Fragen zur gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit zahnärztlichen Leistungen

Eine Folge der Budgetierung und der daraus resultierenden Mangelverwaltung im deutschen Gesundheitssystem ist u. a., dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Aufgabe haben, einen Verteilungsschlüssel für die von den Krankenkassen mit befreiender Wirkung überwiesenen Versichertenbeiträge zu entwickeln, damit diese als Honorare für erbrachte Leistungen gezahlt werden können. Dieser Honorarverteilungsmaßstab (HVM) wird von den Sozialministerien rechtlich geprüft, die Kassen werden ins Benehmen gesetzt.

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen (KZVN) hat u. a. einen HVM für konservierende Behandlung/Chirurgie und einen Zahnersatz entwickelt.

Der HVM in Niedersachsen sieht vor, dass der Gesamtbetrag der von den Kassen zur Verfügung gestellten Versichertengelder durch die Anzahl der abrechnungsberechtigten Zahnärzte dividiert wird und so jeder Zahnarzt unabhängig von der Zahl der zu versorgenden Patienten das gleiche zu erwirtschaftende Budget zur Verfügung hat.

Ist das Budget erschöpft, werden dem Zahnarzt die darüber hinaus ausgeführten Behandlungen nicht oder nur zu einem Bruchteil honoriert. Das führt dazu, dass Zahnärzte, die ihr Budget ausgeschöpft haben, ihre Praxistätigkeit reduzieren, keinen neuen Patienten mehr aufnehmen und nur noch im Rahmen des Sicherstellungsauftrages tätig sind. In den betroffenen - meist ländlichen Regionen ist daher das Recht auf freie Arztwahl eingeschränkt.

Der HVM hat zur Folge, dass z. B. für eine Alleinpraxis mit 500 Patienten pro Quartal genauso viel Geld zur Verfügung steht wie in einer mit 900 oder mehr (im ländlichen Raum keine Seltenheit). Bildet die erstgenannte Praxis eine Sozietät mit zwei praktizierenden Zahnärzten, entfällt auf diese Praxis ein doppeltes Budget, und somit steht pro Patient annähernd die vierfache Summe für die notwendigen Behandlungen zur Verfügung.

Wir bitten die Landesregierung um Beantwortung folgender Fragen:

1. Ist ihr bekannt, dass die Zahnarztdichte in städtischen und ländlichen Regionen stark differiert (z. B. Hannover-Stadt 1 : 11 50, LK Helmstadt 1 : 21 55), und teilt sie die Auffassung, dass bei tendenziell größeren Praxen in ländlichen Regionen durch diesen HVM hier wesentlich weniger Mittel für die notwendigen Behandlungen zur Verfügung gestellt werden, da sich der Verteilungsmodus ausschließlich an der Zahl der Zahnärzte, nicht aber an der der Patienten orientiert?

2. Teilt sie die Auffassung, dass die zuvor beschriebene Verteilung der Versichertengelder eine Subventionierung der Behandlungen in den Ballungsräumen darstellt durch Entzug der Versichertenbeiträge der ländlichen Regionen?

3. Ist ihr bekannt, dass in ländlichen Regionen teilweise nicht einmal die Hälfte dessen zur Verfügung steht, was in Niedersachsen durchschnittlich für zahnmedizinisch notwendige Leistungen benötigt wird?

4. Beurteilt sie die Verteilung der Versichertengelder auf die Versicherungsnehmer, also die Beitragszahler, unter diesen Bedingungen als gerecht?

5. Welche Maßstäbe hat das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit gegenüber der KZVN bei der Genehmigung des HVM zugrunde gelegt?

6. Wie beurteilt die Landesregierung die Auswirkungen des von ihr nicht beanstandeten HVM bei der für 2004 und die Folgejahre zu befürchtende Budgetentwicklung auf die Versorgung der Bevölkerung mit zahnärztlichen Leistungen im ländlichen Raum?

7. Welche Möglichkeiten sieht sie zur Verbesserung der Versorgung und zur gerechteren Verteilung der Kassenleistung auf alle gesetzlich Krankenversicherten, wenn sich Niedersachsen weitere vier Jahre unter der Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung an der Verwaltung des Mangels beteiligen muss?

Entgegen der Annahme der Fragesteller, der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) werde von den Sozialministerien rechtlich geprüft und die Kassen wurden ins Benehmen gesetzt, unterliegen Honorarverteilungsmaßstäbe nicht dem Genehmigungsvorbehalt durch die Aufsichtsbehörden.

Die von den Fragestellern angesprochene Honorarverteilung ist bis 30.06.2004 noch Teil der autonomen Rechtsetzung der zahnärztlichen Selbstverwaltung. Während die Krankenkassenverbände mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) Regelungen treffen, aus denen sich der Gesamtbetrag der Vergütung der gesamten vertragszahnärztlichen Versorgung ergibt, ist die Verteilung dieses Geldes unter die Vertragszahnärzte autonomes Recht der KZVN.

