Grundschule Artlenburg - gescheitertes reformpädagogisches Modell auf dem Rücken unserer Kinder?

An der Grundschule Artlenburg wird bereits seit über fünf Jahren durch den Schulleiter eine angeblich modernes Unterrichtskonzept unter dem Motto „Freiarbeit" nach den Grundsätzen der sog. Freinet-Pädagogik praktiziert. Nach anfänglicher Zustimmung für ein neues Unterrichtskonzept an dieser Schule ist in den zurückliegenden Jahren der Widerstand gegen die Unterrichtsformen und Methoden dieses Schulleiters durch Eltern und Schüler immer größer geworden. Die Bezirksregierung Lüneburg wurde von Seiten besorgter Eltern mehrfach über die unhaltbaren Zustände in den Schulklassen dieses Lehrers unterrichtet, reagierte jedoch jahrelang nicht und versuchte, die Sorgen und Nöte der Eltern offenbar herunter zu spielen. Insbesondere verschaffte sich die Bezirksregierung Lüneburg nach mir vorliegenden Informationen kein geeignetes Bild von der tatsächlichen Lage vor Ort, sondern verließ sich lediglich auf die Angaben des Schulleiters, der natürlich der Bezirksregierung weiter meldete, dass in seinem Unterricht die Vorgaben der Rahmenrichtlinien erfüllt würden. Mit Schreiben vom 28. Januar 1999 teilt die Rektorin der Orientierungsstufe Scharnebeck mit, dass sich die Leistung der Grundschulkinder aus Artlenburg im Vergleich zu den übrigen 133 Kindern aus anderen Grundschulen im Verhältnis zur Grundschulzensur stark verschlechtert habe.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wann hat die Bezirksregierung Lüneburg und über welchen Zeitraum die Erfüllung des Grundsatzerlasses und insbesondere der Rahmenrichtlinien an der Grundschule Artlenburg besonders in den Klassen des Schulleiters überprüft?

2. Wie erklärt sich die Landesregierung den deutlichen Leistungsunterschied zwischen Grundschulkindern aus Artlenburg, für die der betroffene Schulleiter die Verantwortung trägt, und anderen Grundschulkindern im Bereich der Orientierungsstufe Scharnebeck?

3. Will sie bestreiten, dass vor diesem Hintergrund die betroffenen Grundschulkinder aus Artlenburg schlechtere Bildungschancen haben?

4. Wie beurteilt sie den alleinigen Einsatz von Unterrichtsmethoden und -mitteln der Freinet-Pädagogoik in dieser Grundschule?

5. Gehört zu den gestalterischen Freiräumen eines Klassenlehrers auch der gemeinsame Gang über die zugefrorene Elbe auf eigene Gefahr im Rahmen eines Schulausfluges?

6. Gehört zu den Freiräumen der Freinet-Pädagogik auch die Tatsache, dass geschriebene Klassenarbeiten bis heute nicht mehr auffindbar sind?

7. Welche Maßnahmen wird sie wann und wo ergreifen, um die offensichtlichen Mißstände an der Grundschule Artlenburg zu beseitigen und diesem Schulversuch ein Ende zu bereiten?

Die Qualität von Schule und Unterricht darf nicht nur von Eltern und in der Öffentlichkeit problematisiert werden: Auch die Schule selbst muss sich dieser Frage kontinuierlich stellen. Dazu reicht es jedoch nicht aus, dass die Unterrichtenden selbst von ihrer Arbeit überzeugt sind; es ist vielmehr erforderlich, auch Akzeptanz für die Arbeit bei den Betroffenen innerhalb und außerhalb von Schule herzustellen.

In der einleitenden Bemerkung unterstellt der Fragesteller, dass durch ein „angeblich modernes Unterrichtskonzept" „unhaltbare Zustände" in den vom Schulleiter unterrichteten Klassen entstanden seien, die die Schülerinnen und Schüler in ihrem weiteren Bildungsweg benachteiligten.

Deshalb ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in dem seit 1981 gültigen Erlass „Die Arbeit in der Grundschule" projektorientierte Unterrichtsverfahren, freies Arbeiten und Lernangebote außerhalb der Schule einen hohen Stellenwert haben.

Diesem Ansatz der Grundschularbeit liegen u.a. folgende didaktische Leitgedanken zugrunde:

­ Der Unterricht geht von den beim Kinde vorhandenen Erfahrungen und Erlebnissen, von seinen Erkenntnissen und Fähigkeiten aus.

