Obligatorische Streitschlichtung

Seit dem 1. Januar 2000 ist das „Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung" in Kraft (vgl. BGBl. vom 21. Dezember 1999, S. 2400 ff.). Mit diesem Gesetz wird der neue § 15 a in das Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (EGZPO) eingeführt. § 15 a eröffnet den Bundesländern die Möglichkeit, in bestimmten zivilrechtlichen Streitfällen den Zugang zu den Gerichten von der Durchführung eines vorgerichtlichen Güteverfahrens abhängig zu machen. Durch Ausführungsgesetze können die Länder solche Schlichtungsverfahren einführen und entsprechend ausgestalten. Dem Vernehmen nach will die Niedersächsische Landesregierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und hat dabei die Absicht, das so genannte obligatorische Schlichtungsverfahren den gemeindlichen Schiedsämtern zu übertragen.

Dieses Vorhaben ist insbesondere bei den kommunalen Spitzenverbänden und den Rechtsanwaltskammern auf massive Kritik gestoßen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Mit wie vielen zusätzlichen Fällen, die ein obligatorisches Schlichtungsverfahren durchlaufen müssen, ist nach Inkrafttreten eines Niedersächsischen Landesausführungsgesetzes zu § 15 a EGZPO in etwa zu rechnen?

2. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Übertragung der obligatorischen Schlichtung auf die kommunalen Schiedsstellen dort einen erheblich höheren Aufwand erzeugen wird und dem nur durch eine erhebliche personelle und organisatorische Verstärkung der Schiedsämter, mit der damit verbundenen Kostenfolge für die Städte und Gemeinden, begegnet werden kann?

3. Teilt sie die Auffassung, dass die gemeindlichen Schiedsämter sowohl fachlich als auch personell mit der neuen Aufgabe überfordert sein werden?

4. Das bisherige fakultative Schlichtungsverfahren nach dem NschiedsG ist (unstreitig) Aufgabe des eigenen Wirkungskreises. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass eine künftige obligatorische Schlichtung als Teil der nach Artikel 92 b Grundgesetz staatlichen rechtsprechenden Gewalt anzusehen und somit dem übertragenen Wirkungskreis der Gemeinden zuzuordnen ist?

5. Geht die Landesregierung (so wie auch der Deutsche Städtetag) davon aus, dass das Ergebnis der zukünftigen Kostenbelastung durch das Landesausführungsgesetz zu § 15 a EGZPO für die Schiedsämter der Gemeinden abzüglich der Einnahmen in den meisten Fällen zu einer Unterdeckung führt, und, wenn ja, zu welchen Lasten soll diese Unterdeckung gehen?

Der Bundesgesetzgeber hat zur Förderung einer Verlagerung der Konfliktbeilegung von den Gerichten auf außergerichtliche Streitschlichtungseinrichtungen in § 15 a des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung (EGZPO) eine Öffnungsklausel zur obligatorischen Schlichtung in zivilrechtlichen Streitigkeiten geschaffen. Das Gesetz ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Die Vorschrift ermöglicht es den Ländern, in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 1500 DM in bestimmten Nachbarrechtsstreitigkeiten sowie bei Ansprüchen wegen Verletzung der persönlichen Ehre außerhalb von Presse oder Rundfunk zwingend ein außergerichtliches Güteverfahren zur Streitbeilegung vorzusehen.

Ob und ggf. in welcher Weise in Niedersachsen die Öffnungsklausel umgesetzt werden soll, ist noch nicht abschließend entschieden. Vorgespräche mit den wichtigsten betroffenen Verbänden haben jedoch deutlich gemacht, dass bei Einführung eines obligatorischen Güteverfahrens voraussichtlich in großem Umfang von der durch §15a Abs.2 Satz1 Nr.5 EGZPO kraft zwingender bundesgesetzlicher Regelung eröffneten Möglichkeit einer Umgehung des obligatorischen Güteverfahrens durch Geltendmachung von Ansprüchen im gerichtlichen Mahnverfahren Gebrauch gemacht werden würde. Damit erscheint es in hohem Maße zweifelhaft, ob die mit einer Umsetzung des § 15 a EGZPO verfolgten Gesetzesziele (Justizentlastung; raschere und kostengünstigere Konfliktbereinigung; dauerhafterer Rechtsfrieden) erreichbar sind. Vor diesem Hintergrund wird zurzeit die Frage geprüft, ob es vorzuziehen wäre, zunächst die Erfahrungen anderer Länder abzuwarten und zu analysieren, bevor ein weitreichender Eingriff dieser Art in das Zivilverfahrensrecht vorgenommen wird.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die Zahl der Fälle im Streitwertbereich bis 1 500 DM und bei den sonstigen Streitigkeiten, die der obligatorischen Schlichtung nach § 15 a EGZPO unterfallen, lässt sich im Vorgriff nicht genau beziffern. Sie hängt u. a. maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung des sachlichen und örtlichen Anwendungsbereiches der obligatorischen Schlichtung in einem Landesausführungsgesetz zu § 15 a EGZPO sowie der Quote der unter Umgehung des Schlichtungsverfahrens direkt im gerichtlichen Mahnverfahren anhängig gemachten Ansprüche ab.

