Sicherung der zahnärztlichen Versorgung in Niedersachsen

Der Landtag stellt fest: Ideologisch motiviert führt die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen nunmehr seit Jahren eine Auseinandersetzung zu Lasten von Patientinnen und Patienten, Zahnarzthelferinnen und -helfern sowie von Zahnärztinnen und Zahnärzten über Höhe und Verteilung der Zahnarzthonorare.

Unter dem Deckmantel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wird die eigentliche Aufgabe der Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung durch einseitige standespolitische Zielvorstellungen insbesondere im Bereich der Einnahmezuwächse ersetzt.

Unter Missachtung rechtsstaatlicher Normen weigerte sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung wiederholt, Entscheidungen der Schiedsstelle des Sozialgerichtes oder des Landessozialgerichtes umzusetzen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. alle rechtlichen Möglichkeiten mit Nachdruck auszuschöpfen, um die Sicherstellung der zahnärztlichen, insbesondere der kassenzahnärztlichen Versorgung zu gewährleisten;

2. durchzusetzen, dass die Honorarverteilung 1999 auf der Basis des rechtsgültigen Schiedsspruches umgehend durch die KZVN erfolgt, damit nicht erneut Zahnarztpraxen und in der Folge Zahnarzthelferinnen und -helfer in Existenznöte geraten;

3. zu prüfen, ob zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Aufgaben der KZVN, wie 1995, erneut ein Staatskommissar eingesetzt werden muss;

4. zu prüfen, ob die jüngsten Anzeigenkampagnen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung aus Sozialversicherungsgeldern finanziert wurden und damit Versichertenbeiträge missbräuchlich eingesetzt wurden;

5. zu prüfen, ob die jüngste Anzeigenkampagne mit der Aufgabenstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu vereinbaren ist und ob die Anzeigen insbesondere hinsichtlich ihrer Wortwahl „Spitzel-Gesetz", „Spanner-Gesetz" strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten;

6. über eine Bundesratsinitiative im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Gesundheitsstrukturreform 2000 der obersten Landesbehörde die Möglichkeit zu eröffnen, in einem gestuften Verfahren

a) festzustellen, dass gemäß § 72 a Abs. 1 SGB V in einem Zulassungsbezirk oder einem regionalen Planungsbereich tatsächlich die zahnärztliche Versorgung nicht mehr gesichert ist, auch wenn weniger als 50 % der Kassenzahnärzte auf ihre Zu lassung nach § 95 b Abs. 1 SGB V verzichtet oder die vertragszahnärztliche Versorgung verweigert haben;

b) den Sicherstellungsauftrag für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr auf die Kassen zu übertragen; die zur Erfüllung des Sicherstellungsauftrages von den Krankenkassen gezahlten Vergütungen werden dabei auf die Gesamtvergütung nach § 85 Abs. 1 SGB V angerechnet;

c) in begründeten Fällen, wie z. B. des permanenten Rechtsbruches, eine kassenzahnärztliche Vereinigung aufzulösen.

Zu den Ziffern 1, 2 und 3:

Am 19.02.1999 beschloss die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) einen Honorarverteilungsmaßstab (HVM), der den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V nicht entsprach. Aus Sicht des MFAS war die vertragszahnärztliche Versorgung der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger gefährdet, weil der HVM die gleichmäßige Verteilung der Vergütung über das gesamte Jahr nicht sicherstellte. In diesem Zusammenhang wurde das Niedersächsische Landesschiedsamt (LSA) von Amts wegen tätig und beschloss am 31.03.1999 einen HVM, der die Vorgaben des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SolG) erfüllte und einen „floatenden Punktwert" vorsah. Gegen diesen Beschluss legte die KZVN Rechtsmittel ein und beschloss am 17.04.1999 durch ihre Vertreterversammlung einen HVM, der im Ergebnis dem HVM vom 19.02.1999 entsprach. Auf dieser Grundlage erfolgte die Honorarverteilung der KZVN für 1999.

In einem förmlichen aufsichtsrechtlichen Beratungsgespräch mit Vertretern des MFAS und der KZVN am 09.06.1999 wurde der KZVN aufgegeben, die Honorarverteilung auf Grundlage des Beschlusses des LSA vorzunehmen. Mit Übersendung des Gesprächsprotokolls am 21.06.1999 forderte MFAS unter Fristsetzung eine entsprechende Erklärung der KZVN und kündigte bei Nichteinhaltung aufsichtsrechtliche Maßnahmen an.

Nachdem das Sozialgericht Hannover mit Beschluss vom 02.08.1999 festgestellt hatte, dass die Klage der KZVN auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses des LSA vom 31.03.1999 keine aufschiebende Wirkung hat, erließ das MFAS am 30.08.1999 eine Aufsichtsanordnung. Diese verpflichtete die KZVN dazu, unverzüglich die Abrechnung der Leistung der vertragsärztlichen Versorgung mit Wirkung vom 01.01.1999 für die Quartale I/99 bis IV/99 auf der Basis des durch Beschluss des LSA vom 31.03.1999 festgesetzten HVM vorzunehmen. Es wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist wurde mit Bescheid vom 11.11.1999 ein Zwangsgeld bei Nichtbefolgung angedroht.

