Humanen Strafvollzug gewährleisten und Haftalternativen ausbauen - Keine Rückkehr zum Verwahrvollzug

Der Landtag stellt fest, dass die Situation in den niedersächsischen Haftanstalten nach wie vor angespannt ist. Mit insgesamt über 7000 Strafgefangenen sind viele Anstalten dramatisch überbelegt.

Das Bundesverfassungsgericht sprach in diesem Zusammenhang von menschenunwürdigen Zuständen in den Haftanstalten.

Darüber hinaus äußerten verschiedene Medien bereits Bedenken hinsichtlich der Sicherheit in den Haftanstalten (HAZ vom 27.01.2004: „Sicherheit in Gefängnissen ist in Gefahr"; Weser Kurier vom 09.09.2003: „Das kann brenzlig werden").

Die Landesregierung wird deshalb aufgefordert,

1. die Sanktionenrechtsreform der Bundesregierung positiv zu begleiten und die Vorraussetzungen auf Landesebene dafür zu schaffen, dass das Prinzip „Schwitzen statt Sitzen" ausgebaut wird, um damit Haftzahlen nachhaltig zu senken,

2. die Standards des Strafvollzugs nicht weiter durch eine Verschlechterung des Strafvollzugsgesetzes abzusenken,

3. vor allem für verurteile Frauen die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung nach § 455 a STPO zu prüfen und weitere Haftvermeidungskonzepte zu entwickeln,

4. bei einem zukünftigen Vollzugskonzept eine stärkere Vernetzung von stationären und ambulanten Maßnahmen zu realisieren und dabei den Grundsatz ambulant vor stationär zu verfolgen,

5. bei einem Benchmarking zwischen verschiedenen Bundesländern in Bezug auf die Vollzugskonzepte vor allem die niedrigen Inhaftierungszahlen als wesentliche Kennziffer einzubeziehen.

Begründung:

Die Gründe für die Überbelegung in niedersächsischen Haftanstalten sind vielfältig. Einer der Hauptgründe liegt in einer insgesamt verfehlten Kriminalpolitik, die immer mehr auf Bestrafung durch Freiheitsentzug, auf schärfere Gesetze und Repression setzt. In der kürzlich erschienenen Studie „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen" des BMJ wird erneut festgestellt, dass Freiheitsentzug nur in seltenen Fällen einen positiven Beitrag hinsichtlich Resozialisierung bewirkt.

Er ist insofern auch kein Beitrag für mehr Opferschutz. Vielmehr verschärfen sich durch den Vollzug oftmals die Probleme, da die Straftäter soziale Bindungen aufgeben müssen und mit hochgradig kriminellen Milieu auf engstem Raum in Kontakt kommen. Gefängnisse sind häufig Schulen des Verbrechens, vor allem für jüngere unreifere Insassen. Warnschussarreste und ähnliche Sanktionsformen ohne empirische Grundlage für Erfolg sind daher abzulehnen. Der Freiheitsentzug muss als Sanktionsform Ultima Ratio für schwere Gewalt- und Eigentumskriminalität bleiben.

Die Überbelegung in den niedersächsischen Haftanstalten hat eine Vielzahl von negativen Effekten zur Folge. Die steigende Aggressivität unter den Gefangenen und zwischen Gefangenen und Mitarbeitern erhöht die Risiken für die Beteiligten. Die Gefangenen haben nicht ausreichend Arbeitsmöglichkeiten, dabei sind Arbeit und Ausbildung eine der wichtigsten Maßnahmen für eine erfolgreiche Resozialisierung. Das Vollzugspersonal arbeitet unter erschwerten Bedingungen, da die Anspannung zunimmt. Damit erhöht sich das Risiko von Ausbrüchen und Geiselnahmen. Die Justizministerkonferenz spricht im Beschluss vom Juni 2003 daher zu Recht von einer „gefährlichen" Überbelegung der bundesdeutschen Haftanstalten. Die neue Landesregierung ist bisher den Beweis schuldig geblieben, wie sie die bedrückende Situation nachhaltig verbessern will. Sie verschärft gegenwärtig durch ihre Politik die angespannte Situation im Vollzug: die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat Unruhe und Irritationen in die Anstalten gebracht, da Gefangene nun um ihre Entlassung fürchten. Durch die Streichung der externen Drogenberatung kommen neue Aufgaben auf das Vollzugspersonal zu, das gleichzeitig Stellen abbauen soll. Die Streichung des innovativen und national wie international viel beachteten Spritzenprojektes war sowohl in gesundheitsprophylaktischer als auch in psychologischer Hinsicht kontraproduktiv.

In Niedersachsen verbüßen täglich über 300 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Teure Haftplätze werden somit aus Gründen blockiert, die weder aus der Deliktschwere noch der Gefahr für die Bevölkerung zu rechtfertigen sind. Für diese Täter ist daher eine Sanktion durch eine Arbeitsauflage sinnvoller und effektiver. Durch eine adäquate Arbeitsauflage können Kriminelle einen sinnvollen Beitrag zur Wiedergutmachung leisten. Haftvermeidungskonzepte sind daher aus sanktionspolitischer und fiskalpolitischer Sicht vernünftig. Die Erfolgsquote der ambulanten Sanktionen ist in Bezug auf den Resozialisierungsauftrag wesentlich höher als die der stationären. Daher sind in Niedersachsen die ambulanten Strukturen wie die freie Straffälligenhilfe zu stärken. Die Bundesregierung plant derzeit eine Reform des Sanktionensystems, um Ersatzfreiheitsstrafen soweit wie möglich zu vermeiden. Die Landesregierung wird aufgefordert, diese Reform positiv zu unterstützen und die Voraussetzungen für eine schnelle Umsetzung in Niedersachsen zu schaffen.

Die Überbelegung ist im niedersächsischen Frauenvollzug besonders dramatisch. Es fehlen aktuell 80 Haftplätze. Fehlende Sanierungsmittel haben bisher verhindert, dass die Situation entschärft werden konnte. Viele der inhaftierten Frauen haben Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen. Vom Besitz oder Erwerb von Betäubungsmitteln geht indessen keine Gefahr für die Bevölkerung aus. Daher ist eine Prüfung nach 455 a STPO angezeigt, wonach ein Aufschub oder eine Unterbrechung aus Gründen der Vollzugsorganisation möglich ist. Verschiedene konservativ regierte Bundesländer haben bereits von dieser Maßnahme Gebrauch gemacht, ohne dass es zu verstärkten Gefahren für die Bevölkerung gekommen ist.

Bei einem zukünftigen Vollzugskonzept, das auch Privatisierungselemente beinhalten soll, muss streng darauf geachtet werden, dass keine Arbeitsmöglichkeiten für die Insassen verloren gehen, da sonst die Resozialisierung gefährdet wäre.

Das angekündigte Benchmarking des niedersächsischen Vollzugs mit anderen Bundesländern in Bezug auf erfolgreiche Resozialisierung, Rückfallquoten und Haftkosten muss sich vor allem an der Kennziffer der niedrigen Inhaftierungsquote orientieren, da sie ein deutlicher Indikator sowohl für eine niedrige Kriminalität als auch für ein modernes und kreatives Sanktionensystem darstellt. Verantwortbare Haftvermeidung und Haftreduzierung sind eine wesentliche Aufgabe der Justiz, denn je geringer die Haftzahlen sich insgesamt darstellen, um so effektiver und professioneller kann der Vollzug agieren.