Einrichtung „kindgerechter Vernehmungszimmer" in Niedersachsen

Durch die Einrichtung sogenannter kindgerechter Vernehmungszimmer können seit letztem Jahr auch in Niedersachsen sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen künftig in kindgerechten Räumen bei der Polizei aussagen. Erleichtert wird die Aussage auch dadurch, dass die Vernehmung über Videokameras aufgezeichnet wird, die Aufzeichnungen seit Dezember 1998 vor Gericht verwertbar sind und so den missbrauchten Kindern der erneute, direkte Kontakt mit dem Täter erspart bleibt.

In Niedersachsen sollen derzeit landesweit sieben kindgerechte Vernehmungszimmer bei den Polizeiinspektionen Lüneburg, Hameln, Osnabrück, Hannover, Braunschweig und Göttingen eingerichtet worden sein. Die Niedersächsische Landesregierung hatte angekündigt, langfristig alle Polizeiinspektionen im Land mit derartigen Zimmern auszustatten.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Trifft es zu, dass die kindgerechten Vernehmungszimmer inzwischen bei den Polizeiinspektionen Lüneburg, Hameln, Osnabrück, Hannover, Braunschweig und Göttingen vollständig eingerichtet sind und zu Vernehmungszwecken zur Verfügung stehen?

2. Welche weiteren Polizeiinspektionen werden zu welchem Zeitpunkt über weitere kindgerechte Vernehmungszimmer verfügen?

3. Wann werden alle Polizeiinspektionen im Land Niedersachsen mit kindgerechten Vernehmungszimmern ausgestattet sein?

4. Plant die Landesregierung weitere Maßnahmen, Einrichtungen oder Verbesserungen zur kindgerechten Vernehmung sexuell missbrauchter Mädchen und Jungen?

Bei ausgewählten Dienststellen der Polizei des Landes Niedersachsen wurden im Rahmen von zwei Beschaffungsmaßnahmen auf der Basis einer Empfehlung einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Landeskriminalamtes Niedersachsen kindgerechte Vernehmungszimmer eingerichtet und den jeweiligen Polizeibehörden und -dienststellen zur Verfügung gestellt. Derzeit verfügt die Polizei über zwölf derartig eingerichtete kindgerechte Vernehmungszimmer.

Dabei wurden die von den Bezirken vorgeschlagenen Standorte nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten ausgewählt. Als weiteres Kriterium für eine Auswahlentscheidung wurde der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen ein Vernehmungszimmer erreicht werden kann, herangezogen, wobei ­ mit Blick auf die Opfer ­ eine Fahrzeit von maximal 60 Minuten angestrebt wurde. Dabei ist nicht zwingend die Entfernung, sondern auch die infrastrukturelle Anbindung der Dienststelle von Bedeutung.

Die technischen Anlagen und Systeme wurden zentral durch das Polizeiamt für Technik und Beschaffung Niedersachsen beschafft und durch eine Fachfirma installiert.

Dies vorausgeschickt beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Mit Erlass vom 19. November 1998 wurde die Beschaffung der ersten Anlagen eingeleitet. Sie wurden unter Zugrundelegung der o. a. Kriterien bei den Polizeidirektionen in Braunschweig und Hannover sowie bei den Polizeiinspektionen mit Zusatzaufgaben (PI-Z) Göttingen, Hameln, Lüneburg, Oldenburg-Stadt und Osnabrück-Stadt installiert.

Mit Erlass vom 25. Juni 1999 wurden in der zweiten Beschaffungswelle die PI-Z Goslar, Hannover-Land, Verden, Aurich sowie die Polizeiinspektion Cloppenburg versorgt.

Zeitgleich mit der zweiten Beschaffungsmaßnahme wurde beim Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen (BIP NI) ein identisches Vernehmungszimmer für die Aus- und Fortbildung der polizeilichen Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter eingerichtet.

Zu 2: Die zurzeit vorhandenen kindgerechten Vernehmungszimmer wurden bei ausgewählten Polizeiinspektionen mit Zusatzaufgaben, einer Polizeiinspektion und den beiden Polizeidirektionen eingerichtet.

Bei diesen Dienststellen soll zunächst erprobt werden, ob das erstellte Konzept den Erfordernissen entspricht. Sollten die gesammelten Erfahrungen positiv sein, ist mittelfristig geplant, alle 18 Polizeiinspektionen mit Zusatzaufgaben mit entsprechenden Vernehmungszimmern auszurüsten. Dann wird es in Niedersachsen ca. 20 derartige Einrichtungen geben.

Voraussetzung dafür ist neben der Verfügbarkeit der notwendigen Haushaltsmittel (ca. 45 TDM je Vernehmungszimmer) vor allem das Vorhandensein der erforderlichen Raum(zwei geeignete nebeneinanderliegende Dienstzimmer) und Personalressourcen (mind. zwei in der Videovernehmung ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter).

