Einsatztaktiken des SEK

Darüber hinaus unterliegen die angewandten Einsatztaktiken des SEK einer besonderen Vertraulichkeit. Daher kann im Detail auch auf das taktische Vorgehen des SEK hier nicht näher eingegangen werden.

Über den Einsatzablauf, wie er von der Polizeidirektion Braunschweig berichtet wurde, ist dem Ausschuss für innere Verwaltung am 12. Januar 2000 in einer vertraulichen Sitzung umfassend berichtet worden. Hieraus ergebende Einzelfragen wurden darüber hinaus am 19. Januar 2000 im Ausschuss für innere Verwaltung beantwortet und erörtert.

Aufgrund der laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen entzieht sich der Sachverhalt derzeit einer abschließenden Bewertung durch die Landesregierung.

Unbeschadet dessen ist aber festzustellen, dass die Polizei in Braunschweig die Situation, wie sie vor Ort festgestellt wurde, als Gefahr für Leib oder Leben des Dr. Dimitrov und auch Dritter beurteilt hat. In einer solchen Gefahrenlage hat die Polizei keinen Ermessensspielraum mehr, ob sie tätig wird oder nicht. Sie kann sich in einem solchen Fall weiteren Maßnahmen nicht entziehen, sondern muss gefahrenabwehrend tätig werden.

Insofern war es folgerichtig, dass, nachdem von der Durchführung des Vollzugshilfeersuchens Abstand genommen worden war, Maßnahmen der Gefahrenabwehr eingeleitet wurden.

Die Polizei in Braunschweig hat sich u. a. dazu entschieden, das SEK zu alarmieren und später auch einzusetzen. Die Entscheidungen hat die Polizei aus der Situation heraus getroffen. Es ist nicht möglich, diese Situation im Nachhinein nachzustellen, um etwa andere denkbare Lösungsvarianten durchzuprüfen. Die Beamten vor Ort sind in der jeweiligen Situation in der Verantwortung, zu entscheiden, und diese Verantwortung kann ihnen auch nicht abgenommen werden.

Daher kann im Nachhinein nur die Frage geprüft werden, ob die getroffenen Entscheidungen rechtlich vertretbar waren oder nicht. Die Landesregierung ist auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen der Auffassung, dass die in Braunschweig getroffenen Entscheidungen rechtlich vertretbar und damit nicht zu beanstanden sind.

Dies vorausgeschickt beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen wie folgt:

Zu 1 bis 4: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

Zu 5: Der Auftrag wurde am 26. August 1999 vom stellvertretenden Stellenleiter der Stadt Braunschweig unterschrieben.

Nachdem der Abschiebungstermin feststand, wurde der Auftrag an die Polizei Braunschweig, Herrn Dr. Dimitrov zur Vorbereitung der Abschiebung festzunehmen, telefonisch vom Vertreter des Stellenleiters der Ausländerbehörde in Absprache mit ihm am 8. Dezember 1999 erteilt.

Zu 6 und 7: Eine Vorbereitung auf diesen konkreten Einsatz erfolgte durch die Polizeiführung nicht.

Dazu gab es im Vorfeld keinerlei Veranlassung, weil das Vollzugshilfeersuchen durch erfahrene, in diesem speziellen Tätigkeitsfeld langjährig tätige Mitarbeiter erfüllt wurde und weil nach den der Polizei vorliegenden Informationen keine außergewöhnliche Problematik erkennbar war.

Im Rahmen dieses Ersuchens war dem zuständigen Fachkommissariat durch die Ausländerbehörde u. a. mitgeteilt worden, dass Dr. Dimitrov für den Fall seiner Abschiebung zuvor bereits Suizidabsichten geäußert habe. Die Inhalte der der Ausländerbehörde vorliegenden Gutachten hingegen waren dem Sachbearbeiter der Polizeidirektion Braunschweig nicht bekannt. Er wusste aber, dass Dr. Dimitrov durch die Ausländerbehörde mehrfach aufgefordert worden war, bei einem Amtsarzt vorstellig zu werden und sich im Hinblick auf eine Suizidgefährdung untersuchen zu lassen. Diesen Aufforderungen war Dr. Dimitrov nicht nachgekommen. Eine entsprechende Bescheinigung der Suizidgefährdung hätte einer Abschiebung als Abschiebungshindernis entgegengestanden. Die ersuchte Dienststelle der Polizeidirektion Braunschweig ging nach aktueller Lagebeurteilung nicht davon aus, dass Dr. Dimitrov seine Suiziddrohung in die Tat umsetzen würde.

