Videoüberwachung an niedersächsischer Schule als letzter Ausweg?

Im Jahr 2004 erwarb der Schulleiter des Hölty-Gymnasiums in Wunstorf insgesamt vier Videokameras zur Überwachung der Schule. Eine Finanzierung durch den kommunalen Träger fand nicht statt. Die Installation erfolgte ohne Beschluss der Gesamtkonferenz und trotz massiver Proteste seitens der Schüler, Eltern und Lehrer.

Dies vorausgeschickt, frage ich die Landesregierung:

1. Welche Meinung vertritt sie in Bezug auf videoüberwachte Schulen?

2. Wie wertet sie das Verhalten des Schulleiters, der trotz massiver Proteste der unmittelbar betroffenen Personengruppen die Videoüberwachung durchgeführt hat?

3. Beabsichtigt sie, personalrechtliche Konsequenzen gegen den Schulleiter durchzuführen?

4. Aus welcher Haushaltsstelle des Landeshaushalts wurden die Videokameras finanziert, und wie hoch war der Betrag?

5. Ist durch den Diebstahl von mittlerweile zwei Kameras dem Land Niedersachsen ein finanzieller Schaden entstanden?

Der Schulleiter des Hölty-Gymnasiums in Wunstorf hat auf dem Schulgelände des HöltyGymnasiums auf eine Anregung des Hausmeisters hin mehrere Überwachungskameras aus folgenden Gründen installieren lassen: Das gesamt Gelände des Hölty-Gymnasiums hat eine Größe von ca. 30 000 m, davon sind ca. 10 000 m freie Fläche (Schulhöfe, Sportgelände). Ein Teil des Geländes ist umzäunt, ein Teil jedoch frei zugänglich. In der Vergangenheit ist es häufig vorgekommen, dass schulfremde Personen außerhalb der Unterrichtszeiten das Schulgelände betreten haben, wobei sie auch über die Zäune und verschlossenen Tore kletterten und das Gelände mutwillig verunreinigten und Gegenstände beschädigten. Damit der Hausmeister die Möglichkeit hat, jederzeit (auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeiten, insbesondere am Wochenende und abends) das Schulgelände zu überwachen, sind an drei besonders betroffenen Stellen (Schulhof, Gebäude, Sportgelände) Kameras installiert worden. Die Videoaufzeichnung der Kameras war während der Unterrichtszeiten ausgeschaltet. Eine weitere Kamera wurde im Bereich des Vorraumes der Bibliothek installiert, wo die Schülerinnen und Schüler ihre Rucksäcke und Taschen ablegen. Da die Schülerinnen und Schüler ihre Rucksäcke und Taschen nicht mit in die Bibliothek nehmen sollen und auch die Ablage in der Nähe der Tür nicht mehr zu überwachen war, wurde im Vorraum ein Regal mit Fächern zur Ablage der Taschen und Rucksäcke aufgestellt.

Auf Nachfrage in der Gesamtkonferenz vom 9. Februar 2005 hat der Schulleiter die Elternschaft und Schülerschaft über die erfolgte Installation informiert. Auf Wunsch des zuvor nicht beteiligten

Schulträgers sind die Kameras am 5. April 2005 abgeschaltet worden. Zwei Kameras sind gestohlen worden, die anderen zwei sind auf Beschluss der Gesamtkonferenz vom 19. April 2005 abgebaut worden. Inzwischen hat die Schule damit begonnen, in dem durch Erlass vorgeschriebenen Verfahren ein Sicherheitskonzept zu erarbeiten.

Diesen Sachverhalt vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Kleine Anfrage im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Videoüberwachung kann mehrere Funktionen erfüllen, z. B. eine Kontrollfunktion, um Verstöße gegen regelgerechtes Verhalten erkennen und ahnden zu können, oder eine Abschreckungs- und damit Präventionsfunktion. In der letztgenannten Funktion stellt sie insbesondere an schwer einsehbaren Örtlichkeiten eine Möglichkeit dar, Vandalismus, Gewalttätigkeit und auch der Begehung von Straftaten vorzubeugen. Sie kann so einerseits auf potentielle Täter abschreckend wirken und anderseits auch zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Menschen beitragen. Schulen sollen jedoch nicht zu Hochsicherheitstrakten werden. Sie sind weder Jugendstrafanstalten noch müssen sie wie Kasernen militärische Geheimnisse bewahren. Deshalb kann eine Videoüberwachungsanlage nur dann in Betracht kommen, wenn andere weniger einschneidende Sicherheitsmaßnahmen geprüft und als nicht wirksam befunden sind.

