Bekämpfung und Behandlung der durch Zecken übertragenen Erkrankung „Borreliose" verbessern, Prävention verstärken

Der Landtag bittet die Landesregierung,

1. durch gezielte Information auf den Schutz vor und den richtigen Umgang mit einem Zeckenbiss hinzuweisen,

2. anhand der Erfahrungen der anderen Bundesländer abzuwägen, ob und wie eine Meldepflicht auch in Niedersachsen eingeführt werden sollte,

3. in Kontakt mit den beiden niedersächsischen medizinischen Fakultäten sowie dem Bundesministerium für Forschung und Technologie zu klären, wie entsprechende Therapiestudien finanziert werden könnten,

4. eine verbesserte Fortbildung im Bereich der Ärzteschaft anzuregen,

5. durch Gespräche mit den Krankenkassen, dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur sowie der Universität Göttingen zu klären, ob die Einrichtung von Spezialambulanzen sinnvoll und möglich ist.

Erkrankung:

Die Borreliose oder Lyme-Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die durch Zeckenstiche übertragen wird. Insbesondere wild lebende Warmblüter stellen das wesentliche Reservoir des Erregers (Borrelia burgdorferi sensu lato) dar und spielen eine wichtige Rolle als Wirtstiere für Zecken. Die Borreliose ist in Europa, Nordamerika und Asien verbreitet. Wenngleich vorliegende Daten regionale Unterschiede zeigen, so ist in allen Teilen Deutschlands von einer Infektionsgefährdung auszugehen. Nach bisherigen Erkenntnissen ist nach einem Zeckenstich bei 3 bis 6 % der Betroffenen mit einer Infektion und bei 0,3 bis 1,4 % mit einer Erkrankung zu rechnen. Erkrankte Personen sind nicht ansteckend.

Die Erkrankung ist vielgestaltig und wird in drei Stadien eingeteilt, wobei eine spontane Ausheilung in jedem Stadium möglich ist und einzelne Stadien übersprungen werden können. Hauptsächlich betroffene Organe sind die Haut, das Nervensystem sowie die Gelenke.

Die akute Erkrankung zeigt sich in einer lokalen Infektion der Haut der so genannten Wanderröte (Erythema migrans, Stadium I), die mit grippeartigen Allgemeinsymptomen einhergehen kann.

Kommt es zu einer Streuung der Bakterien, so kann es im Stadium II zu Hirnhaut- oder auch Herzmuskelentzündung kommen. Es können in diesem Stadium auch Gelenke betroffen sein. Im chronischen Stadium III sind vor allem die Gelenke (Lyme-Arthritis) oder in seltenen Fällen auch das Nervensystem betroffen.

Die Diagnose wird in erster Linie auf der Grundlage des Erscheinungsbildes gestellt. BorrelienInfektionen sind grundsätzlich in jedem Stadium Labor gestützt serologisch zu diagnostizieren. An

tikörper lassen sich in der Regel frühestens 14 Tage nach der Infektion nachweisen. In den ersten vier bis sechs Wochen einer Infektion misslingt häufig jedoch ein Antikörpernachweis. In diesem Fall sind lediglich 40 bis 50 % der Betroffenen mit einer Wanderröte positiv. Im Stadium II sind es bereits 60 bis 80 %. Im Stadium III können Antikörper praktisch in allen Fällen nachgewiesen werden. Bevölkerungsmedizinische Untersuchungen bei gesunden Erwachsenen zeigen in etwa 7 % der Fälle Zeichen einer überstandenen Infektion. Die Diagnose Borreliose ist daher nicht allein aufgrund des Laborbefundes zu stellen, sondern immer auch im Zusammenhang mit bestehenden Symptomen.

Eine Therapie ist in der Frühphase in der Regel am erfolgreichsten und erfolgt durch Gabe von Antibiotika. Eine generelle prophylaktische Antibiotikagabe nach einem Zeckenstich wird nicht empfohlen.

Epidemiologie Neuerkrankungen werden vor allem in den Sommermonaten beobachtet. Hinsichtlich der Altersverteilung zeigen sich Häufigkeitsgipfel in den Altersgruppen von 5- bis 9- und 60- bis 64-Jährigen.

Seit Entdeckung des Erregers der Borreliose zu Beginn der 80er Jahre wird in zahlreichen Staaten ein Anstieg der jährlich neu auftretenden Erkrankungen beobachtet. Dies gilt auch für die östlichen Bundesländer, in denen eine Meldepflicht auf der Grundlage von Länderverordnungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) besteht. Als ursächlich für den beobachteten Anstieg werden ein erhöhtes Bewusstsein der Öffentlichkeit und Verbesserungen in der Diagnostik und der Überwachung diskutiert. Darüber hinaus spielen möglicherweise auch landschaftsgestaltende Einflussnahmen durch den Menschen eine wichtige Rolle, die mit Vergrößerungen und Veränderungen des Habitats für wild lebende Zeckenwirte sowie die Vermehrung der Zeckenpopulation begünstigenden Klimaeinflüssen einhergehen. Derartige Veränderungen mit Vermehrung der Zeckenpopulation können für den Menschen zu einem erhöhten Infektionsrisiko durch den Stich infizierter Zecken führen und somit zu einer Erhöhung der Erkrankungszahlen beitragen.

