Kriminalisierung der Jäger durch Überregulierungen der Europäischen Kommission?

Der Deutsche Jagdschutzverband (DJV) hat die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Zusammenfassung und Neuordnung der Lebensmittelhygienevorschriften kritisiert. Von diesen Novellierungsvorschlägen betroffen ist auch die EU-Wildbretrichtlinie, die dem deutschen Recht zugrunde liegt.

Die derzeitige Rechtslage sieht so aus, dass der Jagdausübungsberechtigte Wild an Endverbraucher, Gaststätten, Hotels etc. oder an den Wildeinzelhandel abgeben darf, wenn er keine bedenklichen Merkmale am Tier festgestellt hat.

Nach den Vorschlägen der EU-Kommission wäre es zukünftig nur noch erlaubt, entweder das Wild zum Direktverbrauch im eigenen Haushalt zu verwenden oder es zu einem Wildverarbeitungsbetrieb zu befördern, der dann die Vermarktung durchführt.

Sogar das „Kleine Jägerrecht", also die Organe Herz, Lunge, Leber, Nieren und Milz, müssen die Jäger nach den Vorstellungen der EU-Kommission beim Wildverarbeitungsbetrieb abgeben. Außerdem sieht die EU-Kommission eine Registrierung der Betriebsstätte des Jägers und eine Buchführungspflicht zum Nachweis der Herkunft des Wildes vor. Alle genannten Änderungen würden sich sowohl auf Haar- als auch auf Federwild beziehen.

Der DJV ist der Auffassung, dass es verheerende Auswirkungen auf den Wildbretmarkt in Deutschland hätte, wenn die vorgesehene Änderung in geltendes Recht umgesetzt würde. Außerdem wird durch die generelle Einschaltung eines Wildverarbeitungsbetriebes und die vorgesehenen zusätzlichen Verwaltungsmaßnahmen der Gesamtbereich Wildbrethygiene enorm verteuert.

Zudem würden letztlich auf die Endverbraucher erhebliche Preissteigerungen für Wildbret zukommen, denn sie wären es, die für die entstehenden Mehrkosten für Jäger, Wildhandel, Wildbretveredelung und amtliche Hygieneüberwachung aufkommen müssten.

Im Übrigen wäre quasi eine Kriminalisierung der Jäger zu befürchten, die sich den wildbrethygienisch unbegründeten Regelungen zu entziehen versuchten, wenn der Jägerschaft die Selbstvermarktung geringer Mengen Wildes untersagt würde.

Vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts frage ich die Landesregierung:

1. Wie beurteilt sie die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Zusammenfassung und Neuordnung der Lebensmittelhygienevorschriften, insbesondere hinsichtlich der beabsichtigten Neufassung der EU-Wildbretrichtlinie?

2. Sieht die Landesregierung aufgrund ihr vorliegender konkreter Kenntnisse Handlungsbedarf für eine Neufassung der EU-Wildbretrichtlinie? Wenn ja, warum?

3. Teilt sie die Auffassung, dass die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen zur Neufassung der EU-Wildbretrichtlinie Dinge zu regulieren beabsichtigt, die entweder gar nicht reglungsbedürftig sind und, wenn überhaupt, besser und situationsbezogener durch die Mitgliedstaaten der EU selbst geregelt werden könnten? Wenn nein, warum nicht?

4. Beabsichtigt sie durch eine Bundesratsinitiative darauf hinzuwirken, die von der EUKommission beabsichtigte Neufassung der EU-Wildbretrichtlinie zu verhindern und damit der nachvollziehbaren Position des DJV zu folgen? Wenn nein, warum nicht?

Beim Erlegen von Wild und beim Vermarkten von Wildfleisch findet derzeit die Richtlinie 92/45/EWG des Rates vom 16. Juni 1992 zur Regelung der gesundheitlichen und tierseuchenrechtlichen Fragen beim Erlegen von Wild und bei der Vermarktung von Wildfleisch, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG, Anwendung.

Als Erwägungsgrund für die Abfassung dieser Richtlinie ist insbesondere genannt (Zitat): „Die Vermarktung von Wildfleisch stellt eine zusätzliche Einkommensquelle für einen Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung dar.

Um eine rationelle Entwicklung dieses Sektors zu gewährleisten und die Produktivität zu steigern, müssen Vorschriften, die Fragen der öffentlichen Gesundheit und der Tiergesundheit hinsichtlich der Erzeugung und Vermarktung von Wildfleisch betreffen, auf Gemeinschaftsebene erlassen werden."

Der nun in Frage stehende Vorschlag geht auf die ursprüngliche Intention, nämlich die zusätzliche Einnahmequelle für einen Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung, nicht mehr ein, und stellt die Lebensmittelhygiene als alleinigen Beweggrund in den Vordergrund. Er berücksichtigt ebenfalls nicht mehr die in Artikel 1 Abs. 2 der Richtlinie 92/45/EWG genannten Ausnahmetatbestände, für die bisher einzelstaatliche Hygienekontrollen gelten:

­ Abgabe kleiner Mengen ganzer Wildkörper, nicht gehäutet oder nicht gerupft und

- im Fall von Kleinwild - nicht ausgeweidet, durch den Jäger an den Verbraucher oder Einzelhändler;

­ Abgabe kleiner Mengen von Wildfleisch an den Endverbraucher;

­ Zerlegung und Lagerung von Wildfleisch im Einzelhandel oder Räumlichkeiten, die an Verkaufsstellen angrenzen und in denen das Fleisch ausschließlich zum Zwecke des an Ort und Stelle stattfindenden Direktverkaufs an den Verbraucher zerlegt und gelagert wird.

