Lebensabend mit wildfremden Menschen in Mehrbettzimmern?

Durch die Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes (NPflegeG) sind seit dem 1. Januar 2004 die bewohnerbezogenen Aufwendungszuschüsse entfallen. Tausende von Menschen sind durch diese Politik der Landesregierung zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen. Obwohl die Landesregierung die Auswirkungen der Novellierung als wenig dramatisch dargestellt hatte, gehen die Sozialhilfeträger mehr und mehr dazu über, pflegebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen der Altenhilfe in Mehrbettzimmern unterzubringen. Dadurch entsteht nicht nur eine Mehrklassenpflege, sondern alten Menschen wird zugemutet, ihren Lebensabend mit wildfremden Menschen in einem Zimmer zu verbringen. Die durch die Landesregierung vorgeschlagene und die durch die CDU/FDP-Koalition im Landtag beschlossene Änderung des Niedersächsischen Landespflegegesetzes bedeutet für alte Menschen den Verlust der Privat- und Intimsphäre.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie viele Menschen erhalten im Landkreis Celle aufgrund der Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes keinen bewohnerbezogenen Aufwendungszuschuss mehr?

2. Wie viele Menschen sind durch die Novellierung des NPflegeG erstmals auf Sozialhilfe angewiesen?

3. Bei wie vielen Menschen hat sich der Sozialhilfebedarf aufgrund der Novellierung des NPflegeG erhöht?

4. Hat der Landkreis Celle bereits Menschen, die in Einrichtungen der stationären Altenpflege leben, in Zwei- oder Dreibettzimmern untergebracht, und, wenn ja, wie viele?

5. Welche Art der Unterbringung sehen die vom Landkreis Celle mit den Trägern von stationären Altenpflegeeinrichtungen nach § 93 BSHG bzw. §§ 75 ff SGB XII geschlossenen Vereinbarungen vor?

6. Bis zu welcher Höhe werden gemäß den Vereinbarungen Investitionskostenzuschüsse übernommen?

7. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zur erfolgten bzw. geplanten Standardabsenkung in der Pflege für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger im Landkreis Celle?

Der rechtliche Hintergrund des vom Fragesteller angesprochenen Sachverhalts stellt sich wie folgt dar:

Mit der Novellierung des NPflegeG ist u. a. mit Wirkung ab dem 01.01.2004 die Förderung von Investitionsaufwendungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen in Form des so genannten bewohnerbezogenen Aufwendungszuschusses weggefallen.

Folge daraus ist, dass der Träger der Sozialhilfe bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, die nicht über ausreichendes eigenes Einkommen oder Vermögen verfügen, zur Übernahme gesondert berechneter Investitionskosten nach § 82 Abs. 4 SGB XI nur dann verpflichtet ist, wenn hierüber Vereinbarungen im Sinne der §§ 75 ff SGB XII (§§ 93 ff BSHG bis zum 31.12.2004) mit dem Einrichtungsträger getroffen worden sind.

Bezogen auf den Investitionsaufwand ist somit der Abschluss einer Leistungs-, Vergütungs- und einer Prüfungsvereinbarung im Sinne des § 75 Abs. 3 SGB XII erforderlich. Dies ist eine Aufgabe, die den örtlichen Trägern der Sozialhilfe im eigenen Wirkungskreis obliegt und die - lediglich - der Rechtsaufsicht des Landes unterliegt.

Gegenstand von Leistungsvereinbarungen in Bezug auf den vorgenannten Aspekt sind die betriebsnotwendigen Anlagen der jeweiligen Pflegeeinrichtung sowie deren sächliche Ausstattung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). U. a. dürfte somit in aller Regel auch die bauliche Infrastruktur und die vom jeweiligen Einrichtungsträger vorgehaltene Anzahl von Einzel-, Doppel- und ggf. Mehrbettzimmern Gegenstand der abzuschließenden Leistungsvereinbarung sein.

