Modellversuch zur Treibsel-Minimierung

Der Landtag stellt fest, dass

1. das durch Sturmfluten bedingte Treibselaufkommen starken Schwankungen unterliegt und tendenziell ansteigt,

2. bei hohem Treibselanfall und längerer Ablagerung am Deich der Deichfuß aufweicht, die Grasnarbe binnen kürzester Zeit in Rotte geht und somit die Deichsicherheit stark gefährdet wird; ein Deich ohne grüne Narbe verliert dadurch ca. 50 % seiner Wehrfähigkeit,

3. die Kosten und die technischen Möglichkeiten der Beseitigung des Treibsels die Deichverbände überfordern.

Der Landtag bittet deshalb die Landesregierung, in Modellversuchen an drei verschiedenen Orten drei unterschiedliche Formen der Bewirtschaftung des Deichvorlandes zu erproben:

­ die einmalige Mahd (nach der Brut- u. Setzzeit ab 15. Juli),

­ die extensive Bewirtschaftung durch Rinder sowie

­ die extensive Bewirtschaftung durch Schafe.

Antwort der Landesregierung vom 25.05.

Das Aufkommen und die Entsorgung von Treibsel sind ein seit langem bestehendes Problem. Ursache ist, dass in den Deichvorländern - insbesondere in den Ästuaren und hier speziell in dem der Weser - biologische Substanzen (Reet, Staudengewächse, Strandastern, verschiedene Gräser u. a.) aufwachsen, am Ende der Vegetationsperiode absterben, von Sturmfluten aufgenommen und letztlich am Deichkörper abgelagert werden. Neben der überwiegenden Biomasse (mehr als 90 %) befindet sich im Treibsel auch Zivilisationsmüll, der vornehmlich von Schiffen stammt.

Die jährlichen Treibselmengen sind sehr unterschiedlich und werden an der Küste ungleichmäßig angelandet. Entscheidende Faktoren hierfür sind der Bewuchs des Vorlandes, der Zeitpunkt und die Stärke der Sturmfluten sowie in besonderem Maße die Lage der Deichstrecke zur Windrichtung. Mengenmäßig am stärksten wird Reet aus dem Weser-Ästuar eingetragen, das ebenfalls als Treibsel vor den Hauptdeichen anfällt. Entsprechend der jeweils anfallenden Treibselmenge schwanken auch die jährlichen Entsorgungskosten erheblich.

An den Hauptdeichen der niedersächsischen Küste einschließlich der Ästuare fallen jährlich im Mittel ca. 125 000 m³ Treibsel an. Hauptsächlich betroffen ist wegen seiner exponierten Lage gegenüber den häufigen Westwinden der Deichverband Osterstader Marsch auf der rechten Weserseite mit einer Durchschnittsmenge von 42 000 m³/Jahr. Aber auch im Deichverband Land Wursten mit 11 000 m³/Jahr, im III. Oldenburgischen Deichband mit 14 000 m³/Jahr sowie im II. Oldenburgischen Deichband mit 10 000 m³/Jahr sind die Treibselmengen nicht unerheblich.

Landesweit belaufen sich die Kosten für die Beseitigung des Treibsels im Jahresmittel auf etwa 500 000 Euro. Als im Jahr 1999 die Treibselmenge mit 170 000 m³ besonders groß ausfiel, mussten ca. 800 000 Euro an Beseitigungskosten aufgebracht werden. Davon entfielen bei einer Menge von 64 000 m³ allein auf den Deichverband Osterstader Marsch 310 000 Euro. In diesem Jahr wurde allein dadurch das Gesamtbeitragsaufkommen des Verbandes nahezu vollständig aufgezehrt.

Abgesehen von den hohen Entsorgungskosten verursacht der Treibselanfall ein nicht zu vernachlässigendes Problem hinsichtlich der Deichsicherheit. Dies zeigt sich regelmäßig darin, dass das mit der ersten Wintersturmflut abgelagerte Treibsel wegen der gleichzeitigen Vernässung des Vorlandes nicht zeitnah geborgen werden kann. Die Folge ist, dass die Grasnarbe auf der Seeseite des Deiches unter der dichten Treibselmasse zwangsläufig abstirbt. Eine zeitnah folgende Sturmflut kann dann auf einen in Teilen nicht mehr wehrfähigen Deich treffen.

