Abschiebung möglicherweise entgegenstehende gesundheitliche Gründe

Zu den Mitwirkungspflichten nach § 70 Abs. 1 AuslG gehört auch die Verpflichtung, einer Abschiebung möglicherweise entgegenstehende gesundheitliche Gründe zur Überzeugung der Ausländerbehörde nachzuweisen. Geschieht dies nicht, ist die Abschiebung einzuleiten. Gegen diese Maßnahme kann jederzeit die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt werden, der im Falle des Herrn Dr. Dimitrov jedoch nicht gewährt wurde. Im Übrigen wird auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 (Vorbemerkungen) verwiesen.

Zu 11: Auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 (Fragen 6 und 7) wird verwiesen.

Zu 12: Liegen Umstände vor, die eine durchzusetzende Maßnahme als offensichtlich rechtswidrig erscheinen lassen, besteht keine Pflicht der Polizei, Vollzugshilfe zu leisten.

Die eingesetzten Beamten sind jedoch aufgrund eines rechtmäßigen Vollzugshilfeersuchens der Stadt Braunschweig tätig geworden. Im Rahmen der Vollzugshilfe ist die Polizei nur für die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe verantwortlich, die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme trägt die ersuchende Behörde.

Umstände, die auf eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der durchzusetzenden Maßnahme hätten schließen lassen können, lagen nicht vor. Somit hatte die Polizei die Vollzugshilfe unter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen zu leisten. Die Möglichkeit der Delegierung bestand nicht.

Die Polizei hat den Einsatz im Rahmen der Vollzugshilfe abgebrochen, als sich die Lage so weit entwickelte, dass für Dr. Dimitrov und andere Personen Gefahr für Leib oder Leben bestand. Dennoch besteht für sie in solchen Situationen aus rechtlicher Sicht Handlungszwang. Im konkreten Fall sind Anschlussmaßnahmen auf der Grundlage des NGefAG erfolgt.

Zu 13 und 14: Auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 wird verwiesen.

Zu 15: Die Landesregierung hat eine derartige Behauptung nicht aufgestellt, sondern darauf hingewiesen, dass das Vollzugshilfeersuchen durch erfahrene, in diesem speziellen Tätigkeitsfeld langjährig tätige Mitarbeiter erfüllt wurde.

Zu 16: Im Hinblick auf die angewandten Einsatztaktiken des SEK wird auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 verwiesen. Im Übrigen waren alle Beamten des SEK mit Schutzwesten ausgestattet.

Zu 17: Im Hinblick auf die angewandten Einsatztaktiken des SEK wird auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 verwiesen. Herr Dr. Dimitrov erlitt durch Hundebiss eine Verletzung am linken Bein.

Zu 18: Die Verhandlungsgruppe traf gegen 8.40 Uhr am Einsatzort ein. Die eingesetzten Beamten waren zivil gekleidet und verdeckt bewaffnet. Für Herrn Dr. Dimitrov waren die zu unmittelbaren Gesprächen eingesetzten Beamten Verhandlungspartner.

Analog zum SEK unterliegen die angewandten Einsatztaktiken der Verhandlungsgruppe einer besonderen Vertraulichkeit. Daher kann im Detail auch auf das taktische Vorgehen der Verhandlungsgruppe nicht näher eingegangen werden.

Im Übrigen wird auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 verwiesen.

Zu 19: Es wurden eigene Kräfte für Absperrmaßnahmen angefordert.

Zu 20: Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis wurde am 10.12.1999 auf Wunsch der Verhandlungsgruppe der Polizei von der Ausländerbehörde ausgestellt. Die Ausstellung entbehrte jeglicher Rechtsgrundlage und erfolgte einzig aus dem Bemühen heraus, eine Deeskalation zu erreichen.

Da Herr Dr. Dimitrov die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllte, kam eine Erteilung vor dem Einsatz unter keinem Aspekt in Betracht.

Zu 21: Die Hinzuziehung eines Psychologen wurde seitens der Verhandlungsgruppe nicht für sinnvoll gehalten und deshalb gegenüber dem Polizeiführer nicht angeregt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 18 verwiesen.

