Unmittelbar berührt wird der Diskussionsstand des Ausschusses durch den Leserbrief von Prof

„Psychiatrie-Reform - auf halben Weg steckengeblieben - seit der Psychiatrieenquete von 1975 wurde in der Versorgung psychisch Kranker zwar vieles verbessert. Die Ziele der Reform sind jedoch noch lange nicht erreicht" (Deutsches Ärzteblatt, Heft 6, 9. Februar 2001, S. 338 bis 241). Es seien zwar die katastrophalen Zustände in den einstigen Heil- und Pflegeanstalten überwunden, die ehemaligen Heil- und Pflegeanstalten wurden verkleinert, modernisiert und professionalisiert, psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern wurden zunehmend eingerichtet und die Zahl niedergelassener Psychiater nahm seit den 70er-Jahren von rd. 1 000 auf 5 400 zu. Auch verbesserte sich insgesamt das ambulante Angebot, dennoch werde die Chance geringer wohnortnah versorgt zu werden, je komplexer der Hilfebedarf sei.

Unmittelbar berührt wird der Diskussionsstand des Ausschusses durch den Leserbrief von Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner (Deutsches Ärzteblatt, Heft 13, 30. März 2001, S. 670) zu dem genannten Artikel im Ärzteblatt, der die grundsätzliche Infragestellung der Unterbringung von psychisch Kranken in Heimen herausstreicht: „Denn, wie sie richtig schreiben, sind die meisten chronisch-psychisch Kranken nicht integriert, sondern in weit abgelegener Heime ausgegrenzt, endgelagert worden, ja, das ungute System der Heime ist erst als (fragwürdige) Folge der Psychiatriereform entstanden. Den Beweis, dass praktisch alle diese Menschen in einer eigenen Wohnung (mit eigener Arbeit) leben können, habe ich und unser Team des damaligen Landeskrankenhauses Gütersloh erbracht: nach 15-jähriger Deinstitutionalisierung lebten praktisch alle 435 Betroffene dieser Region von einer Million Einwohnern, 70 bis 80 Prozent mit nur ambulanter Betreuung, in einer eigenen Wohnung in ihrer Kommune, wie wir nachuntersucht haben."

Diese Feststellung streicht noch einmal die Notwendigkeit heraus, bei Besuchen von stationären Heimeinrichtungen auch zu überprüfen, ob diese Art der Betreuungsform in den gegebenen Fällen überhaupt (noch) erforderlich ist! (Vgl. 15. Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen, S. 5). Auch bei einem Heim, das einen guten Eindruck macht, stellt sich die Frage, ob diese Art der Betreuung für den einzelnen Bewohner immer noch notwendig ist. Ein gut geführtes Heim hat nicht automatisch zur Folge, dass die Bewohner es brauchen. Was wird für die Integration der Bewohner in die Gemeinde getan?

Auch die Notwendigkeit geschlossener Heimunterbringungen muss grundsätzlich weiterhin diskutiert werden.

Der Ausschuss bekräftigt den Vorrang der ambulanten Hilfen, stellt aber gleichzeitig fest, dass für einzelne psychisch Kranke nach wie vor (vorübergehend) Heimbetreuung erforderlich ist. Aus diesem Grunde wird auch eine qualifizierte Weiterentwicklung der Hilfen in Heimeinrichtungen für dringend erforderlich angesehen.

Aus einer weiteren Stellungnahme zu dem genannten Artikel im Deutschen Ärzteblatt soll die Problematik Sozialpsychiatrischer Dienste herausgegriffen werden; so schreibt Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf, Bundesdirektorenkonferenz psychiatrischer Krankenhäuser: „Die komplementäre Versorgungsstruktur lässt dagegen bis heute zu wünschen übrig. Bestes Beispiel sind die Sozialpsychiatrischen Dienste, die komplementäre Betreuung sicherstellen sollen und angesichts der leeren kommunalen Kassen nie voll entwickelt wurden und immer mehr beschnitten werden..." (Deutsches Ärzteblatt, Heft 13, 30. März 2001, S. 671). Der durch unzureichenden Ausbau Sozialpsychiatrischer Dienste entstandene Versorgungsmangel in der Gemeinde wird durch immer wieder neue Überlegungen, wie dieser Mangel durch andere Versorgungsformen zu kompensieren sei, zu einem auf diese Weise eben nicht lösbaren Dauerthema.

