Die CEZUS-Affäre: Mangelnde Qualitätskontrolle bei der Fertigung von Brennelement-Hüllrohren in Frankreich

Die Firma CEZUS in Paimboeuf, Frankreich, fertigt Brennstab-Hüllrohre aus Zirkaloy für Atomkraftwerke. Im Februar des letzten Jahres wurde bei CEZUS entdeckt, dass 800 000 oder 900 000 Brennstäbe, produziert im Zeitraum von August 1998 bis Februar 2000, nicht abschließend durch Ultraschall überprüft wurden. CEZUS produziert für französische und ausländische Kunden; die unzureichend überprüften Hüllrohre waren auch für Brennstäbe in deutschen Atomkraftwerken bestimmt.

Das Management von CEZUS hat niemanden von der ausgefallenen Qualitätskontrolle informiert. Erst nachdem im August 2000 im Atomkraftwerk Nogent-sur-Seine ein ungewöhnlich hoher Radioaktivitätspegel im Primärkühlkreislauf entdeckt worden war, stieß man bei der Ursachenforschung auf Brennelement-Schäden und damit auf den Hüllrohrhersteller.

Die französische Aufsichtsbehörde DSIN hat den Vorfall in die Kategorie 1 der siebenteiligen INES-Skala (Störung) eingestuft und die Aufsichtsbehörden in den betroffenen Ländern informiert. Eine Parallele zum Skandal bei der Herstellung von MOXBrennelementen im britischen Sellafield, aufgedeckt im Jahr 2000, drängt sich auf.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wann wurde die niedersächsische Atomaufsicht über den Störfall bei CEZUS informiert?

2. Welche Maßnahmen wurden anschließend von der niedersächsischen Atomaufsicht ergriffen?

3. Sind in niedersächsischen Atomkraftwerken Brennstäbe eingesetzt, deren Hüllrohre bei CEZUS hergestellt wurden? Wenn ja:

a) In welchen Atomkraftwerken, seit welcher Zeit und in welchem Umfang?

b) Welche Gegenmaßnahmen wurden eingeleitet oder sollen ergriffen werden?

4. Wie bewertet die Landesregierung den Vorfall?

5. Welche Auswirkungen für die Sicherheit eines Atomkraftwerkes und damit für Beschäftigte und Umgebungsbevölkerung können sich durch defekte BrennstabHüllrohre ergeben?

Nach den der Landesregierung vorliegenden Unterlagen stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

Während einer internen Überprüfung durch das Personal der Qualitätssicherung der Fa. CEZUS wurde festgestellt, dass eine Anzahl Hüllrohre im Zeitraum von August 1998 bis Februar 2000 durch einen Fehler in der Ultraschallprüfeinrichtung nicht vollständig geprüft worden war. Der entsprechende Fehler wurde im März 2000 beseitigt. Erst am 06.11.2000 wurden die zuständige französische atomrechtliche Aufsichtsbehörde, die Direction de la sûrete des installation nucleaires (DSIN), sowie die Electricite de France (EdF) und ihre Kunden, u. a. die E.ON Kernkraft GmbH, unterrichtet. Die EdF hat als Betreiberin der betroffenen Kraftwerke das Vorkommnis als meldepflichtiges Ereignis gemeldet. Die Aufsichtsbehörde stufte es in die Stufe 1 der INES-Skala (= International Nuclear Event Scale) ein, da es sich um einen Mangel in der Qualitätssicherung des Herstellers handelt und die Meldung des Ereignisses erst lange Zeit nach dessen Entdeckung erfolgte. Nach dem Sprachgebrauch des INES-Meldesystems handelt es sich demnach um eine „technische Störung, die die Sicherheit insgesamt nicht beeinflusst".

Am 08.11.2000 hat die DSIN bei der Fa. CEZUS eine Überprüfung vorgenommen.