­ Er ermöglicht dem Kind, soviel selbst zu finden, zu entdecken und einzubringen wie irgend möglich.

­ Er gewährt dem Kind Handlungsspielräume, innerhalb derer es zu neuen Erfahrungen gelangen kann.

­ Er übt in Methoden eigenständigen Erarbeitens ein und erzieht dabei auch zur Überprüfung der eigenen Ergebnisse.

­ Er setzt wechselnde Lernformen - vom Lernen im Spiel über freies Arbeiten bis hin zu lehrgangsorientiertem Unterricht - ein und versucht so kindliches Lernvermögen und schulische Leistungsanforderungen in Einklang zu bringen.

Der Schulleiter der Grundschule Artlenburg arbeitet seit 5 Jahren nach den oben beschriebenen Grundsätzen. Er gestaltet seinen Unterricht methodisch abwechslungsreich zwischen offenen und gebundenen Arbeitsformen. Sein Unterrichtskonzept entspricht den in dem Erlass vorgegebenen Bestimmungen. Es trifft also nicht zu, dass in dem Unterricht von dem Schulleiter ausschließlich Freiarbeit praktiziert wird.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die einzelnen Fragen wie folgt:

Zu 1:

Die Bezirksregierung Lüneburg hat sich in den letzten Jahren mehrfach mit Beschwerden einzelner Eltern über den Unterricht des Schulleiters auseinandergesetzt und Einzellösungen herbeigeführt. Seit August des letzten Jahres bis zum Jahresende erfolgte eine differenzierte Überprüfung von der Bezirksregierung Lüneburg durch die für die Schule zuständige Dezernentin, den für die Orientierungsstufe zuständigen Dezernenten und die Generaliendezernentin für die Grundschulen.

Zu 2: Die in der Fragestellung enthaltene Annahme eines deutlichen Leistungsunterschiedes in der Orientierungsstufe Scharnebeck zwischen ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Grundschule Artlenburg gegenüber den anderen Grundschulen trifft nicht zu.

In den letzten 5 Jahren ergaben sich die folgenden Übergangszahlen von ehemals Artlenburger Grundschülern nach dem Schulbesuch in der OS Scharnebeck: 1994/95 17 Schülerinnen und Schüler: 3 HS / 7 RS / 7 Gymnasium, 1995/96 9 Schülerinnen und Schüler: 4 HS / 2 RS / 3 Gymnasium, 1996/97 9 Schülerinnen und Schüler: 3 HS / 4 RS / 2 Gymnasium, 1997/98 15 Schülerinnen und Schüler: 7 HS / 4 RS / 4 Gymnasium, 1998/99 15 Schülerinnen und Schüler: 1 HS / 7 RS / 7 Gymnasium insgesamt 65 Schülerinnen und Schüler: 18 HS / 24 RS / 23 Gymnasium.

Die Übergänge der ehemaligen Schülerinnen und Schüler der Grundschule Artlenburg von der Orientierungsstufe Scharnebeck in weiterführende Schulen verteilten sich im Zeitraum von 1994 bis 1998 wie folgt: Schulform ehem.Schülerinnen Durchschnitt Duchschnitt Durchschnitt und Schüler der OS Scharne- Reg.Bez. Land NiederGS Artlenburg beck Lüneburg sachsen HS 28, 2 % 27,1 % 28,7 % 28,4 % RS 36,9 % 40,1 % 41,5 % 39,8 %, Gy 35,4 % 32,9 % 29,8 % 31,9 %.

Die Übergänge zur Hauptschule liegen sehr nahe am Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler der OS Scharnebeck und am Bezirks- und Landesdurchschnitt. Die Übergangsquoten zur Realschule und zum Gymnasium sind sowohl gegenüber dem Durchschnitt der OS Scharnebeck sowie auch dem Bezirks- wie auch dem Landesdurchschnitt zugunsten des Gymnasiums verschoben.

Unterrichtshospitationen der für die Grundschule Artlenburg zuständigen Dezernentin und des für die Orientierungsstufe Scharnebeck zuständigen Dezernenten in jeweils 2

Klassen des 5. und 6. Jahrgangs der Orientierungsstufe - mit und ohne ehemalige Artlenburger Schülerinnen und Schüler - zeigten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Leistungsstandes, des Arbeitsverhaltens und des Sozialverhaltens. In Dienstbesprechungen haben dieses Ergebnis die in diesen Klassen unterrichtenden Lehrkräfte bestätigt.

