Stellenbesetzung in der JVA Hannover und der JA Hameln

Durch das vorzeitige Ausscheiden des bisherigen Leiters der Justizvollzugsanstalt Hannover war die höchstdotierte Anstaltsleiterstelle im Strafvollzug in Niedersachsen neu zu besetzen.

Für die Besetzung dieser Planstelle lagen verschiedene Bewerbungen vor. Durch das Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten ist Psychologiedirektor Jesse ­ bisher stellvertretender Leiter der Jugendanstalt Hameln ­ aufgefordert worden, sich zu bewerben. Er ist am 6. Dezember 1999 in die Stelle des Leiters der Justizvollzugsanstalt Hannover eingewiesen worden. Ein weiterer Bewerber hatte beim Verwaltungsgericht Hannover aufgrund dessen Konkurrentenklage erhoben. Die Klage ist von ihm jedoch zurückgenommen worden, nachdem er eine Zusage auf Beförderung erhalten haben soll.

In Folge der Beförderung von Herrn Jesse zum Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt Hannover soll seine Ehefrau ­ bisher teilzeitbeschäftigte Leiterin des Projektes Organisationsentwicklung in der Jugendanstalt Hameln ­ seine Nachfolge als stellvertretende Leiterin der Jugendanstalt Hameln antreten. Frau Jesse wurde bereits mit der kommissarischen Leitung der Jugendanstalt Hameln beauftragt.

Zwischen der Familie Jesse und der Personalreferentin des Justizministeriums besteht offenbar ein freundschaftliches Verhältnis. Die Familie Jesse verbrachte ihren Sommerurlaub im Ferienhaus der Personalreferentin des Justizministeriums in Südfrankreich.

Der Staatssekretär Schneider, niedersächsische Staatskanzlei, hat sich anläßlich der Einberufung einer Arbeitsgruppe von Ministerialbeamten zur Erarbeitung eines Verhaltenskodexes für Beamte zu personellen Interessenverknüpfungen und Günstlingswirtschaft laut „HAZ" vom 29. Oktober 1999 wie folgt geäußert: „Trennen Sie strikt Dienst- und Privatleben. Prüfen Sie, ob Ihre privaten Interessen zu einer Kollision mit Ihren Dienstpflichten führen. Seien Sie Vorbild."

Es war in der Vergangenheit in Niedersachsen nie üblich, dass Stellenbesetzungen in „Familiennachfolge" ohne Ausschreibung erfolgten.

Nachweislich im Juli 1997 hat Herr Jesse als stellvertretender Anstaltsleiter den Auftrag erteilt, in der Jugendanstalt Hameln für sein Privathaus gegen Rechnung sieben Türen im Landhausstil anzufertigen, die krankheitsbedingt und wegen eines Fußbodenschadens im Jesseschen Haus erst von Januar bis Mai 1998 in seinem Haus eingebaut wurden. Den Einbau nahmen Bedienstete mit Gefangenen aus der Jugendanstalt vor. Darüber hinaus sollen in der Justizvollzugsanstalt Hannover auch ein Kinderbett, Schränke und andere Gegenstände angefertigt worden sein, als Herr Jesse dort stellvertretender Leiter war.

Der Erlaß des Justizministeriums vom 8. Juli 1986 verbietet Gefangenenarbeit für Anstaltsleiter und deren ständige Vertreter, weil die notwendige Distanz fehlt, wenn ein leitender Beamter sich der Arbeit von Gefangenen bedient. Nachdem ein Anstaltsleiter wegen persönlicher Vorteilsnahme rechtskräftig verurteilt wurde, hat der Niedersächsische Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten mit Rundverfügung noch einmal ergänzend besonders auf den ausgeschlossenen Personenkreis (Anstaltsleiter, deren ständiger Vertreter, Leiter der Arbeitsverwaltung, dessen ständiger Vertreter und die Bediensteten der Eigenbetriebe) hingewiesen.

Die oben genannten inzwischen öffentlich gewordenen und auch dem Justizministerium zur Kenntnis gebrachten Vorgänge haben bei den Justizvollzugsbediensteten in Niedersachsen zu erheblicher Empörung und Unruhe mit dem Tenor geführt: Die Kleinen werden disziplinarisch verfolgt, und die Großen werden befördert.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie wurde der Konkurrent im Bewerbungsverfahren beurteilt?