Bei der betroffenen Prüfeinrichtung handelt es sich um die vollautomatische FertigungsEndkontrolle der Hüllrohre. Die zu prüfenden Hüllrohre werden dazu über eine Transportschiene durch das Gerät geschoben, wobei sowohl Ultraschall-, als auch Wirbelstromsonden um diese Schiene angeordnet sind. Dabei werden die Hüllrohre auf die Einhaltung der Spezifikation bezüglich ihrer Geometrie (innerer und äußerer Durchmesser, Wanddicke, Ovalität) und auf mögliche Schäden (z. B. Kratzer, Risse) überprüft. Hierzu stehen insgesamt drei gleichartige Prüfeinrichtungen zur Verfügung. Der Messvorgang bei der automatischen Endkontrolle wird normalerweise automatisch ausgelöst, wenn das Hüllrohr auf der Transportschiene in das Messfeld der Prüfeinrichtung gelangt. Ein Fehler bei Wartungsarbeiten an der Prüfeinrichtung - ein Kontakt ist nicht wiederhergestellt worden - hat dazu geführt, dass zwei von insgesamt drei Prüfeinrichtungen nicht wieder in den ordnungsgemäßen Zustand gesetzt wurden. Dadurch wurde der Messvorgang jeweils beim ersten Hüllrohr eines Prüfloses nicht unmittelbar beim Eintreffen des Hüllrohres ausgelöst. Dies erfolgte erst, nachdem etwa ein Drittel des Rohres bereits die Messsonden passiert hatte. Die weiteren Rohre des Prüfloses wurden dann vollständig geprüft.

Die Funktion der Schalteinrichtung besteht darin, den Start der Ultraschallprüfung so lange zu blockieren, bis das Datenerfassungsgerät einen Moduswechsel (von Kalibrierauf Messmodus) vollständig durchgeführt hat.

Eine Kalibrierung erfolgt jeweils vor Beginn der Prüfung eines Fertigungsloses und während des Prüfzyklusses alle zwei Stunden. Aufgrund des beschriebenen Fehlers kam es in einigen Fällen dazu, dass die Abstimmung zwischen Messbeginn und Datenaufnahme nicht gegeben war, wodurch für diese Rohre die Ultraschalldaten nicht über die gesamte Länge des Hüllrohres aufgezeichnet wurden.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) auf der Grundlage einer Erstinformation der französischen Aufsichtsbehörde geschätzt, dass von den etwa 800 000 im betroffenen Zeitraum gefertigten Rohren etwa 670 Hüllrohre (das sind weniger als 1) von dem Fehler betroffen sein könnten. Eine mittlerweile durch die

Fa. CEZUS durchgeführte Auswertung aller Ultraschallaufzeichnungen hat eine noch geringere Anzahl betroffener Hüllrohre ergeben. Eine Bestätigung dieser Zahlen durch die französische Aufsichtsbehörde liegt dem Niedersächsischen Umweltministerium bislang nicht vor.

Dies vorausgeschickt beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu 1: Das Niedersächsische Umweltministerium wurde von der E.ON Kernkraft GmbH mit Schreiben vom 07.11.2000 und vom 15.11.2000 über Probleme bei der Datenaufzeichnung im Zusammenhang mit der Hüllrohrfertigung bei der Fa. CEZUS informiert. Die E.ON Kernkraft GmbH hat mit diesen Schreiben die Ergebnisse der durch die Fa. FRAGEMA (Hersteller von Brennelementen) bei der Fa. CEZUS durchgeführten Untersuchungen vorgelegt. Die Fa. FRAGEMA kommt danach zu dem Ergebnis, dass die für das Kernkraftwerk Unterweser (KKU) gefertigten Hüllrohre von den Problemen bei der Datenaufzeichnung im Zusammenhang mit der Ultraschallprüfung nicht betroffen seien und dass des Weiteren auch die Datenaufzeichnung für alle deutschen Brennelemente vollständig sei.

Weiterhin hat das BMU mit Schreiben vom 21.11.2000 die Bundesländer über die Auffälligkeiten durch die Übersendung eines Abdrucks der diesbezüglichen Unterrichtung durch die französische Nuklearaufsichtsbehörde DSIN vom 10.11.2000 informiert. Diese Erstinformation wurde mit Schreiben vom 05.12.2000 mit der Übersendung einer vorläufigen Stellungnahme der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit mbH (GRS) ergänzt.

