Von der schwarzen Null ins schwarze Loch - Wer wusste wann was über die EXPO Kosten?

Angekündigt wurde die EXPO als ein betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher „Sechser im Lotto". Jetzt zeigen sich die Verantwortlichen überrascht, dass unter den Augen der Regierungsvertreter im Aufsichtsrat ein Milliardendefizit erwirtschaftet werden konnte. Wenn jetzt die EXPO-Geschäftsführung und Politiker der „Großen Weltausstellungskoalition" davon sprechen, dass die 40 Millionen Besucher nur als politisch gesetzte, nicht ernst zu nehmende, Zahl gedacht waren, erscheint das als Verkehrung der Abläufe.

Aufsichtsräte von Bund und Land sind in die EXPO GmbH entsandt worden, und sie wurden auch umfangreich von ihren jeweiligen Verwaltungen in ihrer Arbeit unterstützt.

Den Regierungsvertretern im Aufsichtsrat standen Stabsstellen im Finanz- und Wirtschaftsministerium zur Seite, die ständig Einblick in den Geschäftsbetrieb der EXPO haben konnten und die Möglichkeit zur parallelen Kontrolle hatten. Unklar ist nach wie vor, ob und wie die Aufsichtsgremien korrigierend eingegriffen haben. So steht die Aussage des EXPO-Geschäftsführers Reinhard Volk, dass Bund und Land stets vollständig und aktuell über die finanzielle Lage der EXPO informiert wurden, im Widerspruch zum Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, der sich Mitte August d. J. über das Hilfeersuchen der EXPO wegen drohender Zahlungsunfähigkeit völlig überrascht zeigte.

Opfer der vielen Fehlkalkulationen sind nicht nur die zur Kasse gebetenen Steuerzahler, sondern auch die vielen Zulieferer, Gastronomiebetriebe und Unterkunftsanbieter, die durch die Besucherflaute schwere Verluste erlitten haben oder gar in den Konkurs gehen mussten.

Komfortabel vertraglich abgesichert erleben dagegen die großen industriellen Partner das EXPO-Ende: Die Vermarktungs- und Sponsorenbeiträge der Weltpartner wie Coca Cola und Adecco werden wegen des Besucherschwundes nachträglich abgesenkt.

Ein erheblicher zusätzlicher Schaden entstand für die EXPO, weil die Gesellschafter Bund und Land nicht Anfang Juli beim Aufsichtsrat reinen Tisch gemacht haben und alle „Lebenslügen" der Weltausstellung nicht in einem Zuge abgeräumt wurden. So war die Weltausstellung von Anfang Juni bis Mitte August, gut die Hälfte ihrer gesamten Öffnungszeit, vielfacher Kritik und medialem Hohn ausgesetzt, weil an den falschen Planzahlen und Finanzierungskonzepten trotz gegenteiliger täglicher Erfahrung festgehalten wurde.

Besonders Niedersachsen sitzt jetzt in der selbst gestellten Zweckoptimismus-Falle aus der EXPO-Planungsphase. Jetzt erst zeigt sich, wie fahrlässig es war, mit dem Bund eine hälftige Teilung des Defizits zu vereinbaren und die Wirtschaft ganz aus den Risiken zu entbinden.

Niedersachsen hat für die vorgeblichen großen Entwicklungschancen aus der EXPO bereits Milliarden aus den eigenen Verkehrsinfrastrukturmitteln und mehrere hundert Millionen zur Durchführung und Nachnutzung der EXPO zahlen müssen. Die Landesregie rung hätte deshalb schon vor Beginn der Weltausstellung mit dem Bund eine realistische Aufteilung des EXPO-Defizits verhandeln müssen. Die sich inzwischen abzeichnende Neuverteilung mit zwei Drittel Kostenübernahme durch den Bund ist immer noch unangemessen. Nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bundes ist mehr als das 10-fache größer als die des Landes, sondern auch bei der Steuerschöpfung gewinnt Berlin in etwa diesem Verhältnis.

Es war falsch, die Beteiligungsgesellschaft der deutschen Wirtschaft nicht anteilig zu ihrem Geschäftsanteil an der EXPO auch an der Defizithaftung zu beteiligen. Bei 2,4 Mrd.

Schulden wären das für den 20 %-Anteil der Wirtschaft immerhin 480 Millionen DM, die nicht die Steuerzahler aufbringen müssten.

