaganda aus dem Hause Jüttner wiedergegeben. Die Liste der aufgestellten Behauptungen ist ebenso lang wie abenteuerlich: So wird der Eindruck erweckt, der niedersächsische Umweltminister habe seit einem Jahr auf ein bundesaufsichtliches Gespräch gewartet. Tatsächlich hat es zwischen dem Bundesumweltministerium und dem Land Niedersachsen schon eine Reihe von Gesprächen zu Schacht Konrad gegeben.

Dass Wolfgang Jüttner nun zu einem formellen bundesaufsichtlichen Gespräch geladen wurde, liegt daran, dass seine öffentlichen Erklärungen zu Konrad nicht mit den Tatsachenfeststellungen übereinstimmen, die in dem von ihm vorgelegten Genehmigungsentwurf enthalten sind. Sollte sich in diesen Feststellungen etwas geändert haben, wäre es seine Pflicht gewesen, die Bundesaufsicht davon zu unterrichten.

Falsch ist die Behauptung, der Bundesumweltminister sei der Herr des Verfahrens.

Fakt ist: Planfeststellende Behörde ist Niedersachsen.

Falsch ist die Behauptung, dass Jürgen Trittin über das Bundesamt für Strahlenschutz die Genehmigung für Konrad beantragt hat.

Richtig ist, dass diese Genehmigung Jahre vor Amtsantritt dieser Regierung gestellt wurde.

Falsch ist die immer wieder von Niedersachsen kolportierte Behauptung, es drohe eine Genehmigung für Schacht Konrad.

Fakt ist vielmehr, dass Wolfgang Jüttner selbst im Mai 1998 dem Bundesumweltministerium einen Genehmigungsentwurf zur Zustimmung zugeleitet hat. Richtig ist ferner, dass diese Zustimmung bisher nicht erfolgt ist, sondern dass bis heute das Bundesumweltministerium weitere Prüfungen für notwendig hält. Richtig ist zudem, dass neben dem Genehmigungsentwurf aus dem Hause Jüttner noch weitere SPDnahe Kreise auf die Genehmigung von Konrad setzen. Eine Genehmigung möchte etwa Bundeswirtschaftsminister Müller. Bezeichnend ist, dass lauter Protest hierzu von Wolfgang Jüttner nicht zu hören war. Warum auch, hat Werner Müller doch nur das aufgeschrieben, was Wolfgang Jüttner in seinem Genehmigungsentwurf vorbereitet hat. Der Bundesumweltminister hingegen hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Müllers Idee, Konrad zu genehmigen und dann von dieser Genehmigung über Jahrzehnte keinen Gebrauch zu machen, sprich Schacht Konrad nicht zu nutzen, schlicht rechtswidrig ist.

Absurd ist die Behauptung des Landes Niedersachsen, die von den ehemaligen Ministern Töpfer und Merkel erlassenen Weisungen würden das Land heute noch an einer sachgerechten Prüfung, etwa der Langzeitsicherheit, des Störfallrisikos oder der Transportbelastungen hindern. Bis heute hat es nicht einen Fall gegeben, in dem das Bundesumweltministerium das Land Niedersachsen an irgend einer Prüfung gehindert hat. Tatsächlich ist ein solcher Bedarf aber von Niedersachsen nie angemeldet worden.

Falsch ist schließlich die immer wieder kolportierte Behauptung, dass die Feststellung einer Planrechtfertigung das Land daran hindert, einen negativen Planfeststellungsbeschluss zu treffen. Planrechtfertigung bedeutet lediglich, dass es ein Problem gibt, welches zu lösen ist. Dass es nichtwärmeentwickelnde radioaktive Abfälle gibt, hat nicht einmal Wolfgang Jüttner bestritten. Ob es möglich ist, dieses Problem in Salzgitter zu lösen, ist Gegenstand des laufenden Planfeststellungsverfahrens. Der Bundesumweltminister wird Wolfgang Jüttner nicht daran hindern, von seinem Genehmigungsentwurf aus dem Jahre 1998 abzurücken, wenn neue Erkenntnisse es gebieten.

Der Bundesumweltminister sieht hier noch Prüfbedarf.

Falsch ist deshalb auch die Behauptung, der Bundesumweltminister wolle überhaupt nicht, dass die kritischen Punkte des Endlagers geprüft werden. Richtig ist vielmehr, dass er bei seinem letzten Besuch in Salzgitter explizit weiteren Prüfbedarf angemahnt hat.

Fazit: Es ist offenkundig, dass Wolfgang Jüttner das Endlager Schacht Konrad genehmigen, die Verantwortung dafür aber nicht bei sich und der SPD haben, sondern bei den Grünen und dem Bundesumweltminister abladen möchte. Diese Methode hat schon vor 1967 Jahren bei einem gewissen Pontius Pilatus nicht geklappt." (Die Hervorhebungen entsprechen denen im Originalschreiben)