Kieferorthopädische Versorgung in Niedersachsen

Die Situation der kieferorthopädischen Versorgung in Niedersachsen hat in den letzten Monaten zu erheblichen Auseinandersetzungen geführt. Bis zum 30.06.2004 haben 44 Kieferorthopäden ihre Kassenzulassung zurückgegeben. In der Folge hat das Sozialministerium als Aufsichtsbehörde einen kollektiven Verzicht gemäß § 95 b SGB V festgestellt und den Sicherstellungsauftrag in den drei Zulassungsbereichen Hannover (ehemaliger Landkreis), Hildesheim und Cuxhaven nach § 72 a SGB V an die Krankenkassen übertragen. Nach dem 30.06.2004 haben weitere Kieferorthopäden ihre Zulassung zurückgegeben. Demgegenüber haben einzelne Kieferorthopäden die Rückkehr in die kassenzahnärztliche Versorgung beantragt, bisher sind vier Rückkehranträge vom Zulassungsausschuss bewilligt worden. Vonseiten der Krankenkassen sind mehrere Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung ergriffen worden. Dazu zählen der Abschluss von Verträgen mit Zahnärzten, die auch ohne Fachzahnarztqualifikation im gewissen Umfang kieferorthopädisch tätig waren, die Übernahme von Behandlungsfällen durch die Zahnklinik der MHH und andere Kliniken, die Beauftragung einer Agentur zur Anwerbung von kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten aus dem Ausland sowie die Ermächtigung von zahnmedizinischen Hochschulabsolventen zur kieferorthopädischen Versorgung ohne dreijährigen Vorbereitungsdienst. Fraglich bleibt, inwieweit mit den ergriffenen Maßnahmen eine qualitativ hochwertige und quantitativ bedarfsdeckende Versorgung derzeit gewährleistet ist. Verlierer dieser Entwicklung sind letztlich die ca. 30 000 betroffenen jugendlichen Patienten und deren Eltern, die zunehmend verunsichert sind und lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Wir fragen daher die Landesregierung:

1. Wie wird die derzeitige Versorgungssituation bei der kieferorthopädischen Behandlung beurteilt

a) in den Zulassungsbereichen, in denen der Sicherstellungsauftrag nach § 72 a SGB V zum 01.07.2004 an die Krankenkassen übertragen wurde,

b) im restlichen Landesgebiet?

2. Ist für weitere Zulassungsbereiche eine Übertragung des Sicherstellungsauftrages nach § 72 a SGB V zu erwarten, und, wenn ja, für welche?

3. Welche Möglichkeiten bestehen für diejenigen Kieferorthopäden, die ihre Zulassung zurückgegeben haben und jetzt wiedererlangen möchten, insbesondere in den Fällen, in denen der Zulassungsausschuss eine Wiederzulassung nicht einstimmig abgelehnt hat?

4. Besteht der Vergütungsanspruch derjenigen Kieferorthopäden, die ihre Zulassung zurückgegeben haben, gegenüber der jeweiligen Krankenkasse in Höhe des 1,0fachen Gebührensatzes der GOZ gemäß § 95 b (3) SGB V nur für bereits begonnene Behandlungsfälle oder grundsätzlich für alle kieferorthopädischen Behandlungen?

5. Ist bekannt, ob in Einzelfällen aufgrund fehlender Behandlungsmöglichkeiten und unzumutbarer Wartezeiten bei zugelassenen Behandlern Patienten von ihrer Krankenkasse auf die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 13 (3) SGB V verwiesen worden sind?

6. Wird die Anwendung der Kostenerstattung nach § 13 (3) SGB V im Rahmen der kieferorthopädischen Versorgung in Niedersachsen grundsätzlich für möglich gehalten?

7. Sieht die Landesregierung neben der Übertragung des Sicherstellungsauftrages an die Krankenkassen und den in der Folge von diesen ergriffenen Maßnahmen andere Möglichkeiten, um eine qualitativ hochwertige und quantitativ bedarfsdeckende Versorgung mit kieferorthopädischen Leistungen zu gewährleisten wie z. B. durch den Abschluss von Verträgen zur integrierten Versorgung und die Einführung von Komplexgebühren?

8. Wie beurteilt die Landesregierung im Vergleich zu den Fachzahnärzten der Kieferorthopädie, die bisher die Versorgung wahrgenommen haben, die Qualifikation derjenigen Zahnärzte, mit denen die Krankenkassen die Sicherstellung der Versorgung gewährleisten wollen, also insbesondere der kieferorthopädisch tätigen Zahnärzte, mit denen Versorgungsverträge abgeschlossen wurden, der aus dem Ausland angeworbenen Zahnärzte sowie derjenigen Zahnärzte, die nach Abschluss ihres Studiums eine Ermächtigung für die kieferorthopädische Versorgung erhalten sollen?

Durch eine kollektive Rückgabe von Zulassungen bzw. Ermächtigungen versucht eine Gruppe niedersächsischer Kieferorthopäden seit dem Frühjahr 2004, ihre Interessen gegenüber dem System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu Lasten von Patientinnen und Patienten - in diesem Fall vorrangig von Kindern und Jugendlichen - durchzusetzen.

