Elektroschockbehandlungen in psychiatrischen Krankenhäusern

Mit Beginn der Psychiatriereform ist die Behandlung psychisch Kranker durch die so genannte Elektroschock- bzw. Elektrokrampfbehandlung immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt gewesen. Betroffene oder ihre Angehörigen berichten über nicht wieder gut zu machende gesundheitliche Schäden infolge solcher Behandlungen. Genannt werden z. B. Gedächtnisverlust und Gehirnschäden sonstiger Art bis zum frühzeitigen Tod.

Obwohl der therapeutische Nutzen der Elektroschockbehandlung als äußerst gering eingeschätzt wird, hält sich eine Reihe von Psychiatrieärztinnen und -ärzten immer noch die Behandlung mit Elektroschockgeräten als letzte Behandlungsoption bei angeblich nicht therapierbaren Patientinnen und Patienten offen.

Von Betroffenen, ihren Angehörigen und Menschenrechtsorganisationen wird die Nichtanwendung von Elektroschocks in der Psychiatrie als eine Frage der Einhaltung von Menschenrechten angesehen, zumal eine solche Behandlung unweigerlich Assoziationen mit den Folterpraktiken diktatorischer Regime hervorruft. Eine Elektroschockbehandlung stellt gerade bei nicht einwilligungsfähigen Personen einen besonders schweren Eingriff in die Persönlichkeit dar, der angesichts der in den letzten 25 Jahren erfolgten öffentlichen und fachlichen Debatte nicht mehr akzeptiert werden kann.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche psychiatrischen Kliniken im Land Niedersachsen halten Geräte zur Elektroschockbehandlung vor?

2. Wie viele Patientinnen und Patienten sind pro Jahr seit 1995 in welcher niedersächsischen Klinik einer solchen Behandlung unterzogen worden?

3. Bei welchen Indikationen kann eine Elektroschockbehandlung durchgeführt werden?

4. Hat es seit der Erarbeitung der Psychiatrie-Enquetekommission Modifikationen bei der Behandlung durch solche Geräte gegeben?

5. Welche Rechte bzw. Schutzrechte hat die Patientin/der Patient, die/der sich gegen eine solche Behandlung zur Wehr setzen möchte bzw. setzt?

6. Gibt es Stellungnahmen der Ethikkommissionen der Medizinischen Hochschule Hannover, der Fakultät für Medizin der Universität Göttingen oder der Ethikkommission der niedersächsischen Ärztekammer zur Frage der Behandlung psychisch Kranker mit Elektroschocks?

7. Gibt es zur möglichen Anwendung der Elektrokrampftherapie Entschließungen der maßgeblichen Psychiatriefachverbände oder der Angehörigenverbände, und was sagen diese aus?

8. Welche Haltung nimmt die Landesregierung zu dieser Behandlung ein, und welche Erlasse hat sie dazu den Leitungsgremien psychiatrischer Kliniken in Niedersachsen bekannt gegeben?

Im Rahmen bundesweiter Anfragen zur Elektrokrampftherapie (EKT) hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels, Bundesministerium für Gesundheit, im Juni 2000 wie folgt Stellung genommen (Auszug): „Die EKT hat sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in der therapeutischen Anwendung einen anerkannten Platz unter der Voraussetzung, dass die strenge Indikationsstellung und die vorgegebene Sorgfalt bei der Durchführung beachtet werden.

Die Indikation wird heute nur noch bei bestimmten psychiatrischen Krankheitsbildern nach Ausschöpfung aller anderen therapeutischen Maßnahmen gestellt oder in vitalbedrohlichen Situationen, die durch andere Maßnahmen nicht mehr beherrschbar sind. Unter diesen Voraussetzungen kommt die EKT als ultima ratio-Therapie bei folgenden Krankheitsbildern zum Einsatz:

­ endogene Depressionen mit hoher Suizidalität, Nahrungsverweigerung, körperliche Erschöpfung oder depressivem Stupor,

­ lebensbedrohlichen Katatonien, die oft einhergehen mit völliger Muskelstarre, Unfähigkeit zur Nahrungsaufnahme und hohem Fieber.

Durch diese sehr strenge Indikationsstellung und verfeinerten technischen Möglichkeiten bei der Durchführung der EKT, die heutzutage nur noch in Vollnarkose und Relaxierung unter der Aufsicht eines Narkosearztes durchgeführt wird, konnten Zwischenfälle gegenüber früheren Jahren so stark reduziert werden, dass sie heute die geringste Sterblichkeit aller Eingriffe, die in Narkose durchgeführt werden, aufweist. Die Sterberate bei der EKT liegt mit 4 Patienten pro 100 000 Einzelbehandlungen unter dem Mortalitätsrisiko eines in Narkose vorgenommenen zahnchirurgischen Eingriffs. Auch die Nebenwirkungen, wie Gedächtnisstörungen, konnten deutlich reduziert werden und sind in der Regel vorübergehender Natur.

