Das Stiftungswesen in Niedersachsen

Seit über 1 000 Jahren gibt es in Deutschland private Stiftungen. In den letzten Jahrzehnten haben sie sich zu einem wichtigen Element unserer freiheitlichen und demokratischen Bürgergesellschaft entwickelt.

Gegenwärtig befindet sich das Stiftungswesen in einer Aufbruchstimmung. In den 80er-Jahren wurden durchschnittlich 150 Stiftungen jährlich gegründet. Im Jahr 2002 zählte der Bundesverband 789 Neuerrichtungen. Damit gab es Ende 2002 11292 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Der Gedanke privaten Stiftens und die Tätigkeit der Stiftungen gewinnen nicht nur angesichts leerer Kassen immer mehr an Bedeutung.

Im Idealfall fließen durch die Ausschüttungen der Stiftungen deutlich höhere Mittel an die Gemeinschaft als dies der Fall wäre, wenn das Vermögen lediglich besteuert würde.

Bürgerinnen und Bürger stützen durch ihr Engagement, das sie freiwillig - über ihre Steuerpflicht hinaus - in und mit Stiftungen leisten, die Demokratie. Stiftungen werden aber auch genutzt, um gerade die Erbschaftsteuer zu vermeiden und so große Vermögen steuerfrei an die nächsten Generationen transformieren zu können.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Strukturen hat die Stiftungsaufsicht in Niedersachsen heute?

2. Wie hat sich die Stiftungsaufsicht in Niedersachsen von 1945 bis heute in ihren Aufgaben und Strukturen entwickelt?

3. Welche Entwicklung hat das Stiftungswesen in Niedersachsen von 1945 bis heute genommen, wie haben sich in dieser Zeit die Stiftungszwecke verändert, und wie ist die regionale Verteilung der Stiftungen in Deutschland?

4. Welche Maßnahmen hat es speziell zur Neuordnung des Stiftungswesens nach dem Zweiten Weltkrieg in Niedersachsen gegeben?

5. Welche Bedeutung schreibt die Landesregierung dem Stiftungswesen in Niedersachsen heute zu?

6. Wie und in welchem Turnus werden die Stiftungen bzw. ihr Stiftungszweck geprüft?

7. Wie hat sich die Genehmigungspraxis von Stiftungen verändert, und wie häufig und mit welchen Begründungen wurden Stiftungsgründungen abgelehnt?

8. Gibt es Stiftungen, die ihren Stiftungszweck nicht umsetzen konnten oder aus anderem Grund nicht fortgesetzt wurden?

9. Welche Gründe haben dazu geführt, dass Stiftungen ihren Stiftungszweck nicht bzw. nicht mehr erfüllen konnten?

Die Entwicklung des Stiftungswesens in Deutschland wird in der Einleitung der Kleinen Anfrage zutreffend aufgezeigt. Durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen vom 14.07.2000 (BGBl. I S. 1034) sind die steuerlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen deutlich verbessert wurden. Der Reform des Stiftungssteuerrechts folgte das Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts vom 15.07.2002 (BGBl. I S. 2634) mit dem Ziel, durch eine zeitgemäße Ausgestaltung des materiellen Stiftungsrechts zur Förderung des Stiftungswesens beizutragen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer Stiftung des bürgerlichen Rechts sind jetzt abschließend und bundeseinheitlich in den §§ 80 ff. BGB geregelt. Gleichzeitig ist ein Rechtsanspruch der Stifterin oder des Stifters auf Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig festgeschrieben worden. An die Stelle der staatlichen „Genehmigung" ist die „Anerkennung" der Rechtsfähigkeit getreten. Die landesrechtliche Anpassung an das geänderte Stiftungszivilrecht erfolgte mit dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Stiftungsgesetzes vom 23.11.2004 (Nds. GVBl. S. 514). Damit ist eine Entwicklung zum Abschluss gekommen, die das Stiftungswesen beleben soll, um die großen Ressourcen vor allem ererbter privater Vermögen für Gemeinwohlzwecke zu mobilisieren.