Aufgrund der vorgenannten Problematik hatte das MU eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus Behörden- und verschiedenen Deich- und Naturschutzverbandsvertretern bestand. Diese Arbeitsgruppe hat ihren Bericht „Treibselproblematik an den Hauptdeichen an der niedersächsischen Nordseeküste und der von der Tide beeinflussten Flussläufe" im Jahr 1996 fertig gestellt. Darin wird u. a. davon ausgegangen, dass die im Wesentlichen mit dem landwirtschaftlichen Strukturwandel einhergegangene und den Nationalparkzielen entgegenkommende Extensivierung und Aufgabe der Salzwiesennutzung zu einer Erhöhung des Treibselanfalls geführt hat. Aufgegriffen wurde das Thema bereits 1995 in den „10 Grundsätzen für einen effektiveren Küstenschutz", wonach eine extensive Beweidung (auch Mahd) der Deichvorländer in ausgewählten Fällen zur Verminderung des Treibselanfalls möglich ist.

Erhebungen des ML bestätigen, dass die landwirtschaftliche Nutzung (Beweidung) von Deichvorlandflächen seit 1985 zurückgegangen ist. So hat sich beispielsweise die landwirtschaftliche Nutzung am Jadebusen im Landkreis Wesermarsch von rund 930 ha Salzwiesen im Jahr 1985 auf aktuell 337 ha reduziert. Dies entspricht einem Rückgang um rund 65 % auf lediglich ein Drittel der ursprünglichen Fläche. Aus anderen Regionen liegen belastbare Zahlen nicht vor. Aus Erhebungen zum Nationalparkgebiet geht hervor, dass über die Hälfte (58 %) der Flächen ungenutzt sind. Ob dies auf einen erhöhten Treibselanfall schließen lässt, wird nach Abschluss der Modellversuche feststellbar sein.

Mit der Landtagsentschließung wird die Landesregierung gebeten, drei unterschiedliche Formen der Bewirtschaftung des Deichvorlandes in Modellversuchen zu erproben.

Da eventuelle Auswirkungen einer geänderten Vorlandnutzung nur großräumig feststellbar sind, müssen möglichst große Versuchsgebiete ausgewählt werden.

Bei der Auswahl dieser Gebiete mit Beteiligung des Wasserverbandstages als Spitzenverband der niedersächsischen Wasser- und Bodenverbände wurde im Zuge der Diskussion deutlich, dass die Umsetzung des Landtagsbeschlusses ohne eine intensive Beteiligung der Deichverbände nicht möglich ist. Die Verbände sind direkt betroffen, da die Treibselbeseitigung zu ihren Unterhaltungspflichten gehört und die notwendigen Informationen nur dort vorhanden sind. In diesem Zusammenhang haben sich die zuvor genannten Verbände bereit erklärt, ihre Verbandsgebiete vollständig als Betrachtungsraum in den Modellversuch einzubringen. Nur hierdurch wird es möglich sein, aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Da außerdem der Treibselanfall von der Witterung extrem abhängig ist, müssen unbedingt Versuchsreihen durchgeführt werden, um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Belastbare Aussagen sind daher nicht kurzfristig, sondern nur nach einer voraussichtlich Ende 2005 beginnenden und etwa drei Jahre dauernden Versuchsreihe möglich.

Aus den vorgenannten Gründen und wegen des besonderen Interesses der Beteiligten hat der Wasserverbandstag bereits frühzeitig die Projektführung angeboten und beabsichtigt, in Abstimmung mit dem MU und unter Einbeziehung der vier genannten Deichverbände den Modellversuch durchzuführen. Hierfür hat der Wasserverbandstag von einem erfahrenen Planungsbüro ein Angebot in Form einer Projektskizze eingeholt. Diese ist mit dem MU erörtert worden und soll weiter konkretisiert werden. Dazu sind noch Abstimmungen mit den einzubeziehenden Institutionen, insbesondere mit der Nationalparkverwaltung Wattenmeer, der Domänenverwaltung und der Landwirtschaftskammer notwendig. Dabei sind die Schutzziele des Nationalparks sowie die Natura 2000-Aspekte zu berücksichtigen.

Des Weiteren ist noch abschließend zu klären, in welchem Rahmen und in welchem Umfang Eigenleistungen seitens der Deichverbände erbracht werden. Um deren finanzielle Aufwendungen in Grenzen zu halten, ist beabsichtigt, für das Vorhaben einen Förderantrag bei der Niedersächsischen Wattenmeerstiftung zu stellen.

Die Landesregierung wird die Durchführung der Modellversuche weiterhin intensiv begleiten und den Landtag über das Ergebnis Mitte 2009 unterrichten.