Schöpft die Landesregierung wirklich alle Möglichkeiten aus, die Überbelegung der Justizvollzugsanstalten abzubauen?

In der vergangenen Legislaturperiode haben justizpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion wiederholt gefordert, dass ausländische Straftäter ihre Haftzeit nicht in niedersächsischen Gefängnissen absitzen, sondern die Strafe im Vollzug ihrer Heimatländer verbüßen. In ihrer Koalitionsvereinbarung haben die die Landesregierung tragenden Fraktionen von CDU und FDP angekündigt, sich auf Bundesebene dafür einsetzen zu wollen, dass die Möglichkeit der Haftverbüßung von ausländischen Straftätern im Heimatland verstärkt genutzt werden kann. Dies wirft die Frage auf, ob sich die Landesregierung überhaupt innerhalb ihres eigenen Verantwortungsbereiches hinreichend dafür einsetzt, dass die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Haftverbüßung im Herkunftsland ausgenutzt werden. Es gibt verschiedene völkerrechtliche Verträge, welche bereits heute die Verbüßung von Freiheitsstrafen im Heimatland der Straftäter regeln. In der Praxis am bedeutsamsten ist ein Übereinkommen des Europarates, nämlich das Europäische Übereinkommen vom 21. März 1983, über die Überstellung verurteilter Personen. Das Übereinkommen ermöglicht es, einen zu einer Freiheitsstrafe verurteilten ausländischen Straftäter zum Zwecke der weiteren Vollstreckung in seinen Heimatstaat zu überstellen, sofern zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens noch mindestens sechs Monate der verhängten Strafe zu vollstrecken sind, sich die beiden Staaten über die Überstellung einigen und der Verurteilte zustimmt. In der Vergangenheit sind allerdings die Gesuche von ausländischen Gefangenen, die ausdrücklich um Haftverbüßung im Herkunftsland gebeten haben, oftmals an Bedenken und Ablehnungen der Staatsanwaltschaften gescheitert.

Ich frage die Landesregierung:

1. Gegen wie viele ausländische Straftäter im niedersächsischen Vollzug liegen rechtsgültige Ausweisungsbeschlüsse vor, die direkt nach dem Ende der Haftzeit ausgeführt werden?

2. Aus welchen Herkunftsländern kommen diese Straftäter?

3. Wie viele dieser Straftäter erklärten bereits ihre Zustimmung zur Verbüßung der restlichen Strafe im Herkunftsland?

4. Hat die Landesregierung dazu eine Umfrage bei den Justizvollzugsanstalten gemacht? Wenn nein, warum nicht?

5. In wie vielen Fällen, in denen die Zustimmung des Gefangenen vorliegt, hat die Landesregierung mit den Herkunftsländern Verhandlungen zur Rückführung und Strafverbüßung im Heimatland aufgenommen?

6. Mit welchem Erfolg?

7. Um welche Herkunftsländer handelt es sich?

8. Gibt oder gab es Gespräche mit den Staatsanwaltschaften über den Umgang mit solchen Fällen? Mit welchem Ausgang?

9. Kann es zu einem Abbau der Überbelegung in den Justizvollzugsanstalten des Landes beitragen, wenn die Möglichkeiten des Europaratsabkommens vom 21. März 1983 konsequent genutzt werden?

10. Aus welchen Gründen wird die Haftverbüßung im Herkunftsland trotz vorliegender Einverständniserklärung des Gefangenen bislang in Niedersachsen abgelehnt?

Der Landesregierung ist die Rückführung ausländischer Straftäter ein besonderes Anliegen. Sie setzt sich deshalb für eine möglichst intensive Anwendung des für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Februar 1992 in Kraft getretenen Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 ein. Aus diesem Grunde werden in Niedersachsen Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung regelmäßig gestellt, sofern eine Übertragung der Strafvollstreckung auf den Heimatstaat nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Dabei darf allerdings nicht außer Betracht gelassen werden, dass das Übereinkommen nur zur Anwendung kommen kann, wenn der verurteilte Straftäter die Überstellung in sein Heimatland selbst wünscht. Eine signifikante Steigerung der Zahl der Überstellungsverfahren wird sich daher erst ergeben können, wenn das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Überstellungsübereinkommen in Kraft tritt. Dessen Ratifizierung verzögert die Bundesregierung jedoch noch immer ohne überzeugende Gründe.

Eine Vollstreckungshilfestatistik wird hier erst seit der Einführung des Vorgangsverwaltungssystems LIMA geführt. Daher müssen sich die nachfolgenden Auskünfte auf die Zeit seit dem 1. Januar 1998 beschränken. Eine Erstreckung auf den davor liegenden Zeitraum würde eine Einzelauswertung der zu Grunde liegenden Überstellungsvorgänge erfordern, die einen im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht zu leistenden Aufwand mit sich bringen würde und zudem lückenhaft bleiben müsste, da ältere Vorgänge bereits ausgesondert und vernichtet worden sind.

Überstellungsvorgänge aus dem laufenden Jahr wiederum konnten nur berücksichtigt werden, soweit diese bereits abgeschlossen sind.

Dies voraus geschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Der Landesregierung ist die genaue Anzahl der aktuell im niedersächsischen Strafvollzug befindlichen Ausländer, gegen die rechtskräftige und vollziehbare Ausweisungsentscheidungen vorliegen, nicht bekannt. Der niedersächsische Strafvollzug verfügt derzeit noch nicht über eine Gefangenendatenverwaltung, die eine automatisierte Beantwortung dieser Frage zulässt. Eine manuelle Auswertung der in Betracht kommenden rund 1 700 Gefangenenpersonalakten würde dagegen einen Aufwand mit sich bringen, der im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht geleistet werden kann.