Die Meldungen beziehen sich auf akute Erkrankungsformen, da nur diese die aufgetretenen Neuerkrankungen repräsentieren. Chronische Formen (Stadium III) sind hiervon nicht erfasst.

Prävention:

Die Vermeidung von Infektionen richtet sich gegen einen Zeckenstich. Von Mensch zu Mensch ist die Infektion nicht übertragbar.

Grundsätzlich sollten in der freien Natur, insbesondere im Wald, die Wege nicht verlassen werden.

Bei Durchstreifen des Unterholzes sollte möglichst den Körper bedeckende Kleidung und festes Schuhwerk getragen werden. Darüber hinaus können Zecken abweisende Hautschutzmittel eingesetzt werden. Die wichtigste Maßnahme besteht darin, Kinder nach dem Spielen in Wald und Wiese gründlich auch an vorher bedeckten Körperstellen abzusuchen. Das gilt natürlich auch für Erwachsene, wenn sie sich in entsprechender Umgebung aufgehalten haben. Am besten sollte am Abend auch die Kleidung ausgeschüttelt bzw. gewaschen werden. Auch bei Spaziergängen mitgeführte Tiere sollten immer kontrolliert werden, da umherwandernde und noch nicht festsitzende Zecken bei engem Kontakt auf den Menschen übergehen können. Bei Zeckenbefall muss die Zecke umgehend entfernt und die Wunde sorgfältig desinfiziert werden.

Grundlage der Prävention sind Information und Aufklärung über die Risiken der Übertragung und die möglichen vorbeugenden Maßnahmen. Da eine Therapie möglichst frühzeitig begonnen werden sollte, richten sich die entsprechende Information und Aufklärung auch an die Ärzteschaft.

Zu 1: Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA) hat einen Ratgeber erstellt, der in der

2. Auflage vom MS herausgegeben wird. Des Weiteren werden sowohl auf den Internetseiten des NLGA wie auch des Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Informationen zur Verfügung gestellt. Speziell für die Vorbereitung von Veranstaltungen „in der Natur" von Schulen und Kindertagesstätten wurde durch das MK ein entsprechendes Merkblatt herausgegeben, welches auch über dessen Internetseite abrufbar ist. In den letzten Jahren wurde das Thema dar über hinaus zunehmend zu Beginn der Sommersaison intensiv von der Presse aufgenommen und die Bevölkerung entsprechend informiert.

Im Zusammenhang mit dem Vollzug des Infektionsschutzgesetzes stehen die Landkreise und kreisfreien Städte in regelmäßigem Austausch mit Gemeinschaftseinrichtungen wie z. B. Kindertagesstätten und insbesondere Waldkindergärten. Es ist beabsichtigt, im Frühjahr 2006 die Landkreise und kreisfreien Städte bzw. die Region Hannover auf die Problematik der Borreliose und anderer durch Zecken übertragbaren Erkrankungen aufmerksam zu machen. Auf die Broschüre des MS und des MK wird dabei erneut hingewiesen, damit insbesondere Kindertagesstätten und Waldkindergärten auf die möglichen Gefahren aufmerksam gemacht werden können. Gleichzeitig wird ein Hinweis auf das Merkblatt des NLGA und auf dessen Homepage erfolgen.

Zu 2: Das akute Krankheitsbild der Borreliose ist in den sechs östlichen Bundesländern auf der Grundlage einer Landesverordnung meldepflichtig. Zur Prüfung, ob und wie eine Meldepflicht auch in Niedersachsen eingeführt werden sollte, wurden seitens des MS Erfahrungsberichte angefordert. Die Auswertung der Berichte führte zu dem Ergebnis, dass in Niedersachsen eine Meldepflicht der Borreliose auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes nicht eingeführt werden sollte.

Denn Zweck des Infektionsschutzgesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.

Mit der namentlichen Meldepflicht wird der öffentliche Gesundheitsdienst im Einzelfall in die Lage versetzt, Maßnahmen gegen eine Weiterverbreitung ergreifen zu können. Dies gilt in erster Linie für Infektionen, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind. Würde ein Fall einer Borreliose bekannt, so stehen dem keine konkreten Maßnahmen gegenüber, eine Weiterverbreitung zu verhindern.