Die vereinbarten (Investitions-) Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 76 Abs. 1 Satz 3 SGB XII).

In der Vergütungsvereinbarung ist Einvernehmen über den Betrag für die betriebsnotwendigen Anlagen der jeweiligen Pflegeeinrichtung einschließlich ihrer Ausstattung (Investitionsbetrag) zu erzielen (§ 76 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz SGB XII).

Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang örtliche Träger der Sozialhilfe im Einvernehmen mit Trägern vollstationärer Pflegeeinrichtungen differenzierte und der Höhe nach unterschiedliche Investitionsbetragsvereinbarungen abhängig davon abgeschlossen haben, ob Bewohnerinnen und Bewohner in Einzel-, Doppel- oder ggf. Mehrbettzimmern gepflegt und betreut werden, kann seitens der Landesregierung nicht beantwortet werden. Rechtliche Hinderungsgründe gegen eine solche Vereinbarungspraxis bestehen jedenfalls nicht.

Unterstellt, es seien differenzierte Investitionsbetragsvereinbarungen abgeschlossen worden, wäre gemäß § 9 SGB XII wegen der damit verbundenen unterschiedlichen Leistungshöhe in jedem Einzelfall von Seiten des Sozialhilfeträgers zu prüfen, ob die Hilfe im sozialhilferechtlich erforderlichem Umfang (nur) in einem Einzelzimmer oder (auch) in einem Doppel oder ggf. Mehrbettzimmer erbracht werden kann. Eine generelle Verweisung von Bezieherinnen und Beziehern von Leistungen der Hilfe zur Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen wäre insoweit unzulässig.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die einzelnen Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu den Fragen 1 bis 6 liegen der Landesregierung aus Gründen der Tätigkeit der örtlichen Sozialhilfeträger in eigener Zuständigkeit keine Erkenntnisse vor. Die Antworten zu 1 bis 6 enthalten daher die vom Landkreis Celle auf Anforderung des Ministeriums erteilten Auskünfte.

Der Landkreis Celle trifft zudem vorab folgende allgemeine Feststellungen:

Die o. g. Anfrage erweckt den Eindruck, dass auch und gerade der Landkreis Celle pflegebedürftige Leistungsberechtigte nach dem SGB XII zu Lasten des Pflegestandards gezielt in Mehrbettzimmern unterbringe oder eine derartige Unterbringungspraxis zumindest anstrebe.

Tatsächlich kann davon keine Rede sein. Im Landkreis Celle (einschließlich der Stadt Celle) wird eine Belegungsplanung durch den Sozialhilfeträger überhaupt nicht durchgeführt. Bei der Kostenübernahme wird das gesetzliche Wunsch- und Wahlrecht der nachfragenden Personen berücksichtigt. Diese suchen sich die Einrichtung selbst aus. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist allerdings, dass es sich um eine durch Versorgungsvertrag nach SGB XI anerkannte Einrichtung mit gültigen Vereinbarungen nach SGB XI und XII handelt.

Sofern eine Einrichtung ausnahmsweise unterschiedliche Entgelte für Einzel- und Doppelzimmer berechnet, werden die nachfragenden Personen darauf hingewiesen, dass es ihnen zuzumuten sei, die Unterbringung im günstigeren Doppelzimmer zu wählen, wenn nicht besondere Umstände die Belegung eines Einzelzimmers erfordern. Das führt keineswegs zu einer „Mehrklassenpflege", denn zum einen werden die pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohner im Doppelzimmer genauso entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen und ihrer jeweiligen Pflegebedürftigkeit versorgt wie im Einzelzimmer. Zum anderen nehmen auch Selbstzahlerinnen und -zahler Doppelzimmer in Anspruch.