Weil die EXPO betriebswirtschaftlich und steuerlich weit unterhalb der Zielmarke geblieben ist, wird jetzt der vorgeblich überragende volkswirtschaftliche Nutzen in vielen Schlussbilanzen in den Vordergrund geschoben. Aber auch die Arbeitslosenstatistik hatte weder in der EXPO-Bauphase noch in der Durchführungszeit große Erfolge zu vermelden. Das Landesarbeitsamt berichtete zu Beginn der EXPO lediglich von einigen hundert Arbeitskräften, die im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich Arbeit gefunden hätten. Die rechnerische Größe von 100 000 Personen-Jahren, die durch die EXPO-Investitionen insgesamt ausgelöst werden sollten, wurden tatsächlich aus dem Bestand der vorhandenen Beschäftigungsverhältnisse fast spurlos absorbiert.

Die EXPO hatte sich jeglicher Kontrolle entzogen. Weder der Landtag noch die Medien hatten Einblick in das operative Geschäft. Aufsichtsrat und Geschäftsführung tagten vertraulich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Planungsfehler und Schönrechnerei konnten deshalb so lange aufrechterhalten werden, bis es aufgrund der Zahlungsunfähigkeit zum Offenbarungseid kommen musste. Das Hinzuziehen von Wirtschaftsvertretern, begründet mit der 20 %-Beteiligung der Wirtschaft, und die Besetzung der dem Land zustehenden Aufsichtsratsposten mit Wirtschaftsleuten, ohne die Wirtschaft auch ins wirtschaftliche Risiko voll einzubeziehen, war kontraproduktiv.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Ministerien und Abteilungen waren mit wie viel Personen mit der Begleitung der EXPO-Planung und -durchführung in den vergangenen acht Jahren betraut?

2. Von wem wurde wann mit welcher Begründung die Besucherzahl von 40 Mio. zur EXPO 2000 in Hannover ermittelt?

3. Mit welcher Begründung hat die EXPO-Geschäftsführung die Besucherzahl von 40 Mio. gegenüber dem Aufsichtsrat aufrechterhalten, nachdem der Gutachter Roland Berger bereits 1998 diese nicht mehr realistisch fand?

4. Mit welcher Begründung hat die EXPO-Geschäftsführung die Besucherzahl von 40 Mio. aufrechterhalten, nachdem die Rechnungshöfe von Bund und Land diese nicht realistisch fanden?

5. Wie und wann hat der Aufsichtsrat die Plausibilität der Besucherprognosen der EXPO überprüft?

6. Wie wurde das Ziel von 40 Mio. Besuchern insgesamt und damit an Spitzentagen bis zu 400 000 Besuchern, auch von der dann auf dem Gelände noch möglichen Erlebnisqualität her, gegenüber dem Aufsichtsrat begründet und nachgewiesen?

7. Warum wurde im Aufsichtsrat nicht korrigierend eingegriffen, als die EXPO GmbH 1998 den Termin verpasste, um in die internationalen Reiseprospekte 1999/2000 aufgenommen zu werden?

8. Wann und in welchem Umfang hat die EXPO im Ausland Werbung gemacht?

9. Für welche Werbemaßnahmen in der Bundesrepublik sind wann welche Finanzmittel geflossen?

10. Wie bewerteten die Landesregierung und der Aufsichtsrat die Werbung im EXPOVorfeld und der ersten Hälfte der Weltausstellung, und wie bewertet die Landesregierung sie heute?

11. Mit welcher Begründung und wann hat die Landesregierung eine hälftige Defizitaufteilung mit dem Bund vereinbart, und welches Finanzierungsrisiko erwartete sie zu diesem Zeitpunkt?

12. Wie groß sind die gesamten finanziellen Aufwendungen des Landes einschließlich Personalkosten, Polizeieinsatz, GVFG-Mittel, Wohnungsbausondermittel Kronsberg, Aufwendungen für Nachnutzungsoptionen, Bürgschaften für Tochterunternehmen wie Flughafen und Messe usw. im Zusammenhang mit der EXPO-Planung und -Durchführung im Einzelnen bis Ende 2001?

13. Wie groß sind die gesamten finanziellen Aufwendungen des Bundes einschließlich Personalkosten im Zusammenhang mit der EXPO-Planung und -Durchführung im Einzelnen bisher gewesen?