Im Zeitraum März bis Dezember 2004 haben 60 niedersächsische Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung verzichtet. 17 haben zwischenzeitlich ihre Wiederzulassung beantragt und in 13 Fällen auch erhalten. Zudem wurde einem Zulassungsantrag von 13 neuen Kieferorthopäden stattgegeben.

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Zahlenwerte zu den jeweiligen Stichtagen mit einer für die Patientinnen und Patienten zunehmend positiven Entwicklung zum Jahresende 2004 mit immer weniger Aussteigern auf der einen und immer mehr Rückkehrenden und immer mehr Neuzulassungen auf der anderen Seite. zum 31.03.2004 zum 30.06.2004 zum 30.09.2004 zum 31.12.

In den Planungsbereichen Cuxhaven, Hannover-Land und Hildesheim wurden nach Auskunft der Krankenkassenverbände in Niedersachsen seit dem Übergang des Sicherstellungsauftrags zum 01.07.2004 von den Krankenkassen bislang mit 28 Zahnärzten bzw. Fachzahnärzten für Kieferorthopädie sowie mit stationären Einrichtungen Versorgungsverträge abgeschlossen. Damit konnten die Krankenkassen bislang sicherstellen, dass in diesen Planungsbereichen jeder Patientin und jedem Patienten zeit- und wohnortnah eine kieferorthopädische Behandlung zu den Konditionen des GKV-Systems angeboten werden kann.

In diesen Planungsbereichen ist somit eine deutliche Entspannung der Versorgungssituation zu beobachten, zumal weitere Verträge nach Auskunft der Krankenkassen vor dem Abschluss stehen und in Kürze auch die ersten ausländischen Fachzahnärzte für Kieferorthopädie eine Praxistätigkeit aufnehmen werden.

Für den Planungsbereich Landkreis Cuxhaven war am 03.06.2004 die Feststellung nach § 72 a SGB V mit Wirkung zum 01.07.2004 zu treffen, da drei von fünf der dort niedergelassenen Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung verzichtet hatten.

Zwei von ihnen hatten allerdings noch vor dem 30.06.2004 Anträge auf Wiederzulassung gestellt.

Eine Fachzahnärztin wurde durch den Berufungsausschuss mit Wirkung ab 01.10.2004 wieder zugelassen, der zweite Fachzahnarzt durch Beschluss des Berufungsausschusses am 08.12.2004.

Für den Planungsbereich Hildesheim war am 03.06.2004 die Feststellung nach § 72 a SGB V mit Wirkung zum 01.07.2004 zu treffen, da acht von elf der dort niedergelassenen Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung verzichtet hatten.

Hier hatten die Zulassungsgremien in der Folgezeit über zwei Anträge auf Wiederzulassung, die nach dem 01.07.2004 gestellt wurden, zu entscheiden. Beide Anträge wurden sowohl vom Zulassungs- als auch vom Berufungsausschuss unter Hinweis auf die 6-jährige Zulassungssperre nach § 95 b Abs. 2 SGB V abgelehnt.

Für den Planungsbereich Hannover-Land war am 03.06.2004 die Feststellung nach § 72 a SGB V mit Wirkung zum 01.07.2004 zu treffen, da zwölf von 21 der dort niedergelassenen Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung verzichtet hatten.

Einer dieser Kieferorthopäden hat noch vor dem 30.06.2004 den Antrag auf Wiederzulassung gestellt. Seinem Antrag hat der Berufungsausschuss zwischenzeitlich stattgegeben.

Ein weiterer Antrag, der nach dem 01.07.2004 gestellt wurde, wurde durch den Zulassungsausschuss mit Hinweis auf die 6-jährige Zulassungssperre nach § 95 b Abs. 2 SGB V abgelehnt.

Die Versorgungssituation in den übrigen Planungsbereichen, für die die KZVN den Sicherstellungsauftrag zu erfüllen hat, stellt sich weniger positiv dar.

In einzelnen Planungsbereichen - so z. B. in Salzgitter, Oldenburg, Osnabrück und Lüneburg - haben Patientinnen und Patienten große Schwierigkeiten, einen Behandler innerhalb des GKVSystems zu finden.

Zu 2: Seit einigen Wochen verdichten sich Hinweise auf eine Absprache von Kieferorthopäden mit Kassenzulassung in den Planungsbereichen Oldenburg, Osnabrück und Lüneburg, „aus Kapazitätsgründen" keine Patientinnen und Patienten mehr aufzunehmen.

Das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit hat eine Prüfung eingeleitet, ob eine miteinander abgestimmte Verweigerung der vertragsärztlichen Versorgung durch mehr als 50 Prozent der in diesen Planungsbereichen niedergelassenen Kieferorthopäden vorliegt.

Sollte eine kollektive Behandlungsverweigerung ausreichend belegt sein, wäre ein weiterer Bescheid des Ministeriums nach § 72 a Abs. 1 SGB V erforderlich.