2. Wurde der Konkurrent besser beurteilt ­ höher bewertet ­ als der jetzt eingewiesene Herr Jesse?

3. Wie bewertet die Landesregierung die Verstöße von Herrn Jesse gegen den Erlaß des Justizministeriums zur Gefangenenarbeit für Bedienstete im Hinblick auf seine Eignung für Führungsaufgaben?

4. Wie beurteilt sie die oben genannten Verstöße gegen den Erlaß zur Gefangenenarbeit für Bedienstete im Hinblick auf die Vorbildfunktion eines Disziplinarvorgesetzten?

5. Wie bzw. mit welchen Konsequenzen sind in der Vergangenheit Verstöße gegen den oben genannten Erlaß zur Gefangenenarbeit für Bedienstete von Anstaltsleitern, stellvertretenden Anstaltsleitern und Justizvollzugsbediensteten geahndet worden?

6. Wird in Zukunft nachgeordneten Bediensteten zugestanden, Vorschriften außer acht zu lassen? Wenn nein, wie will die Landesregierung dies im Hinblick auf die oben genannten Verstöße von Herrn Jesse gegen den Erlaß des Justizministeriums zur Gefangenenarbeit für Bedienstete in Zukunft rechtfertigen bzw. begründen?

7. Hält die Landesregierung die Aufgaben einer stellvertretenden Anstaltsleiterin mit einer Teilzeitbeschäftigung für vereinbar?

8. Wie bewertet sie die oben beschriebene offensichtliche Interessenkollision bei der Besetzung der Anstaltsleiterstelle in der Justizvollzugsanstalt Hannover auch im Hinblick auf die Aussagen von Staatssekretär Schneider?

Die Kleine Anfrage ist im Wesentlichen identisch mit der Dringlichen Anfrage der Fraktion der CDU ­ Drs. 14/1240 ­, die ich in der Fragestunde des Landtages am 16. Dezember 1999 ausführlich beantwortet habe. Darüber hinaus war die Besetzung der Stelle des Leiters der JVA Hannover auch Gegenstand der vertraulichen Beratungen des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen in seiner Sitzung am 12. Januar 2000, in der Herr Minister Dr. Weber nochmals ausführlich auf das Besetzungsverfahren eingegangen ist.

Um Wiederholungen zu vermeiden, nehme ich hierauf Bezug.

Dem Ausschuss ist zugesagt worden, dass nach Abschluss der Ermittlungen das Ergebnis mitgeteilt werden wird.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Auf die Vorbemerkungen wird verwiesen.

Zu 5: Im Hinblick auf die Tilgungsfristen in § 119 der Niedersächsischen Disziplinarordnung kann zu den längere Zeit zurückliegenden Verstößen gegen den Erlass nur aus der Erinnerung der zuständigen Bearbeiter Stellung genommen werden. Danach hat in der länger als drei Jahre zurückliegenden Zeit in einem Fall ein Anstaltsleiter gegen den Erlass verstoßen. Dieser Verstoß ist, soweit erinnert werden kann, durch eine Missbilligung oder einen Verweis geahndet worden.

Zurzeit sind ein Verfahren gegen einen früheren stellvertretenden Anstaltsleiter und fünf Verfahren gegen andere Justizvollzugsbedienstete anhängig, die noch nicht abgeschlossen sind. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass die Verfahren mit Disziplinarmaßnahmen am unteren Ende der möglichen Sanktionen (Verweis oder geringe Geldbuße) abgeschlossen oder mit einer Missbilligung des Verhaltens eingestellt werden.

Zu 6: Nein. Selbst wenn Psychologiedirektor Jesse gegen Vorschriften verstoßen haben sollte, könnte dies anderen Bediensteten nicht als Rechtfertigungsgrund dienen.

Zu 7: Ja! Gemäß dem Zweck des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes sind Frauen, die sich für Führungspositionen eignen, zu fördern, u. a. durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeitszeit, wenn sie familiäre Verpflichtungen haben. Bei der Jugendanstalt Hameln können mögliche Zeitdefizite im übrigen ohne weiteres durch organisatorische Maßnahmen aufgefangen werden, die von der Anstaltsleitung veranlasst worden sind.

Zu 8: Eine Interessenkollision hat nicht stattgefunden.