Konsequenzen für die niedersächsische Schulentwicklung nach PISA: Mehr Selbstständigkeit und Gestaltungsfreiheit für Niedersachsens Schulen

Durch die PISA- und die PISA-E-Studie gibt es erstmals einen internationalen und nationalen Vergleich der wichtigsten Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern eines Jahrganges. Die Ergebnisse und die daraus abzuleitenden Folgerungen zeigen auf, dass die Kultusministerkonferenz im Jahr 1997 unter niedersächsischem Vorsitz richtig entschieden hat, sich nach jahrzehntelanger Abstinenz deutscher Schulen erstmals an internationalen Leistungsstudien zu beteiligen.

Dieser Vergleich hat Defizite im Leistungsvermögen deutscher Schülerinnen und Schüler gegenüber anderen Nationen offenbart. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie liegen nicht nur im Schulsystem, sondern auch in der Erziehung in den Familien und der Einstellung der Gesellschaft zu Bildung, Normen und Werten.

Für Deutschland insgesamt gilt: Im Gegensatz zu anderen OECD-Staaten werden die Schullaufbahnen in Deutschland nicht nur vom Leistungsvermögen des Kindes, sondern viel zu stark von der sozialen Herkunft bestimmt. Hinzu kommen eingeschränkte Bildungsbeteiligung im ländlichen Bereich, sehr hohe Leistungsunterschiede zwischen lernstarken und lernschwachen Schülerinnen und Schülern und Probleme der Kinder insbesondere aus Migrantenfamilien wegen unzureichender deutscher Sprachkenntnisse.

Diesen negativen PISA-Befunden ist entgegenzuwirken. Niedersachsen will den Wettbewerb mit den Besten im OECD-Vergleich aufnehmen. Insgesamt gilt es für Niedersachsen und ganz Deutschland, die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler und damit die Herstellung der Chancengleichheit in den Mittelpunkt aller Bildungsbemühungen zu stellen.

PISA hat auch gezeigt, dass der Schulalltag der erfolgreichsten Staaten anders aussieht als in Deutschland. Auf Niedersachsen sollen die Bedingungen übertragen werden, die als ursächlich für die besseren Leistungsergebnisse analysiert wurden: An die Stelle bürokratischer Feinsteuerung muss die Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit der Schulen innerhalb staatlicher Rahmensetzung und Qualitätsentwicklung stehen, staatliche Regelungen werden durch eine Leistungsvereinbarung zwischen Schule, Land und Schulträger ersetzt. Mittelfristig sollen alle Schulen in Niedersachsen selbständiger werden. Der Staat und die Schulaufsicht sollen die Ziele definieren, die Wege dorthin sollen in den Schulen selbst entschieden werden.

Mit den in der Schulgesetznovelle und der Bildungsreform beschlossenen Verbesserungen ist Niedersachsen auf dem richtigen Weg. Mit ihnen wurde die individuelle Förderung des Kindes nach gezielten Förderplänen in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit gestellt und insbesondere die Förderung der leistungsschwächeren sowie der leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler verstärkt. Die Sprachförderung für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen im vorschulischen und schulischen Bereich ist eine entscheidende Maßnahme zur Integration von Kindern aus Migrantenfamilien und wird zu deren Schulerfolg beitragen.

Jetzt ist es Aufgabe, die bereits eingeleitete und finanzierte niedersächsische Schulreform durch gezielte Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung zu ergänzen. Vorrangige Ziele dabei sind

­ mehr Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit für die Schulen,

­ höhere Leistungsorientierung, Qualitätssicherung und Ergebnisverantwortung,

­ verstärkte individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler, Persönlichkeitsbildung, mehr Chancengleichheit.

1 Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung:

Die Landesregierung wird aufgefordert, ein Konzept zur Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung und einen Stufenplan zur Umsetzung vorzulegen, der folgende Handlungsfelder beschreibt:

Schulprogramm:

Alle Schulen werden zur Erstellung eines Schulprogramms verpflichtet. Das Erreichen selbst gesetzter Ziele und die Leistungsfähigkeit werden regelmäßig durch interne Evaluation reflektiert.

Die Schulen nehmen künftig an zentralen Standardüberprüfungen teil. Diese werden in ausgewählten Fächern und im Bereich des sozialen Lernens durchgeführt.

