Erheblicher Personalmangel im Bereich der Polizeiinspektion Stade
Im Landkreis Stade ist die Zahl der Polizeibediensteten vom 01.01.1994 von 303 auf 250 zum 01.07.2001 zurückgegangen. Die Polizeidichte hat sich damit von 1 606 auf 1 765 verschlechtert und liegt damit auch weit unter der Polizeidichte von 1 451 auf Landesebene. Diese Personalminderung hat in Teilbereichen der Stader Polizei eine Reduzierung der Zahl der Beamten von bis zu 30 % ergeben. Die Wachen sind nicht mehr in der Lage, Streifenwagen in ausreichender Zahl zu besetzen, da die Einsatzstärken entsprechend zurückgefahren wurden. Auch in den Bereichen der Sachbearbeitung, Kriminalitätsbekämpfung und -verhütung sind die Stelleneinsparungen so gravierend, dass mehr eine Verwaltung der Vorgänge als eine effektive Polizeiarbeit geleistet werden kann. Der Abtransport von Brennelementen aus dem Kernkraftwerk Stade stellt eine zusätzliche Belastung dieser Dienststelle dar. Die Situation ist mittlerweile so gravierend, dass die berufständischen Vertretungen keine andere Möglichkeit mehr sehen, als sich jetzt auch an die Öffentlichkeit zu wenden, um auf diese Misere aufmerksam zu machen. Das Vertrauen der Bürger in die innere Sicherheit geht zunehmend verloren, da weder eine ausreichende Polizeipräsenz gegeben ist noch oftmals ein zeitnaher Polizeieinsatz sichergestellt werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Situation frage ich die Landesregierung:
1. Wie beurteilt sie die von den Berufsvertretungen der Polizeiinspektion Stade dargestellten Missstände?
2. Inwieweit weicht die Ist-Stärke an Vollzeitstellen bei der Polizeiinspektion Stade von der 1998 durch die Bezirksregierung Lüneburg festgelegten Soll-Stärke ab?
3. Wie viele bisher nicht abgegoltene Überstunden sind im Bereich der Stader Inspektion, insbesondere bei den Beamten des Einsatz- und Streifendienstes, bis zum 01.07.2001 aufgelaufen?
4. Wie sollen diese Überstunden im Bereich der Polizeiinspektion Stade abgebaut werden, ohne die Polizeipräsenz noch weiter zu reduzieren?
5. Wie will die Landesregierung die personelle Situation bei der PI Stade verbessern?
6. Wie will sie dem 1994 verkündeten Ziel „Mehr Polizei auf die Straße" nachkommen, wenn jetzt das Gegenteil der Fall ist?
7. Wird sie an ihrem Ziel festhalten und jedes Jahr weitere Stellen im Polizeidienst abbauen?
Die Personalverteilung im Polizeieinzeldienst des Landes bestimmt sich nach dem Personalverteilungsmodell für den Polizeivollzugsdienst (Erl. MI - 24.2 - 02112 vom 04.11.1998), das den Bezirksregierungen und Polizeidirektionen unter Berücksichtigung ihrer Organisationsstrukturen und Belastungsdaten einen Anteil an dem insgesamt zur Verfügung stehenden Personalvolumen zuordnet. Auf dieser Grundlage obliegt es den Polizeieinzeldienstbehörden, das ihnen zugewiesene Personal bedarfsgerecht auf die Polizeidienststellen zu verteilen.
Die für die PI Stade zuständige Bezirksregierung Lüneburg legt die Personalstärke der Dienststellen nach einem eigenen, behördeninternen Verteilungsmodell fest, das sich ebenfalls an Kriterien wie organisatorische Notwendigkeiten und Einsatzbelastungen der Dienststellen ausrichtet.
