Aufenthaltsermittlung von verdächtigen Personen durch die Polizei mittels stiller SMS auch in Niedersachsen?

Verschiedene Medien (Der Spiegel 15/2003, Berliner Zeitung und. Die Tageszeitung) berichten von Fahndungspraktiken der Polizei in Deutschland, bei denen „stille" SMS-Nachrichten an Tatverdächtige versendet werden, um ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. Hierbei berufen sich die Polizeibeamten auf die §§ 100 g und 100 h StPO, in denen es heißt, dass Netzwerkbetreiber „unverzüglich Auskunft" über die Verbindungsdaten einschließlich der Standortkennung bei einer „Straftat von erheblicher Bedeutung" geben müssen. Datenschützer und Staatsanwälte haben erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Fahndungsmethoden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Ist der Landesregierung der Bericht „Fahndung mit stiller Post" im Spiegel 15/2003, Seite 192 bekannt? Wie bewertet sie diesen?

2. Erfragten auch die niedersächsische Polizei oder andere niedersächsische Sicherheitsbehörden selbst oder mit Hilfe von Dritten, gegebenenfalls Mobilfunkanbietern, Standortdaten von Mobiltelefonnutzerinnen oder -nutzern, die ihre Geräte im Stand-by-Betrieb haben?

3. Nutzen die niedersächsische Polizei oder andere niedersächsische Sicherheitsbehörden die Programme „SMS Blasser" oder „SmartSMS" oder ähnliche Programme, um per heimlicher SMS (stealth ping) Verbindungsdaten zu erzeugen und so den Standort von Mobilfunknutzern zu erforschen?

4. Wenn ja, wie ist der genaue Ablauf einer Standortbestimmung unter Nutzung der oben beschriebenen Programme?

5. Kann diese Art der Standortbestimmung von allen Beamtinnen und Beamten genutzt werden?

6. Auf welcher Rechtsgrundlage werden die Standortbestimmungen ermittelt?

7. Bei welchen Straftaten bzw. bei Verdacht auf welche Straftaten werden Standortbestimmungen durchgeführt?

8. Sieht die Landesregierung die Verhältnismäßigkeit gewahrt?

9. Wird die entsprechende Fahndungsmethode nur bei Straftaten „von erheblicher Bedeutung" angewandt oder auch bei Bagatelldelikten?

10. Seit wann und wie oft in den einzelnen Jahren wurden Standortdaten über „heimliche SMS" von der niedersächsischen Polizei ermittelt? Welche weiteren polizeilichen Maßnahmen schlossen sich an die Standortermittlung an? Wie viele Festnahmen konnten dadurch erfolgen?

11. Werden Standortermittlungen bei der niedersächsischen Polizei oder anderen niedersächsischen Sicherheitsbehörden ausschließlich auf tatsächliche Verbindungen eines Handy bezogen oder werden diese auch im Stand-by-Betrieb durchgeführt? Wenn ja, in wie vielen der oben erfragten Fälle?

12. Sind der Landesregierung die Bedenken von Staatsanwaltschaften und Richtern zum Einsatz dieses Fahndungsmittels bekannt, und wie beurteilt die Landesregierung die Bedenken?

Wenn ja, welche Bedenken werden geteilt bzw. welche Bedenken hat die Landesregierung selbst, und wie will sie ihnen entgegen wirken?

13. Werden nach Auffassung der Landesregierung durch sogenannte „heimliche SMS" bei Stand-by-Betrieb des Empfängers die Vorschriften der StPO umgangen? Wenn nein, wie wird die Auffassung begründet?

14. Hält die Landesregierung einen richterlichen Beschluss für das stille Versenden einer SMS für notwendig? Wenn nein, warum nicht?

15. Bedürfen nach Auffassung der Landesregierung Fahndungspraktiken der Polizei einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle? Wenn nein, warum nicht? Wie wird die justizielle Kontrolle der Fahndungspraktiken der Polizei sichergestellt?

16. Bestehen in Niedersachsen bei den Sicherheitsbehörden die technischen Möglichkeiten, neben der Übermittlung der aktuellen Verbindungsdaten auch das sofortige Mithören eines Gesprächs zu ermöglichen? Wenn ja, werden die technischen Möglichkeiten auch genutzt, und auf welcher Rechtsgrundlage werden sie genutzt?

Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat im Mai 2002 einen Vertrag für die Nutzung der Software „SMS-Blaster" geschlossen. Neben dieser Software verfügen die OK-Dienststellen der Bezirksregierungen Weser-Ems und Braunschweig sowie das Landeskriminalamt über insgesamt neun kostenlose Lizenzen einer weiteren durch den Bundesgrenzschutz selbst entwickelten vergleichbaren Software.

Das Verfahren der „stillen SMS" wird ausschließlich durch die Polizei im Rahmen von Ermittlungsmaßnahmen genutzt.

Durch den Einsatz der beiden Systeme wird eine „stille SMS" verschickt, deren Empfang auf dem angewählten Mobiltelefon nicht angezeigt wird.