Zu 2: Nach Bekanntwerden des Hüllrohrproblems bei der Fa. CEZUS wurden auf Veranlassung des Niedersächsischen Umweltministeriums Prüfungen zur Übertragbarkeit auf die Brennelemente in den niedersächsischen Kernkraftwerken unter Einbeziehung des Technischen Überwachungs-Vereins Nord e. V. durchgeführt. In diesem Rahmen fanden im Dezember 2000 und später unter Teilnahme eines Mitarbeiters des Niedersächsischen Umweltministeriums im Februar 2001 Überprüfungen im Herstellerwerk statt. Die Prüfungen haben folgendes ergeben:

Im Unterschied zu den für französische Kernkraftwerke gefertigten Hüllrohren erhalten alle Hüllrohre für deutsche Kernkraftwerke zur Rückverfolgbarkeit jedes Rohres vor der Ultraschallprüfung eine Kennzeichnung. Erst nach Erkennung dieser Kennzeichnung und Aufnahme der Nummer durch eine automatische Leseeinrichtung startet die Ultraschallprüfung. Ein Datenverlust ist somit ausgeschlossen.

Ein weiterer Unterschied zur Fertigung von Hüllrohren für französische Kraftwerke besteht darin, dass für deutsche Projekte gemäß der für diese geltenden Qualitätssicherungsanforderungen die Dokumentation der Ultraschallprüfung durch eine unabhängige Qualitätsstelle des Herstellers auf Vollständigkeit und Einhaltung der Spezifikation geprüft wird.

Unabhängig davon haben Sachverständige des Technischen Überwachungs-Vereins Nord e.V. im Dezember 2000 die Ultraschalldaten der für das Kernkraftwerk Unterweser gefertigten Hüllrohre im Herstellerwerk geprüft. Der Gutachter bestätigt, dass für alle möglicherweise betroffenen Hüllrohre vollständige Datenaufzeichnungen vorliegen. Er bestätigt weiter, dass alle Messwerte im spezifikationsgerechten Bereich liegen.

Zu 3: Ja

Zu 3 a): Im KKU werden seit 1994 54 Brennelemente mit Hüllrohren der Fa. CEZUS eingesetzt.

Davon sind die Hüllrohre für 16 Brennelemente, die noch im Nasslager stehen, im betroffenen Zeitraum gefertigt worden.

Im Kernkraftwerk Grohnde (KWG) werden seit Beendigung der diesjährigen Revision 4 Brennelemente der Fa. FRAGEMA mit Hüllrohren der Fa. CEZUS erstmals eingesetzt.

Die Hüllrohre wurden nicht im betroffenen Zeitraum gefertigt.

Zu 3 b): Gegenmaßnahmen haben sich erübrigt.

Zu 4: Der Vorgang bei der Fa. CEZUS hat eine Lücke im dortigen Qualitätssicherungssystem offenbart und wurde daher auch aus hiesiger Sicht folgerichtig durch die französische atomrechtliche Aufsichtsbehörde DSIN in die Stufe 1 des internationalen Meldesystems INES eingeordnet. Es hat sich gezeigt, dass die für die deutschen Fertigungsprojekte zusätzlich getroffenen Qualitätssicherungsmaßnahmen - die Kodierung der Hüllrohre zur Rückverfolgbarkeit und die zusätzliche Kontrolle aller Aufzeichnungen - geeignet sind, derartige Fehler zu vermeiden bzw. eine frühzeitige Erkennung zu ermöglichen. Aus diesem Grunde beabsichtigt die Fa. CEZUS u. a. diese Maßnahmen für alle Projekte einzuführen, um künftig die Wiederholung eines derartigen Vorgangs auszuschließen.

Die in den niedersächsischen Kernkraftwerken eingesetzten Brennstäbe mit bei der Fa. CEZUS gefertigten Hüllrohren haben durchweg ein normales Betriebsverhalten gezeigt.

Es ergeben sich daher aus Sicht der Niedersächsischen Landesregierung keine weiteren Konsequenzen.

Zu 5: Der Niedersächsischen Landesregierung sind Brennstabschäden aufgrund von Fehlern bei der Hüllrohrherstellung weder aus deutschen noch aus französischen Kernkraftwerken bekannt.