Nimmt man den personenbezogenen Ansatz ernst, dann unterscheiden sich nach wie vor die Bedürfnisse chronisch-psychisch erkrankter Menschen nicht so sehr von denen anderer Menschen nämlich in der eigenen Wohnung zu wohnen, Beziehungen zu haben, arbeiten zu können und für den Fall, dass sie krankheitsbedingt sich selbst nicht ausreichend helfen können, im gewohnten Umfeld Unterstützung zu erhalten.

Ein Versorgungssystem, das den personenbezogenen Ansatz ernst nimmt, kommt nicht umhin, sich an den Bedürfnissen der zu unterstützenden Personen zu orientieren.

Abschließend stellt Petra Bühring in dem oben zitierten Artikel fest: „Viele chronisch psychisch Kranke liegen am Rand der Armutsgrenze. Sozialrechtlich sind sie längst nicht körperlich Kranken gleichgestellt. Am wenigsten verändert hat sich am Verständnis der Gesellschaft für Krankheiten, die nicht sichtbar sind, und deshalb bedrohlich wirken, für Menschen, die anders sind..." (Deutsches Ärzteblatt, Heft 6,

9. Februar 2001, S. 238 bis 241).

Das unverändert schlechte Verständnis für die Lage von psychisch erkrankten Menschen in der Gesellschaft berührt auch das nach wie vor ungelöste Problem der Öffentlichkeitsarbeit des Ausschusses, das bereits im 15. Bericht thematisiert wurde.

Die spezifische Problematik wird jetzt in einer speziellen Arbeitsgruppe zu behandeln sein.

Im Zusammenhang mit dem Verständnis für die Lage psychisch erkrankter Menschen wurde die Frage angesprochen, ob die Berichte des Ausschusses und der Besuchskommissionen im zuständigen Fachausschuss des Landtages überhaupt auf die notwendige Resonanz stießen. Was denn getan werden müsste, um mehr Aufmerksamkeit zu erreichen. Zweifellos kann eine gewisse Dramatisierung oder gar „Skandalisierung" in unserer durch Medien bestimmten Informationsgesellschaft Aufmerksamkeit wecken. Es muss aber die Frage gestellt werden, ob eine solche Aufmerksamkeit zu dem gewünschten Verständnis beitragen kann.

Insgesamt kann durchaus davon ausgegangen werden, dass die Art und Weise der Beteiligung des Ausschusses und der Besuchskommissionen nach § 30 NPsychKG in Niedersachsen ein wirksames Instrument ist für die Feststellung von Mängeln in der psychiatrischen Versorgung. Allein die Existenz dieser Gremien wirkt präventiv, in dem sie die kritische Selbstreflexion mit Hinterfragung der anbietenden Einrichtungen aktualisiert. Das abgestufte Vorgehen, dass Besuchskommissionen über festgestellte Mängel mit den Diensten und Einrichtungen vor Ort reden, im Ausschuss berichten und ggf. die zuständigen Aufsichtsbehörden eingeschaltet werden, kann einer einschleichenden Betriebsblindheit der anbietenden Einrichtungen entgegenwirken. Aber auch dies ist zu beachten: im ungünstigsten Fall werden Verschleierungstaktiken optimiert.

In diesem Zusammenhang nahm die Diskussion über unangemeldete Besuche der Besuchskommissionen einen breiten Raum ein. Zugespitzt hatte sich die Situation, als eine Einrichtung unter fälschlicher Berufung auf das MFAS der Besuchskommission Hannover bei einem unangemeldeten Besuch unberechtigt den Zutritt verweigerte. Der Ausschuss stellte heraus, dass jede Besuchskommission das Recht hat, nach pflichtgemäßem Ermessen auch unangemeldete Besuche durchzuführen. Die Diskussion darüber im Ausschuss setzte eine Entwicklung und Wandlung der Auffassungen über unangemeldete Besuche in Gang. Während anfänglich eine eher zurückhaltende Auffassung gegenüber dem Instrumentarium unangemeldeter Besuche überwog, gewann das Instrument unangemeldeter Besuche zunehmend an Zustimmung. Parallel zur Diskussion im Ausschuss meldeten sich auch Stimmen besuchter Einrichtungen und von Mitarbeitern, die von einem „verloren gegangenen Biss" der Besuchskommissionen sprachen, weil diese sich häufig auf die Selbstdarstellung der Einrichtung verließen und diese Darstellung zu wenig kritisch hinterfragten. Übereinstimmend mit den Besuchskommissionen unterstrich der Ausschuss, dass diese sich über die Selbstdarstellung der Einrichtung hinaus einen eigenen Eindruck von der Einrichtung und der Situation der Betroffenen verschaffen.