Der im März 2005 in Kraft getretene RdErl. d. MK „Sicherheits- und Gewaltpräventionsmaßnahmen in Schulen" enthält in Nr. 3 folgende Regelung: „An jeder Schule ist in Zusammenarbeit mit Schülerinnen, Schülern, Erziehungsberechtigten, Schulträger und außerschulischen Fachkräften ein auf die Verhältnisse der Schule bezogenes Sicherheitskonzept zu entwickeln, das durch gewaltpräventive Maßnahmen gestützt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männer Gewalt unterschiedlich ausüben, erleben und verarbeiten. Das Sicherheitskonzept ist mit Schulelternrat und Schülerrat abzustimmen. Es ist von der Gesamtkonferenz zu beschließen, in die Schulprogrammentwicklung aufzunehmen und den Schülerinnen und Schülern sowie den Erziehungsberechtigten in geeigneter Form zur Kenntnis zu geben."

Der Erlass enthält in der Anlage umfassende Hinweise sowie einen Fragenkatalog, der die Schulen bei Entwicklung eines derartigen Konzepts unterstützen soll. Unter vielen anderen Gesichtspunkten wird darin auch eine mögliche Verbesserung technischer Sicherheitsmaßnahmen (z. B. Alarmanlagen) aufgeführt. Zu diesen technischen Sicherheitsmaßnahmen gehören ebenfalls Videoanlagen, auch wenn sie nicht in der Anlage als Beispiel genannt werden. Nach dem neu eingefügten § 25 a des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume, wie hier des Schulhofs und Sportgeländes, durch Bildübertragung (Videoüberwachung) zulässig, soweit sie zum Schutz von Personen oder Besuchern der beobachtenden Stelle oder zum Schutz von Sachen des genannten Personenkreises erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der von der Beobachtung betroffenen Personen überwiegen. Auch in nicht öffentlichen Räumen, wie hier dem Vorraum zur Bibliothek, ist eine Videoüberwachung in begründeten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Videoüberwachung oder Alarmanlagen gehören zur Ausstattung der Schule und unterliegen daher wie die Gebäude und das Gelände ihrer Zuständigkeit. Für Maßnahmen, die sich auf den Zuständigkeitsbereich des Schulträgers auswirken, wird in den Anlagen zum Erlass seine Einbeziehung vorgeschrieben. Bei der Erstellung des Sicherheits- und Gewaltpräventionskonzepts soll nach diesem Erlass darüber hinaus mit dem Schulträger und mit externen Fachleuten wie z. B. der Polizei zusammen gearbeitet werden. Deshalb bedürfen Konzepte, die derartige Einrichtungen als erforderlich vorsehen, der Zustimmung und Finanzierung durch den Schulträger.

Ob eine Videoüberwachung zulässig und geboten ist, ist eine Frage der jeweiligen besonderen Verhältnisse einer Schule wie z. B. örtliche Gegebenheiten und evtl. Vorkommnisse wie Gewalt, Diebstahl oder Sachbeschädigung. Deshalb kann die Entscheidung darüber - wie der Erlass es vorsieht - auch nur vor Ort unter Beteiligung aller Betroffenen gefällt werden. Zuvor sollten sich andere Maßnahmen als nicht wirksam erwiesen haben.

Zu 2: Zum Zeitpunkt der Installation der Videoanlage war der zitierte Erlass noch nicht ergangen. Dennoch hätten die in dem Erlass vorgesehenen Beteiligungen erfolgen müssen. Die Entscheidung über die Installation einer Videoüberwachung ist eine wesentliche Angelegenheit, die nach § 34 Abs. 1 NSchG der Gesamtkonferenz obliegt. Es handelt sich hier auch um eine grundsätzliche Entscheidung, vor der nach § 96 Abs. 3 der Schulelternrat und die Klassenelternschaften von der Schulleitung oder der zuständigen Konferenz zu hören sind. In jedem Falle hätte nach Veröffentlichung des Erlasses im Märzheft des Schulverwaltungsblattes am 1. März 2005 mit der darin vorgeschriebenen Entwicklung eines Sicherheitskonzeptes in Abstimmung mit den davon Betroffenen (Schulelternrat, Schülerrat und Schulträger) begonnen werden müssen.