Die Belebung des Stiftungswesens spiegelt sich in der Anzahl der rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts in Niedersachsen im Rückblick der letzten zwanzig Jahre (vgl. Tabelle 1). In der Zeit von 1984 bis 1994 stieg die Zahl der Stiftungen um ca. 73 % von 351 auf 606, von 1994 bis 2004 ist eine Steigerung von über 110 % zu verzeichnen (von 606 auf derzeit 1281). Noch signifikanter ist die Steigerung der letzten 50 Jahre von 221 im Jahre 1954 auf jetzt 1281 Stiftungen (= 580 %).

Soweit in der Anfrage einleitend darauf hingewiesen wird, Stiftungen würden auch dazu genutzt, um gerade Erbschaftssteuer zu vermeiden und so große Vermögen steuerfrei an die nächste Generation weiterzugeben, ist Folgendes klarzustellen: Stiftungen, die privatnützige Zwecke verfolgen, insbesondere Familien- oder Unternehmensstiftungen, sind mit Vermögen und Erträgen allgemein steuerpflichtig. Dagegen genießen Stiftungen, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen - das sind bundesweit ca. 94 % aller Stiftungen -, Steuerbegünstigung gemäß §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung, da sie Beiträge zum Gemeinwohl leisten, die ansonsten zu den Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge gehören. Dem Spender, der einer steuerbegünstigten Körperschaft Vermögenswerte überträgt, werden - mit einer Reihe steuerrechtlicher Einschränkungen - für jeden dem Gemeinwohl gewidmeten Euro bis zu 50 Cent zuteil. Stiften eignet sich also nicht als Sparmodell; die uneigennützige, idealistische Einstellung gehört dazu. Dennoch leistet das Steuerrecht wertvolle Hilfe: der Stiftung, die ihr Vermögen und ihre Erträge ohne Steuerlast der Erfüllung ihres Stiftungszweck widmet, und dem Stifter, dem die teilweise Verminderung seiner Steuerlast vielfach Anreiz zum Stiften und Spenden sein wird.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Rechtsfähige Stiftungen unterliegen einer Rechtsaufsicht, die vom BGB als gegeben unterstellt wird. Da es sich um eine Rechtsaufsicht handelt, ist eine Zweckmäßigkeitsprüfung durch die Aufsichtsbehörden ausgeschlossen. Das jeweilige Landesrecht regelt die Zuständigkeit sowie die Inhalte der Aufsicht. Durch die Aufsicht wird die Überwachung der Stiftung hinsichtlich der Einhaltung von Gesetz und Satzung gewährleistet. Sie ist damit Garant des Stifterwillens; die Beschränkung der Aufsicht auf die Rechtsaufsicht ist zugleich Gewähr für die Stiftungsautonomie.

Die Stiftungsaufsicht ist im Niedersächsischen Stiftungsgesetz (NStiftG) geregelt. Sie wird von der Stiftungsbehörde geführt (§ 10 Abs. 3 Satz 1 NStiftG). Das ist die Bezirksregierung und ab 01.01.2005 das Ministerium für Inneres und Sport (§ 3 NStiftG), das die stiftungsbehördlichen Auf gaben durch die Regierungsvertretungen wahrnehmen lässt. Bei Stiftungen mit örtlich begrenztem Wirkungskreis sind die aufsichtsbehördlichen Befugnisse in der Regel gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 NStiftG auf eine kommunale Körperschaft übertragen. Privatnützige Stiftungen, insbesondere Familienstiftungen, unterliegen nur einer beschränkten Aufsicht (§ 10 Abs. 2 NStiftG). Die Stiftungsaufsicht ist in ihrer Struktur der Kommunalaufsicht nachgebildet (vgl. §§ 10 bis 16 NStiftG). Die Aufsichtsmittel lassen sich in drei Kategorien einteilen:

­ Aufsichtsbehördliche Prüfungen (§ 11 Abs. 3 und 4 NStiftG)

­ Allgemeines Informationsrecht (§ 11 Abs. 1 NStiftG)

­ „Strenge" Eingriffsbefugnisse (Beanstandung, Anordnung, Ersatzvornahme, Abberufung und Bestellung von Mitgliedern der Stiftungsorgane, §§ 12 bis 15 NStiftG)

Diese Aufsichtsmittel sind mit einer Beratungsfunktion der Aufsichtsbehörde verknüpft, die im Sinne einer vorbeugenden Aufsicht auf die Vermeidung von Gesetzes- und Satzungsverstößen gerichtet ist und darüber hinaus der Unterstützung der Stiftungsorgane bei auftretenden Fragen und Problemen dient.