Als dritter wesentlicher Punkt kommt bei dem in Rede stehenden Vorschlag für eine neue Verordnung im Abschnitt IV - Fleisch von freilebendem Wild - hinzu, dass eine Bearbeitung von Wildkörpern nur im Wildverarbeitungsbetrieb erfolgen soll und hierzu Lunge, Herz, Leber, Nieren, Milz mitzuliefern sind, es sei denn, dass eine von einer besonders qualifizierten Person ausgestellte Bescheinigung vorgelegt wird, die die Unbedenk lichkeit (keine anormalen Merkmale, kein Verdacht auf Umweltkontamination) testiert hat. Die Qualifikation soll über Aus- und Fortbildungslehrgänge erworben werden.

Der übrige Inhalt des Vorschlages entspricht hinsichtlich der Behandlung erlegten Wildes im Wesentlichen dem der geltenden Richtlinie.

Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1: Die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Zusammenfassung und Neuordnung der Lebensmittelhygienevorschriften werden im Hinblick auf die Spezifischen Vorschriften (Anhang II), Abschnitt IV als zu weit gehend betrachtet und lassen die ursprünglichen Gründe für die Abfassung der Richtlinie 92/45/EWG des Rates vom 16.06.1992 nicht mehr erkennen. Insbesondere das Weglassen der Ausnahmetatbestände (s. o.) wird zu einer Marktverzerrung und zu einer Einschränkung der zusätzlichen Einkommen in der landwirtschaftlichen Bevölkerung führen. Bereits heute drücken regionale Wildhändler tlw. die Preise für Wildfleisch; sofern der Wildbretverkauf nur noch über Wildverarbeitungsbetriebe zu erfolgen hätte, würde der Erlös für die Wild anliefernden Jäger mutmaßlich weiter verringert. Die Abgabe kleiner Mengen Haar- oder Federwild, das nach Prüfung durch den Jäger keine gesundheitlich bedenklichen Merkmale aufweist, an Endverbraucher soll nicht mehr stattfinden dürfen. Sie obläge allein dem Wildverarbeitungsbetrieb. Damit wird den Jägern jede eigene Vermarktungsmöglichkeit genommen. Zudem werden die Kosten für Verwaltung und Kontrolle sich zusätzlich erhöhen.

Die neu auf Ebene der Gemeinschaft beabsichtigte Qualifikationsvorgabe für Personen, die Wild bejagen und das Wildbret zum Genuss für den Menschen in Verkehr bringen, stellt nach Auffassung der Landesregierung eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips dar. In der Bundesrepublik Deutschland sind Wildbrethygiene und das Erkennen von Wildkrankheiten wesentlicher Bestandteil der Jägerprüfungsordnungen der Länder. Insgesamt scheinen die vorgeschlagenen Neuregelungen eher für Mitgliedstaaten geeignet zu sein, deren Jägerprüfungen nicht das Niveau der deutschen Jägerprüfung haben. Für die Verhältnisse in Niedersachsen ist aus Sicht der Landesregierung der Vorschlag insofern nicht geeignet.

Zu 2: Ein Handlungsbedarf für eine Neufassung der bewährten Richtlinie 92/45/EWG ist auch für die Landesregierung nicht ersichtlich. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte bezüglich der Wildbrethygiene oder tierseuchenrechtliche Gründe vor, die neue konkrete Maßnahmen erfordern.

Zu 3: Wie aus obigen Ausführungen ersichtlich, wird hinsichtlich der Ausbildung von Jägern in Gesundheits- und Hygienefragen und des Erlegens, Ausweidens und Beförderns von Wild zu einem zugelassenen Betrieb kein Erfordernis für eine weitergehende Regelung durch die Gemeinschaft für erforderlich erachtet. Die bundes- und landesrechtlichen Regelungen sind ausreichend und gewährleisten die Gesundheit der Bevölkerung und genügen dem Schutz vor Tierseuchen. Die geltenden Bestimmungen über Wildhandel, Wildbretveredelung, amtliche Hygieneüberwachung einschließlich der Anforderungen an Wildkammern und Wildverarbeitungsbetriebe werden als sachdienlich und ausreichend angesehen.

Zu 4: Derzeit ist eine Bundesratsinitiative Niedersachsens nicht beabsichtigt.

Zum Vorschlag der Europäischen Kommission hat der Bundesrat mit Datum vom 20.10.2000 einen ersten Beschluss gefasst (Drucksache 524/00). Darin begrüßt er zwar grundsätzlich die Bestrebungen der Kommission, die Hygienevorschriften zu vereinfachen, legt jedoch Wert darauf, dass dabei die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der

Subsidiarität nicht missachtet werden, welchen die vorliegenden Entwürfe in Bezug auf Primärproduktion sowie kleine und mittlere Unternehmen nicht entsprechen. Daher behält sich der Bundesrat vor, zu weiterentwickelten Entwürfen erneut Stellung zu nehmen.

Zunächst soll das Thema auf der Besprechung der Jagdreferenten des Bundes und der Länder im Mai 2001 im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gemeinsam erörtert werden. Es ist zu erwarten, dass die Haltung des Bundes und der anderen Länder sinngleich und ein abgestimmtes Vorgehen zweckdienlicher ist.