Die Kameras sind aus Mitteln finanziert worden, die der Schule im Rahmen der Personalkostenbudgetierung zur eigenen Mittelbewirtschaftung zur Verfügung gestellt worden waren. Diese Mittel dürfen nach dem Erlass „Haushaltswirtschaftliche Vorgaben für den Modellversuch Personalkostenbudgetierung an allgemein bildende Schulen und berufsbildenden Schulen in Niedersachsen" vom 3.Dezember 2004 nur zur Sicherstellung von Unterricht eingesetzt werden. Über die Grundsätze der Verwendung der Mittel beschließen die Konferenzen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Da die Videoüberwachung weder unmittelbar noch mittelbar der Unterrichtsversorgung zugute kommt, war die Beschaffung der Kameras aus diesen Mitteln unzulässig.

Zu 3: Wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten also eines Dienstvergehens - begründen, ist die zuständige Disziplinarbehörde aufgrund des im Disziplinarrecht herrschenden Legalitätsprinzips verpflichtet, nach § 26 Abs. 1 Niedersächsische Disziplinarordnung (NDO) Vorermittlungen einzuleiten.

Disziplinarrechtlich irrevelant sind dagegen die so genannten Bagatellverfehlungen, die zwar formal die Voraussetzungen einer schuldhaft begangenen Pflichtverletzung erfüllen, materiell-rechtlich jedoch als bloße Unkorrektheiten ohne disziplinarrechtlichen Unrechtsgehalt anzusehen sind. Von einer Bagatellverfehlung kann insbesondere in den Fällen ausgegangen werden, in denen es aufgrund der Funktion des Disziplinarrechts keiner disziplinaren Einwirkung auf die Beamtinnen und Beamten bedarf. Das Disziplinarrecht dient der Erziehung zum pflichtgemäßen Handeln und soll die ihre Pflichten verletzenden Beamtinnen und Beamten mahnen, ihren Dienstpflichten zukünftig nachzukommen (Spezialprävention). Ein weiterer Aspekt des Disziplinarrechtes ist, dass auch andere Beamtinnen und Beamte vor Pflichtverletzungen gewarnt werden sollen (Generalprävention).

Die Anwendung des Disziplinarrechts soll daher in die Zukunft wirken und die Funktionsfähigkeit der Verwaltung sicherstellen.

Bei der Beschaffung und Installation der Überwachungskameras sind Vorschriften nicht beachtet worden. Das wird von der Landesschulbehörde verfolgt und der Schulleiter hierzu angehört werden. Bei der Prüfung personalrechtlicher Maßnahmen wird zu berücksichtigen sein, dass der Schulleiter in seiner bisherigen Amtszeit seinen Dienstpflichten uneingeschränkt nachgekommen ist und von daher ein Dienstgespräch ausreichen kann, um ihn über eventuelle Verstöße aufzuklären und die dadurch eingetretenen Folgen zu beseitigen. Die Einleitung disziplinarischer Vorermittlungen wäre voraussichtlich unverhältnismäßig.

Zu 4: Nach § 113 NSchG tragen die Schulträger die sächlichen Kosten der Schulen. Videokameras gehören zu dieser Sachausstattung. Deshalb ist im Landeshaushalt für Sachausstattungen von Schulen eine Haushaltsstelle nicht vorhanden. Der Schulleiter hat die Kameras aus Mitteln der Personalkostenbudgetierung finanziert, die im Landeshaushalt in Kapitel 07 10 Titelgruppe 63 veranschlagt sind. Die Kosten betrugen 3 800 Euro.

Zu 5: Für alle Elektronikgeräte der Schule ist eine Versicherung abgeschlossen worden. Der finanzielle Schaden durch den Diebstahl zweier Kameras ist dieser Versicherung gemeldet worden. Es ist davon auszugehen, dass deshalb durch den Diebstahl kein Schaden entstanden ist.