Belastungen durch statistische Berichtspflichten für Unternehmen in Niedersachsen

Vertreter von Politik und Verwaltung registrieren in den letzten Monaten ein erhöhtes Maß an Klagen von niedersächsischen Unternehmen über eine zunehmende Belastung ihrer Arbeit durch amtliche Statistiken. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen empfinden die Auskunftspflicht zu den Statistiken als zu umfangreich und zu zeit- und kostenintensiv.

Der Unmut richtet sich insbesondere an Vertreter der Politik auf Landesebene und an die entsprechenden Stellen der Verwaltung, wie z. B. das Niedersächsische Landesamt für Statistik.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie groß ist jeweils der Anteil der statistischen Berichtspflichten, der auf Gesetze der Europäischen Union, des Bundes und des Landes zurückzuführen ist?

2. In welchen Wirtschaftsbereichen ist die Pflicht zur Erstellung von Statistiken besonders hoch?

Was sind die Gründe dafür?

3. Nach welchen Kriterien werden Unternehmen für die Erstellung von Statistiken ausgewählt?

4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die statistischen Berichtspflichten auch für kleinere und mittlere Unternehmen auf ein angemessenes Maß zurückzuführen?

5. Welche konkreten politischen Initiativen hat sie bisher ergriffen, und welche sind geplant?

Seit Jahren werden sowohl unter dem Gesichtspunkt der Begrenzung des Aufwandes der Befragten als auch der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung die Aufgaben der amtlichen Statistik ständig auf ihre Notwendigkeit kritisch überprüft. Mittlerweile wurde der Umfang der Statistiken in mehreren Statistikbereinigungsgesetzen reduziert.

Im Rahmen der Deregulierungsoffensive der Niedersächsischen Staatskanzlei zum Abbau von Vorschriften, Bürokratie- und Verfahrenshemmnissen hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport das „Projekt Statistikreduzierung" durchgeführt mit dem Ziel, weitere Einsparanstrengungen im Bereich der amtlichen Statistik auf EU-, Bundes- und Landesebene vorzunehmen und den Aufwand für Auskunftspflichtige zu mindern. Dabei wurden die Möglichkeiten untersucht, weitere Statistiken in den Ressortbereichen abzubauen bzw. zu reduzieren. Entlastungen sollen durch den Einsatz anderer statistischer Methoden oder Datenquellen erreicht werden. Im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Reform der Unternehmensstatistik" wurden Möglichkeiten zur Reduzierung von Unternehmensstatistiken untersucht, insbesondere, ob Teilbereiche oder ganze Erhebungen durch die Nutzung von Verwaltungsdaten ersetzt werden können.

Bei allen Bemühungen zur Entlastung der Wirtschaft von amtlichen Statistiken darf die gesetzliche Aufgabe der Statistiken nicht außer Acht gelassen werden, zuverlässige, hinreichend differenzierte und aktuelle Informationen für vielfältige Zwecke und zahlreiche Nutzergruppen bereit zu stellen.

Sachgerechte Entscheidungen können nicht ohne hinreichende Kenntnis der zugrunde liegenden Fakten getroffen werden. Im wirtschaftlichen Bereich sind zuverlässige amtliche Statistiken zur Be urteilung des Wirtschaftswachstums, des Strukturwandels und der Wettbewerbsfähigkeit unentbehrlich. Dabei greifen auch die Wirtschaftsverbände auf diese Statistiken zu, um Unternehmen bei wirtschaftlichen Entscheidungen zu beraten und die Belange ihrer Verbandsmitglieder in den Gremien zu vertreten. Letztendlich liefern Statistiken den einzelnen Unternehmen auch unmittelbar branchenbezogen Daten zum Wirtschafts- und Investitionsgeschehen, an dem sie ihre Planungen und Entscheidungen orientieren können.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Der überwiegende Teil der amtlichen Statistiken beruht auf Bundesrecht bzw. EU-Vorgaben und nur ein geringer Teil (ca. 20 von ca. 390 Statistiken) beruht auf Landesrecht und unterliegt damit dem direkten Einfluss der Landesgesetzgebung. Der Wirtschaftsbereich ist hier von keiner Statistik betroffen.