Von einigen Heimen wurde beklagt, dass ihnen die Ergebnisse der Feststellungen der Besuchskommission nicht mitgeteilt und ihnen somit auch keine Möglichkeit zu Reaktionen auf die Feststellungen gegeben wurden. Im Ausschuss wurde verabredet, dass den Diensten und Einrichtungen zukünftig Rückmeldungen über die Besuche zu geben sind.

Der Ausschuss konnte die positiven Erfahrungen einiger Besuchskommissionen mit der Heimaufsicht des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben bestätigen und unterstützte die Zusammenarbeit und Ergänzung. Die Kooperation ermöglichte es außerdem, wechselseitige Erwartungen zu erfahren und Vorgehensweisen abzustimmen.

Da der knappe Zeitrahmen des Ausschusses einer Strategieentwicklung zur Mängelbehebung immer wieder Grenzen setzte, erarbeitete das MFAS ein Konzept für eine Arbeitsgruppe zur Beschleunigung von Mängelbehebungen unter der Federführung des Ausschussvorsitzenden. Im Berichtszeitraum wurde von dieser Möglichkeit noch kein Gebrauch gemacht.

Die Diskussion der Mängelbehebung war von der grundsätzlichen Frage begleitet, welche Maßstäbe und Standards zur Feststellung von Mängeln zur Verfügung stünden. Neben den konsensfähigen Ergebnissen der Fachdiskussionen und der Evidenz des Eindruckes wurde die Frage nach Anhaltszahlen aufgeworfen. Während im klinisch stationären Bereich Standards- und Anhaltszahlen relativ gut definiert sind, mangelte es für den ambulanten Bereich an verbindlichen, übereinstimmenden Vereinbarungen.

Von verschiedenen Ausschussmitgliedern wurde erneut die Frage aufgeworfen, welches Mindestversorgungsangebot in einer Region vorgehalten werden müsse und als wie verbindlich die qualitativen Aussagen im NPsychKG angesehen werden können.

Selbst eindeutige Aussagen des NPsychKG, dass Sozialpsychiatrische Dienste durch einen Facharzt zu leiten seien, blieben für Kommunen, die sich nicht daran hielten, ohne Konsequenzen. Die Frage, wie verbindlich der Versorgungsauftrag des NPsychKG für eine Kommune ist und welchen Umfang dieser Auftrag hat, ist dringend zu klären.

2. Sozialpsychiatrische Verbünde

Im Berichtszeitraum beschäftigte sich der Ausschuss mit der Frage der Steuerung des Versorgungsangebotes durch den Sozialpsychiatrischen Verbund. Anlass war eine Anfrage des Vereins „Der Ring e. V.", Peine, bei der es vom Grundsatz her darum ging, inwieweit Anbieter auch gegen die abgestimmte Empfehlung des Sozialpsychiatrischen Verbundes ihre Hilfeangebote ausbauen können. Der Ausschuss schloss sich der Auffassung an, dass der Verbund kein Instrument zur staatlichen Steuerung der Hilfsangebote darstellt. Der Verbund bietet eine Plattform zum Aufspüren von Versorgungslücken und zur Koordination der Hilfeangebote im Rahmen von Selbstverpflichtungen. Er dient im Wesentlichen der freiwilligen Koordination und Kooperation, was, wie festgestellt werden konnte, in vielen Regionen durchaus erfreulich funktionierte. Die grundsätzliche Sicherstellung von komplementären Hilfeangeboten gem. § 17 SGB I obliegt den Sozialhilfeträgern. Der Sozialpsychiatrische Verbund sollte zur Bedarfssituation Stellung nehmen. Diesbezüglich wäre die Einführung von Verfahren zur Qualitätssicherung sinnvoll.

Wenn auch viele Detailfragen offen blieben (z. B.