Im Einzelnen stellen sich die Dinge wie folgt dar: Kreisweit gibt es 54 Einrichtungen der vollstationären Altenpflege mit insgesamt 2 286 Pflegeplätzen, davon 884 Plätzen in Doppelzimmern. Von diesen 54 Einrichtungen differenzieren lediglich vier Einrichtungen bei den Investitionsaufwendungen nach Einzel- und Doppelzimmern. Nur hier kann eine Aussage über die Belegung der Doppelzimmer mit Selbstzahlerinnen/-zahlern oder Leistungsberechtigten gemacht werden. Bei den übrigen Einrichtungen wird die Art der Unterbringung nicht erfasst, da die Heimkosten gleich hoch sind.

Die Mehrzahl der Leistungsberechtigten in diesen vier Einrichtungen ist in Einzelzimmern untergebracht. Die Doppelzimmerplätze sind annähernd gleich mit Leistungsberechtigten und Selbstzahlerinnen und Selbstzahlern belegt. Nach dem Heimgesetz und der Heimmindestbauverordnung sind sogar Mehrbettzimmer bis zu vier Personen ausdrücklich zugelassen. Drei- oder Vierbettzimmer gibt es aber bereits seit geraumer Zeit im Landkreis Celle nicht mehr. Zu betonen bleibt, dass bei Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben die Pflege in Einzel- und Doppelzimmern gleichberechtigt nebeneinander anerkannt ist und den derzeitigen Standard in der vollstationären Altenpflege darstellt.

Trotz aller Einschränkungen der Privatsphäre beim Wohnen in einem Doppelzimmer darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Wohnform für bestimmte Menschen von Vorteil ist. Pflegebedürftige Menschen, die zuhause vereinsamten, weil der einzige Gesprächspartner der ambulante Pflegedienst war, leben nach den Erfahrungen der Praxis wieder auf, weil sie Ansprache erfahren.

Sie übernehmen gerne Betreuungsaufgaben für die Mitbewohnerin oder den Mitbewohner, weil ihnen dies das Gefühl wiedergibt, noch gebraucht zu werden. Schwerst pflegebedürftige und ständig bettlägerige Menschen empfinden es entgegen der Auffassung des Abg. Meyer oft keineswegs als „Zumutung", das Zimmer zu teilen, weil sie dadurch noch Kontakt halten und nicht nur auf die Pflegekräfte angewiesen sind. Nicht zuletzt nehmen die Pflegebedürftigen das erhöhte Maß an Sicherheit wahr, das ihnen die Anwesenheit eines weiteren Menschen bei einem Sturz oder in anderen Notfällen gibt.

Vor dem Hintergrund lege ich Wert auf die Feststellung, dass der Landkreis Celle sich auch im Rahmen der Hilfe zur Pflege strikt an die gesetzlichen Vorgaben hält und eine „Standardabsenkung in der Pflege für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger" weder betrieben hat noch zu betreiben beabsichtigt.

Antwort des Landkreises Celle auf die Fragestellungen 1 bis 6:

Zu 1: Am 31.12.2003 erhielten 569 pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen der Altenpflege im Landkreis Celle einen bewohnerbezogenen Aufwendungszuschuss.

Dieser ist mit der Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes weggefallen.

Zu 2: Durch den Wegfall des bewohnerbezogenen Aufwendungszuschusses sind 164 pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner erstmals sozialhilfebedürftig geworden.

Zu 3: Der Sozialhilfebedarf hat sich durch den Wegfall des bewohnerbezogenen Aufwendungszuschusses bei 375 pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern erhöht.

Zu 4: Weder der Landkreis Celle als Sozialhilfeträger noch die herangezogene Stadt Celle haben Menschen, die in Einrichtungen der stationären Altenpflege leben, in Zweibettzimmern untergebracht.

Zu 5: Die mit den Trägern von stationären Altenpflegeeinrichtungen geschlossenen Vereinbarungen enthalten keinerlei Regelungen zur „Art der Unterbringung" (in Einzel- oder Doppelzimmern).

Zu 6: Ist bei jeder Einrichtung unterschiedlich.

Zu 7: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.