Zu 2: Die Höhe der Pflicht zur Erstellung von Statistiken, gemessen am Zeitaufwand für amtliche Statistiken in Unternehmen, wurde erstmals für das Jahr 2004 durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unter Beteiligung der Statistischen Ämter - wobei die konzeptionelle und organisatorische Federführung vom Niedersächsischen Landesamt für Statistik (NLS) wahrgenommen wurde - im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erhoben. Als besonders umfangreich wurden die Statistiken im Verarbeitenden Gewerbe identifiziert.

In diesem Bereich sind zurzeit alle Unternehmen ab 20 tätige Personen in der Regel zu mindestens fünf Statistiken auskunftspflichtig (Monatsbericht, Produktionsmeldung monatlich oder vierteljährlich sowie drei jährliche Strukturerhebungen). Für diesen wichtigen Wirtschaftsbereich werden die unterjährig erhobenen Daten zur Auftrags-, Umsatz- und Beschäftigungsentwicklung sowie zur Produktion für die Beurteilung der konjunkturellen Lage von Bundes- und Landesregierung, der Deutschen Bundesbank, der EU, den Kammern und Verbänden benötigt. Die jährlichen Erhebungen liefern erforderliche Strukturdaten über Investitionen und Energieverbrauch. Zur Entlastung der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe von statistischen Meldepflichten hat die Bund-LänderArbeitsgruppe „Reform der Unternehmensstatistiken" die Anhebung des Schwellenwertes für den Monatsbericht von 20 auf 50 tätige Personen vorgeschlagen. Diese Änderung ist bereits im Entwurf eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse in der mittelständigen Wirtschaft vom Mai 2006 aufgenommen worden. Mit der Reduzierung der unterjährigen Erhebung sind zum Teil Informationsverluste verbunden, die aber von den Nutzern aufgrund der angestrebten Entlastung der Wirtschaft von statistischen Meldepflichten weitgehend akzeptiert werden (s. Antwort zu Frage 4 Abs. 3).

Die Resultate der Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch amtliche Statistiken sind bis zur Veröffentlichung der Studie des DIW Mitte 2006 mit einer Sperrfrist belegt. Auf einem Workshop im März 2006 wurden jedoch erste Ergebnisse vorgestellt. Es wurde berechnet, dass aufgrund von Abschneidegrenzen und Stichprobenerhebung nur 15 % aller Unternehmen überhaupt meldepflichtig sind. Das Fazit des DIW lautete: „Die Ergebnisse (...) stehen im krassen Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung über die starke Belastung der Wirtschaft durch die amtliche Statistik. Sie zeigen aber trotz der geringen Gesamtbelastung und der geringen durchschnittlichen Belastung der Unternehmen durch amtliche Statistiken eine relativ starke Betroffenheit der Kleinst- und der Kleinunternehmen."

Damit stützen die Ergebnisse die Politik der Landesregierung, deren Initiativen beim Bürokratieabbau insbesondere auf die Entlastung von kleinen und mittelständischen Unternehmen ausgerichtet sind.

Zu 3: Bei Erhebungen mit Abschneidegrenze wie im Verarbeitenden Gewerbe sind alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe auskunftspflichtig. In anderen Wirtschaftsbereichen, wie z. B. im Handel, Gastgewerbe oder im Dienstleistungsbereich werden vom Gesetzgeber die Stichprobengrößen festgesetzt. Die Stichprobenauswahl erfolgt aufgrund der im Unternehmensregister gespeicherten Grundgesamtheit nach stichprobenmathematischen Verfahren. In der Regel wird die Stichprobenauswahl nach Größenklassen der Unternehmen geschichtet vorgenommen. Der Auswahlsatz wird schichtspezifisch festgelegt, wobei große Unternehmen stärker betroffen sind als kleinere. Entscheidend für die Stichprobenauswahl eines Unternehmens ist seine Repräsentanz für die Grundgesamtheit, d. h. große Unternehmen können sich sogar in einer Totalschicht befinden, in der jedes Unternehmen auskunftspflichtig ist, während bei den kleineren Unternehmen mit sehr großen Auswahlabständen gearbeitet wird, sodass z. B. nur jedes 20. oder 50. Unternehmen zur Statistik herangezogen wird. Zusätzlich wird aufgrund der durch das Unternehmensregister geschaffenen Rahmenbedingungen verstärkt von der Möglichkeit der Rotation der Berichtspflichtigen Gebrauch gemacht.