Unabdingbare Voraussetzung zur Durchführung einer EKT ist die Aufklärung durch den Arzt und die Einwilligung durch den Betroffenen. Sie muss das Behandlungsziel ebenso verdeutlichen wie Risiken und Nebenwirkungen. Bei nicht bestehender Geschäftsfähigkeit wird im allgemeinen auf die natürliche Einsichtsfähigkeit und Mitwirkung des Patienten abgehoben, bei Bestehen einer durch ein Vormundschaftsgericht eingerichteten Betreuung muss die Einwilligung des Betreuers eingeholt werden. Als Ausnahme werden nur die akut lebensbedrohlichen fibrilen Katatonien (Schizophrenie mit cerebralem Fieber) angesehen, bei denen die rasche Anwendung der EKT eine lebensrettende Maßnahme darstellt."

Dieser Auffassung schließt sich die Landesregierung in vollem Umfang an.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu 1: Geräte zur Durchführung der Elektrokrampftherapie halten folgende psychiatrische Einrichtungen vor: Medizinische Hochschule Hannover, DRK-Krankenhaus Seepark in Langen-Debstedt, Nieders. Landeskrankenhaus Osnabrück, Nieders. Landeskrankenhaus Wehnen, Privatnervenklinik Dr. Fontheim in Liebenburg, Reinhard-Nieter-Krankenhaus Wilhelmshaven, Städtisches Klinikum Braunschweig und Universität Göttingen.

Zu 2: Seit 1995 sind einer Elektrokrampftherapie unterzogen worden: in der MHH Hannover ca. 1 bis 2 Patientinnen/Patienten pro Jahr, im DRK-Krankenhaus Seepark 0 Patientinnen/Patienten, im Nds. Landeskrankenhaus Osnabrück ca. 7 Patientinnen/Patienten pro Jahr, im Nds. Landeskrankenhaus Wehnen 1 Patientin/Patient im Jahr 1995, in der Privatnervenklinik Dr. Fontheim 0 Patientinnen/Patienten, im Städt. Klinikum Braunschweig 3 Patientinnen/Patienten i. d. Jahren 1995, 1997, 1998 und in der Universität Göttingen ca. 3 bis 5 Patientinnen/Patienten pro Jahr.

Eine Sonderstellung nimmt die 1998 in Betrieb genommene psychiatrische Abteilung des Reinhard-Nieter-Krankenhauses in Wilhelmshaven ein, die sich zu einer überregional in Anspruch genommenen zentralen Behandlungsstätte für EKT-Behandlungen entwickelt hat. Dort werden jährlich ca. 30 bis 40 EKT-Behandlungen durchgeführt.

Zu 3: Siehe Vorbemerkun.

Zu 4: Ja. Es hat zahlreiche technische Neuerungen gegeben, die hauptsächlich das Ziel hatten, die Verträglichkeit der Behandlung zu erhöhen und die Dokumentation zu verbessern.

Gegenwärtig wird eine aus den USA eingeführte Kurzpulstechnik angewandt, die wesentlich verträglicher ist als die früher angewandten Verfahren und somit einen deutlichen Fortschritt darstellt.

Die neueste Gerätegeneration hat ein 4-Kanal-EEG-Monitoring, zahlreiche Sicherheitsmenüs und mehrere Indices, die zur Steuerung der Behandlung eingesetzt werden können. Auch die Narkoseverfahren sind durch den Einsatz modernerer Narkotika erheblich verbessert worden.

Zu 5: Siehe Vorbemerkung.

Zu 6: Nein.

Zu 7: Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde hat sich als maßgebliche Fachgesellschaft wiederholt zu einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten und auf einer entsprechenden Indikation beruhenden EKT bekannt und diese als notwendiges Behandlungsverfahren erachtet (Stellungnahme veröffentlicht in Zeitschrift „Der Nervenarzt", 1996, S. 509 bis 514). Entschließungen von Angehörigenverbänden sind nicht bekannt.

Zu 8: Die Nieders. Landesregierung teilt die Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit. Erlasse sind nicht erforderlich, da es sich um ein anerkanntes Behandlungsverfahren handelt und die Durchführung der EKT in der ausschließlichen Verantwortung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes liegt.