Die KZVN hat die Umsetzung des vom LSA beschlossenen HVM bis heute verweigert.

Auch die mit Beschluss des Niedersächsischen Landessozialgerichts vom 05.04. bestätigte sofortige Vollziehbarkeit der Aufsichtsanordnung konnte die Verantwortlichen der KZVN nicht dazu bewegen, den Beschluss des LSA vom 31.03.1999 umzusetzen.

Die KZVN stützt sich in ihrer Verweigerungshaltung auf ein mathematisches Sachverständigengutachten von Herrn Prof. Dr. Wilhelm Gaus. Danach sei der HVM des LSA rechentechnisch nicht ausführbar.

Dieser Konflikt mündete am 17.04.2000 in die Aufforderung des KZVN-Vorstandes an das MFAS als Aufsichtsbehörde, einen Beauftragten (Staatskommissar) einzusetzen, der die Aufgabe der Honorarverteilung für 1999 übernehmen möge. Da allerdings zu diesem Zeitpunkt der Sicherstellungsauftrag der KZVN für die Versorgung der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gefährdet war, wäre der Einsatz eines Staatskommissars unverhältnismäßig gewesen und war daher abzulehnen. Auch eine weitere Vollstreckung gegen die KZVN durch Festsetzung eines Zwangsgeldes ist aus diesem Grund nicht mehr möglich. Diese rechtliche Würdigung hat nunmehr auch das Landesso zialgericht im Eilverfahren um die Zwangsgeldandrohung vertreten (Beschluss vom 03.08.2000). Vor Abschluss der noch anhängigen Hauptsacheverfahren können daher keine weiteren Vollzugsschritte eingeleitet werden.

Die Verpflichtung der KZVN zur sofortigen Neuberechnung nach dem Schiedsamt-HVM besteht weiterhin. Die Honorarabrechnung 1999 ist nicht in das Belieben der KZVN gestellt. Eine Verweigerung der Aufgabenwahrnehmung - wie mit Schreiben der KZVN vom 17.04.2000 angekündigt - ist rechtlich unzulässig. Das MFAS - wie auch das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht - vertritt die Auffassung, dass eine Berechnung, ggf. durch die sinngemäße Auslegung der Regelungen, ohne weiteres möglich ist.

Nicht zuletzt im Vertrauen auf die oben genannte Aufsichtsanordnung vom 30.08. hat die niedersächsische Zahnärzteschaft ihre vertraglichen Leistungen im Jahre 1999 erbracht. Versorgungsengpässe sind für die Versicherten nicht eingetreten.

Zu Ziffer 4:

Die Anzeigenkampagnen der KZVN wurden nicht aus Sozialversicherungsgeldern finanziert, sondern aus dem „Haushaltstitel 703 01 ­ aktuelle Information in zahnärztlichen Angelegenheiten". Für diesen Titel erhebt die KZVN einen zweckgebundenen Zwangsbeitrag in Höhe von 0,1 % der Honorarabrechnungssumme jedes Pflichtmitgliedes. Für die Finanzierung der Anzeigenkampagnen wurden somit keine Versichertenbeiträge missbräuchlich eingesetzt, sondern die zahnärztlichen Honorare belastet.

Allerdings steht die Rechtmäßigkeit dieses Titels und des Zwangsbeitrages in Frage. Unter dem genannten Titel ist es in den vergangenen Jahren zu einer erheblichen Ansammlung von Geldmitteln gekommen. Das MFAS hat aufsichtsrechtliche Schritte eingeleitet.

In zwei Gesprächen wurde die KZVN darauf hingewiesen, dass die Errichtung dieses Sonderfonds und die Rücklagenbildung haushaltsrechtlich bedenklich sind. Dies ergibt sich auch aus dem Prüfbericht des Landesversicherungsamtes für das Haushaltsjahr 1998.

Die KZVN wurde daher aufgefordert, die Erhebung eines zweckgebundenen Beitrags unverzüglich einzustellen, über die Verwendung der aus diesen Mitteln angewachsenen Rücklagen zu entscheiden und den Haushaltstitel 703 01 aufzulösen. Die KZVN erklärte hierzu, sie werde das Thema auf ihrer Vertreterversammlung im November diesen Jahres behandeln.

Zu Ziffer 5:

Die KZVN hat mit der von ihr betriebenen Anzeigenkampagne das Maß der zulässigen Selbstdarstellung einer Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts überschritten. Im aufsichtsrechtlichen Beratungsgespräch vom 23.11.1999 wurde die KZVN nachdrücklich aufgefordert, zukünftig unsachliche und polemische Äußerungen in der Öffentlichkeit zu unterlassen.

Aus der Anzeigenkampagne „Spitzel-/Spannergesetz" ergeben sich aber keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen strafrechtlichen Tatbestand. Es liegt insbesondere keine Beleidigung im Sinne des § 185 ff. StGB vor.

Zu Ziffer 6:

Aufgrund der späten Verabschiedung der Landtagsentschließung am 17.12.1999 konnte im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Gesundheitsstrukturreform 2000 keine Bundesratsinitiative mehr eingebracht werden. Das Bundesratsverfahren war zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen. Im Zusammenhang mit einer umfassenden Organisationsreform beabsichtigt die Landesregierung, diese Themen wieder aufzugreifen.