Zu 3: Die Ausstattung aller Polizeiinspektionen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Im Einzelfall werden zur Erreichung der angestrebten Flächenpräsenz aber auch Polizeiinspektionen ohne Zusatzaufgaben (z. B. die Polizeiinspektion Cloppenburg) mit einem kindgerechten Vernehmungszimmer ausgestattet.

Zu 4: Der Schutz von Kindern stellt eine besonders wichtige staatliche und gesellschaftliche Daueraufgabe dar. Die Stärkung von Kinderschutzrechten ist darüber hinaus ein besonderes Anliegen der Niedersächsischen Landesregierung, was bereits in ihrer Leitlinie zu Maßnahmen gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern (Drs. 14/13 S. 20 ff.) zum Ausdruck gekommen ist.

Die Landesregierung hat sich deshalb in der Vergangenheit für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts eingesetzt, die mit einer deutlichen Anhebung der Mindest- und Höchststrafe für den sexuellen Missbrauch von Kindern durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 auch ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Durch das zugleich verkündete Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten ist ein Maßnahmepaket geschaffen worden, durch das in erster Linie dem Rückfall von Straftätern vorgebeugt werden soll. Das Gesetz sieht die vermehrte Unterbringung von Sexualstraftätern in sozialtherapeutischen Anstalten, höhere Anforderungen an die Aussetzung der weiteren Vollstreckung von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln, die vermehrte Einholung von Gutachten, verlängerte Tilgungsfristen im Bundeszentralregister und erleichterte Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vor.

Durch das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz, das am 11. September 1998 in Kraft getreten ist, sind wesentliche Verbesserungen bei der Aufklärung von Sexual- und Gewaltstraftaten zu erwarten und bereits auch schon eingetreten. Danach dürfen Tätern, die Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen haben, zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen werden. Die Körperzellen können molekulargenetisch untersucht und die dadurch gewonnenen DNAIdentifizierungsmuster gespeichert werden.

Die Landesregierung hat sich auch für weitere Reformen zur Verbesserung der Rechtsstellung missbrauchter und vergewaltigter Opfer eingesetzt. Eine Gesetzgebungsinitiative Niedersachsens hat u.a. das Ziel der erleichterten Beiordnung eines sog. Opferanwalts für Opfer von Sexual- und versuchten Tötungsdelikten verfolgt sowie eine schnelle opferschonende Wiedergutmachung bereits innerhalb des Strafverfahrens vorgesehen.

Mit maßgeblicher Unterstützung Niedersachsens ist das Zeugenschutzgesetz zustande gekommen, das am 1. Dezember 1998 in Kraft getreten ist. Danach wird es durch den Einsatz moderner Videotechnik in vielen Fällen möglich sein, kindlichen Opferzeugen mehrfache Vernehmungen im Verlauf eines Strafverfahrens zu ersparen, was nach der vorherigen Fassung der Strafprozessordnung nicht möglich war. Der Justiz stehen für den Doppelhaushalt 1999/2000 zunächst 700 000 DM zur Verfügung, damit an allen elf niedersächsischen Landgerichtsorten sowie in Celle zeugenschutzgerechte Vernehmungszimmer eingerichtet und die technischen Voraussetzungen für die Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen auf Bild-Ton-Träger sowie ihre zeitgleiche Übertragung in einen vom Vernehmungszimmer getrennten Mitwahrnehmungsraum, d. h. in aller Regel den Saal der Hauptverhandlung, geschaffen werden können, um die persönliche Konfrontation des Opfers mit dem Täter und die damit verbundenen psychischen Belastungen der Opferzeugen so gering wie möglich zu halten.

Aber auch bereits im Ermittlungsverfahren wird der Schutzgedanke umgesetzt. Zum 1. September 1990 wurden landesweit bei allen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate zur Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eingerichtet. Dort werden diese Verfahren von besonders qualifizierten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten geführt, die durch zusätzliche Schulungen auf die Vernehmung missbrauchter Kinder vorbereitet werden. Mit Hilfe der Videotechnik wird es in vielen Fällen möglich sein, bereits im Ermittlungsverfahren durch richterliche Vernehmung ein Dokument für die spätere Hauptverhandlung zu schaffen, die es den kindlichen Opferzeugen erspart, sich wiederholt mit den Geschehnissen zu belasten.

Die Niedersächsische Landesregierung ist auch maßgeblich beteiligt an der erst kürzlich erstellten bundeseinheitlichen Handreichung zum Schutz kindlicher Zeugen, die der Praxis in jeder Lage des Strafverfahrens Hilfestellung im schonenden Umgang mit kindlichen Opferzeugen gibt.

Darüber hinaus besteht bereits seit dem 6. Juni 1996 ein für die Landespolizei verbindlicher Runderlass, der polizeiliche Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter in ihrer vorurteilsfreien, sachorientierte und opferschonenden Ermittlungsarbeit, die auf die psychische Belastung der Opfer besondere Rücksicht nimmt, unterstützt.