Konfliktlösung durch planerische Steuerung von Standorten für Tierhaltungsanlagen ­ Entwicklungspotentiale der niedersächsischen Veredelungswirtschaft sinnvoll nutzen

Für die Land- und Ernährungswirtschaft in Niedersachsen nimmt die Tierhaltung eine Schlüsselrolle ein. Insbesondere die Veredelungswirtschaft hat im Rahmen einer langfristigen Entwicklung eine herausragende Bedeutung erlangt. Ein Drittel der in Deutschland produzierten Mengen an Schweinefleisch und Eiern sowie die Hälfte des Geflügelfleisches werden in Niedersachsen erzeugt. Aufgrund spezifischer Standortfaktoren wie Marktnähe und Mangel an wirtschaftlich attraktiven Produktionsalternativen hat sich die Veredelungswirtschaft überwiegend im Nordwesten des Landes etabliert. An diesen Standorten bilden Land- und Ernährungswirtschaft eine Hauptsäule der regionalen Wertschöpfung und des Arbeitsplatzangebotes.

Aufgrund des ökonomischen Drucks, der auf aktuelle Marktentwicklungen in Verbindung mit dem Wandel der agrarpolitischen Rahmenbedingungen (Agenda 2000) zurückzuführen ist, sehen sich landwirtschaftliche Betriebe in zunehmenden Maße dazu gezwungen, neue Einkommenspotentiale zu erschließen. Hier bieten sich für unternehmerisch handelnde Landwirte insbesondere Produktbetriebe an, die innerhalb Deutschland geringe Selbstversorgungsgrade aufweisen und die traditionell nicht Gegenstand staatlicher Marktbeeinflussung sind. Hierzu zählen Schweine und Geflügel. In der Konsequenz führt dies gegenwärtig zu einem deutlichen Anstieg der geplanten Bauvorhaben sowohl in den Kerngebieten der Veredelungsregion als auch in bisher traditionellen Ackerbauund Grünlandregionen. Dadurch treten in den von diesen Entwicklungen betroffenen Gebieten häufig Interessenkollisionen im Hinblick auf die Raumnutzung auf. Dem Interesse der Landwirtschaft, zum Teil in erheblichem Umfang neue Stallkapazitäten errichten zu wollen, stehen andere räumliche Nutzungsansprüche im Hinblick auf Wohnen, Erholung und Freizeit entgegen. Neben ästhetischen Erwägungen im Hinblick auf das Landschaftsbild werden insbesondere gesundheitliche Gefährdungen als Folge luftgetragener Emissionen aus den Stallanlagen befürchtet.

Das geltende Recht eröffnet den Gemeinden über die kommunale Bauleitplanung Möglichkeiten zur Steuerung von Standorten für Tierhaltungsanlagen. Fehlt aber eine vorausschauende Bauleitplanung, können sich für Kommunen erhebliche negative Auswirkungen auf ihre städtebauliche Entwicklungsfähigkeit ergeben.

Die Landesregierung wird daher aufgefordert,

­ die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Frage der Gesundheitsbeeinträchtigungen durch luftgetragene Emissionen aus der Tierhaltung fortzusetzen und zu intensivieren; die bereits vorliegende Informationsbasis muss im Hinblick auf die Tragfähigkeit raumwirksamer Entscheidungen erweitert und vertieft werden, um eine hinreichende Planungs- und Rechtssicherheit für alle Beteiligten, d. h. Kommunen und Landwirte, zu erreichen,

­ darauf hinzuwirken, dass in den von der o. g. Entwicklung betroffenen Kommunen im Rahmen einer vorausschauenden Bauleitplanung die unterschiedlichen Nutzungsinteressen abgeglichen werden; die vorhandenen Möglichkeiten zur planerischen Steue rung von Standorten für Tierhaltungsanlagen müssen genutzt werden; Ziel hierbei muss es sein, die gegenseitige Blockierung der Akteure durch Bau- bzw. Planungsverhinderung zu vermeiden; die rechtzeitige Einbindung landwirtschaftlicher Fachbelange bei der Planung der räumlichen Nutzungsdifferenzierung ist hierbei ein wesentliches Element.