Ein Vergleich der Personalstärken vom 01.01.1994 und 01.07.2001 ist nicht aussagekräftig, weil sich im Rahmen der Neuorganisation der Landespolizei die Aufgaben und Zuständigkeiten und damit einhergehend auch die Personalausstattungen der Dienststellen verändert haben. So hat die Polizei in Stade bis zum 01.10.1994 für den Landkreis Cuxhaven sowohl Leitungs- und Koordinierungsaufgaben als auch die Aufgabe der spezialisierten Bekämpfung schwerer Straftaten wahrgenommen. Mit der Einrichtung von Polizeiinspektionen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten zum 01.10.1994 sind auch der Polizei im Landkreis Cuxhaven diese Aufgaben zugewiesen worden. Der Arbeitsverlagerung von Stade nach Cuxhaven ist mit einer entsprechenden Personalverlagerung
- sozialverträglich über einen längeren Zeitraum - Rechnung getragen worden.
Der Hinweis auf eine gegenüber dem Landesdurchschnitt scheinbar schlechtere Polizeidichte im Landkreis Stade ist nicht sachgerecht.
Die Polizeidichte in Niedersachsen erfasst alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten, also nicht nur die des Einzeldienstes, sondern auch die der Landesbereitschaftspolizei, des Landeskriminalamtes, des Bildungsinstituts der Polizei, des Polizeiamtes für Technik und Beschaffung sowie der Wasserschutzpolizei.
Im Übrigen ist die Polizeidichte - auch nach Auffassung der IMK - kein geeignetes Kriterium, um die Leistungsfähigkeit der Polizei zu bewerten.
Sie bezieht z. B. Wissenschaftler, technisches oder sonstiges Fachpersonal, das Niedersachsen seit Jahren einstellt und an Stelle von - für bestimmte Aufgaben zwangsläufig nicht so umfassend qualifizierten - Polizeivollzugsbeamten z. B. im Bereich kriminaltechnischer Untersuchungen, kaufmännischer Begutachtungen oder in der Gestaltung und Betreuung der polizeilichen DV-Systeme einsetzt, nicht ein. Diese für die Leistungsfähigkeit der Polizei positive Entwicklung wirkt sich unsinnigerweise negativ auf die Polizeidichte aus.
Bei der Bewertung der Polizeisituation im Polizeibereich muss darüber hinaus berücksichtigt werden, dass Niedersachsen seit Jahren ein Konzept verfolgt, das auf hoch qualifiziertes Personal bei der Polizei setzt. Diesem Prozess liegt die Entscheidung der Landesregierung im Jahre 1992 zugrunde, in der niedersächsischen Landespolizei die sogenannte zweigeteilte Laufbahn einzuführen. Das heißt, dass die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten ausschließlich über ein Fachhochschulstudium erfolgt und alle Berufseinsteiger ihre Laufbahn nach der Ausbildung als Polizeikommissar/-in z. A. begin nen. Bis 2005 soll die zweigeteilte Laufbahn in der niedersächsischen Landespolizei eingeführt sein. Das heißt, dass von 2005 an grundsätzlich nur noch Beamtinnen und Beamte des gehobenen und höheren Dienstes in der Polizei Verwendung finden werden.
1995 hat die Landesregierung unter dem Druck damaliger Haushaltszwänge vor der Frage gestanden, die weitere Einführung der zweigeteilten Laufbahn abzubrechen oder sich auf eine Gegenfinanzierung im Polizeihaushalt durch Einsparung von Stellen einzulassen.
Die Landesregierung hat sich damals bewusst - auch nach Abstimmung mit den Führungskräften der Polizei und den Berufsverbänden - für die weitere Einführung der zweigeteilten Laufbahn entschieden und damit zugunsten von besser qualifizierten Polizistinnen und Polizisten eine gewisse Rücknahme der Stärke der Vollzugspolizei in Kauf genommen. Diese Weichenstellung war unverzichtbar. Sie kommt der Qualität der polizeilichen Arbeit zugute und sie sichert eine angemessene Bewertung der Polizeiarbeit. Im Übrigen arbeitet höher qualifiziertes Personal auch effizienter.