Zu 22: Die Sachverhaltsdarstellung in der Frage entspricht nicht den Tatsachen. Richtig ist, dass ein Mitglied der Verhandlungsgruppe und nicht der Einsatzleiter mit Herrn Dr. Graessner ein fernmündliches Gespräch geführt hat. Im Verlaufe dieses Gesprächs wurde die Frage erörtert, ob es sinnvoll sei, dass Herr Dr. Graessner selbst mit Herrn Dr. Dimitrov telefoniere. Nach Angaben der Verhandlungsgruppe ist diese Frage aber nicht ernsthaft als wirksame Möglichkeit zur Entspannung der Lage diskutiert worden, und Herr Dr. Graessner hat die Herstellung eines solchen Kontaktes durch die Polizei nicht gefordert.

Unabhängig davon war Herrn Dr. Dimitrov mitgeteilt worden, dass die von ihm auf dem Zettel notierte Telefonnummer angewählt und Herr Dr. Graessner erreicht worden sei. Er reagierte hierauf jedoch nicht. Im Verlaufe des gesamten Einsatzes zeigte er auch trotz wiederholter Hinweise, er habe die Möglichkeit, den von ihm doch offenbar gewünschten Kontakt mit Herrn Dr. Graessner aufzunehmen, keinerlei Interesse mehr an der Person Herrn Dr. Graessners oder an seiner Telefonnummer.

Die Landesregierung bewertet diesen Sachverhalt dahingehend, dass Herr Dr. Dimitrov einen telefonischen Kontakt mit Herrn Dr. Graessner nicht mehr wünschte.

Zu 23: Herr Dr. Graessner riet auf Anfrage in dem Gespräch mit der Verhandlungsgruppe dazu, den Leiter der Ausländerbehörde nicht einzuschalten, weil sein Erscheinen möglicherweise heftige Reaktionen bei Herrn Dr. Dimitrov auslösen könne. Der Empfehlung wurde entsprochen.

Zu 24: Die Gespräche mit Herrn Dr. Graessner sind nicht aufgezeichnet worden. Für eine Aufzeichnung dieser Gespräche gibt es keine Rechtsgrundlage. Eine „Zeugenvernehmung" Herrn Dr. Graessners ist nicht beabsichtigt.

Zu 25: Auch für die Angehörigen des SEK besteht die Möglichkeit, zur Aufarbeitung des Einsatzes Hilfe von Fachleuten in Anspruch zu nehmen. Von diesem Angebot hat der an dem Einsatz beteiligte Beamte, der den Schuss auf Herrn Dr. Dimitrov abgegeben hat, Gebrauch gemacht und sich an das Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter (PPS) der Polizeidirektion Hannover gewandt. Darüber hinaus hat die gesamte Gruppe an einem Seminar teilgenommen, um den Schusswaffengebrauch gemeinsam auch unter psychologischen Aspekten aufzuarbeiten.

Zu 26: Eine zwangsweise Begutachtung durch Amtsärzte findet in Niedersachsen nicht statt. Bescheinigungen von Fachärzten, Psychotherapeuten oder Psychologen über eine vorliegende Traumatisierung werden anerkannt, wenn sie bestimmte Mindestanforderungen erfüllen (vgl. Rd.Erl. MI v. 15.12.2000 ­ 45.31-12230/1-1 [§ 32] N 4 -). Erfüllen fachärztliche Bescheinigungen diese Mindestanforderungen nicht oder bestehen begründete Zweifel an einer vorgetragenen und ärztlich bescheinigten Traumatisierung, sollen

- möglichst unter Beteiligung der Amtsärzte - die Landeskrankenhäuser eingeschaltet und um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten werden. Daneben können die Bezirksstellen der Ärztekammer Niedersachsen um Unterstützung bei der Benennung von geeigneten Ärzten für eine gutachterliche Stellungnahme gebeten werden.

Im Übrigen wird auf die Antwort der Landesregierung vom 29.02.2000 verwiesen.

Zu 27: Nach Angaben des Gesundheitsamtes der Stadt Braunschweig werden dort solche Begutachtungen ausschließlich von Fachärzten für Nervenheilkunde durchgeführt, die im sozial-psychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes tätig sind.