14. Wie hoch ist der Beitrag der Wirtschaft zur Defizithaftung der EXPO, und warum wurde eine Begrenzung auf diese Größe vorgenommen?

15. Sind die Beiträge einzelner Unternehmen an der EXPO Beteiligungsgesellschaft der Wirtschaft steuerlich absetzbar?

16. Sind die Sponsoringbeiträge der Wirtschaft und die Wirtschaftspräsentationen auf der EXPO als Werbungskosten von der Steuer absetzbar?

17. Aus welchen Teilleistungen setzt sich das Sponsoring der Wirtschaft an der EXPO 2000 insgesamt zusammen, und wie hoch waren diese Teilleistungen summarisch zum Abschluss der Veranstaltung?

18. Hält die Landesregierung eine Nachverhandlung mit der Wirtschaft über die Defizithaftung ebenfalls wie mit dem Bund für geboten? Falls nein, warum nicht?

19. Hat die vorher ausgehandelte Begrenzung der Haftung der Beteiligungsgesellschaft der deutschen Wirtschaft das Kontrollinteresse der Wirtschaftsvertreter im Aufsichtsrat eingeschränkt?

20. Wie viele Gastronomiebetreiber, Unterkunftsanbieter, Zulieferer usw. haben durch ihre Geschäfte im Zusammenhang mit der EXPO nach dem Kenntnisstand der Landesregierung Verluste gemacht?

21. Auf welcher Grundlage hat die Landesregierung die verschiedenen Aussagen zum Steuerschöpfungsvolumen aus der EXPO vor der Veranstaltung (über 3 Mrd. DM), während der EXPO (nur 1,5 Mrd. DM) und nach der EXPO (2,7 Mrd. DM) jeweils ermitteln lassen, und wie erklärt sie die Differenzen?

22. Wie groß ist das anteilige Steuerschöpfungsvolumen aus der EXPO nach Ansicht der Landesregierung beim Bund und beim Land Niedersachsen jeweils?

23. Welche öffentlichen und privaten Ausgaben und Investitionen im Zusammenhang mit der EXPO 2000 zählen im Einzelnen aus Sicht der Landesregierung in die Bilanz zum volkswirtschaftlichen Nutzen der EXPO?

Wie hoch waren die öffentlichen und privaten Ausgaben und Investitionen im Vergleich dazu in den vergangenen 10 Jahren in Niedersachen insgesamt und aufgeschlüsselt in Jahresbeträge?

25. Wie stellte sich die Arbeitslosenzahl insgesamt und speziell im Bauhauptgewerbe in der Region Hannover in den Jahren 1998, 1999 und 2000 im Vergleich untereinander und im Verhältnis zu Vergleichsregionen und dem Bundesdurchschnitt dar?

26. Von welchem Finanzierungsverlauf der EXPO ging die Landesregierung Ende Juni 2000 aus?

27. Von welcher Finanzsituation der Weltausstellung ging die Landesregierung unmittelbar vor dem Brief der EXPO GmbH zu ihrer Überschuldung Mitte August 2000 aus?

28. In welchen Abständen und mit welchen Unterlagen wurden Bund und Land, bzw. deren Vertreter im Aufsichtsrat von der EXPO über die wirtschaftliche Situation der Weltausstellung informiert?

29. Sind die Informationen der EXPO-Geschäftsführung an den Aufsichtsrat stets umfassend und korrekt gewesen?

30. Wie viele Personen haben für ihren vorzeitigen Abschied aus der EXPO GmbH eine Abfindung erhalten, und auf welche Höhe addieren sich diese Abfindungen inzwischen insgesamt?

31. Wie viele rechtliche Auseinandersetzungen um gegenseitige Zahlungs- und Leistungsverpflichtungen zwischen der EXPO und Dritten sind bereits gerichtlich anhängig gewesen bzw. stehen noch zur Entscheidung an?

32. Wie hoch sind die Ausgaben und Einnahmen der EXPO GmbH nach dem Kentnisstand der Landesregierung bisher gewesen, und in welcher Höhe liegen noch offene Zahlungsverpflichtungen der EXPO GmbH bzw. Forderungen Dritter gegenüber der EXPO GmbH vor?

33. Wie bewertet die Landesregierung die Erfahrungen mit der Organisationsstruktur der EXPO?