Die insbesondere mit der Gegenfinanzierung der zweigeteilten Laufbahn einhergehenden rechnerischen Stellenverluste des Polizeivollzugsdienstes wurden durch die Umstellung der Nachwuchsausbildung auf eine Direktausbildung für den gehobenen Dienst, also die Vermeidung einer Doppelausbildung, durch die Einführung der 40-Stunden-Woche sowie durch die Effizienzsteigerung beim Personaleinsatz aufgrund der Organisationsreform kompensiert und führten zu einer Stärkung vorrangig der Bereiche des Polizeieinzeldienstes, die unmittelbar exekutivpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen.
Angesichts der gerade in jüngster Zeit gestiegenen Einsatzbelastungen der niedersächsischen Polizei (insbesondere die zusätzlichen Lasten, die Niedersachsen durch die Castortransporte aufgebürdet werden) sieht die Landesregierung es als erforderlich an, dass auch eine Personalquantität gehalten wird, die eine flächendeckende Präsenz weiterhin gewährleistet. Deswegen hat sie ein Zukunftskonzept zur Personalverstärkung und technischen Erneuerung beschlossen, das u. a. 500 zusätzliche Stellen für den Polizeivollzugsdienst - insbesondere zur Gewährleistung der Flächenpräsenz - vorsieht.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:
Zu 1: Siehe Vorbemerkung.
Zu 2: Der Bezug auf die Stärkeberechnung aus dem Jahre 1998 ist nicht mehr sachgerecht, da die Bezirksregierung Lüneburg die innerbehördlichen Verteilungsmodalitäten inzwischen geändert hat. Sie orientiert sich seit dem 01.04.2001 insbesondere an den organisatorischen Erfordernissen der Inspektionen, an der Arbeitsbelastung (insbes. Zahl der Straftaten und Verkehrsunfälle) sowie an der Einwohnerzahl und an der Fläche des Zuständigkeitsbereichs. Überproportionale und unterproportionale Personalausstattungen der Polizeiinspektionen wurden und werden ausgeglichen. Berücksichtigt wird auch, dass der Behörde wegen des - insbesondere durch die Gegenfinanzierung der Einführung der zweigeteilten Laufbahn bedingten - Stellenrückgangs im Polizeivollzug des Landes ein etwas geringeres Gesamtvolumen zur Verfügung steht. Insoweit entspricht die 1998 von der Bezirksregierung Lüneburg entwickelte und nach heutigen Maßstäben überhöhte Planungsgröße von 279 Beamtinnen und Beamten nicht dem der PI Stade bedarfsgerecht zuzuweisenden Planstellenanteil. Dieser beträgt heute 259 Stellen. Nach Abzug der Belastungen durch Beurlaubungen, längerfristige Abordnungen oder Erkrankungen sowie Teilzeit stehen der PI Stade tatsächlich 241 Polizeibeamtinnen und -beamten zur Verfügung.
Zu 3: Im Bereich Einsatz- und Streifendienst der PI Stade sind mit Stand vom 01.07.2001 insgesamt 6 955 Mehrdienststunden noch abzugelten.
Zu 4: Die Frage der Abgeltung von dienstlich angeordneten oder genehmigten Mehrarbeitsstunden ist eine einsatztaktische Frage und hat sich nach den Verhältnissen der jeweiligen Dienststelle (Personal- und Einsatzlage) vor Ort zu richten. Eine generalisierende Empfehlung der Landesregierung zur Abgeltung von Mehrarbeitsstunden ist insofern wenig sinnvoll.
Der niedersächsische Gesetzgeber hat in Umsetzung des § 44 BRRG in § 80 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) geregelt, dass angefallene Mehrarbeit innerhalb von drei Monaten durch entsprechende Dienstbefreiung auszugleichen ist. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung erhalten.
Die Dienstbefreiung kann gewährt werden, sofern dienstlich vertretbare Mindeststärken im Einsatz- und Streifendienst bzw. im Kriminal- und Ermittlungsdienst gewährleistet sind.
Zu 5 und 6:
Siehe Vorbemerkung.
Zu 7: Nein.