Dieses Verfahren ist nach den Erkundigungen des Fachressorts grundsätzlich im gesamten niedersächsischen Bereich bei der Umsetzung des Asyl- und Ausländerrechts gängig.

Gutachterliche Stellungnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit Abschiebungsfragen, werden von den Ärztinnen und Ärzten in den Gesundheitsämtern im Rahmen einer internen gutachterlichen Amtshilfe und der üblichen Nutzung vorhandener Fachkompetenzen erstellt.

Den Gutachtern steht dabei die aktuelle Fachliteratur zur Verfügung, so z. B. auch eine Materialsammlung der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.

Zu 28: Mit Ausnahme der JA Hameln und der JVA Wolfenbüttel liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.

In der JA Hameln war der Anstaltspsychiater bei zwei Gefangenen im Sinne einer Sachverständigenstellungnahme beteiligt. Hierbei handelte es sich um einen niederländischen und einen polnischen Abschiebungsgefangenen.

In der JVA Wolfenbüttel wurden vereinzelt Abschiebungsgefangene zur Feststellung der Haftfähigkeit auch psychiatrisch untersucht.

Statistische Angaben liegen nicht vor.

Zu 29: Ein derartiger Fall ist nicht aufgetreten.

Zu 30: Die Untersuchungen erstrecken sich lediglich auf die Frage der Haftfähigkeit und der Reisefähigkeit. Statistische Angaben hierzu liegen nicht vor.

Zu 31: Auf die Antwort der Landesregierung zur Kleinen Anfrage des Fragestellers vom 16.02.2000 zur Praxis der Durchführung und Anordnung von Abschiebungshaft in Niedersachsen wird verwiesen.

Darüber hinausgehende statistische Angaben liegen nicht vor.

Zu 32: Mit Beschluss vom 21.12.1999 hat das Verwaltungsgericht Berlin einem bosnischen Staatsangehörigen kroatischer Volkszugehörigkeit, der sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach fünf Suizidversuchen in stationärer Krankenhausbehandlung befand, vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf seiner Duldung gewährt. Die Entscheidung beruhte maßgeblich auf der damaligen Praxis der Berliner Ausländerbehörde, in allen Fällen einer Geltendmachung einer Kriegstraumatisierung mit Krankheitswert ohne jede Differenzierung eine polizeiärztliche Untersuchung durchzuführen. Das Gericht hat dazu festgestellt, dass die Entscheidung, alle rund 800 Bürgerkriegsflüchtlinge, die eine Kriegstraumatisierung unter Vorlage privatärztlicher Atteste geltend gemacht hatten, ohne Einzelfallprüfung generell einer polizeiärztlichen Untersuchung zu unterziehen, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen das Übermaßverbot verstoße. Zudem war zu diesem Zeitpunkt in allen bislang gerichtlich überprüften Fällen das Ergebnis der polizeiärztlichen Untersuchung durch gerichtliche Sachverständige widerlegt worden, woraus das Gericht auf eine mangelnde Qualifikation der Polizeiärzte geschlossen hat.

Eine derartige Praxis gibt es in Niedersachsen nicht und hat es nie gegeben. Weitergehende Schlussfolgerungen ergeben sich für die Landesregierung aus dieser Entscheidung daher nicht.

Zu 33: Eine Umfrage des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales hat ergeben, dass sich am 06.11.2000 in den niedersächsischen Landeskrankenhäusern fünf Asylbewerberinnen und 15 Asylbewerber befanden.

Angaben über die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die eine ambulante Therapie erfahren, liegen nicht vor und könnten nur durch eine landesweite Umfrage bei den Kommunen als zuständige Leistungsträger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermittelt werden. Hierauf wurde angesichts des unverhältnismäßig großen Aufwandes verzichtet.

Zu 34: Nach Auskunft des Nachlasspflegers wird das verbliebene Vermögen Herrn Dr. Dimitrovs an die Erben ausgezahlt, sobald ein Erbschein vorliegt. Bislang ist dies nicht der Fall.