In Umsetzung der Forderung die „wissenschaftlichen Untersuchungen zur Frage der Gesundheitsbeeinträchtigungen durch luftgetragene Emissionen aus der Tierhaltung fortzusetzen und zu intensivieren" beabsichtigt das MFAS gemeinsam mit dem ML, im Regierungsbezirk Weser-Ems ein dreigliedriges Untersuchungsprogramm mit dem Titel „Gesundheitliche Bewertung der Bioaerosole aus Anlagen der Intensivtierhaltung" durchzuführen. Darin sollen die gesundheitlichen Auswirkungen der Stallabluft auf die Anwohnerinnen und Anwohner von Anlagen der Intensivtierhaltung untersucht werden. Die drei Teilprojekte haben die folgenden Schwerpunkte:

- Erfassung und Modellierung der Bioaerosolbelastung im Umfeld von Geflügelställen

- Erhebung des Gesundheitsstatus bei unterschiedlich belasteten Schulkindern

- Querschnittsstudie zu Allergiestatus und Atemfunktion bei unterschiedlich belasteten Personen.

Für das Untersuchungsprogramm wird ein Zeitraum von drei Jahren veranschlagt. Das Finanzierungsvolumen beläuft sich auf insgesamt 2,212 Mio. DM, davon trägt die EU die Hälfte. Die Restfinanzierung erfolgt gemeinsam durch MFAS und ML.

In vielen Städten und Gemeinden, vor allem aber in den Landkreisen Cloppenburg, Vechta und Emsland des Regierungsbezirks Weser-Ems, ist die städtebauliche Entwicklung schon seit Jahren durch vorhandene Groß-Tierhaltungsanlagen erheblich behindert.

Insbesondere die Wohnbauflächenentwicklung ist wegen des Immissionsschutzes vielfach auf wenige Freiräume eingeschränkt.

Seit Anfang 1997 hat sich diese Problematik durch eine stark erhöhte Zahl von Anträgen zur Errichtung von Tierhaltungsanlagen noch verstärkt. Nach den Angaben der Baugenehmigungsbehörden ist die Zahl der Anträge im Regierungsbezirk Weser-Ems auch bis Ende 1999 unverändert hoch gewesen; so liegen z. B. im Landkreis Cloppenburg derzeit annähernd 400 Anträge zur Genehmigung neuer Stallbauten vor.

Die Bauvorhaben werden ausschließlich im unbeplanten Außenbereich errichtet. Eine Steuerung durch Einflussnahme auf die Entscheidungen im Baugenehmigungsverfahren ist nur sehr eingeschränkt möglich, da die beantragten Standorte der Tierhaltungsanlagen erforderliche Immissionsschutzabstände (Gerüche, Lärm) einhalten und im übrigen Gesundheitsgefahren durch Stäube und Krankheitskeime mangels wissenschaftlicher Beweisbarkeit nicht geltend gemacht werden können.

In der betroffenen örtlichen Bevölkerung hat sich eine erhebliche Gegnerschaft gegen Groß-Tierhaltungsanlagen aufgebaut. Auch wenn von kommunalpolitischer Seite die große Bedeutung des Wirtschaftszweiges der Ernährungswirtschaft im Regierungsbezirk Weser-Ems mit ca. 30 % der regionalen Arbeitsplätze keineswegs verkannt wird, fordert diese Seite gleichwohl durchgreifende (verhindernde) Regelungsmöglichkeiten.

Die Landesregierung hat bereits im Jahre 1994 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Konzentration und zur Sicherung der Flächenbindung in der Tierhaltung (BR-Drs. 1089/94) eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel ergriffen, die Wettbewerbsfähigkeit einer flächengebundenen Tierhaltung gegenüber der industriemäßig betriebenen Tierproduktion zu stärken. Nach dem Gesetzentwurf sollten die hohe räumliche Konzentration im Bereich der Tierhaltung zurückgeführt und die damit verbundenen ökologischen und seuchenhygienischen Risiken wirkungsvoll vermindert werden. Der Gesetzentwurf hat im Bundesrat nicht die für die Einbringung erforderliche Mehrheit gefunden.