Beim Versand der SMS wird ein Datensatz erzeugt, der es ermöglicht, den Standort des Funkturmes festzustellen, über den die SMS an das Mobiltelefon ausgeleitet wurde. Hierbei ist es unerheblich, ob mit dem Mobiltelefon zeitgleich telefoniert wird oder sich dieses im „Stand-by"Modus befindet.

Eine Statistik zum Einsatz der „stillen SMS" wird nicht geführt. Es ist der Landerregierung daher nicht bekannt, welche Straftaten jeweils Anlass für den Einsatz gewesen und wie viele Festnahmen durch den Einsatz erfolgt sind. Auch liegen deshalb keine Erkenntnisse vor, ob bzw. in wie vielen Fällen „stille SMS" an Geräte im „Stand-by"-Betrieb versandt worden sind.

Eine retrograde Erhebung für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 30.06.2003 ergab beim Landeskriminalamt Niedersachsen eine Nutzung in 71 Fällen und bei der Bezirksregierung Braunschweig in fünf Fällen. Bei der Bezirksregierung Weser-Ems sind keine Zahlen erfasst worden. Je nach Konstellation wurden in den Fällen eine bis zu mehreren hundert „stille SMS" versandt. Letzteres ist insbesondere bei observationsunterstützenden Maßnahmen der Fall gewesen.

Die Anordnungen waren in der ganz überwiegenden Zahl auf nur einen Fernsprechanschluss bezogen.

Die Feststellung der Standortdaten mittels „stiller SMS" ist vielfach Voraussetzung weiterführender unterschiedlicher Maßnahmen, die vom Einzelfall abhängen. Vorwiegend findet der Einsatz im Zusammenhang mit Observations- und Fahndungsmaßnahmen statt.

Die retrograde Erhebung hat ergeben, dass der Einsatz der „stillen SMS" in Niedersachsen bisher ausnahmslos im Rahmen bereits bestehender Anordnungen zur Telekommunikationsüberwachung gem. §§ 100 a, b StPO erfolgt ist. Es lagen somit jeweils die in § 100 a Nr. 1 bis 5 StPO genannten Katalogtaten vor.

Die Landesregierung ist der Auffassung, dass der Einsatz der „stillen SMS" jedoch auch allein auf die §§ 100 g, h StPO gestützt werden kann, wobei es unerheblich ist, ob sich ein Gerät im „Standby"-Betrieb befindet (siehe hierzu die Ausführungen zu Frage 12). In diesen Fällen muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegen. Eine Ausweitung auf Bagatelldelikte wie dies in der Zeitschrift „Der Spiegel" (15/2003 - „Fahndung mit stiller Post") dargestellt wird, findet in Niedersachsen nicht statt und ist auch nicht geplant.

Die Verwendung der „stillen SMS" hat sich zur Ermittlung des ungefähren Standortes einer Zielperson mit einem im Mobilfunknetz eingebuchten Mobiltelefon bewährt und ist ein unverzichtbares Hilfsmittel für Ermittlungs-, Fahndungs- und Observationszwecke.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Der Einsatz der „stillen SMS" erfolgt nur zur Aufklärung schwerwiegender Straftaten. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 42, 139 ff.), der ausgeführt hat, dass entsprechende Maßnahmen jedenfalls dann zulässig sind und zu keinem Beweisverwertungsverbot führen, wenn es sich bei der den Gegenstand der Verfolgung bildenden Tat um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und wenn der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden, für deren Auswahl untereinander wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt, weniger erfolgversprechend war bzw. die Ermittlungen wesentlich erschwert würden. Diesen Voraussetzungen wird der Einsatz der „stillen SMS" in Niedersachsen gerecht.

Zu 9 bis 11: Siehe Vorbemerkungen.

Zu 12: Der Landesregierung sind die vom Generalstaatsanwalt in Stuttgart und von der Staatsanwaltschaft Stuttgart formulierten Bedenken bekannt. Aus der Gegenäußerung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung der §§ 100 g, h StPO (BT-Drs. 14/7258) wird die Schlussfolgerung gezogen, dass den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit zur Erstellung eines Bewegungsprofils nur im Rahmen der §§ 100 a, b StPO gegeben sein soll. Die Erstellung eines Bewegungsprofils durch heimliches Herstellen einer Verbindung mittels „stiller SMS" durch die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der §§ 100 g, h StPO soll danach unzulässig sein.

Diese Bedenken werden von der Landesregierung nicht geteilt.

Es ist zwischen der Erstellung eines Bewegungsprofils im Rahmen von §§ 100 a, b StPO und der Nutzung der Standortkennung durch den einzelfallbezogenen Einsatz der „stillen SMS" zu unterscheiden. Während für das Bewegungsprofil nach §§ 100 a, b StPO auch die Standortkennungen eines Mobiltelefons benutzt werden können, das sich nur im „Stand-By"-Betrieb befindet, und zwar während des gesamten Zeitraums der Telefonüberwachung, können für ein Bewegungsprofil nach §§ 100 g, h StPO nur die einzelnen Daten der jeweiligen Verbindungen benutzt werden, die durch die „stille SMS" hergestellt werden.