Für eine Prognose der in Niedersachsen zu erwartenden Fallzahlen ist von den Zählkartenerhebungen der Gerichte in Zivilsachen auszugehen. Nach deren Ergebnis betrug im Jahr 1998 die Zahl der amtsgerichtlichen Verfahren mit einem Streitwert bis 1 500 DM, denen kein Mahnverfahren vorausgegangen ist und deren Verfahrensgegenstand in den sich aus § 15 a Abs.1 u. 2 ergebenden sachlichen Anwendungsbereich für eine obligatorische Schlichtung fällt, rund 21 400. Die Zahl der ebenfalls in den sachlichen Anwendungsbereich von § 15 a Abs. 1 und 2 EGZPO fallenden Klagen vor den Landgerichten in Ehr- und Nachbarstreitigkeiten lässt sich aus den Zählkarten nicht entnehmen.

Eine erheblich ins Gewicht fallende Anzahl betreffender Verfahren ist jedoch insoweit nicht zu erwarten. Der Landesgesetzgeber könnte allerdings gemäß § 15 a Abs. 5 EGZPO den sachlichen Anwendungsbereich für die obligatorische Schlichtung beschränken und damit eine Reduzierung der Verfahrenszahlen erreichen. Im Falle einer Umsetzung der Öffnungsklausel des § 15 a EGZPO wäre außerdem eine Beschränkung des in § 15 a Abs. 2 Satz 2 EGZPO vorgegebenen örtlichen Anwendungsbereiches der obligatorischen

Schlichtung in Erwägung zu ziehen, um die Parteien nicht mit unverhältnismäßig hohen Reisekosten und Zeitaufwand für die Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung zu belasten. Würde der Anwendungsbereich gemäß § 15 a Abs. 5 EGZPO räumlich auf im selben Landgerichtsbezirk sowie in aneinander angrenzenden Amtsgerichtsbezirken wohnende Parteien begrenzt, kann nach dem Ergebnis einer bei ausgewählten Gerichten durchgeführten Sonderauszählung davon ausgegangen werden, dass sich die Zahl der für eine obligatorische Schlichtung in Betracht kommenden Fälle auf rund 60 % reduzieren würde.

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass der ganz überwiegende Teil dieser Streitigkeiten kraft zwingender bundesgesetzlicher Regelung auch durch das gerichtliche Mahnverfahren eingeleitet werden kann. Nach dem Ergebnis der Vorgespräche mit den Verbänden ist bei einem erheblichen Anteil der vorgenannten Verfahren, denen bislang kein Mahnverfahren vorausgegangen ist, damit zu rechnen, dass die Parteien nach Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens in das gerichtliche Mahnverfahren ausweichen werden, sodass sich im Ergebnis die Gesamtzahl der in ein obligatorisches Schlichtungsverfahren gelangenden Fälle nochmals deutlich verringern würde.

Zu 2 bis 5: Die unter Ziffer 2 bis 5 angesprochenen Fragen bedürfen keiner Entscheidung, wenn im Hinblick auf die eingangs dargestellten Zweifel an der Erreichbarkeit der Gesetzesziele vorläufig von einer Umsetzung des § 15 a EGZPO abgesehen wird. Die Landesregierung wird deshalb ihre Haltung zu diesen Fragen erst festlegen, wenn abschließend entschieden würde, von der Öffnungsklausel des § 15 a EGZPO Gebrauch zu machen.