Zu 3: Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Kinder der Artlenburger Grundschule die gleichen Bildungschancen wie andere Schülerinnen und Schüler haben.

Zu 4: Die Freinet-Pädagogik ist besonders für die Grundschularbeit, in der das Prinzip der selbstständigen Erarbeitung durch die Schülerinnen und Schüler Leitgedanke ist, anerkannt. Sie schließt Freiarbeit und gebundene Unterrichtsformen ein. Deshalb lassen sich aus dem Einsatz von Unterrichtsmethoden und -mitteln dieser Pädagogik keine Rückschlüsse auf die Organisation des Unterrichts in dem Sinne ziehen, dass allein Freiarbeit durchgeführt würde.

Unterricht in der Grundschule, der methodisch nur über Freiarbeit liefe, wäre gegebenenfalls zu beanstanden. Nach Einsichtnahme in den Unterricht durch die zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten der Bezirksregierung ist festzuhalten, dass der Unterricht des Schulleiters nicht einseitig auf Freiarbeit ausgerichtet ist. Er wechselt in angemessener Weise zwischen gebundenen und offenen, selbstständigen und angeleiteten Unterrichtsphasen. Der Unterricht entspricht damit dem Erlass und den Rahmenrichtlinien der Grundschule.

Zu 5: Zum Zeitpunkt der Elbbegehung war die Elbe durch das Wasserwirtschaftsamt für die Begehung freigegeben. Der Schulleiter hatte die Schülerinnen und Schüler wie beim Bergwandern an einem langen Seil angeleint, so dass sich kein Schüler unbeobachtet von der Gruppe entfernen konnte.

Zu 6: Die der Fragestellung zugrunde liegende Annahme trifft nicht zu. Die Lernkontrollen aus der 4. Klasse liegen der Bezirksregierung Lüneburg vor.

Zu 7: Die Annahme, an der Grundschule Artlenburg werde ein Schulversuch nach § 22

NSchG durchgeführt, trifft ebenfalls nicht zu. Insofern ist hier auch keine Maßnahme zu ergreifen, um einen Schulversuch zu beenden.

Es gibt keinen Anlass, auf den Unterricht in der Grundschule Artlenburg dahingehend einzuwirken, dass die Unterrichtsmethoden geändert werden müssen.

Insofern ist der Vorwurf eines "offensichtlichen Missstandes" völlig unzutreffend.

Zusammenfassend ist festzustellen:

Der Unterricht wird vom Schulleiter nach den Feststellungen der Bezirksregierung Lüneburg im Rahmen des Grundsatzerlasses und der Richtlinien durchgeführt. Der Schulleiter verfolgt also kein „reformpädagogisches Modell auf dem Rücken der Kinder der Grundschule Artlenburg", auch die Konzeption für das Schulleben ist nicht zu beanstanden. Ferner ist die Mehrheit der Eltern seiner jetzigen Klasse mit dem Unterricht zufrieden.

Es ist aber festzustellen, dass es dem Schulleiter nicht hinreichend gelungen ist, seine Unterrichtsarbeit überzeugend darzustellen und die Betroffenen in das Konzept einzubinden. Hier liegen nach Einschätzung der Bezirksregierung die Ursachen für die zahlreichen Konflikte.

Die Behauptung, dass die Artlenburger Kinder gravierende Leistungsdefizite durch den Grundschulunterricht hätten, entspricht nicht der Realität. Unterschiede gegenüber den anderen Schülerinnen und Schülern sind nicht festzustellen. Durch den Brief der Schulleiterin der Orientierungsstufe an die Eltern vom 28.01.1999 wurde der Konflikt unnötig verschärft. Die Schulleiterin hätte die Problematik mit der Schulbehörde und der Grundschule erörtern müssen.

Es ist das Ziel der Bezirksregierung Lüneburg, bis zum Beginn des nächsten Schuljahres bei dem Schulleiter das Bewusstsein dafür zu wecken, dass er sein pädagogisches Konzept nur in Absprache mit allen an der schulischen Arbeit Beteiligten durchführen kann und die Belange und Vorstellungen der übrigen Kolleginnen und Eltern mit einzubeziehen sind, um möglichst im Konsens zu agieren. Ein angemessenes Leitungsverhalten des Schulleiters soll durch intensive Beratung, Schulung und konkrete Anleitung an Hand von Zielvereinbarungen erreicht werden.