Altenheim

Die Frage einer möglichen Privatisierung des Nds. Landeskrankenhauses Tiefenbrunn, das durch andere Aufgabenschwerpunkte aus der Vollversorgungsanforderung herausfällt, wurde im Ausschuss nicht erörtert.

Maßregelvollzug Belegungsdruck

Der Maßregelvollzug war im Berichtszeitraum wegen der Brisanz, der Aktualität und der Auswirkungen auf die gesamte stationäre psychiatrische Versorgung ein herausragendes Thema des Ausschusses. Die Besuchskommission Maßregelvollzug berichtete gleichbleibend in jeder Sitzung von einem hohen Aufnahmedruck mit entsprechender Überbelegung in sämtlichen Landeskrankenhäusern. So wurden z. B. im Nds. Landeskrankenhaus Moringen 330 Patientinnen und Patienten statt der vorgesehenen 300 behandelt. Neben dem Aufnahmedruck wurde ebenso eine deutlich längere Verweildauer registriert, was auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen war. Zum einen seien die Strafvollstreckungskammern bei Entlassungen deutlich zurückhaltender, zum anderen fehle es an Nachsorge und differenzierten Heimangeboten. In diesem Zusammenhang wurde von Überlegungen berichtet, die Institutsambulanzen in die Nachsorge mit einzubeziehen und insbesondere eine forensische Ambulanz in Hannover einzurichten. Der Ausschuss verwies darauf, dass Wohngruppenangebote und Heimplätze gerade von solchen Trägern und Anbietern erforderlich seien, die eine entsprechende Qualität garantieren könnten. In der Vergangenheit zeigte sich, dass z. T. eher zweifelhafte Anbieter bereit waren, ehemalige Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten aufzunehmen, während sich die anderen verweigerten. An Einzelfällen zeigte sich, wie schwer korrigierende Einflussnahmen bei „freien", lediglich an bestimmte Rahmenbedingungen formal gebundene, Angeboten durchgesetzt werden konnten.

Wiederholt hatten die Besuchskommissionen davon berichtet, dass forensische Patientinnen und Patienten Betten in der Allgemeinpsychiatrie belegten und damit für allgemeinpsychiatrische Patientinnen und Patienten blockierten. Auffällig war dies für das Landeskrankenhaus Wehnen. Mischbelegungen wurden aber auch vom Landeskrankenhaus Wunstorf berichtet, wo die Betreuung der allgemeinpsychiatrischen Patientinnen und Patienten z. T. darunter litt, dass Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten einen besonders hohen Aufwand an Aufmerksamkeit des Personals abzogen. Durch Umwidmung allgemeinpsychiatrischer Stationen für den MRV wurde in Wunstorf im Herbst 2002 die erforderliche Entmischung zwischen Regelpatienten und forensischen bzw. Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten vollzogen.

Voraussehbarer Personalmangel

Der Ausschuss schloss sich der überzeugenden Darstellung der Besuchskommission Maßregelvollzug an, die zunehmende Nachwuchssorgen beim Personal, insbesondere bei männlichem Personal feststellte. In diesem Bereich machte sich die Schwierigkeit, Ärzte für die Psychiatrie zu gewinnen, besonders schmerzlich bemerkbar. Ohne entsprechende Anreize wird qualifiziertes Personal zunehmend bereits in naher Zukunft nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen, wodurch Sicherheit und Therapieerfolge in Gefahr stehen.

Vorübergehend nicht kompensierbare Versorgungslücke Ausführlich wurde der Ausschuss von Referenten des MS über die Probleme des Patientenzuwachses im Maßregelvollzug und die durchgeführten wie geplanten Baumaßnahmen informiert. Den fertiggestellten Bauten wurde ein hoher Sicherheitsstand attestiert. Deutlich wurde aber auch, dass die Bautätigkeit mit der Nachfrage nicht Schritt halten würde. Ein kurzfristiger Übergangsbedarf von ca. 100 Plätzen wurde eingeräumt. Ausgehend von einer Patientenzahl von 910 im September 2001 wird mit einer jährlichen Zunahme von etwa 60 Patientinnen und Patienten gerechnet, ohne dass die Entwicklung aber ausreichend absehbar sein wird. Die gesamte Platzkapazität des Nds. Landeskrankenhauses Brauel wird künftig vollständig für Patientinnen und Patienten aus Niedersachsen zur Verfügung stehen.