Zu 4: Bei der Entlastung der Wirtschaft, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen von statistischen Berichtspflichten versprechen eine Verkleinerung der Berichtskreise, die Nutzung von bereits vorhandenen Verwaltungsdaten, die automatische Datengewinnung aus dem betrieblichen Rechnungswesen und die statistische Meldung via Internet die größten Entlastungseffekte.

Einiges wurde hier schon auf den Weg gebracht, wie z. B. die Einstellung der industriellen Kleinbetriebserhebung ab 2003 (Ersatz durch Daten aus dem Unternehmensregister), die Anhebung der Meldeschwelle im Intrahandel auf 300 000 Euro pro Jahr und bei der Angabe des Grenzübergangswertes auf 20 Mill. Euro im Eingang bzw. 30 Mill. Euro in der Versendung.

Zur Verkleinerung der Berichtskreise sieht das von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Reform der Unternehmensstatistik" der statistischen Ämter vorgelegte Konzept eine Erhöhung der Abschneidegrenze von derzeit 20 auf 50 Beschäftigte beim Monatsbericht im Verarbeitenden Gewerbe vor.

Mehr als die Hälfte der derzeitigen Berichtspflichtigen (bundesweit 23 000 Betriebe) werden dadurch entlastet und bräuchten nur noch einmal im Jahr zu melden. Die Bundesregierung hat die höhere Abschneidegrenze im Entwurf des Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse berücksichtigt. Darüber hinaus sieht der Entwurf die ersatzlose Streichung der vierteljährlichen Produktionserhebung im Fertigteilbau, eine Veränderung der Periodizität in der Hochbaustatistik und die Aussetzung der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung nach dem Lohnstatistikgesetz für das Jahr 2007 vor.

Auch bei Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen werden kleinere Unternehmen durch einen reduzierten Merkmalskatalog von Auskunftspflichten erleichtert. Eine weitergehende Befreiung verspricht die stärkere Nutzung von Verwaltungsdaten ab dem Jahr 2007. Dieser registergestützte Erhebungsansatz verspricht beträchtliche Einspareffekte und ist der große Schritt in Richtung einer Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen und einer modernen und schlanken Verwaltung.

Im großen Umfang werden Unternehmen auch entlastet, wenn statistische Daten über Softwaremodule automatisch aus dem betrieblichen Rechnungswesen generiert und elektronisch übermittelt werden können. Im Rahmen von „eStatistik.core" wird das neue Verfahren inzwischen für die Lohnstatistik und den Monatbericht im Verarbeitenden Gewerbe angeboten und soll verstärkt auf weitere Industrie-, Handels-, Gewerbe- und Tourismusstatistiken ausgedehnt werden.

Für Firmen, die sich regelmäßig an amtlichen Statistiken beteiligen müssen, hat das NLS mit dem Internet-Verfahren IDEV eine neue Online-Software freigeschaltet, das für verschiedene Statistikbereiche, z. B. Produzierendes Gewerbe, Bauwirtschaft, Umweltschutz, Tourismus und Gastgewerbe, web-basierte Formulare anbietet. Durch up-load der Daten aus dem betriebsinternen Berichtswesen in die Formulare lässt sich auch der manuelle Eingabeaufwand reduzieren. Das Verfahren bietet dem Nutzer u. a. Online-Vorprüfungen von ausgefüllten Formularen um spätere Rückfragen zu vermeiden, Online-Änderungsdienste z. B. für Adressen und Ansprechpartner und kontextsensitive Online-Informationen zu Schlüsselverzeichnissen und Rechtsgrundlagen. Diese Funktionen unterstützen den Auskunftgebenden bei der Arbeit und reduzieren so den Meldeaufwand. Mit der Möglichkeit der Online-Meldung wird ein moderner Weg eröffnet, mit den Statistischen Ämtern Zeit und Kosten sparend zu kommunizieren. Das Angebot wird kontinuierlich ausgeweitet und soll bis zur Jahresmitte 25 Statistiken umfassen. Bis Ende 2007 soll die Einführung von Online-Meldungen auch für insgesamt 50 dezentrale Statistiken flächendeckend für alle statistischen Landesämter abgeschlossen sein.