Qualitäts-Check:

Außerdem müssen sich die Schulen alle drei bis fünf Jahre im Rahmen einer externen Evaluation einem Qualitäts-Check stellen, der sich auf verschiedene Qualitätsbereiche des Orientierungsrahmens „Schulqualität in Niedersachsen" bezieht.

Zentrale Abschlussprüfungen:

Jede Schülerin, jeder Schüler wird künftig am Ende der Schullaufbahn in ausgewählten Fächern eine Abschlussprüfung machen. Das Zentralabitur und die zentralen Abschlussprüfungen sollen dabei für größere Vergleichbarkeit und Transparenz zwischen den Lernabschlüssen sorgen. Diese Prüfungen enthalten, wie in anderen Bundesländern, sowohl zentral vorgegebene Prüfungselemente als auch schulspezifische Prüfungsanteile.

2 Die Selbständige Schule:

Die Landesregierung wird aufgefordert, das Konzept zur „Selbständigen Schule" umzusetzen. Die „Selbständige Schule" soll einerseits durch die Aufhebung von Regelungen weitestgehend Gestaltungsfreiheit bekommen, andererseits mit dem Land und dem Schulträger Zielvereinbarungen abschließen. Dabei sind folgende Themen besonders zu beachten:

Mindeststandards:

Die jetzigen Rahmenrichtlinien werden schrittweise durch verbindliche einheitliche Mindeststandards in den verschiedenen Fächern ersetzt. Die Ausgestaltung der weiteren Lerninhalte liegt in der Verantwortung der einzelnen Schule.

Die Rolle der Schulleitung und der Gesamtkonferenz:

In der „Selbständigen Schule" mit weit gehenden Kompetenzen bei der Budget- und Personalverwaltung sind die Gremienstruktur zu verändern und ihre Aufgaben neu zu definieren. Insbesondere ist zu klären, welche Entscheidungskompetenzen welche Gremien bekommen.

Mitwirkungsrechte von Eltern, Schülerinnen und Schülern:

Die Mitwirkungsrechte von Eltern, Schülerinnen und Schülern sollen so ausgeweitet werden, dass sie als gleichwertige Partner an dem Prozess der „Selbständigen Schule" teilnehmen können. Dabei sind Vorschläge über neue Formen der Beteiligung, wie z. B. einen „Aufsichtsrat" auszuarbeiten. Es soll ein Vorschlag erarbeitet werden, wie Schulträger, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der „Region" stärker beratend und unterstützend eingebunden werden können.

Die neue Steuerung Kultusministerium und Schulaufsicht steuern und unterstützen die Schulentwicklung durch landesweite Standards, Qualitätsindikatoren und zentrale Prüfungen. Auch die Schulbehörden werden regelmäßig evaluiert.

Beratung und Unterstützung:

Bei der Qualitätsverbesserung und den damit verbundenen Veränderungen dürfen die Schulen nicht allein gelassen werden. Es gilt, ein effektives Unterstützungssystem aufzubauen.

Aufgaben der Schulbehörde:

Eine so grundlegende Reform wie die „Selbständige Schule" zieht eine Neuordnung der Schulbehörde und ihrer Aufgaben nach sich. Hier sind die Aufgaben der Schulaufsicht bei den Bezirksregierungen, dem Kultusministerium und dem NLI neu zu regeln.

Die erste Reformstufe:

In einer ersten Reformstufe ab dem Schuljahr 2003/2004 können Schulen sich freiwillig zur „Selbständigen Schule" entwickeln. Sie schließen dazu einen Vertrag mit dem Land und dem Schulträger. Das Kultusministerium erarbeitet schnellstmöglich die notwendigen Grundlagen.

Die Landesregierung setzt im Einklang mit dem soeben verabschiedeten Schulgesetz auf die Eigenverantwortung der Schule und betont damit die Verantwortung der Schule für das eigene Tun. Deshalb wurden in einem ersten Schritt die festgelegten Präsenztage für Lehrkräfte aufgehoben. Schon zum Schuljahresbeginn 2003/2004 regeln die Schulen in Eigenverantwortung, wann Dienstbesprechungen, Lehrerfortbildungen und Kollegiumsausflüge sowie die dienstlichen Vorbereitungen der jeweiligen Schulhalbjahre in der unterrichtsfreien Zeit erfolgen.

Ein Konzept für die Entwicklung zur „eigenverantwortlichen Schule" wird zurzeit erarbeitet.