Im Jahre 1997 wurde im Rahmen der Novellierung des Baugesetzbuches (BauGB) u. a. in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB die Darstellung von so genannten Vorrangflächen im Flächennutzungsplan ermöglicht.

Die dynamische landwirtschaftliche Entwicklung im Regierungsbezirk Weser-Ems und die vermehrt eingegangenen Anfragen zu Großstallanlagen waren Anlass, in der Bezirksregierung einen Arbeitskreis „Bauleitplanung und Tierhaltungsanlagen" einzurichten, dem neben den Mitarbeitern des Baudezernats auch Bedienstete der Landkreise Cloppenburg, Emsland und Vechta, der Städte Damme und Norden sowie der Gemeinde Wangerland angehörten.

Als Ergebnis liegt seit Mai 1999 das Grundlagenpapier „Möglichkeiten zur planerischen Steuerung von Standorten für Tierhaltungsanlagen" als Arbeitshilfe vor. Die Arbeitshilfe enthält Planungsalternativen zur Darstellung von Flächen im Flächennutzungsplan (Steuerungsvarianten).

Im Rahmen einer Dienstbesprechung im Herbst 1999 hat das MFAS mit den Planungsdezernenten der Bezirksregierungen diese Arbeitshilfe erörtert.

Hierzu ist festzustellen, dass insbesondere die Steuerungsvariante 1 der Arbeitshilfe bevorzugt wird:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belange und damit auch sachlich und räumlich hinreichend konkretisierte Darstellungen des Flächennutzungsplanes auch privilegierten Vorhaben i. S. des § 35 Abs. 1 BauGB entgegengehalten werden. Diese Planungsvariante ermöglicht es den Kommunen daher, nach Ermittlung ihres mittel- bis langfristigen städtebaulichen Entwicklungsbedarfs ausreichende Flächen für Wohnen, Gewerbe, Freizeit etc. vor der Inanspruchnahme durch privilegierte Nutzungen (wie beispielsweise landwirtschaftliche oder gewerbliche Tierhaltungsanlagen) zu schützen.

Eine weitere Möglichkeit (Steuerungsvariante 2) besteht in der qualifizierten Darstellung von Sondergebieten für Tourismus und Erholung mit Kernbereichen für hochbauliche Nutzung und denkbaren Begrenzungen des Stör- und Geruchspotentials. In einigen Gemeinden im Raum Weser-Ems werden zurzeit Planungsüberlegungen zur Darstellung derartiger Flächen im Flächennutzungsplan angestrebt.

Die Steuerungsvariante 3 der Arbeitshilfe, die zu einer Darstellung von Vorrangstandorten für die gewerblichen Tierhaltungsanlagen bei gleichzeitigem Ausschluss dieser Vorhaben im sonstigen Gemeindegebiet führt (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB), wird im Bezirk Weser-Ems bisher nicht angewendet. Eine Ursache für die geringe Resonanz dieser planerischen Steuerungsvariante liegt darin, dass privilegierte Vorhaben i. S. von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfasst werden.

Den Gemeinden wird daher dringend geraten, die vorhandenen gesetzlichen Instrumentarien der Bauleitplanung voll auszuschöpfen und durch langfristige Planung und eine entsprechend den Vorschriften des BBauG frühzeitige Beteiligung der von der Planung berührten Behörden und der Öffentlichkeit zu einem möglichst breiten Konsens zu gelangen. Das Grundlagenpapier der Bezirksregierung Weser-Ems „Möglichkeiten zur planerischen Steuerung von Standorten für Tierhaltungsanlagen" gibt dazu Hilfestellungen.

Die Bezirksregierung Weser-Ems hat ihre Beratungstätigkeit verstärkt.

Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf für eine Verschärfung der planungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorhaben der Intensivtierhaltung wird auch von dem hierfür zuständigen Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen nicht gesehen.

Neue planungsrelevante Erkenntnisse über Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit Tiermastanlagen liegen nicht vor.