Ist die Schulbuchausleihe sozial gerecht?

Im Zusammenhang mit der Abschaffung der Lernmittelfreiheit und der Einführung eines Leihsystems ist verschiedentlich die Frage erörtert worden, wie die Kinder Leistungsberechtigter nach dem Bundessozialhilfegesetz und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit Lernmitteln versorgt werden sollen.

Die Landesregierung hat dazu erklärt, dieser Personenkreis solle für das Schuljahr 2004/2005 nicht mit den Kosten für die Ausleihe belastet werden und die Schulen seien verpflichtet worden, eine Versorgung aus dem vorhandenen Bestand sicherzustellen. Für das Schuljahr 2005/2006 solle das Verfahren unter Berücksichtigung der Regelungen von Hartz IV neu geregelt werden. Nach ersten Schätzungen der Landesregierung würden jährlich ca. 5 Mio. Euro benötigt, um den Personenkreis von dem Entgelt für die Ausleihe freizustellen.

Insgesamt wurde das für Niedersachsen entwickelte Verfahren von Kultusminister Busemann als sozialverträgliche und intelligente Lösung bezeichnet.

Nach Rückmeldungen verschiedener Schulen mit hohem Anteil an Kindern von Eltern, die von der Zahlung der Leihgebühr befreit wurden, gestaltet sich die Realität für das Schuljahr 2004/2005 wie folgt:

Eine angemessene Ausstattung aller Schülerinnen und Schüler war nur zu erzielen, indem die durch die Befreiung entfallende Leihgebühr auf die Eltern umgelegt wurde, die in der Lage waren, die Leihgebühr zu entrichten. Weder mit einer Versorgung aus dem Bestand noch aus den erzielten Einnahmen ohne diese Umlage war eine vernünftige Ausstattung zu erreichen.

In einem Falle mussten auf diese Weise im Bereich einer Sekundarstufe I 7 000 Euro von den „zahlenden Eltern" zugunsten der „befreiten" Eltern aufgebracht werden. Auf Nachfrage wurde durch das Niedersächsische Kultusministerium erklärt, man solle froh sein, dass der Anteil der Befreiungen nicht noch höher läge, es gäbe Schulen mit 40 %. Im Übrigen sei das Problem von der Schule zu lösen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Hält sie es für eine sozialverträgliche und intelligente Lösung, wenn Eltern an Schulen mit einem hohen Anteil von von der Leihgebühr befreiten Eltern diesen Anteil mit übernehmen müssen, weil anders eine angemessene Lernmittelversorgung aller Schülerinnen und Schüler nicht sicherzustellen ist?

2. Wie beurteilt die Landesregierung die Tatsache, dass sich Schulen mit einer ausgewogenen Sozialstruktur und eher einkommensstarken Eltern durch dieses System durch besonders niedrige Leihgebühren auszeichnen?

3. Wie wird die Regelung ab Schuljahr 2005/2006 aussehen? Von wem werden die ca. 5 Mio. Euro für die Freistellung übernommen?

Die von der Landesregierung beschlossene entgeltliche Ausleihe von Lernmitteln ist zum Beginn des Schuljahres 2004/05 an den Schulen in Niedersachsen weitgehend reibungslos durchgeführt worden. Der vorhandene Bücherbestand - auch der von den ehemaligen Orientierungsstufen - ist in sinnvoller Weise genutzt worden. Durch die Einnahmen aus der Ausleihe und die von der Landesregierung zur Verfügung gestellten Mittel haben erheblich mehr Mittel für die Neuanschaffung von Büchern zur Verfügung gestanden, als dies in den letzten Jahren der Lernmittelfreiheit der Fall gewesen ist.

Auf Seiten der Eltern lässt sich inzwischen eine große Akzeptanz gegenüber dem Ausleihverfahren feststellen: Nach einer im Oktober 2004 durchgeführten Umfrage bei allen öffentlichen Schulen in Niedersachsen haben sich rund 82 Prozent der Eltern für eine Ausleihe der Lernmittel entschieden.