Zur weiteren Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen von statistischen Berichtspflichten wird bereits bei den meisten periodisch wiederholten Stichprobenerhebungen eine Stichprobenrotation im Sinne eines Austausches der Stichprobenunternehmen angewendet. Diese Stichprobenrotation soll in Zukunft noch häufiger Anwendung finden.

Im Verarbeitenden Gewerbe ist die Rotation der Unternehmen sowohl bei der Kostenstrukturerhebung (KSE) als auch bei der Strukturerhebung (SE) integraler Bestandteil jeder neuen Stichprobenziehung. Bei der KSE (20 Beschäftigte und mehr) können bei jeder neuen Ziehung zwei Drittel der (vor allem kleineren) Unternehmen des Berichtskreises zeitweise von der Lieferpflicht freigestellt werden. Bei der SE (unter 20 Beschäftigte) wird jährlich ein vollständiger Austausch vorgenommen.

Bei der Kostenstrukturerhebung im Baugewerbe (Unternehmen mit 20 Beschäftigten und mehr) werden alle drei Jahre fast ein Anordnungl der Unternehmen ausgetauscht. Bei der Strukturerhebung bei Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten findet jährlich ein Komplettaustausch statt.

In der Handelsstatistik hat der Aufbau neuer Berichtskreise mit dem Ziel der Rotation und Entlastung von Unternehmen unter Verwendung der Daten des Unternehmensregisters begonnen.

Bei der Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich wurde die Grundgesamtheit durch eine jährliche Neuzugangsstichprobe aktualisiert. Momentan wird untersucht, welche Auswirkungen eine Rotation auf die Zeitreihe der Ergebnisse hat und in welchen zukünftigen Zeiträumen rotiert werden soll. Bei der Konjunkturerhebung ist geplant, 2006 eine neue Stichprobe zu ziehen.

Zu 5: In den letzten Jahren gab es etliche von Niedersachsen unterstützte Entschließungen des Bundesrats, die allesamt zum Ziel hatten, die bundesgesetzlich geregelten Statistiken auf Notwendigkeit und Umfang zu überprüfen. Die Bundesregierung wurde mehrfach gebeten, bei allen zusätzlichen Statistikanforderungen der EU einen restriktiven Kurs zu fahren.

Darüber hinaus erarbeitet die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Reform der Unternehmensstatistik" unter niedersächsischer Beteiligung im Rahmen des Masterplans zur Reform der amtlichen Statistik an einem umfangreichen Konzept zum Umbau der Unternehmensstatistik (s. Antwort zu Frage 4).

Zudem verspricht eine effektive Nutzung von Verwaltungsdaten spürbare Entlastungen in allen Wirtschaftsbereichen. Um die Qualität und Aktualität des dafür erforderlichen Unternehmensregisters zu verbessern und die Entlastung durch die Verwendung von Verwaltungsdaten zu forcieren, hat die Landesregierung bei der Behandlung des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister in der Februarsitzung des Bundesrates einen erfolgreichen Änderungsantrag gestellt, der umfangreiche Lieferungen aus dem Handelsregister an die statistischen Ämter vorsieht.

Auch das Projekt „eStatistik.core" genießt weiterhin hohe Priorität. Die Zusammenarbeit der amtlichen Statistik mit den Softwarefirmen wurde mit dem Ziel intensiviert, sowohl weitere Statistiken in das Projekt einzubeziehen als auch die Nutzung des neuen Meldeverfahrens durch die auskunftgebenden Unternehmen voranzutreiben.

Des Weiteren schaffen die in § 8 StatRegG in Verbindung mit § 13 a BStatG neu geregelten Möglichkeiten die rechtliche Grundlage dafür, Verwaltungsdaten mit Einzelangaben aus Wirtschaftsund Unternehmensstatistiken und mit allgemein zugänglichen Daten zu verknüpfen. Ziel der von der Landesregierung unterstützten Regelung ist es, neue statistische Erhebungen durch Nutzung von Daten, die bereits bei den statistischen Ämtern vorhanden sind, zu vermeiden.

Weitere Impulse für die Entlastung der Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten erhofft sich die Landesregierung aus der Belastungsstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.