Betäubung von Schweinen in niedersächsischen Schlachtstätten

Die seit 1997 geltende Tierschutz-Schlachtverordnung wird derzeit überarbeitet. Für Schweine ist beispielweise vorgesehen, die Expositionszeit bei Einsatz von CO2 von 70 auf 100 Sekunden zu verlängern. Die CO2-Betäubung ist eine weit verbreitete, aber aus Tierschutzsicht nicht unumstrittene Betäubungsmethode für Schlachtschweine. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kulmbach werden bei einer Betäubung mit CO2 während der Anflutungsphase (10 bis 15 Sekunden) tierschutzwidrige Stresssituationen verursacht (Atemnot, Aufbäumen, Fluchtversuche). In Kulmbach wurde auch der alternative kombinierte Einsatz von Argon untersucht.

Darüber hinaus klagen Tierschützer immer wieder darüber, dass es in der Schlachtpraxis durch angespannte Arbeitsbedingungen zu „Pannen" bei der Betäubung der Tiere kommt, die diesen unnötige Leiden zumuten.

Ich frage die Landesregierung:

1. In wie vielen Schlachtstätten in Niedersachsen werden Schweine geschlachtet?

2. Welche Betäubungsmethoden werden dabei in wie vielen Betrieben angewandt?

3. Wie beurteilt die Landesregierung die angesprochene Tierschutzproblematik bei der CO2 Betäubung?

4. Welche Umsetzungsmöglichkeiten sieht die Landesregierung für alternative Methoden (z. B. eine kombinierte Argon-CO2-Betäubung), und wird sie sich dafür einsetzen?

5. Wie oft wurden seit dem 1. Januar 2002 die niedersächsischen Schlachtstätten von betriebsexternen Sachverständigen auf tierschutzrechtliche Belange überprüft, und wie viele dieser Kontrollen fanden ohne vorherige Anmeldung statt?

6. Wie viele Verstöße welcher Art wurden festgestellt, und wie wurden sie geahndet?

7. Wie wird sichergestellt, dass die Expositionszeit bei der CO2-Betäubung von Schweinen von künftig 100 Sekunden eingehalten wird?

8. Nach welchen Kriterien wird die Anzahl der Schlachtungen pro Stunde festgelegt, und welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um eine Erhöhung der Frequenz bei einer bestehenden Anlage zu genehmigen?

9. Wie viele Schlachtstätten schlachten im Akkord (bzw. vergüten nach Stückzahl)? (An die Staatskanzlei übersandt am 02.03.2004- II/72 - 137)

Die gesetzliche Grundlage für die Betäubung von Schlachtschweinen bildet der § 4 a Tierschutzgesetz. Danach darf ein warmblütiges Tier nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist. Die Einzelheiten sind in der Tierschutz-Schlachtverordnung geregelt.

EU-weit gilt nach der Richtlinie 93/119/EWG der Grundsatz, dass Tiere vor dem Schlachten zu betäuben sind. Sie müssen bei der Schlachtung von vermeidbaren Aufregungen, Schmerzen oder Leiden verschont bleiben. Ein Betäubungsverfahren ist in Übereinstimmung mit § 13 TierschutzSchlachtverordnung als tierschutzgerecht anzusehen, wenn es das Tier schnell und ohne vermeidbare Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt.

Der Entblutungsstich muss bei reversiblen Betäubungsverfahren so zeitnah zur Betäubung gesetzt werden, dass der zur Bewusstlosigkeit führende Blutverlust noch innerhalb der Betäubungsdauer zum Koma führt.

Als Betäubungsmethoden bei Schweinen werden angewandt:

1. Die Bolzenschussbetäubung als mechanische Betäubung, bei der der Aufprall des Bolzens auf dem Schädeldach zu einer Gehirnerschütterung führt, die mit einem sofortigen Bewusstseinsverlust einhergeht. Durch Einwirkung des eingedrungenen Bolzens auf die Hirnstammbereiche wird eine anhaltende und tiefe Betäubung bewirkt, die auch bei nicht entbluteten Tieren teilweise zum Tod führen kann.

2. Die Elektrobetäubung, bei der die Betäubungswirkung auf einem mit Bewusstlosigkeit einhergehenden epileptischen Anfall beruht.

3. Die Kohlendioxid (CO2)-Betäubung, die einer Inhalationsnarkose entspricht.

In Niedersachsen werden seit Februar 2001 über die betriebseigenen Kontrollen und die regelmäßige Überwachung durch die zuständigen Veterinärbehörden hinaus im Rahmen des so genannten „Schlachthof-Monitorings" tierschutzfachliche Überprüfungen der Schlachtbetriebe durchgeführt.