Als externe Mitwirkung ist lediglich das Benehmen der Krankenkassenverbände vorgeschrieben; einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedarf es nicht. Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit als Aufsichtsbehörde hat somit gegenüber der KZVN nur die Möglichkeit der üblichen aufsichtsrechtlichen Prüfung nach Maßgabe von Recht und Gesetz.

Hierbei hat es zu berücksichtigen, dass die KZVN als Gemeinschaft der Vertragszahnärzte über die Honorarverteilung die Möglichkeit haben soll, eigene Kriterien für die sachgerechte Aufteilung der Gesamtvergütung unter die an der Versorgung teilnehmenden Vertragszahnärzte zu beschließen.

Honorarverteilungsmaßstäbe werden deshalb im weiten Umfang von Zweckmäßigkeitsüberlegungen geprägt, die nicht der aufsichtsrechtlichen Prüfung unterliegen.

Dem Ministerium ist es somit generell nicht möglich, die KZVN zu einer bestimmten Honorarpolitik zu veranlassen. Diese nur bedingten Einflussmöglichkeiten sind Ausfluss des in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Selbstverwaltungsprinzips.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die einzelnen Fragen wie folgt:

Zu 1: Der Nieders. Landesregierung ist bekannt, dass die Zahnarztdichte im Flächenland Niedersachsen stark differiert.

Das damalige Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales hat sich die Honorarverteilungsmaßstäbe der Jahre 2000 bis 2002 vorlegen lassen und sie im Rahmen seiner Rechtsaufsicht zunächst beanstandet, weil es einen Verstoß gegen das Gebot der gleichmäßigen Verteilung der Gesamtvergütung auf das gesamte Jahr (§ 85 Abs. 4 Satz 5 SGB V) gesehen hat.

Diese Beanstandungen wurden zu einem späteren Zeitpunkt zurückgenommen, nachdem nach einem schwierigen Klärungsprozess eine Härtefallregelung in die Honorarverteilungsmaßstäbe ab dem Jahr 2000 aufgenommen wurde, die die Folgen des Verteilungssystems für Zahnarztpraxen in Gebieten mit geringer Zahnarztdichte abmildert.

Zu 2: Ein Entzug von Versichertenbeiträgen findet nicht statt, da die Krankenkassen die Gesamtvergütung mit befreiender Wirkung an die KZVN entrichten. Damit werden sämtliche in Niedersachsen erbrachten zahnärztlichen Leistungen abgegolten.

Zu 3: „Zahnmedizinisch notwendige Leistungen" lassen sich nicht abstrakt und auch nicht gebietsbezogen definieren, sondern nur im Einzelfall auf Grundlage der erhobenen Befunde und der anzuwendenden Richtlinien unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots.

Zu 4: Wie ausgeführt beruht diese Verteilung auf Entscheidungen der Selbstverwaltung, die sich einer Einflussnahme der Aufsichtsbehörde entziehen.

Gemäß § 85 Abs. 4 SGB V soll der HVM mengenbegrenzende Regelungen enthalten. Honorarverteilungsmaßstäbe unterliegen zudem nach ständiger Rechtsprechung dem Gebot der Verteilungsgerechtigkeit. Dies bedeutet aber lediglich, dass Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf und umgekehrt. Ferner hat das Bundessozialgericht mehrfach entschieden, dass kein Verstoß gegen die Verteilungsgerechtigkeit vorliegt, wenn gewachsene Praxisstrukturen im HVM keine Berücksichtigung finden.

Zu 5: Eine Genehmigung ist gesetzlich nicht vorgesehen und auch zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Zu 6 und 7: Das GKV-Modernisierungsgesetz sieht erhebliche Änderungen für Vergütungsregelungen vor.

So wird das Alleinentscheidungsrecht der Vertreterversammlungen der K(Z)Ven bei der Honorarverteilung beseitigt. Der bisherige HVM ist nur noch bis zum 30.06.2004 anzuwenden. Ab 01.07.2004 gilt ein HVM, der mit den Krankenkassenverbänden bis zum 30.04.2004 zu vereinbaren ist.

Damit erhalten die Krankenkassenverbände ein erhebliches Mitspracherecht mit dem Ziel, arztgruppengesteuerten Beschlussfassungen der (zahn-)ärztlichen Selbstverwaltungsgremien entgegenzuwirken.

Die Krankenkassenverbände in Niedersachsen und die KZVN haben sich nicht auf einen neuen HVM verständigen können. Die Krankenkassenverbände haben deshalb am 26.04.2004 das Landesschiedsamt angerufen.

Ab dem Jahr 2007 werden die Honorarverteilungsmaßstäbe zugunsten von Regelleistungsvolumina mit einer festen Vergütung bis zu einem bestimmten Grenzwert entfallen.