Zahlreiche Rückmeldungen, die von Eltern im Kultusministerium eingegangen sind, machen deutlich: Die Eltern sind durchaus bereit, sich in einem angemessenen Umfang an den Kosten für die Lernmittel ihrer Kinder zu beteiligen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Nein. Die Landesregierung hält es nicht für eine sozialverträgliche und intelligente Lösung, wenn Eltern an Schulen mit einem hohen Anteil von Erziehungsberechtigten, die von der Leihgebühr befreit sind, diesen Anteil mit übernehmen müssen.

Aus diesem Grund hat die Landesregierung bei der Lernmittelausleihe im Jahr 2004 für Fälle des besonderen Bedarfs zusätzliche Mittel bereitgestellt; zu diesen Fällen gehörten auch die Schulen mit einem hohen Anteil von Erziehungsberechtigten, die von der Zahlung des Entgelts für die Ausleihe befreit waren. Alle öffentlichen Schulen in Niedersachsen sind durch den Schnellbrief des Kultusministeriums vom 21.05.2004 über die Möglichkeit der Beantragung dieser Mittel informiert worden. Die Mittel sind den Schulen noch bis zum Dezember des letzten Jahres durch die Bezirksregierungen auf begründete Anträge hin zur Verfügung gestellt worden. Insgesamt sind bis zum 31.12.2004 von diesen Mitteln nur rund 92 % durch die Schulen beantragt worden. Dies zeigt deutlich, dass in den schon genannten Fällen des besonderen Bedarfs die zur Verfügung gestellten Mittel auch ausreichend gewesen sind.

Der Landesregierung ist nicht bekannt, dass an einzelnen Schulen eine angemessene Ausstattung aller Schülerinnen und Schüler nur zu erzielen war, „indem die durch die Befreiung entfallende Leihgebühr auf die Eltern umgelegt wurde, die in der Lage waren, die Leihgebühr zu entrichten".

Zu 2: Bei der bereits oben angesprochenen Umfrage zur Lernmittelausleihe bei allen öffentlichen Schulen in Niedersachsen haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass Schulen mit einem geringen Anteil von Erziehungsberechtigten, die von der Leihgebühr befreit waren, sich durch besonders niedrige Leihgebühren auszeichnen.

Zu 3: Die für das Schuljahr 2005/06 vorgesehene Regelung findet sich in dem Erlass-Entwurf „Entgeltliche Ausleihe von Lernmitteln", der seit dem 01.12.2004 auf der Homepage des Kultusministeriums abgerufen werden kann:

Von der Zahlung des Entgelts für die Ausleihe freigestellt sind Leistungsberechtigte nach dem

­ Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeit Suchende,

­ Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Heim- und Pflegekinder,

­ Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe,

­ Asylbewerberleistungsgesetz.

Die vom Entgelt freigestellten Personen sollen - soweit möglich - durch Übereignung von Büchern versorgt werden, die bereits vor dem Schuljahr 2004/05 in dem Bestand der Schulen vorhanden gewesen sind. Soweit dies nicht möglich ist, erhalten die Schulen für die Freistellung Ausgleichszahlungen. Die Höhe orientiert sich an den Beträgen, die bei der entgeltlichen Ausleihe im vorangegangenen Schuljahr in den einzelnen Schulformen durchschnittlich für eine Schülerin oder einen Schüler entrichtet worden sind; dabei wird die Nutzung des an den Schulen noch vorhandenen umfangreichen Altbestandes an Büchern berücksichtigt.

Der Erlass-Entwurf befindet sich zurzeit in der Anhörung; die Anhörungsfrist endet am 31.01.2005.

Die endgültige Regelung wird nach Auswertung der im Rahmen der Anhörung eingegangenen Stellungnahmen zum Erlass-Entwurf festgelegt werden.

Im Landeshaushalt für das Jahr 2005 (Kap. 0707 TGr. 88) sind 5 Mio. Euro für die Freistellung der im Erlass-Entwurf genannten Personengruppen von der Zahlung des Entgelts für die Lernmittelausleihe vorsorglich veranschlagt.