Hierbei wird eine Überprüfung der Betäubungsanlagen in Schlachtbetrieben durch die Technischen Sachverständigen des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) vorgenommen; ferner erfolgt eine umfassende Kontrolle des Schlachttierbereiches von der Anlieferung über Ruhestall und Zutrieb bis hin zur Betäubung und Schlachtung.

Ferner ist ein "Handbuch Tierschutzüberwachung im Schlachtbetrieb" erarbeitet worden, das als Leitfaden dienen soll

­ zur Unterstützung der amtlichen Tierärztinnen und Tierärzte bei der Überwachung der Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorschriften am Schlachthof und

­ für die Verantwortlichen eines Schlachtbetriebes bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten hinsichtlich des Tierschutzes (RdErl. des ML vom 11.12.2002, Nds. MBl. 2003, S. 91).

In dem Handbuch sind neben den rechtlichen Anforderungen Grundsätze zur Überwachung und Dokumentation dargestellt. Das Handbuch führt relevante Sollvorgaben auf, die als Prüfkriterien zu berücksichtigen sind, sowie deren Überwachungs- und Dokumentationsmöglichkeiten, und es beinhaltet u. a. Checklisten zur Vereinheitlichung der Dokumentation der Durchführung der Überwachung der tierschutzrelevanten Prüfkriterien.

Die in der Kleinen Anfrage erwähnte Änderung der Tierschutz-Schlachtverordnung ist auf Initiative Niedersachsens zurückzuführen. Die rechtliche Implementierung der Erhöhung der Verweilzeit von

Schweinen in der CO2-Atmosphäre ist mit Wirkung vom 18.02.2004 erfolgt. Darüber hinaus wird derzeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Basis von Vorschlägen des Landes Niedersachsen eine umfangreiche Änderung der Tierschutz-Schlachtverordnung erarbeitet. U. a. sollen nur noch geprüfte Betäubungs- und Schlachtanlagen zum Einsatz kommen dürfen, die neben einer allgemeinen Zulassung noch eine Einzelabnahme durch die Technischen Sachverständigen erfahren haben.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: In Niedersachsen werden derzeit in 648 Schlachtstätten Schweine geschlachtet; davon 38 EU-zugelassene und 610 für den Handel mit Fleisch in Deutschland registrierte Betriebe.

Zu 2: Die Betäubungsmethoden in den einzelnen Betrieben stellen sich wie folgt dar: Betäubungsmethode Anzahl der Schlachtbetriebe Elektrobetäubung 572, Bolzenschussbetäubung 63, CO2-Betäubung 13.

Zu 3: Aus Sicht des Tierschutzes wird die Betäubung von Schlachtschweinen - wie kaum ein anderer Vorgang - kontrovers diskutiert. Dies gilt insbesondere für die vom Verordnungsgeber in § 13 Abs. 6 i. V. m. Anlage 3 der Tierschutz-Schlachtverordnung geregelte Kohlendioxid-Betäubung.

Den Ergebnissen des jüngsten Forschungsprojekts der BFEL zufolge wird Kohlendioxid als Schleimhaut reizendes und atemstimulierendes Gas von Schweinen in der kurzen Anflutungsphase als aversiv empfunden. Ein alternatives Gas-Betäubungsverfahren zur Vermeidung von Stressfaktoren könnte laut BFEL das zweistufige Argon-/Kohlendioxidverfahren darstellen, das sich noch in der Entwicklungsphase befindet.

Insgesamt ist es Aufgabe der Veterinärbehörden, im Rahmen der Überwachung der Durchführung der seit Jahrzehnten weltweit eingesetzten CO2-Betäubung auf die Vermeidung Stress auslösender Faktoren hinzuwirken (z. B. durch Gewährleistung eines tiergerechten Zu- und Eintriebs in die Betäubungsanlage). Im Hinblick auf eine weitere Optimierung des „Handlings" von Schlachtschweinen vom Transport über Entladen, Ruhestall und Zutrieb bis hin zur Betäubung besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen den Schlachtbetrieben und dem LAVES. Zum Teil können die aufzeichnungspflichtigen betäubungsrelevanten Parameter des Betriebes online vom LAVES abgerufen werden.