Zu 2: Mangels vollständiger Übersicht über den relevanten Personenkreis ist auch eine Beantwortung dieser Frage nicht möglich.

Zu 3: Diese Frage lässt sich ebenfalls nicht ohne eine nicht zu leistende Einzelauswertung der Gefangenenpersonalakten beantworten. Auch aus der hier geführten Vollstreckungshilfestatistik ergibt sich insoweit nur, wie viele ausländische Gefangene in der Zeit vom 01.01.1998 bis Ende Oktober 2003 überhaupt den Wunsch nach einer Überstellung geäußert haben. Aus ihr geht jedoch weder hervor, ob gegen die betreffenden Gefangenen eine zumindest vollziehbare Ausweisungsverfügung vorliegt, noch, ob sie sich gegenwärtig überhaupt noch im niedersächsischen Strafvollzug befinden.

Zu 4: Eine Umfrage bei den Justizvollzugsanstalten ist bisher nicht durchgeführt worden und mangels Notwendigkeit auch für die Zukunft nicht beabsichtigt. Die Anzahl der überstellungswilligen ausländischen Gefangenen ergibt sich aus der hiesigen Vollstreckungshilfestatistik. Die betreffenden Personen und die für ein Überstellungsverfahren notwendigen Daten sind der Vollzugseinrichtung wie auch der zuständigen Vollstreckungsbehörde und, nach Eingang des von letzterer zu erstattenden Berichts, auch mir bekannt. Zusätzliche Erkenntnisse könnte eine Erhebung bei den Justizvollzugsanstalten und Maßregelvollzugseinrichtungen daher allenfalls im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls zu dem Überstellungsübereinkommen unterfallenden ausländischen Strafgefangenen erbringen. Der damit verbundene Aufwand stünde jedoch außer Verhältnis, da bereits die Gefangenenstatistik genügend Informationen enthält, um notwendige Rückschlüsse auf die zu erwartenden Auswirkungen des Zusatzprotokolls zu ziehen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten verweise ich auf meine Antwort zu Frage 2 der Mündlichen Anfrage Nr. 10 der Abgeordneten Dr. Biester und Nacke (CDU) zum September-Plenum des Niedersächsischen Landtags Konsequente Rückführung ausländischer Straftäter in ihre Heimatstaaten (Anlage 5 zum Protokoll der 14. Plenarsitzung vom 19. September 2003, S. 1383).

Zu 5: Seit dem 01.01.1998 sind in Niedersachsen 119 Überstellungsverfahren abschließend bearbeitet worden, denen Überstellungswünsche ausländischer Strafgefangener und im Maßregelvollzug Untergebrachter zu Grunde lagen. In 76 Fällen sind Ersuchen um Übernahme der weiteren Strafvollstreckung an die jeweiligen Heimatstaaten gerichtet worden.

Zu 6: In 58 Fällen kam es tatsächlich zu einer Überstellung der Verurteilten. In 18 Fällen war dies nicht möglich.

Zu 7: Überstellungen erfolgten bisher nach Dänemark, Finnland, Italien, Österreich, Polen und Schweden sowie in die Niederlande, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich.

Zu 8: Die Anwendung des Überstellungsübereinkommens ist Gegenstand eines kontinuierlichen Kommunikations- und Überwachungsprozesses zwischen den Vollstreckungsbehörden und mir. In meinem Geschäftsbereich habe ich das Übereinkommen nebst Vertrags- und Ausführungsgesetz sowie weiteren Materialien mit Rundverfügung vom 22.07.1992 bekannt gemacht und dabei in Ergänzungen der Richtlinien über den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) detaillierte Hinweise zu seiner Anwendung gegeben. Im Übrigen werden die Vollstreckungsbehörden, wie auch die Vollzugseinrichtungen, stets unterrichtet, wenn weitere Staaten dem Übereinkommen beitreten.

Das in den Nummern 105 bis 113 der RiVASt geregelte Verfahren ist so ausgestaltet, dass die Vollstreckungsbehörden der Landesjustizverwaltung über jedes Überstellungsgesuch einer verurteilten Person zu berichten haben. Dadurch ist eine stetige Dienstaufsicht gewährleistet, die es mir insbesondere ermöglicht, dem Verfahren in geeigneten Fällen auch dann Fortgang zu geben, wenn die Vollstreckungsbehörde dem Überstellungswunsch selbst nicht näher treten will. Auch das weitere Verfahren unterliegt einer effektiven Kontrolle, da letztlich das Übernahmeersuchen an den Heimatstaat der verurteilten Person je nach Geschäftsweg entweder von mir gestellt oder die Vollstreckungshilfeunterlagen von mir an das Bundesministerium der Justiz weiter geleitet werden.

Fragen des Überstellungsverkehrs sind auch Gegenstand meiner nach Bedarf statt findenden Dienstbesprechungen mit den Rechtshilfedezernentinnen und -dezernenten der Generalstaatsanwaltschaften und der Staatsanwaltschaften. Zuletzt war der Überstellungsverkehr Thema der Dienstbesprechung vom 15./16. Mai 2003. Im Anschluss daran habe ich die Staatsanwaltschaften im Interesse vermehrten und vor allem beschleunigten Überstellungsverkehrs mit Erlass vom 30.06.2003 darum gebeten.