Die rein statistische und epidemiologische Auswertung der Daten rechtfertigt nicht die zwangsweise Preisgabe personenbezogener Angaben. Grundsätzlich steht hierfür auch das Instrument der anonymen Meldepflicht zur Verfügung. Nach dem Infektionsschutzgesetz gilt dies für einige wenige Krankheitserreger wie z. B. das HI-Virus. Die Leiterin oder der Leiter des diagnostizierenden Labors meldet in diesen Fällen direkt an die Bundesbehörde (Robert Koch-Institut) auf eigens dafür zur Verfügung gestellten Meldeformularen. Ein großes Problem stellen dabei jedoch eventuelle Doppelmeldungen dar. Außerdem stützt sich, wie einleitend beschrieben, die Diagnose Borreliose nicht allein auf einen Laborbefund, sodass die Bewertung gemeldeter Borreliosenachweise problematisch bleibt. Nicht zuletzt müssten für die anonyme Meldepflicht auf Landesebene neue Meldestrukturen aufgebaut und gepflegt werden.

Auch vor dem Hintergrund der Verwaltungsmodernisierung und des Bürokratieabbaus ist eine Einführung der Meldepflicht in Niedersachsen, ob namentlich oder anonym, nicht zu befürworten.

Im Rahmen einer eventuellen Novellierung des Infektionsschutzgesetzes wird auch der Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger einer Überprüfung durch den Bund unterzogen werden. In diesem Zusammenhang bleiben erste Erfahrungen aus Brandenburg abzuwarten. Hier wird versucht, mit modernen Methoden der Epidemiologie unter Einbeziehung von Geoinformationssystemen spezielle Risikogebiete für Borreliose-Infektionen zu definieren. Außerdem werden durch zusätzliche Erhebungen weitere spezifische Risikofaktoren analysiert. Inwieweit hierbei die Meldepflicht erforderlich ist oder auch stichprobenhafte Untersuchungen ausreichen, bedarf der abschließenden Bewertung durch den Bund.

Zu 3: Die Borreliose-Diagnostik erfolgt in der Universitätsklinik Göttingen, Bereich Humanmedizin, und in der Medizinischen Hochschule Hannover in den Abteilungen für Mikrobiologie nach akkreditierten Verfahren. Forschungsarbeiten zu dieser Thematik werden bereits an beiden Hochschulen durchgeführt. Zusätzliche Therapiestudien können grundsätzlich, beispielsweise im Rahmen einer Fördermaßnahme von klinischen Studien, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bzw. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt werden, sofern ein dringender Bedarf hieran von der DFG anerkannt wird.

Für die Behandlung der Borreliose mit Antibiotika stehen in den verschiedenen Stadien des Krankheitsverlaufs bereits ausreichend Erfahrungswerte und Therapien zur Verfügung. Dies gilt besonders für das häufigere Krankheitsbild der Lyme-Borreliose. Die Medizinische Hochschule Hannover sieht es daher nicht als zwingend an, die geforderten Therapiestudien zum jetzigen Zeitpunkt durchzuführen. An der Universitätsklinik Göttingen, Bereich Humanmedizin, erfolgen solche Studien in der Abteilung Mikrobiologie seit 15 Jahren wissenschaftlich und in der Patientenversorgung.

Zu 4: Fortbildungsveranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte wurden bereits in der Vergangenheit initiiert und werden auch in Zukunft fortgesetzt.

Für das Jahr 2004 hat das NLGA auch in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Göttingen, Bereich Humanmedizin, im Rahmen von zehn Veranstaltungen das Thema Borreliose behandelt; es waren dies

­ vier Veranstaltungen anlässlich des Göttinger Forums für den öffentlichen Gesundheitsdienst,

­ drei Impfveranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte sowie

­ drei Impfveranstaltungen für Arzthelferinnen.

Für das Jahr 2005 hat das NLGA im Rahmen von elf Veranstaltungen das Thema Borreliose behandelt.

Dazu gehören das 1. Norddeutsche Forum für Infektionsschutz, an dem Teilnehmerinnen und Teilnehmer des öffentlichen Gesundheitsdienstes und darüber hinaus niedergelassene Ärztinnen und Ärzte teilgenommen haben. Sechs Veranstaltungen fanden für Ärztinnen und Ärzte im Raum Braunschweig, Helmstedt, Gifhorn, Peine statt; vier weitere Veranstaltungen für Arzthelferinnen, ferner ein Aufbaukurs für hygienebeauftragte Ärztinnen und Ärzte aus der stationären Versorgung.

Entsprechende Veranstaltungen werden auch 2006 fortgesetzt.

Zu 5: Die Einrichtung von Spezialambulanzen ist eine Möglichkeit, um zur Aufklärung über die Folgen der Borreliose beizutragen und Therapiemöglichkeiten zu vermitteln.

Die Universitätsklinik Göttingen, Bereich Humanmedizin, hält Spezialambulanzen für sinnvoll, um Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Lyme-Borreliose einer adäquaten Diagnostik und Therapie zuzuführen. So könnte eine Spezialambulanz in enger Kooperation mit den Abteilungen Neurologie und medizinische Mikrobiologie sowie unter Einbeziehung anderer erfahrener klinischer Abteilungen (Pädiatrie, innere Medizin, Psychiatrie, Dermatologie) dieser Aufgabe gerecht werden.

Voraussetzung für deren Wirtschaftlichkeit ist eine adäquate Refinanzierung durch die Krankenkassen.