Zu 4: Neben einer Prüfung des zweistufigen Argon/CO2-Betäubungsverfahrens auf Praxisgerechtheit hin ist insbesondere der Ersatz älterer CO2-Betäubungsanlagen (in der Regel Butina-Anlagen „Jumbo" mit stirnseitigem Eintritt in die Gondel) oder vergleichbare Anlagen (z. B. Fabrikat STORK) durch Betäubungsanlagen der neuesten Generation anzustreben. Insofern gilt es, die bekannten und zugelassenen Betäubungsverfahren weiter zu optimieren.

Zu 5: Die Betriebskontrollen erfolgen grundsätzlich regelmäßig und werden i. d. R. ohne vorherige Ankündigung durchgeführt, sofern die Anwesenheit einer verantwortlichen Person des Betriebes nicht erforderlich erscheint. Bei den Kontrollen ist zwischen zugelassenen und registrierten Betrieben zu differenzieren.

In zugelassenen Betrieben werden die tierschutzrechtlichen Anforderungen an jedem Schlachttag im Schlachtbetrieb durch die amtlichen Tierärzte vor Ort kontrolliert. Seitens der Veterinärbehörden werden laufend Kontrollen sowohl im Hygiene- als auch im Tierschutzbereich durchgeführt (Kon trolle der betrieblichen Eigenkontrolle). Darüber hinaus erfolgen regelmäßig (mindestens einmal jährlich) Funktionsprüfungen der Betäubungsanlagen durch die Maschinentechnischen Sachverständigen des LAVES. Im Rahmen des niedersächsischen Transportmonitorings wird ferner im Bereich der Anlieferung von Schlachttieren die Einhaltung der Anforderungen beim Transport kontrolliert.

Die Überwachung in registrierten Betrieben (mit geringer Schlachtkapazität) durch den amtlichen Tierarzt/Amtstierarzt erfolgt in einem Umfang, der von der Zahl und dem Zeitpunkt der Schlachtungen sowie dem Umfang und dem Ergebnis vom Betrieb durchgeführter Eigenkontrollen abhängt (mindestens aber einmal jährlich). Auch zu diesen Kontrollen werden die Technischen Sachverständigen des LAVES regelmäßig hinzugezogen.

Zu 6: Zu größeren Beanstandungen ist es bisher nicht gekommen. Im Allgemeinen wurden geringfügige Mängel an den Elektrozangen festgestellt, wie z. B. verschmutzte Elektroden, fehlende oder fehlerhafte Aufzeichnung der Betäubungsparameter. Diese Mängel wurden kurzfristig abgestellt; z. T. wurden Ermahnungen oder kostenpflichtige Verwarnungen ausgesprochen. Im Übrigen werden in den Schlachtbetrieben regelmäßig Personalschulungen durchgeführt.

Zu 7: Die Verweildauer der Tiere in CO2-Betäubungsanlagen beträgt den Berichten der Veterinärbehörden zufolge in der Regel zwischen 120 und 180 Sekunden. Die Verweilzeit wird durch betriebseigenes und amtliches Personal entsprechend der Anlage 3 Teil III Nr. 4.4 und 4.5 der TierschutzSchlachtverordnung gemessen und dokumentiert. Ein auf Expertenäußerungen basierender Vorschlag des Landes Niedersachsen, die Höchstzeit zwischen Verlassen der CO2-Atmosphäre und dem Setzen des Entblutungsstichs in Abhängigkeit von der Kohlendioxidkonzentration und der Einwirkungszeit festzusetzen, wird gegenwärtig im Rahmen der Änderung der TierschutzSchlachtverordnung verfolgt.

Zu 8: Die stündliche Betäubungsleistung wird - unter Berücksichtigung der Vorgaben der TierschutzSchlachtverordnung - grundsätzlich in Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), externen Sachverständigen (z. B. das Beratungs- und Schulungsinstitut für den tierschonden Umgang mit Zucht- und Schlachttieren (bsi)) und unter Beiziehung der maschinentechnischen Sachverständigen des LAVES von den Veterinärbehörden bestimmt. Die maximale stündliche Betäubungs-, Schlacht-, und Fleischuntersuchungsleistung wird in dem Genehmigungsbescheid nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) näher festgelegt. Ein Abweichen von dieser maximal genehmigten Leistung stellt das ungenehmigte Betreiben der Schlachtanlagen dar und ist strafbewehrt.

Zu 9: Von den 648 Schlachtstätten im Lande Niedersachsen wird in drei Betrieben im Akkord und in einem Betrieb nach Stückzahl vergütet. In aller Regel kann wegen der Festlegung der maximalen stündlichen Schlacht- und Förderleistung in der BImSchG-Genehmigung ein Zeitakkord (Stückakkord) nicht zur Anwendung kommen.