Umsetzung des Säuglingsnahrungswerbegesetzes (SNWG) und des Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatznahrung in Niedersachsen

In den industrialisierten Ländern sind zwar die Folgen künstlicher Säuglingsnahrung in der Regel nicht tödlich, schlagen sich jedoch mit erheblichen Kosten im Gesundheitswesen nieder, da das Gesundheitsrisiko der Kinder, die nicht gestillt werden, erheblich höher ist. So konstatiert das europäische Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Kopenhagen in einem Arbeitspapier für die Regionalkonferenz im September 2000, dass allein in Deutschland Kosten in Höhe von 113 Mrd. DM für die Behandlung von Übergewicht entstehen; Übergewicht tritt bei Menschen, die im Säuglingsalter nicht gestillt worden sind, signifikant häufiger auf als bei denjenigen, die gestillt wurden.

Der 1981 von der WHO verabschiedete Internationale Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten und nachfolgende WHO-Resolutionen sowie die im deutschen Säuglingsnahrungswerbegesetz (SNWG) 1994 teilweise umgesetzte Richtlinie der Europäischen Union Nr. 91/321/EWG haben zum Ziel, das Stillen zu fördern und Mütter und Gesundheitsfachkräfte vor den kommerziellen Interessen der Säuglingsnahrungshersteller zu schützen.

Nationale und internationale Untersuchungen belegen, dass die Hersteller gegen diese Vermarktungsrichtlinien regelmäßig verstoßen. Obwohl das Stillen als der beste Weg der Säuglingsernährung akzeptiert ist, wirbt die Industrie weiterhin im Gesundheitswesen und in der Öffentlichkeit für ihre Produkte. Über die Gesundheitseinrichtungen (Geburtshilfestationen etc.) werden direkte und indirekte Kontakte zu den Müttern gesucht, und es werden Produkte beworben, die für Kinder unter sechs Monaten die Muttermilch ersetzen sollen.

Auch niedersächsische Einrichtungen sind von der Verquickung der Interessen der Säuglingsnahrungshersteller mit denen des Gesundheitspersonals nicht ausgenommen. Ein recht junges Beispiel liefert die Universitätsklinik Göttingen.

Dort eröffnete am 17. Mai 2000 die Frauenklinik offiziell den Buffetraum des geburtshilflichen Bereichs. Diese Eröffnung wurde offensichtlich von der Firma Milupa gesponsert, die gemeinsam mit einem weiteren Unternehmen, das Babynahrung herstellt, mit einem Werbestand vor dem Hörsaalgebäude präsent war. Dort wurden u. a. Werbematerialien für Muttermilchersatzprodukte und auch Probepackungen an anwesende Patientinnen und Patienten, Besucherinnen und Besucher, Hebammen, Krankenschwestern und Ärztinnen und Ärzte verteilt.

Bei dem dargestellten Vorgang handelt es sich offenbar sowohl um einen Verstoß gegen das deutsche Säuglingsnahrungswerbegesetz, das direkte oder indirekte Werbung über in der Gesundheitsvorsorge tätige Institutionen oder Personen (§ 3, 1) untersagt, als auch gegen den Internationalen Kodex, der in Artikel 6.2 besagt, dass Einrichtungen des Gesundheitsversorgungssystems nicht zum Zwecke der Marktförderung von vorgefertigter Säuglingsnahrung oder anderen Produkten, die in den Anwendungsbereich dieses Kodex fallen, benutzt werden dürfen.

Ich frage die Landesregierung:

A. Allgemeine Umsetzung des SNWG und des Internationalen Kodex in Niedersachsen:

1. Welche Maßnahmen hat sie seit der Verabschiedung des SNWG 1994 eingeleitet, um sowohl dem Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatznahrung als auch dem SNWG in Niedersachsen Geltung zu verschaffen?

2. Welche Anweisungen hat sie diesbezüglich an die zuständigen Überwachungsbehörden gegeben?

3. Welche Erfahrungen hat die Landesregierung mit der Arbeit der Überwachungsbehörden in Niedersachsen in Bezug auf das SNWG?

4. Welche Verstöße sind seit 1994 registriert worden?

5. Welche Maßnahmen sind aufgrund eventueller Verstöße eingeleitet worden?

6. Inwieweit ist es gelungen, die von der 70. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 21.11.1997 in Saarbrücken verabschiedete Entschließung zur Säuglingsnahrungswerbung bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Landesärztekammern und bei den Verbänden der Hebammen umzusetzen?

B. Umsetzung des SNWG und des Internationalen Kodex in landeseigenen Gesundheitseinrichtungen:

1. Hat die Landesregierung nach Verabschiedung des SNWG Anweisungen Erlasse zur Einhaltung oder Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften für die landeseigenen Gesundheitseinrichtungen herausgegeben? Falls ja, wie lauten diese? Falls nein, warum nicht?