Die aufsichtsbehördliche Prüfung spielt aufgrund der jährlich vorzulegenden Jahresabrechnung naturgemäß die größte Rolle. Die Stiftungsbehörde überwacht anhand der Jahresabrechnung mit Vermögensübersicht und Geschäftsbericht insbesondere die Einhaltung des Stiftungszwecks, die Übereinstimmung der Stiftungstätigkeit mit der Stiftungssatzung sowie die Erhaltung des Stiftungsvermögens. Nach dem durch das Änderungsgesetz vom 23.11.2004 eingefügten § 11 Abs. 4 NStiftG wird künftig im Regelfall von der aufsichtsbehördliche Prüfung der Jahresabrechnung abgesehen, wenn die Stiftung von einer Wirtschaftsprüferin oder einem Wirtschaftsprüfer oder einer Stelle mit vergleichbarere Kompetenz geprüft wird, um Doppelprüfungen zu vermeiden. Genehmigungsvorbehalte oder Anzeigepflichten für bestimmte Rechtsgeschäfte sieht das NStiftG im Gegensatz zu den Regelungen in einigen anderen Ländern nicht vor.

Von dem allgemeinen Informationsrecht, das den Stiftungsbehörden ermöglicht, Auskünfte und Berichte einzuholen, die Vorlage von Akten zu verlangen oder die Verwaltung der Stiftung zu prüfen, wird nur anlassbezogen Gebrauch gemacht. „Strenge" Eingriffsbefugnisse wie Beanstandung usw. kommen kaum zur Anwendung.

In der Praxis der Stiftungsbehörden ist die Stiftungsaufsicht grundsätzlich auf Dialog und einvernehmliche Konfliktlösung gerichtet. Das Konsensprinzip dominiert eindeutig gegenüber hoheitlichen Eingriffen. Die „strengen" Aufsichtsmittel haben primär eine vorbeugende Bedeutung und behalten daher ihre Berechtigung; sie sind notwendig, um die Stiftungsorgane bei Bedarf zu einem gesetzesund satzungsmäßigen Verhalten anzuhalten.

Zu 2: Das Recht der selbstständigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts ist grundlegend in den §§ 80 ff. BGB geregelt, die eine Stiftungsaufsicht voraussetzen, ohne hierüber nähere Bestimmungen zu treffen. Die ihrem Inhalt nach öffentlich-rechtlichen Fragen blieben landesgesetzlichen Regelungen vorbehalten, so auch die Regelung der Stiftungsaufsicht. Insoweit galt nach 1945 in den alten Ländern und seit 1946 in den Landesteilen Niedersachsens altes preußisches, braunschweigisches, oldenburgisches und schaumburg-lippisches und - im Raum Cuxhaven - hamburgisches Stiftungsrecht, auf dessen Inhalt und praktische Anwendung im Hinblick auf seine nur noch rechtshistorische Bedeutung hier nicht eingegangen wird. Das Niedersächsische Stiftungsgesetz vom 24. Juli 1968 (Nds. GVBl. S. 119) beseitigte die Rechtszersplitterung und schuf in den §§ 10 ff. das der Kommunalaufsicht nachgebildete System der Stiftungsaufsicht, das mit geringfügigen Änderungen bis heute gilt und sich bewährt hat. In der Praxis folgt die Aufsichtstätigkeit der allgemeinen Entwicklung der Verwaltung, in der der Dienstleistungscharakter auch der Stiftungsaufsicht in der vorherrschenden Beratungstätigkeit zum Ausdruck kommt (vgl. die Antwort zu Frage 1).