Deshalb ist es am 10. Dezember 1999 zur Einsatzdurchführung als Vollzugshilfe für die Ausländerbehörde gekommen. Während des Einsatzes war ein Vertreter der Ausländerbehörde nicht vor Ort.

Der anschließende Einsatz des SEK erfolgte nicht mehr im Rahmen dieses Vollzugshilfeersuchens, sondern zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben für Dr. Dimitrov und andere Personen.

Nach Eintreffen der SEK-Landesbereitschaft am Einsatzort gegen 9.30 Uhr erfolgte eine unverzügliche Kontaktaufnahme des Führers der SEK-Kräfte mit dem örtlichen Polizeiführer. Durch diesen erfolgte eine Lageeinweisung, die neben dem polizeilichen Einsatzanlass auch vorhandene Informationen über den Betroffenen, die Örtlichkeit und bisherige polizeiliche Maßnahmen beinhaltete. An der Lageeinweisung nahmen Vertreter der ebenfalls eingesetzten Verhandlungsgruppe teil.

Die durch die Lageeinweisung gewonnenen Informationen wurden unverzüglich an alle Einsatzkräfte des SEK durch den Bereitschaftsführer weitergegeben und im weiteren Verlauf des Einsatzes lagebedingt fortwährend ergänzt. Die ständige Verbindung zwischen dem Polizeiführer, der Verhandlungsgruppe und dem SEK wurde ab ca. 09.45 Uhr durch den ebenfalls am Einsatzort eingetroffenen Leiter des SEK aufrechterhalten.

Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.

Zu 8: Das SEK wurde gegen 8.50 Uhr alarmiert, um zur Abwehr der Gefahr für Leib oder Leben ggf. gegen den bewaffneten Gefahrenverursacher vorgehen zu können.

Zu 9: Die Beamten des SEK waren u. a. mit der großen Überziehschutzweste mit Tiefschutz ausgerüstet, wodurch auch offensichtlich Stichverletzungen der Beamten verhindert worden sind. U. a. ein Tiefschutz sowie eine Überziehschutzweste wiesen nach dem Einsatz deutliche Spuren eines Messerangriffs auf.

Überziehschutzwesten bieten allerdings keinen absoluten Schutz. Es ist durchaus möglich, zielgerichtet Stiche gegen ungeschützte Bereiche mit Gefahr für Leib oder Leben zu führen.

Zu 10 bis 14: Wie einleitend bereits dargelegt, wurde das SEK nicht zur Durchsetzung einer Abschiebung, sondern zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben eingesetzt. Im Rahmen dieses Einsatzes aufgrund des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes wurde nach derzeitigem Kenntnisstand in einer Notwehrsituation von einem Beamten des SEK die Schusswaffe eingesetzt. Es wurde dabei Munition vom Kal. 9 x 19 mm Parabellum mit Expansions-Monoblockgeschoss, ein sog. Deformationsgeschoss, verwendet.

Im übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.

Zu 15: Die Ausländerbehörde wurde am 21. Dezember 1999 durch die Polizei Braunschweig vom Tode Herrn Dr. Dimitrovs unterrichtet.

Zu 16: Nein.

Zu 17: Das Amtsgericht Braunschweig hat am 22. Dezember 1999 einen Nachlasspfleger für Herrn Dr. Dimitrov bestellt. Der Nachlassverwalter ist auch für die Übernahme der Krankenhauskosten und Beerdigungskosten zuständig. Das Vermögen Herrn Dr. Dimitrovs beträgt ca. 50 000 DM. Die Kosten sind aus dem Nachlass zu begleichen.