Ein 90-Bettenhaus im Nds. Landeskrankenhaus Wehnen sei außerplanmäßig beantragt worden. Die Fachabteilung Bad Rehburg wird für die Belegung von Patientinnen und Patienten nach § 64 StGB auf 100 Plätze aufgestockt. Trotzdem sind nach wie vor Planungen für eine weitere größere Einrichtung überlegenswert.

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 30 % der Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten „nicht richtig" im Maßregelvollzug untergebracht sind, deren Identifizierung im Einzelfall allerdings größere Schwierigkeiten bereiten dürfte. Zur Entlastung des Maßregelvollzuges wird auf Bundesebene diskutiert, auf den juristischen Begriff „andere seelische Abartigkeit" als Merkmal eingeschränkter oder aufgehobener Schuldfähigkeit zu verzichten.

Heime „Heimdiskussion" Bundesweit nimmt Niedersachsen einen Spitzenplatz bei den Heimunterbringungen von psychisch kranken Menschen (ohne Gerontopsychiatrie) ein. Gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 4,4 Heimunterbringungen auf 10.000 Einwohner soll die Zahl in Niedersachsen bei 14,4 Heimunterbringungen liegen. Andere Zahlen können nur eine überdurchschnittliche Heimplatzzahl für psychisch Behinderte in Niedersachsen belegen.

Die von der Forschungsgemeinschaft „Menschen in Heimen" der Universität Bielefeld angestoßene „Heimdiskussion" im Juni 2001 führte in Niedersachsen zu der bereits erwähnten Gruppenpetition an den Nds. Landtag und zu der erwähnten Loccumer Tagung vom 5. bis 7. Juni 2002. Der Forderung einer sogenannten „Heimenquete" schloss sich auch die psychiatrische Arbeitsgemeinschaft in der Region Osnabrück an und forderte in ihrem Schreiben vom 19.12.2002 an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Kommission zur Enquete der Heime, sie empfahl jedoch dabei ein differenziertes, ergebnisoffenes Herangehen. Während die eine Seite das „Heimsystem" pointiert radikal infrage stellt, beklagen Mitarbeiter der Sozialdienste psychiatrischer Kliniken in Niedersachsen bei verkürzten Klinikverweildauern im konkreten Einzelfall noch immer unzureichende qualifizierte Heimangebote im Anschluss an die Klinikbehandlung. Nach Auffassung des Ausschusses sollte in diesem Zusammenhang besonders das Problem der Gewöhnung an Unselbstständigkeit (Hospitalisierung) Beachtung finden.

Novelliertes Heimgesetz Eingehend wurde der Ausschuss von einem Referenten des MS über das novellierte Heimgesetz informiert. Der Charakter des Gesetzes habe sich stark verändert. Gegenüber dem vorherigen Heimgesetz stünden nun Qualitätsfragen im Vordergrund. So bestimme § 2 Abs. 1 Ziffer 5 des Heimgesetzes „eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Qualität des Wohnens und der Betreuung zu sichern". Standards seien aber noch nicht formuliert. Die Möglichkeiten der Heimaufsicht, bei Mängeln zu reagieren, bestünden vorrangig in der Beratung und der Formulierung von Anordnungen. Konkret könnten Dokumentationspflichten angeordnet werden. Die Prüfkataloge sollen sich an denen des MDK orientieren. Der Ausschuss forderte die Entwicklung verbindlicher fortzuschreibender Standards als Grundlage für die Qualitätsbeurteilung und -sicherung. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Notwendigkeit einer besseren Qualifizierung der kommunalen Heimaufsichten und besserer Abstimmung der Zuständigkeiten hingewiesen.

Strukturbedingte Gewöhnung an Unselbstständigkeit

Im Bericht über die Loccumer Tagung zum Thema „Hilfebedürftigkeit und Persönlichkeitsrechte in der neueren psychiatrischen Diskussion" wurde Herr Profazi, Leiter des Referats für

Behindertenhilfe beim Landschaftsverband Westfalen/Lippe, zitiert. Er führte aus, dass die BSHG-Leistungen innerhalb von zwei Jahren (1998 bis 2000) von 7,9 Milliarden DM auf 9,8 Milliarden DM angestiegen seien. Er beurteilte dies als eine strukturbedingte Verschwendung von Geldern, weil Behinderten nicht mehr die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft ermöglicht werde, ihnen vielmehr eine strukturbedingte Gewöhnung an Unselbstständigkeit aufgezwungen werde.