2. Welche Erkenntnisse liegen ihr über die Umsetzung der genannten Vermarktungsvorschriften in den landeseigenen Gesundheitseinrichtungen vor?

3. Wie bewertet die Landesregierung den für Göttingen beschriebenen Vorgang?

Sind ihr ähnlich gelagerte Fälle bekannt?

4. Wie gedenkt sie auf die Verantwortlichen im Göttinger Uniklinikum und in anderen Landeseinrichtungen einzuwirken, um die Einhaltung des SNWG und des Internationalen Kodex sicherzustellen?

5. Welche Maßnahmen wird sie ergreifen, um den für Göttingen beschriebenen Vorgang für alle landeseigenen Gesundheitseinrichtungen zukünftig zu unterbinden?

6. Welche Regelungen für Sponsoring in landeseigenen Gesundheitseinrichtungen, insbesondere Geburtseinrichtungen, bestehen im Hinblick auf die Hersteller von Muttermilchersatzprodukten?

7. Falls keine Regelungen bestehen, beabsichtigt die Landesregierung, solche zu erarbeiten?

C. Information der Öffentlichkeit:

1. Wo in Niedersachsen können Verbraucherinnen und Verbraucher von Säuglingsnahrung sach- und fachkundige Auskunft zu Fragen der unangemessenen Vermarktung, des SNWG und des Internationalen Kodex erhalten?

2. Wo in Niedersachsen können Verbraucherinnen und Verbraucher vermutete Verstöße gegen das SNWG melden?

3. In welchen Veröffentlichungen hat die Landesregierung die Öffentlichkeit über die Vorteile des Stillens für die Säuglingsgesundheit sowie über die Gefährdung der Säuglingsgesundheit durch Säuglingsnahrungsprodukte informiert?

D. Zukünftige Aktivitäten der Landesregierung zum Schutz der Säuglingsgesundheit:

1. In welcher Form wird sie sich an dem auf der 50. Tagung des WHO Regionalkomitees für Europa (11. bis 14. September 2000) beschlossenen Aktionsplan für Nahrung und Ernährung unter besonderer Berücksichtigung des ausschließlichen Stillens in den ersten sechs Monaten beteiligen?

2. Welche repräsentativen Erhebungen in Bezug auf die Stillraten, die Stillgewohnheiten und die Stilldauer in Niedersachsen hat die Landesregierung erstellen lassen bzw. beabsichtigt sie erstellen zu lassen?

3. An welchen bundesweiten Erhebungen in diesem Zusammenhang hat sich die Landesregierung beteiligt bzw. wird sie sich beteiligen?

4. Welche Möglichkeiten sieht sie, die Initiative „Stillfreundliches Krankenhaus" konkret zu unterstützen?

Die Ziele des Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatznahrung werden in Deutschland durch das Säuglingsnahrungswerbegesetz umgesetzt.

Die Überwachung der Einhaltung und Umsetzung des Säuglingsnahrungswerbegesetzes (SNWG) fällt in die Zuständigkeit der Lebensmittelüberwachungsbehörden; das sind in Niedersachsen die Landkreise, die kreisfreien Städte, die großen selbständigen Städte und die selbständigen Gemeinden. Bei der Konzeption der Überwachung wurde davon ausgegangen, dass die Krankenhausleitungen das bei ihnen beschäftigte Personal regelmäßig über Änderungen in den für sie relevanten Rechtsvorschriften unterrichten. In den Krankenhäusern sollten deshalb keine verdachtsunabhängigen Stichprobenkontrollen auf die Einhaltung des SNGW durchgeführt sondern nur Verdachtsfällen gezielt nachgegangen werden.

Um das zwischen Ärztin oder Arzt und Patientin oder Patient bestehende Vertrauensverhältnis nicht zu beeinträchtigen, haben diese Behörden davon abgesehen, in den Geburtsstationen der Krankenhäuser regelmäßige Kontrollen zur Überwachung der Verbote und Gebote des SNWG durchzuführen. Die Krankenhäuser sind gehalten, Hinweisen auf Verstöße gegen das SNWG in Krankenhäusern nachzugehen. Diese Art der Überwachung erscheint gerechtfertigt, da davon auszugehen ist, dass den in geburtshilflichen Einrichtungen tätigen Ärztinnen und Ärzten die mit dem SNWG geschaffenen Werberegelungen für Säuglingsanfangsnahrung und Säuglingsfolgenahrung als auch die gesundheitlichen Vorteile des Stillens bekannt sind.