Zu 18: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

Zu 19: Nach Mitteilung der Polizeidirektion Hannover wurden SEK-Kräfte nur im Zusammenhang mit Auslieferungen in den Jahren 1995 bis 1999 in drei Fällen tätig. Dabei handelte es sich um Gefangenentransporte im Rahmen von Auslieferungen, in zwei Fällen von der JVA Hannover zum Flughafen Hamburg und in einem Fall von der JVA Celle ebenfalls zum Flughafen Hamburg. Das SEK wird in solchen Fällen nur dann eingesetzt, wenn das aufgrund einer Gefahrenprognose in Hinblick auf die Person oder die der Abschiebung zugrunde liegenden Umstände erforderlich ist.

Ein weiterer Fall, der zwar einen ausländerrechtlichen Hintergrund hatte, aber der ähnlich wie in Braunschweig den Einsatz des SEK aus anderen Gründen erforderlich machte, ereignete sich in Alhorn. Dort hatte ein ausländischer Staatsangehöriger einen Rechtsanwalt als Geisel genommen und die Freilassung seiner in der JVA Vechta in Abschiebehaft einsitzenden Ehefrau gefordert. Der Täter wurde durch Kräfte des SEK Bremen überwältigt. Personen wurden dabei nicht verletzt.

Zu 20: Die Statistik über Schusswaffengebrauch differenziert nicht nach Anlässen polizeilicher Einsätze, sondern nach den gesetzlichen Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs, wie sie in den §§ 76 ff des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes normiert sind.

Von daher kann die Frage nur allgemein zum Schusswaffengebrauch beantwortet werden.B. Schusswaffengebrauch gegen ein fahrendes Kraftfahrzeug.

Zu 21: Nein.

Zu 22: Die gesetzlichen Regelungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 des Ausländergesetzes sind nach Auffassung der Landesregierung ausreichend.

Zu 23 und 24: Die Gewährung von psychologischen und therapeutischen Hilfen an traumatisierte und suizidgefährdete Personen richtet sich in der Regel nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Hiernach wird zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände u. a. die erforderliche ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arzneimitteln sowie sonstiger zur Genesung, Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen gewährt. Dabei sind die Kosten langfristiger Behandlungen, die wegen der voraussichtlich kurzen Aufenthaltsdauer nicht abgeschlossen werden können, grundsätzlich nicht zu übernehmen, es sei denn, dass eine akute Erkrankung oder ein Schmerzzustand vorliegt oder die Behandlung zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist (§ 6 AsylbLG).

Welche Behandlung geboten ist, ist im Einzelfall unter medizinischen Gesichtspunkten zu entscheiden; ggf. ist zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Amtsarzt oder ein Facharzt einzuschalten. Ist danach eine Behandlung erforderlich, wird sie durch entsprechende Ärzte sowie die allen Bürgern offenstehenden Einrichtungen (z. B. Landeskrankenhäuser) gewährleistet. Dies wird als ausreichend erachtet, so dass sich aus diesem Grunde Überlegungen zur Einrichtung eines Behandlungszentrums speziell für Folteropfer erübrigen.

Zu 25: Die Landesregierung kann die Situation, wie sie sich für den verantwortlichen Polizeiführer in Braunschweig dargestellt hat, nicht nachstellen. Ob andere Entscheidungen zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wären Spekulationen, an denen sich die Landesregierung nicht beteiligt.

Die Landesregierung bedauert den tragischen Ausgang des Einsatzes in Braunschweig.

Unabhängig hiervon ist aber festzustellen, dass Dr. Dimitrov durch seine massiven Messerattacken die Ursache für den weiteren Geschehensablauf gesetzt hat.

Zu 26: Die Polizeidirektion Braunschweig hat am 21. Dezember 1999 das Honorarkonsulat der Republik Bulgarien in Hamburg vom Tode Dr. Dimitrovs per Fax unterrichtet; von dort aus ist diese Information einen Tag später an die bulgarische Botschaft in Berlin weitergeleitet worden.

Die Information der Angehörigen obliegt der Botschaft. Unabhängig davon hat die Deutsche Botschaft in Sofia am 2. Februar 2000 die Eltern Dr. Dimitrovs gebeten, sich mit dem Nachlasspfleger in Verbindung zu setzen.