Der Ausschuss verwies in diesem Zusammenhang kritisch auf die Rolle der rechtlichen Betreuer, die nicht selten bei der Veranlassung und Durchführung entsprechender Maßnahmen eine zentrale Rolle spielten.

Während es so gut wie keine Möglichkeit gebe, neue Heimplatzangebote, wenn sie bestimmte Rahmenbedingungen erfüllen, zu verhindern, weil hier das marktwirtschaftliche Prinzip erwünscht ist, kann doch die Belegung der bereitgestellten Plätze im Einzelfall dennoch überprüft und gesteuert werden, wenn die Kommunen qualifiziertes Personal vorhalten. Ausdrücklich hervorgehoben wurde das Instrument der Hilfekonferenzen oder Hilfeplankonferenzen. Dort, wo sie eingeführt wurden, haben sie sich bewährt, wenn sie an der Zielvorgabe festhielten: Förderung von mehr Eigenständigkeit und selbstbestimmter Unabhängigkeit

- soweit es möglich ist.

Mängel vorgehaltener Heimangebote

Als nicht mehr zeitgemäß rügte der Ausschuss die vorgehaltenen 4-Bettzimmer im Heimbereich einer psychiatrischen Klinik in Liebenburg. Die durch eine solche Wohnform gegebene Entindividualisierung ist in keiner Weise dazu geeignet, die beschriebenen Ziele einer Teilhabe am Leben der Gesellschaft zu erreichen. Sie verstärken vielmehr die Behinderungsfolgen durch Hospitalismus.

Entsprechende Mängel wurden auch in anderen Heimen festgestellt. Überwiegend fehlten pädagogisch zielgerichtete Konzeptionen. Mängel in baulicher Hinsicht und bei der Möblierung wurden beklagt. Kritik übten die Kommissionen insbesondere an einem Heim in Oldenburg, in Wildemann, aber auch im Landkreis Leer. Bei letzterem handelte es sich um ein Altenheim, das schwerst Demenzkranke versorgte, aber eine völlig unzureichende Personalausstattung vorhielt. So gab es für die 52 Bewohner nur eine einzige Nachtwache, 4 Bewohner mussten dauerfixiert werden. In diesem Zusammenhang hatte die Besuchskommission das zuständige Amtsgericht eingeschaltet.

Katastrophale räumliche Voraussetzungen mit verschmutzten Wänden, Türen und Decken bei überfordertem Pflegepersonal stellte die Besuchskommission Hannover in einer Einrichtung in Affinghausen fest. Die Zuständigkeit der Heimaufsicht war zu klären.

Mit Befremden reagierte der Ausschuss auf die Tatsache, dass die beobachteten Mängel von den Einrichtungen in Kauf genommen wurden und von rechtlichen Betreuern wie für die Unterbringung zuständigen Gerichten nicht frühzeitiger erkannt und angezeigt wurden.

Ausdrücklich wies der Ausschuss auf die Sanktionsmöglichkeit der Leistungskürzung bei Mängeln hin, ein Instrument, von dessen Anwendung nur ein Fall im Berichtszeitraum bekannt wurde.

Positive Mängelbehebung Positiv berichtete die Besuchskommission Hannover, dass sich nach jahrzehntelanger schwerwiegender Kritik von Seiten der Besuchskommission das Haus 3 im Heimbereich des Klinikums Wahrendorff in baulicher Hinsicht sehr erfreulich entwickelt habe.

5. Ausblick

Wenn auch das Wächteramt des Ausschusses und der Besuchskommissionen immer wieder eintretende Mängelentwicklungen zu Ungunsten seelisch erkrankter und behinderter Menschen nicht verhindern konnte, so zeigt sich doch, dass eine beharrliche Aufmerksamkeit und überzeugende Argumentation zu einer Abstellung von Mängeln in vielen Einzelfällen geführt hat. In Zukunft wird sich die Aufmerksamkeit des Ausschusses und der Besuchskommissionen neben der allgemeinen Mängelfeststellung verstärkt auf die festhaltenden Tendenzen solcher Hilfemaßnahmen richten müssen, die Eigenständigkeit und Selbstsorgefähigkeiten verhindern.

Dr. Eberhard Höfer (Ausgegeben am 20.06.2003)